OGH 8ObA33/24x

OGH8ObA33/24x24.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Albert Kyncl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei W*, geboren am *, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* GmbH, *, vertreten durch Mag. Alexandra Serek, Rechtsanwältin in Wien, wegen 2.454,19 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 2023, GZ 10 Ra 5/23p‑19.1, mit welchem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 27. September 2022, GZ 25 Cga 85/22k‑13, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00033.24X.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

1. Das Verfahren wird fortgesetzt.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung der Vorinstanzen wird dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig der klagenden Partei 2.454,19 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 16. 2. 2022 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 948,62 EUR (darin 158,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig der beklagten Partei die mit 609,67 EUR (darin 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit  418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten als Kellner beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 26. 1. 2022 zum 15. 2. 2022. Nach Punkt 21 lit a des Kollektivvertrags für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe in der hier anzuwendenden Fassung vom 1. 5. 2019 beträgt die Kündigungsfrist 14 Tage. Es konnte nicht festgestellt werden, dass im fachlichen Anwendungsbereich des Kollektivvertrags die Anzahl der Saisonbetriebe überwiegt.

[2] Der Kläger beansprucht unter Berufung auf die sechswöchige Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB für die Zeit von 16. 2. bis 15. 3. 2022 eine Kündigungsentschädigung von 2.454,19 EUR brutto sA.

[3] Die Beklagte wendet ein, dass die Kündigungsfrist nach dem Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe lediglich 14 Tage betrage.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 sehe vor, dass die Kündigungsfrist zumindest sechs Wochen beträgt, jedoch Kollektivverträge für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, abweichende Regelungen festlegen können. Die Beklagte habe aber nicht nachweisen können, dass es sich beim Hotel- und Gastgewerbe um eine Branche handle, in der Saisonbetriebe überwiegen, sodass von einer sechswöchigen Kündigungsfrist auszugehen sei.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die Revision im Hinblick auf die Frage zulässig sei, wen im Fall einer kollektivvertraglichen Verkürzung der Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB die Beweislast dafür trifft, dass im fachlichen Anwendungsbereich des Kollektivvertrags Saisonbetriebe überwiegen.

[6] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Der Kläger beantragt die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

[9] 1. Mit Beschluss vom 22. 3. 2024 zu 8 ObA 37/23h wurde das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den am 14. 2. 2024 zu 9 ObA 38/23p gestellten Antrag des Obersten Gerichtshofs, die Vorschriften in § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 als verfassungswidrig aufzuheben, unterbrochen. Mit Erkenntnis vom 25. 6. 2024 zu G 29/2024‑12 hat der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag abgewiesen, sodass das Revisionsverfahren nunmehr fortzuführen ist.

[10] 2. Nach § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 beträgt die Kündigungsfrist zumindest sechs Wochen, doch können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen festgelegt werden. Als Saisonbetriebe gelten nach § 53 Abs 6 ArbVG Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. Damit hängt die Zulässigkeit einer kollektivvertraglichen Verkürzung der Kündigungsfrist davon ab, ob es sich um eine Branche handelt, in der tatsächlich Saisonbetriebe in diesem Sinn überwiegen. Nach der Rechtsprechung ist eine mit zwingendem Recht in Widerspruch stehende Kollektivvertragsbestimmung nicht rechtsgültig und daher wirkungslos (RS0050828).

[11] 3. Da nicht festgestellt werden konnte, ob im fachlichen Anwendungsbereich des Kollektivvertrags für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe Saisonbetriebe überwiegen, stellt sich die Frage der Beweislast. Nach den allgemeinen Beweislastregeln hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen zu behaupten und zu beweisen (RS0109832; RS0039939). Der Oberste Gerichtshof hat deshalb zu 9 ObA 57/24h mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass jene Prozesspartei, die einer kollektivvertraglichen Bestimmung die Normwirkung abspricht, die Tatsachen behaupten und beweisen muss, aus denen sich die Unwirksamkeit der Bestimmung – hier die Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung – ableiten lässt.

[12] 4. Daraus folgt, dass ein Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber unter Berufung auf eine kollektivvertragliche Kündigungsfrist gekündigt wurde und nunmehr unter Berufung auf die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB Kündigungsentschädigung beansprucht, im Prozess die Beweislast dafür trägt, dass es sich um keine Branche handelt, in der Saisonbetriebe überwiegen. Kann nicht festgestellt werden, ob Saisonbetriebe überwiegen (non liquet), so sind die im Kollektivvertrag festgelegten Kündigungsfristen anzuwenden.

[13] 5. Nachdem dem Kläger der Beweis nicht gelungen ist, dass im fachlichen Anwendungsbereich des Kollektivvertrags für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe Betriebe überwiegen, die keine Saisonbetriebe sind, war davon auszugehen, dass die Verkürzung der Kündigungsfrist nach Punkt 21 lit a des Kollektivvertrags wirksam ist, was zur Abweisung des Klagebegehrens führt.

[14] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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