OGH 7Ob31/24w

OGH7Ob31/24w17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H* B*, vertreten durch Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B* GmbH i.L., *, vertreten durch Rechtsanwälte Haberl & Huber GmbH & Co KG in Vöcklabruck, 2. M* AG, *, vertreten durch GPKPegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 27.790 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. November 2023, GZ 4 R 120/23d‑46, womit gegenüber der erstbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 11. Juli 2023, GZ 6 Cg 139/19a‑41, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00031.24W.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 2.888,16 EUR (darin enthalten 481,36 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 16. 12. 2017 von der erstbeklagten Gebrauchtwagenhändlerin einen gebrauchten PKW Mercedes Benz C 200 d.T um 27.790 EUR. Verbaut ist ein Dieselmotor des Typs OM 626 EU 6b.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber der zweitbeklagten Herstellerin ist in Rechtskraft erwachsen.

[3] 2. Der Rekurs gegen die aufhebende Entscheidung des Berufungsgerichts in Bezug auf den Erstbeklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig; er zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Entscheidung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 2.1 Das Fahrzeug des Klägers fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr.  715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emission von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (künftig; VO 715/2007/EG ).

[5] 2.2 Es ist grundsätzlich geklärt, das nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert unzulässig ist.

[6] Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition in Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[7] Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot der Abschalteinrichtungen (vgl im Einzelnen 10 Ob 31/23s Rz 40 ff). Insbesondere ist gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

[8] Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt überdies – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter die Verbotsausnahme dieser Bestimmung (4 Ob 165/23b mwN).

[9]  In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden (Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden).

[10] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typengenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (4 Ob 165/23b mzwN).

[11] 3. Das Berufungsgericht legte im Sinne des Klägers zugrunde, dass die im Übergabszeitpunkt (22. 12. 2017) verbaut gewesene Strategie der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren sei, es erachtete aber im Bezug auf das Software‑Update weitere Feststellungen zur Beurteilung, ob damit lediglich eine unzulässige Abschalteinrichtung durch eine andere ersetzt wurde, für erforderlich.

[12] 3.1.1 Der Kläger bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Parteien die Dauer der Gewährleistungsfrist gemäß § 9 Abs 1 KSchG idF vor dem Gewährleistungs‑RL‑Umsetzungsgesetz‑GRUG BGBl 2021/175 rechtswirksam auf zwölf Monate verkürzt hätten, nicht (vgl RS0043338 [T20]).

[13] 3.1.2 Mit seiner Argumentation, die Durchführung des Software‑Updates am 25. 9. 2019 sei als Versuch der Verbesserung des Sachmangels zu werten, zielt der Kläger erkennbar auf einen schlüssigen Verzicht der Erstbeklagten auf die Verjährungseinrede ab. Dabei übergeht er, dass nach den Feststellungen kein Verbesserungsversuch oder Angebot der Erstbeklagten vorlag sondern das Update im Zuge eines Servicetermins von einem anderen Unternehmen aufgespielt wurde (vgl RS0134544; 1 Ob 104/23k).

[14] 3.1.3 Soweit der Kläger die rechtzeitige Geltendmachung seines Gewährleistungsanspruchs daraus ableiten will, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung als Rechtsmangel zu qualifizieren sei, steht dem die mittlerweile gesicherte Rechtsprechung entgegen, dass die zum Übergabezeitpunkt bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung, also die bloß befürchtete, aber nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung, kein Rechtsmangel ist (RS0134605).

[15] 3.1.4 Die Verneinung des auf Gewährleistung gegründeten Anspruchs des Klägers durch das Berufungsgericht infolge Verjährung ist nicht korrekturbedürftig.

[16] 3.2. Weiters stützte sich der Kläger im erstgerichtlichen Verfahren auch auf das Vorliegen eines wesentlichen, von der Erstbeklagten veranlassten sowie eines gemeinsamen Geschäftsirrtums.

[17] Bei der Irrtumsanfechtung gemäß § 871 ABGB muss der Kläger einen Sachverhalt behaupten, aus dem sich ergibt, das sein Geschäftsirrtum (hier über eine für das Geschäft bedeutsame Eigenschaft) wesentlich war und entweder vom Beklagten veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (RS0093831).

[18] 3.2.1 Nach der Rechtsprechung bedeutet „Veranlassen“ nur eine adäquate Verursachung des Irrtums. Absichtliche oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten (RS0016195; RS0016188).

[19] 3.2.2 Das Berufungsgericht vertrat, dass mit Ausnahme der Verbauung einer AdBlue‑ und einer SCR‑Technologie keine motor‑ oder abgasbezogenen Eigenschaften des Fahrzeugs Gegenstand der Vertragsverhandlungen mit der Erstbeklagten gewesen seien. Auch auf bestimmte dahingehende Werbeaussagen der Erstbeklagten habe sich der Kläger nicht berufen. Auf den Umstand, dass „für den Kläger wichtig war, ein Auto zu erwerben, das die Grenzwerte einhält und sauber ist“, könne keine Veranlassung durch die Erstbeklagte, die über keine Kenntnisse oder Informationen verfügt habe, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut gewesen sei, abgeleitet werden.

[20] 3.2.3 Gegen die Verneinung der Veranlassung eines Irrtums durch die Erstbeklagte bringt der Kläger keine stichhaltigen Argumente.

[21] 3.2.4 Zum wesentlichen gemeinsamen Geschäftsirrtum besteht bereits oberstgerichtliche Rechtsprechung, dass das Nichtvorhandensein einer verbotenen Abschalteinrichtung einen solchen begründen kann, der – unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB – die Unverbindlichkeit des Vertrags bewirken und den (jeweiligen) Kläger zur Aufhebung des Vertrags berechtigen kann (8 Ob 91/22y mwN; RS0016230 [T3]).

[22] 3.2.5 Berufungsgericht bejahte mit dem Kläger das Vorliegen eines wesentlichen gemeinsamen Geschäftsirrtums.

[23] 3.2.6 Die Erstbeklagte wandte im erstgerichtlichen Verfahren jedoch ein, durch die mit der Software‑Updates aufgespielte Abgasrückführung sei es zu einer „Klaglosstellung“ des Klägers gekommen.

[24] 3.2.7 Bereits das Berufungsgericht wies auf die bestehende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hin, wonach ein im Irrtum vorgenommenes Rechtsgeschäft dann nicht mehr anfechtbar ist, wenn die irrig angenommene Sachlage nachträglich doch noch rechtzeitig – vor Schluss der Verhandlung erster Instanz und solange der Irrende noch Interesse an dem Geschäft hat – eingetreten ist (RS0012431 [T1] = 8 Ob 91/22y; 2 Ob 5/23h).

[25] 3.2.8 Bereits nach den allgemeinen Grundsätzen, hat jede Partei, die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Nicht korrekturbedürftig ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Erstbeklagte, die sich auf die „Klaglosstellung“ berufen hat, damit auch zu behaupten und zu beweisen hat, dass die durch das Software‑Update aufgespielte Strategie der Abgasrückführung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG schon keine Abschalteinrichtung darstellt, bzw dass die für eine Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen vorliegen.

[26] 3.2.9 Wenn das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund die Feststellungen zu den Wirkungen der mit dem Software‑Update aufgespielten Strategie der Abgasrückführung als nicht ausreichend (deutlich) ansieht, um das Vorliegen einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung und damit die Vornahme einer „Klaglosstellung“ durch die Erstbeklagte beurteilen zu können, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (vgl RS0042179).

[27] 4. Zusammenfassend ist der Rekurs des Klägers in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen zurückzuweisen.

[28] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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