OGH 10Ob90/11z

OGH10Ob90/11z8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D*****, 2. mj J*****, vertreten durch den Vater A*****, ebendort, beide vertreten durch Stock & Fahrner Rechtsanwälte OG in Zell am See, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, wegen 7.900 EUR, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 4. Mai 2011, GZ 22 R 90/11f-24, womit infolge Berufungen der erstklagenden und der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 19. Dezember 2010, GZ 2 C 1239/10s-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Die Zweitklägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die 19-jährige Erstklägerin und ihre damals dreijährige Schwester (die Zweitklägerin) erlitten auf der von der beklagten Partei betriebenen Sommerrodelbahn einen Unfall mit Verletzungsfolgen. Am Vormittag des Unfallstags hatte es geregnet, zu Mittag wurde die Bahn getrocknet. Laut dem Wetterbericht von 14:00 Uhr sollten am Nachmittag die Wolken auflockern und die Sonne zeitweise durchscheinen lassen, bei wechselhaftem Wetter seien da und dort noch einige Regenschauer möglich. Als die Klägerinnen zur Bergstation kamen, regnete es nicht. Es war jedoch bereits zu erkennen, dass sich auf der Ostseite des Bergs eine Wolke näherte, aus der Regen fiel. Nachdem die Erstklägerin für sich und die Zweitklägerin eine Karte gekauft hatte, händigte ihr eine hiezu befugte Bedienstete der beklagten Partei eine Rodel aus, ohne auf das Verhalten bei Regen oder Nässe hinzuweisen. Die Erstklägerin setzte die Zweitklägerin vor sich auf die Rodel, ohne den darauf vorne angebrachten 10 x 10 cm großen Aufkleber mit dem Warnhinweis zu beachten „Achtung! Bei Regen sofort anhalten, aussteigen, zu Fuß ins Tal gehen“. Kurz nach dem Wegfahren fing es leicht zu regnen an, nach etwa einer Minute, als sich die Klägerin im oberen Bahndrittel befand, regnete es noch etwas stärker. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Klägerinnen zumindest die ersten beiden (gut sichtbar aufgestellten) gelben Tafeln mit dem Hinweis auf das sofortige Verlassen der Bahn bei Regen passiert. Erst jetzt versuchte die Erstklägerin die Rodel durch Ziehen des Bremshebels zu bremsen; die Bremswirkung war jedoch infolge der Nässe nicht mehr gegeben, die Rodel wurde immer schneller. Bei leichtem Regen bleibt eine gute Bremswirkung über zwei bis drei Minuten erhalten, danach geht sie verloren bzw ist eine Bremsung nur mehr auf Flachstücken möglich. Bei stärkerem Regen kann die Rodel ausschließlich dann zum Stillstand gebracht werden, wenn die Bremsung innerhalb eines deutlich unter einer halben Minute liegenden Zeitraums erfolgt. Wegen des minutenlangen Zuwartens gelang es der Erstklägerin nicht mehr, die Rodel abzubremsen. Im letzten Drittel der Rodelstrecke wurden sie und die Zweitklägerin durch die Fliehkraft aus der Bahn geworfen. Dabei erlitt die Erstklägerin schwere Verletzungen am Gesichtsschädel mit Dauerfolgen; die Zweitklägerin zog sich folgenlos abgeheilte Abschürfungen und Hämatome an beiden Händen und im Gesicht zu.

Die Erstklägerin begehrt den Zuspruch von 6.900 EUR sA an Schmerzengeld und 800 EUR sA an Verunstaltungsentschädigung sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für zukünftige Unfallfolgen (ON 15). Die Zweitklägerin begehrt den Zuspruch von 200 EUR Schmerzengeld.

Das Erstgericht ging in Ansehung der Erstklägerin von einer Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten der beklagten Partei aus. Es erkannte die beklagte Partei daher schuldig, der Erstklägerin 5.133,33 EUR sA zu bezahlen und stellte die Haftung der beklagten Partei gegenüber der Erstklägerin für Spät- und Dauerfolgen im Ausmaß von zwei Drittel fest. Das Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren wies das Erstgericht ab. Die Verschuldensaufteilung sei darin begründet, dass der Regen angesichts der Wetterprognosen nicht überraschend aufgetreten sei, weshalb die Mitarbeiter der beklagten Partei vor Gestattung der Bahnbenützung die Wetterentwicklung zu beobachten gehabt hätten. Der Erstklägerin sei demgegenüber anzulasten, dass sie sämtliche Warnhinweise ignoriert und bei Einsetzen des Regens nicht sofort gebremst, sondern die Rodelfahrt fortgesetzt habe. Der Zweitklägerin sprach das Erstgericht das begehrte Schmerzengeld von 200 EUR in voller Höhe zu. Da die Zweitklägerin (altersbedingt) absolut geschäftsunfähig sei, müsse sie sich die Sorglosigkeit der Erstklägerin nicht anrechnen lassen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge; der Berufung der Erstklägerin gab es - ausgehend von einem Alleinverschulden der beklagten Partei - hingegen dahin Folge, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Erstklägerin 7.700 EUR sA zu bezahlen. Weiters stellte es fest, dass die beklagte Partei der Erstklägerin für sämtliche Dauer- und Spätfolgen (ungekürzt) zu haften habe. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass - trotz der festgestellten Warnhinweise - von einem Fahrgast nicht zu verlangen sei, konkret abzuschätzen, ob und vor allem wann durch einsetzenden Regen ein Gefahrenpotential erreicht sei, das einen sofortigen Abbruch der Talfahrt bedinge bzw wieviel Zeit bei einsetzendem Regen für eine wirkungsvolle Bremsung verbleibe. Da nur der Bahnbetreiber über die Gefährlichkeit der Bahn bei Nässe im Einzelnen informiert sei, sei es nicht zulässig, diese möglicherweise folgenschwere Entscheidung auf den Fahrgast zu überwälzen. Nur der Betreiber, nicht aber der Fahrgast sei in der Lage, den Grad der Gefährlichkeit, und das Nachlassen der Bremswirkung einzuschätzen. Gemäß den Warnhinweisen müsse der Fahrgast darüberhinaus nicht nur die Rodel auf offener Strecke zum Stillstand bringen, sondern - wie im vorliegenden Fall noch dazu mit einem Kleinkind - aus der Fahrrinne klettern, um dann zu Fuß ins Tal zu marschieren. Das Anhalten und das Verlassen der Bahn auf offener Strecke sei aber unter gewöhnlichen Umständen im Hinblick auf das Auffahren eines nachfolgenden Fahrgasts als höchst kritisches Gefahrenmoment verboten. Im Hinblick auf diese Umstände liege es auf der Hand, dass ein durchschnittlicher Fahrgast im Zweifel versuchen werde, den Weg ins Tal auf der Rodelbahn anstatt zu Fuß fortzusetzen. Als einzige Möglichkeit, auch bei zweifelhaften Witterungsverhältnissen die Sicherheit der Fahrgäste zu schützen, sei somit, die Fahrgäste solange nicht starten zu lassen, bis für die Dauer der Talfahrt die Trockenheit der Fahrrinne gewährleistet sei. Dass dies die Mitarbeiter der beklagten Partei unterlassen hätten, begründe deren Alleinverschulden.

Infolge des von der beklagten Partei gestellten Zulassungsantrags sprach das Berufungsgericht aus, dass die ordentliche Revision (doch) zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Zulassungsausspruch ist die Revision der beklagten Partei nicht zulässig.

1. Die Beurteilung des Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606). Auch die Frage der Eigenverantwortung und des Mitverschuldens des Benützers einer Sommerrodelbahn kann demnach nur einzelfallbezogen beantwortet werden. Grundsätzliche Aussagen zur Gewichtung von Zurechnungsgründen, die bei Unfällen auf Sommerrodelbahnen allgemein anzuwenden wären, sind nicht möglich.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hebt das weitaus überwiegende Verschulden des einen Teils die Haftung des anderen Teils gänzlich auf. Je schwerwiegender das Verschulden des einen Unfallbeteiligten ist, umso mehr kann das des anderen Teils vernachlässigt werden (RIS-Justiz RS0027202). Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass zu einer Korrektur der Ansicht des Berufungsgerichts, es sei eine Mithaftung der Erstklägerin zu verneinen:

2.2. Für die Haftung der beklagten Partei ist der Umstand entscheidend, dass ihre Verantwortlichen den Betrieb trotz der erkennbar akuten Niederschlagsgefahr und des bei Nässe gegebenen gravierenden Sicherheitsrisikos nicht einstellten. Um jedes witterungsbedingte Verletzungsrisiko für die Klägerinnen zu vermeiden, wäre deren Fahrt bei unmittelbar drohendem Regen nicht mehr zuzulassen gewesen; den Betrieb erst nach Einsetzen der Regenfälle zu untersagen, entsprach nicht dem Sicherheitsbedürfnis beim Betrieb von Sommerrodelbahnen (2 Ob 7/10h; Rzeszut/Wallner, Sorgfaltspflichten beim Betrieb und bei der Benützung von „Sommerrodelbahnen“ ZVR 2007/203, 316 [317 f]). Im Hinblick auf die Größe und Wahrscheinlichkeit der dadurch bedingten Gefahr erachtete das Berufungsgericht das Aufrechterhalten des Rodelbetriebs als schwerwiegendes Verschulden und bewertete demgegenüber ein allfälliges Mitverschulden der Erstklägerin mit der Begründung als vernachlässigenswert, dass für sie - trotz der schriftlichen Warnhinweise - der Grad der Gefährlichkeit und der in der konkreten Niederschlagssituation für eine wirkungsvolle Bremsung verbleibende Zeitraum nicht abschätzbar gewesen sei. Dieser Auffassung setzt die Revisionswerberin zusammengefasst nur entgegen, der Unfall wäre ausschließlich auf das verantwortungslose Unterlassen der laut Warnhinweisen zu tätigenden „sofortigen“ Bremsung und auf die somit nicht wahrgenommene Eigenverantwortung der Erstklägerin zurückzuführen. Mit diesen Ausführungen wird aber kein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien bei der Aufteilung des Verschuldens aufgezeigt.

3. Hinsichtlich der Zweitklägerin ist die Revision der beklagten Partei absolut unzulässig, weil der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht in Ansehung der Zweitklägerin entschieden hat, 5.000 EUR nicht übersteigt (§ 502 Abs 2 ZPO).

4. Die Erstklägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision infolge Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage hingewiesen, sodass ihr für die Revisionsbeantwortung Kostenersatz gebührt (RIS-Justiz RS0035979, RS0035962). Da die hinsichtlich der Zweitklägerin erhobene Revision absolut unzulässig ist, war ihr jedoch kein Streitgenossenzuschlag zuzuerkennen.

Die Zweitklägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung mangels eines Hinweises auf die absolute Unzulässigkeit der Revision selbst zu tragen (§§ 41, 50 ZPO).

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