OGH 7Ob221/11t

OGH7Ob221/11t25.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** AG, *****, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Fetz, Rechtsanwalt in Leoben, wegen 991.527,55 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. Oktober 2011, GZ 1 R 40/11z-29, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt Schadenersatz in Höhe von 991.527,55 EUR sA (an Reparaturkosten von 1.610 LKW) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige bzw derzeit noch nicht bekannte, aus Anlass von mangelhaften „Ausschäumungsarbeiten“ der Beklagten in der Zeit vom 9. 8. bis 10. 11. 2006 an den B-Säulen von näher bezeichneten LKW-Fahrerhäusern verursachte Schäden.

Das Erstgericht gab der Klage zur Hälfte statt und wies das Mehrbegehren ab. In Abwägung der konkreten Umstände dieses Einzelfalls erachtete es eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 für gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der - nur von der Klägerin erhobenen - Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Zulassungsbeschwerde der Klägerin richtet sich allein gegen die Annahme ihres Mitverschuldens. Die erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO liege zum einen darin, dass es „krass überbewertet“ worden sei, sodass eine Entscheidungskorrektur geboten erscheine; zum anderen fehle Judikatur zur Frage, ob ein sachverständiger Werkbesteller, dem höheres Sachwissen als dem Werkunternehmer zukomme, zu genauen (schriftlichen, bildlichen, graphischen) Anweisungen und zu - hier mit sehr geringem Aufwand möglichen - „Nachkontrollen“ verpflichtet sei.

Rechtliche Beurteilung

Bestehen und Ausmaß des Mitverschuldens eines Geschädigten im Sinn der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten sind aber stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und können deshalb regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606; 10 Ob 90/11z; 10 Ob 55/11b; 4 Ob 170/09t). Die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, stellt eine Ermessensentscheidung dar, bei der nach ständiger Rechtsprechung im Allgemeinen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der genannten Bestimmung nicht zu lösen ist (6 Ob 104/08z mwN), wenn - wie hier - keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden kann (RIS-Justiz RS0021095 [T19]; RS0042405 [T5, T14, T15, T17]; RS0044088; RS0044262 [T2, T6, T9, T19, T23, T33, T34, T37, T45, T53]):

Ist doch auch das Ausmaß des erheblichen Mitverschuldens der Klägerin - inwieweit (auch) ihre eigene Sorglosigkeit dazu beitrug, dass bei den Ausschäumarbeiten letztlich ein „systematischer Fehler“ auftrat - nur einzelfallbezogen zu beantworten; grundsätzliche Aussagen zur Gewichtung der von den Vorinstanzen herangezogenen Zurechnungsgründe sind nicht möglich. Entgegen dem Standpunkt der Zulassungsbeschwerde begründet allein „fehlende Judikatur“ zur - konkreten - Frage, „ob der sachverständige Werkbesteller bei höherem Sachwissen als der Werkunternehmer zu genauen (schriftlichen, bildlichen, graphischen) Anweisungen und Nachkontrollen verpflichtet ist“, daher nicht die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision.

Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung ist nicht zu erkennen. Entgegen dem Standpunkt der außerordentlichen Revision, die dem Berufungsgericht hier - zu Unrecht - ein Abweichen von den Feststellungen des Erstgerichts vorwirft, wurde das erhebliche Mitverschulden der Klägerin nämlich bereits im Ersturteil aus folgenden Umständen abgeleitet:

Sie habe bei der „bloß“ mündlichen Erklärung des Ausschäumvorgangs nicht mit ausreichender Deutlichkeit auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass der [20 cm lange] „nicht flexible Schlauch“ der Ausschäum-Kartusche nicht am ersten Stegblech stecken bleiben durfte, sondern [darüber hinaus, nämlich schräg nach unten in einen Bereich] zwischen Außen- und Innenblech eingeführt werden musste. Ohne genaue Kenntnis des Aufbaus der Fahrerhaustüren sei für die Mitarbeiter der Beklagten die erforderliche Präzision bei der Ausführung der Ausschäumungsarbeiten kaum erkennbar gewesen. Die Mitarbeiter der Klägerin hätten hingegen „naturgemäß“ über dieses Wissen verfügt, es aber nicht im erforderlichen Umfang an die Beklagte weitergegeben und damit den Auftrag nicht ausreichend definiert. Dies habe dazu beigetragen, dass bei den Arbeiten ein systematischer Fehler aufgetreten sei. Der Fehler sei (auch) der Klägerin zuzurechnen, weil er von ihr durch genauere schriftliche Unterlagen (bildliche oder graphische Darstellung mit präziserer Dokumentation der Temperaturüberwachung) hätte hintangehalten werden können; was die weitere Vorgangsweise nach der Fehlererkennung gezeigt habe. Außerdem sei der Klägerin zumindest nach Beginn der Arbeiten eine einfache und kostengünstig mögliche Kontrolle zumutbar gewesen, um zu klären, dass der Schaum auch tatsächlich an der richtigen Stelle „gelandet“ sei. Eine Abwägung dieser Umstände rechtfertige eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1.

Wenn sich das Berufungsgericht dieser Beurteilung angeschlossen hat, ist dies jedenfalls vertretbar, muss doch das Mitverschulden der Klägerin, die selbst leichte und mittelschwere LKW produziert, jedenfalls nach dem (angehobenen, objektiven) Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB beurteilt werden (Karner in KBB³ § 1304 ABGB Rz 1 [mit Hinweis auf 7 Ob 513/96, SZ 69/258] und § 1299 ABGB Rz 1; vgl jüngst 1 Ob 206/11t [zur Kürzung eines ohne Einräumung eines Mitverschuldens eingeklagten Schadenersatzanspruchs um 50 % infolge Sorglosigkeit der klagenden Partei in eigenen Angelegenheiten, welche - auch dort - gleich bewertet wurde wie die Verletzung vertraglicher Pflichten durch das beauftragte Unternehmen]).

Bei der Abwägung der Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten ist im vorliegenden Fall aber keineswegs nur ihre besondere - im Rechtsmittel ohnehin zugestandene - (allgemeine) Sachkunde bei der LKW-Produktion zu berücksichtigen: Von Bedeutung ist nämlich auch der Umstand, dass die Klägerin ein detailliertes Konzept zur Sanierung ihres Konstruktionsfehlers durch Ausschäumen (im eigenen Produktionsablauf) entwickelt hatte, ohne die damit beauftragte Beklagte ausreichend darüber zu informieren.

Soweit die Revisionswerberin demgegenüber davon ausgeht, für die Beklagte sei es „letztlich relativ einfach“ gewesen, das Ausschäummaterial „entsprechend einzufüllen“, entfernt sich von den - auch hiezu - detailliert getroffenen Feststellungen, die nachvollziehbar darlegen, dass mehrere „relevante Punkte“ des Konzepts der Klägerin zu beachten gewesen wären, um sicherzustellen, dass die Ausschäumung für die Verringerung der Spannungen an der kritischen Stelle nicht „komplett unwirksam“ bleibt.

Die außerordentliche Revision vermag daher insgesamt keinen Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien bei der Aufteilung des Verschuldens (nach der Schwere der beiderseitigen Zurechnungsgründe des Verschuldens und der Sorglosigkeit [Karner aaO § 1304 Rz 4 mwN]) aufzuzeigen (vgl 10 Ob 90/11z).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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