European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0080OB00014.13M.0627.000
Spruch:
Den Rekursen wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, beiden beklagten Partei binnen 14 Tagen die je mit 1.164,06 EUR (darin 194,01 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der erstbeklagten Partei 2.134,44 EUR (darin 139,74 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) und der zweitbeklagten Partei 838,08 EUR (darin 139,38 EUR USt) an Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der damals 7‑jährige Kläger erlitt am 4. 2. 2011 als Schifahrer auf dem Gelände der „Kinderschneealm“, einem eingezäunten, aber ansonsten frei zugänglichen flachen Pistenabschnitt bei der Mittelstation der von der Erstbeklagten betriebenen Seilbahn, einen Unfall.
Im Bereich der „Kinderschneealm“ befinden sich mehrere von der Zweitbeklagten aufgestellte und gewartete Geräte für Kinder, darunter eine an beiden Seiten mit gepolsterten Stangen markierte Schiwippe. Diese ist so konstruiert, dass sie beim Überfahren des Scheitelpunkts nach vorne kippt und danach mittels Schwerkraft wieder in die Ausgangsstellung zurückgekehrt.
Der Kläger kannte die „Kinderschneealm“, weil er dort bereits einen Schikurs absolviert hatte; am Unfallstag suchte er sie in Begleitung seiner Mutter auf. Während diese gerade abgelenkt war, versuchte der Kläger hinter einem anderen Kind über die Wippe zu fahren. Er hielt dabei aber einen so kurzen Abstand ein, dass das Wippbrett seine Ausgangsstellung noch nicht wieder erreicht hatte, wodurch er auf Höhe seiner Unterschenkel gegen die Vorderkante des Geräts stieß und erheblich verletzt wurde.
Die Wippe wies zum Unfallszeitpunkt keinen Defekt auf und war funktionsfähig. Der Kläger hatte sie davor bereits mehrfach benutzt.
In der Klage wird vorgebracht, die gegenständliche Wippe sei konstruktionsbedingt eine gefährliche Einrichtung, deren Benützung nur unter entsprechender Beaufsichtigung ermöglicht werden dürfte. Die Erstbeklagte hafte für den dem Kläger entstandenen Schaden als Vertragspartnerin seines Liftbeförderungsvertrags und als Betreiberin des Schigebiets, die Zweitbeklagte habe durch unterlassene Beaufsichtigung der von ihr geschaffenen, als solche erkennbaren Gefahrenquelle Verkehrssicherungspflichten verletzt.
Die Beklagten wandten unter anderem mangelnde Passivlegitimation ein. Die Erstbeklagte sei nicht Betreiberin der „Kinderschneealm“, die Zweitbeklagte sei dies außerhalb der von ihr angebotenen Schikurse ebenfalls nicht. Zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten habe im Unfallszeitpunkt kein Vertragsverhältnis bestanden. Für die Beaufsichtigung des minderjährigen Klägers sei dessen Mutter verantwortlich gewesen. Die Geräte der „Kinderschneealm“ seien verkehrs- und betriebssicher, der Unfall sei durch einen Fahrfehler des Klägers herbeigeführt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, die Wippe stelle bei ordnungsgemäßer Benützung keine besondere Gefahrenquelle dar. Sie sei mit Einrichtungen, die üblicherweise auf Spielplätzen und dergleichen zur Verfügung gestellt würden, vergleichbar, sodass keine dauernde Beaufsichtigung durch den Aufsteller oder den Pistenerhalter gefordert werden könne.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss dem Rechtsmittel des Klägers Folge, hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Grundsätzlich sei auf den Sachverhalt österreichisches Recht anzuwenden. Dem Erstgericht sei auch beizupflichten, dass die Wippe bei gegebener ordnungsgemäßer Aufstellung, Funktionstüchtigkeit und richtiger Benützung auch für Kinder im Alter des Klägers nicht „an sich gefährlich“ sei. Dennoch stelle sie insofern eine Gefahrenquelle dar, als das Überfahren der Wippe mit Schiern doch eine gewisse Geschwindigkeit und gleichzeitig die Fähigkeit, beim Hintereinanderfahren den notwendigen Abstand zum Vorausfahrenden einzuschätzen, erfordere und dieses Einschätzungsvermögen von kleineren Kindern nicht erwartet werden könne.
Zwar gehe die Rechtsprechung davon aus, dass Spielgeräte, die dem Bewegungsdrang und der Abenteuerlust von Kindern Raum geben, nie absolut sicher sein können und ihre Aufstellung nicht an einer Überspannung der Sorgfaltspflicht ihrer Betreiber scheitern dürfe. Für die Sicherung von Gefahrenquellen sei aber in umso höherem Maß zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vorzusehen und zu sichern wissen. Wenn mit spielenden Kindern im Gefahrenbereich zu rechnen sei, hätten strenge Anforderungen zu gelten. Die Gefahr einer unsachgemäßen Benützung der gegenständlichen Wippe durch kleine Kinder sei sowohl für einen Pistenbetreiber als auch für einen Schischulbetreiber ohne weiteres erkennbar gewesen, weshalb die Beklagten im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen hätten müssen. Diese hätten etwa darin bestehen können, auf einer Tafel im Eingangsbereich zu verlautbaren, dass Kinder die Geräte nur unter Aufsicht einer erwachsenen Begleitperson befahren dürfen, oder bei der Wippe eine Warntafel mit einem die konkrete Gefahr veranschaulichenden Piktogramm aufzustellen. Das im Unfallszeitpunkt beim Eingang vorhandene Schild „Benützung auf eigene Gefahr“ weise nicht auf eine bestimmte Gefährdung hin und reiche daher nicht aus.
Die Erstbeklagte habe als Pistenerhalterin ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sich die „Kinderschneealm“ frei zugänglich im Bereich des von ihr erschlossenen Schigebiets befinde. Sie hafte aufgrund des abgeschlossenen Liftbeförderungsvertrags für den Schaden des Klägers. Die Zweitbeklagte wäre als Aufstellerin der Wippe gleichfalls verpflichtet gewesen, Vorkehrungen zum Schutz der befugten Benützer vor den erkennbar daraus drohenden Gefahren zu treffen. Ein Mitverschulden des Klägers komme wegen seiner mangelnden Einsichtsfähigkeit nicht in Betracht. Ein etwaiges Mitverschulden seiner Mutter müsse er sich gegenüber den Beklagten nicht als haftungsmindernd anrechnen lassen.
Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Beschluss für zulässig, weil es eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, ob eine Anlage wie die „Kinderschneealm“ als Teil der Schipiste anzusehen ist, darüber hinaus weiche die Berufungsentscheidung möglicherweise von der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur zur Haftung für Spielgeräte ab.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger beantworteten Rekurse der beklagten Parteien sind zulässig, weil die Verkehrssicherungspflichten eines Spielgeländebetreibers mit der Entscheidung des Berufungsgerichts überspannt würden. Die Rekurse sind dementsprechend auch berechtigt.
Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0029874); das gilt insbesondere für die Ausgestaltung von Spielplätzen und Spielgeräten wie der gegenständlichen Schiwippe, wenngleich hier mit Rücksicht auf die Verkehrsbeteiligten strengere Maßstäbe anzulegen sind (RIS‑Justiz RS0023902 [T5]).
In erster Linie kommt es darauf an, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (RIS‑Justiz RS0110202, RS0023397, RS0023487) und in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer vorhandene Gefahren selbst erkennen und ihnen begegnen können (RIS‑Justiz RS0023726). Eine Verkehrssicherungspflicht entfällt zur Gänze, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht, also ohne genauere Betrachtung, erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0114360).
Zu den Verkehrssicherungspflichten des Betreibers eines frei zugänglichen Schiübungsgeländes für Kinder gehört es nach diesen Grundsätzen, nur technisch einwandfrei funktionierende und im Gelände deutlich gekennzeichnete Spiel- bzw Übungsgeräte aufzustellen, deren Funktionsweise auch Kleinkindern ohne besondere Mühe erkennbar ist und die keine versteckten, ohne Funktionsverlust vermeidbaren Gefahrenstellen aufweisen. Es würde die Verkehrssicherungspflichten aber überspannen, dem Pistenbetreiber die Verantwortung für die Verhinderung jeder überhaupt nur irgendwie denkbaren Art von Unfällen zuzuweisen.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die vom Kläger benutzte Wippe im Unfallszeitpunkt ihrer Bestimmung entsprechend funktionierte und keinen technischen Mangel aufwies.
Wippen und Schaukeln sind, worauf bereits das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat, allgemein übliche Bestandteile der Einrichtung von Spielplätzen; ihre einfache Funktionsweise, aber auch das Wissen, dass es gefährlich ist, in den Bewegungsradius dieser Geräte zu laufen, bevor sie zum Stillstand gekommen sind, gehört bereits zum Erfahrungsschatz von Kleinkindern.
Von Kindern, deren körperliche und geistige Reife bereits ausreicht, um den notorisch mit erhöhter Verletzungsgefahr verbundenen alpinen Schisport auszuüben (und umso mehr von ihren erwachsenen Aufsichtspersonen) ist dementsprechend zu erwarten, dass sie ohne weiteres in der Lage sind, beim Anblick der gegenständlichen Wippe deren Funktionsweise zu erfassen und auch zu verstehen, dass das Befahren erst nach dem Zurückkippen in die Ausgangsstellung gefahrlos möglich ist.
Von einem Kind, dem solche grundlegenden Fähigkeiten aus welchen Gründen auch immer fehlen, wäre auch nicht anzunehmen, dass es statt dessen die vom Berufungsgericht vorgeschlagene Erläuterung auf einer Piktogrammtafel beachten und verstehen würde.
Eine solche Hinweistafel könnte außerdem zwar das Bewusstsein für die offenkundige Gefahr der sich bewegenden Wippe erhöhen, aber ein unzureichendes Einschätzungsvermögen des Kindes, welcher Tiefenabstand konkret notwendig ist, nicht verbessern.
Der Kläger befand sich im Unfallszeitpunkt unter Aufsicht seiner Mutter, weshalb offenkundig auch ein ausgeschildertes Verbot der Benützung der „Kinderschneealm“ ohne erwachsene Begleitung (zusätzlich zu der vorhandenen Tafel „Benützung auf eigene Gefahr“) den Unfall nicht verhindern hätte können.
Da die vom Berufungsgericht für notwendig erachteten Warntafeln objektiv nicht geeignet gewesen wären, die Sicherheit der Benützung der Schiwippe in relevantem Ausmaß zu erhöhen, kann in ihrem Fehlen kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten erblickt werden.
Einer Auseinandersetzung mit der im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts angesprochenen Frage der Passivlegitimation der Erstbeklagten bedarf es bei diesem Ergebnis nicht mehr.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts war daher abzuändern und gemäß § 519 Abs 2 ZPO in der Sache selbst das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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