OGH 7Ob51/17a

OGH7Ob51/17a21.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** P*****, vertreten durch die PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen Aufhebung einer Vereinsentscheidung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2017, GZ 15 R 117/16k‑18, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Mai 2016, GZ 24 Cg 140/15g‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00051.17A.0921.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.119,14 EUR (darin 353,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Mitglied des beklagten Vereins. Sie macht geltend, dass die Vereinspräsidentin sich nach den Vereinsstatuten disziplinär verantwortlich gemacht habe, indem sie veranlasst hätte, dass der Klägerin zu Unrecht die Starterlaubnis bei einer sportlichen Veranstaltung verweigert wurde. Weder der Disziplinaranwalt noch der Oberdisziplinaranwalt des Beklagten haben dieser Disziplinaranzeige der Klägerin gegen die Vereinspräsidentin entsprochen und das Delikt weiter verfolgt. Statutengemäß hat die Klägerin beim Strafausschuss des Beklagten erklärt, die Verfolgung der Präsidentin aufrecht zu erhalten und im Falle eines Freispruchs die Verfahrenskosten zu übernehmen. Der mit drei Juristen besetzte Strafausschuss des Beklagten hat ihren Antrag abgewiesen und ausgesprochen, dass die Klägerin die Verfahrenskosten zu tragen hat; dagegen steht der Klägerin kein weiteres vereinsinternes Rechtsmittel zu.

Die Klägerin begehrte – soweit relevant – die gerichtliche Aufhebung dieses Beschlusses. Ein Mitglied des Strafausschusses sei befangen gewesen, weil er Gesellschaften, an denen die Präsidentin des Beklagten beteiligt sei, zuvor anwaltlich vertreten hätte.

Der Beklagte wandte Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Der Klägerin komme kein Recht auf Strafverfolgung zu.

Das Erstgericht bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs und die Berechtigung des Begehrens.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung ausdrücklich auch in Ansehung der Bejahung der Rechtswegszulässigkeit. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil gesicherte Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die ordentlichen Gerichte im Zusammenhang mit einer statutengemäßen Kostentragungspflicht auch zur Überprüfung des Verfahrens vor einer vereinsinternen Schiedsinstanz berufen seien.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts (vgl dazu RIS‑Justiz RS0102181; RS0107773) hängt die Entscheidung über die Revision der Beklagten nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1. Bejahten die Vorinstanzen die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs ausdrücklich und übereinstimmend, liegt eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 JN über die erörterte absolute Prozessvoraussetzung vor (RIS‑Justiz RS0046249 [T1]). Dies gilt auch für den Fall, dass die Vorinstanzen übereinstimmend die Zulässigkeit des Rechtswegs für den geltend gemachten Anspruch aus einer Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis bejaht haben (vgl RIS‑Justiz RS0046249 [T6]); die Unzulässigkeit des Rechtswegs kann daher in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0044536 [T5, T10, T12, T18]; RS0116348).

2.1. Nach § 7 VerG sind Beschlüsse von Vereinsorganen nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz‑ oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. Jedes von einem Vereinsbeschluss betroffene Vereinsmitglied ist zur Anfechtung berechtigt.

Nach § 8 Abs 1 VerG haben die Statuten vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen.

Nach § 8 Abs 2 VerG haben die Statuten die Zusammensetzung und die Art der Bestellung der Mitglieder der Schlichtungseinrichtung unter Bedachtnahme auf deren Unbefangenheit zu regeln; den Streitparteien ist beiderseitiges Gehör zu gewähren.

2.2. Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis sind solche, die ihre Wurzel in einer Vereinsmitgliedschaft haben; dazu gehören Auseinandersetzungen zwischen dem Verein und Mitgliedern über Ansprüche des Vereins auf Zahlung der Mitgliedsbeiträge und auf Erbringung anderer – mit der Mitgliedschaft verknüpfter – vermögenswerter Leistungen für den Zeitraum der Vereinsmitgliedschaft (RIS‑Justiz RS0122425). Der Begriff der Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis ist auf alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder Vereinsmitgliedern untereinander auszudehnen, sofern sie mit dem Vereinsverhältnis im Zusammenhang stehen; dabei ist allein maßgeblich, ob eine vermögensrechtliche Streitigkeit in der Vereinsmitgliedschaft wurzelt (RIS‑Justiz RS0122425 [T6, T7]), ob also die Mitgliedschaft im Verein denknotwendige Voraussetzung für das Bestehen des Anspruchs ist, oder ob nicht vielmehr ein vom Vereinsverhältnis unabhängiger Anspruch geltend gemacht wird, der in gleicher Weise auch von einem Nichtmitglied erhoben werden könnte (RIS‑Justiz RS0122425 [T11]).

Die Beurteilung, ob ein geltend gemachter Anspruch einer „Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis“ entspringt, bestimmt sich ganz typischerweise nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und begründet daher– von einer gravierenden Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0122425 [T16]).

Soweit ein Verein die Mitglieder berührende Entscheidungen und Verfügungen trifft, geschieht dies im Rahmen des durch Vereinsstatut und Beitrittserklärung begründeten Privatrechtsverhältnisses zwischen Verein und Mitgliedern. Wenn diese Entscheidungen und Verfügungen des Vereins in Privatrechte seiner Mitglieder eingreifen, unterliegen sie der Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte (RIS‑Justiz RS0045147). Entscheidungen und Verfügungen des Vereins unterliegen daher der Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte darauf hin, ob sie in formeller und materieller Hinsicht den Statuten und den allgemeinen Vorschriften zwingenden Rechts entsprechen (RIS‑Justiz RS0045138 [T9]). Der Beschluss eines Vereinsorgans kann auch wegen der Art seines Zustandekommens gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein, enthält doch § 7 VerG 2002 keine Beschränkung auf eine inhaltliche Sittenwidrigkeit des Beschlusses eines Vereinsorgans (RIS‑Justiz RS0123632). Ungeachtet eines vereinsinternen Instanzenzugs ist eine gerichtliche Überprüfung auch von (der Satzung entsprechenden) Vereinsbeschlüssen jedenfalls insoweit zulässig, als grundlegende Verfahrensregeln missachtet wurden oder der Beschlussinhalt gesetzwidrig oder sittenwidrig ist. Solcherart gefasste Beschlüsse sind vom Gericht als unwirksam festzustellen (RIS‑Justiz RS0121269).

Auch diese Überprüfung ist in der Regel von den Umständen des Einzelfalls abhängig und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, wenn die Auslegung des Berufungsgerichts als krasse Fehlbeurteilung zu qualifizieren wäre (RIS‑Justiz RS0045147 [T7]).

2.3. Derartige gravierende Fehlbeurteilungen durch die Vorinstanzen zeigt die Revision nicht auf. Die Klägerin macht hier nicht ein „Recht auf Disziplinarverfolgung“ im Wege einer zivilrechtlichen Klage geltend, sondern strebt die Beseitigung einer wegen Befangenheit eines Mitglieds nicht gesetzmäßigen Entscheidung eines Vereinsorgans an. Die Klägerin hat wie jedes Mitglied einen Anspruch auf ein den Statuten gemäß geführtes Verfahren des Vereins, hier also darauf, dass über den ihr vom Vereinsstatut als subjektives prozessuales Recht eingeräumten und von ihr statutengemäß aufrecht erhaltenen Verfolgungsantrag in gesetzmäßiger Weise – durch unbefangene Mitglieder des Strafausschusses – entschieden wird. Dass es sich dabei um eine der gerichtlichen Überprüfung nach § 7 VerG unterliegende Frage handelt, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung.

2.4. Es kommt daher nicht auf die Frage der Kostentragungspflicht an. Dass kein Eingriff in die Vereinsautonomie oder „Verbandsstrafgewalt“ vorliegt, wurde von den Vorinstanzen im Rahmen der Judikatur beantwortet.

3.1. Die Frage der Befangenheit lässt sich nicht abstrakt generell, sondern nur bezogen auf die jeweilige Rechtssache und den damit befassten Richter lösen, sie ist bezogen auf den jeweiligen Einzelfall zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0045933 [T4, T5]). Wann die Besorgnis einer Befangenheit zu bejahen oder zu verneinen ist, hängt so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass die Beurteilung dieser Frage regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (vgl RIS‑Justiz RS0130980 [T1]).

3.2. Im Allgemeinen ist ein Richter befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (RIS‑Justiz RS0046024 [T2]). Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte – oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (2 Ob 196/15k mwN).

3.3. Die Revision zeigt weder in Ansehung der Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze zum Wesen der Befangenheit auf den vorliegenden Fall noch der Auslegung der Statuten durch die Vorinstanzen, wonach das „Richterregulativ“ nur für sportliche Veranstaltungen, nicht jedoch für das Wirken des Strafausschusses Bedeutung hat, eine unvertretbare Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf, welche vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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