OGH 7Ob155/23d

OGH7Ob155/23d11.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* H*, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T* Limited, *, Malta, vertreten durch die BRANDL TALOS Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 615.996,18 EUR sA (Revisionsinteresse 46.170,33 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2023, GZ 11 R 131/23z‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. April 2023, GZ 62 Cg 69/22f‑18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00155.23D.1211.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Konsumentenschutz und Produkthaftung, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen bleiben im Umfang des Zuspruchs von 516.262,71 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. April 2022, dem Ausspruch des Nichtbestehens der eingewendeten Gegenforderungen und der Abweisung eines Mehrbegehrens von 53.563,14 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. April 2022 mangels Anfechtung als Teilurteil unberührt.

Im Übrigen – somit hinsichtlich des Zuspruchs von 46.170,33 EUR sA und der Kostenentscheidungen – werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang dieser Aufhebung an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine Limited nach maltesischem Recht mit Sitz in Malta und verfügt über eine aufrechte Lizenz der Malta Gaming Authority für Online‑Glücksspiele. Eine Konzession für ihre Tätigkeiten in Österreich im Sinn des § 12a GSpG für elektronische Lotterien hat sie nicht, bietet aber über ihre deutschsprachige Website in Österreich Internet‑Glücksspiele an. Sie betreibt die Website www.*.eu, die auf den gesamten europäischen Markt (und damit auch auf Österreich) ausgerichtet ist. Bei der Registrierung eines Online‑Accounts gibt die Beklagte in der Länderauswahl unter anderem auch Österreich an.

[2] Der in Österreich wohnhafte Kläger hat seit 2013 bei der Beklagten zur Teilnahme am Online-Glücksspiel einen Account (Spielerkonto) eingerichtet. Über das Spielerkonto wurden sämtliche Zahlungsflüsse (Ein‑ und Auszahlungen) zwischen dem Kläger und der Beklagten abgewickelt; dieses Konto war mit seinem österreichischen Bankkonto „verknüpft“. Der Klägerspielte im Zeitraum 24. 3. 2013 bis 6. 4. 2022 auf der Website der Beklagten Online-Glücksspiele.

[3] Der Kläger tätigte Einzahlungen von 621.660,26 EUR und erhielt Auszahlungen in Höhe von 59.227,22 EUR, sodass er einen Verlust in der Höhe von 562.433,04 EUR erlitt. Er spielte überwiegend von Österreich aus, allerdings nahm er auchin Kroatien, Slowenien, der Slowakei und im Kosovo die Glücksspielleistungen der Beklagten in Anspruch, wenn er dort auf Urlaub war oder seine Familie besuchte.

[4] Der Kläger begehrte 615.996,18 EUR sA, weil die mit der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge mangels Konzession nach dem GSpG nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig seien und der saldierte Verlustbetrag bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln sei. Soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz, brachte er vor, er habe keine Verluste im Ausland erlitten und auch nicht im Ausland gespielt. Selbst wenn es so wäre, sei der Schaden jedenfalls in Österreich eingetreten, weil die Ein‑ und Auszahlungen über sein österreichisches Bankkonto erfolgt seien. Die Beklagte verfüge auch über keine Konzession in Kroatien, Slowenien, Slowakei, Albanien und dem Kosovo. Selbst wenn das österreichische GSpG nicht anwendbar sei, sei das Recht des Landes anwendbar, wo der Verlust eingetreten sei.

[5] Die Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – ein, der Kläger habe auch von Kroatien, Serbien, Slowenien, Slowakei, Albanien und Kosovo aus gespielt und dabei Verluste von 46.170,33 EUR erlitten. Diese Verluste seien nicht vom Schutzzweck des GSpG umfasst, weil sie vom Ausland aus getätigte Transaktionen beträfen. Der Ort des Schadenseintritts sei irrelevant, weil diese Verluste nicht nach dem österreichischen GSpG zu beurteilen wären. Sofern ein Schaden entstanden sei, wäre dieser am Ort entstanden, wo die vermeintlichen Glücksspiele getätigt worden seien. Sie sei berechtigt, in den genannten ausländischen Staaten ihre Dienstleistungen anzubieten. Der Klagebetrag stehe dem Kläger in diesem Umfang nicht zu.

[6] Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung mit 562.433,04 EUR zu Recht bestehe, während die (eingewendeten) Gegenforderungen nicht zu Recht bestünden, verhielt die Beklagte zur Zahlung von 562.433,04 EUR sA und wies (unbekämpft) ein Mehrbegehren von 53.563,14 EUR sA ab. Grundlage für die Spielverluste, die der Kläger durch im Ausland getätigte Spieleinsätze erlitten habe, sei der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag, der die Grundlage für die Teilnahmemöglichkeit des Klägers am Online‑(Poker‑)Spiel auf der Website der Beklagten gebildet habe. Das konzessionslose Anbieten von Online‑Glücksspiel in Österreich sei rechtswidrig und der Spiel‑(miss‑)erfolg beim in Österreich wohnhaften Kläger eingetreten (Gewinn/Verlust) und auf dessen Spielerkonto verbucht worden, sodass nicht darauf abzustellen sei, in welchem Land sich der Kläger befunden habe, als er seinen Spieleinsatz getätigt habe. „Ein Abzug“ für aus dem Ausland erfolgte Spiele sei nicht zu tätigen.

[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge und führte rechtlich – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – aus, die einzelnen Spiele könnten nicht isoliert von der Vereinbarung über die Führung des Spielerkontos samt Abwicklung der Zahlungsflüsse betrachtet werden, zumal die Glücksspiele über dieses Spielerkonto abzuwickeln seien. Da sich das Rechtsverhältnis nicht nur auf die wiederholte Inanspruchnahme von Glücksspieldienstleistungen beziehe, sondern auch auf dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen, handle es sich um ein einheitliches Dauerschuldverhältnis, „wobei es eben wegen des hier insbesondere im Vordergrund stehenden Rahmenvertrags unter der festgestellten Betreibergesellschaftsstruktur auf den Ort des Einloggens für den einzelnen Glücksspielvertrag des in Österreich wohnhaften Klägers nicht ankommt“.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

[9] Gegen den Zuspruch von 46.170,33 EUR sA aus behauptungsgemäß vom Kläger bei der Teilnahme an Online‑Glücksspielen in Kroatien, Slowenien, Slowakei und Kosovo entstandenen Verlusten erhebt die Beklagte eine Revision mit einem entsprechenden Abänderungsantrag; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[10] Der Kläger begehrt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[12] 1. Die Revisionswerberin begehrt nur mehr die Abweisung des Klagebegehrens von 46.170,33 EUR sA. Diese Verluste hätte der Kläger durch Teilnahme an Spielen erlitten, zu denen er sich vom Ausland aus (Kroatien, Slowenien, Slowakei, Kosovo) eingeloggt gehabt habe. Auf Verluste, die nicht in Österreich eingetreten seien, seien das österreichische GSpG und das Glücksspielmonopol nicht anwendbar. Das GSpG sei territorial auf Österreich beschränkt, es könne von einer allfälligen Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts nach Art 18 EuGVVO und dem Wohnort des Klägers keineswegs auf die Anwendbarkeit des GSpG für sämtliche weltweit entstandenen Glücksspielverluste geschlossen werden. Die Anwendbarkeit des GSpG knüpfe nicht an den Wohnsitz des Klägers an, sondern an den Ort der Ausspielung. Das GSpG sei territorial beschränkt und nur in Österreich anwendbar. Diese Verluste wären nach dem anwendbaren nationalen Recht des jeweiligen Staats zu beurteilen und nicht nach österreichischem Recht. Dort, wo das GSpG an ausländische Sachverhalte anknüpfe, sei das auch ausdrücklich normiert, wie etwa in der Bestimmung betreffend die Werbung für Spielbanken aus Mitgliedstaaten der EU oder Staaten des EWR gemäß § 56 Abs 2 GSpG. Reise ein Inländer in den EU‑/EWR‑Raum und nehme damit nicht mehr vom Inland aus an ausländischen Glücksspielangeboten teil, so sei ihm bewusst, dass er sich damit auch auf Vollziehungsebene in die hoheitliche Verantwortung der staatlichen Glücksspielaufsicht des anderen Staats begebe. Auch daraus ergebe sich, dass das GSpG nur im österreichischen Bundesgebiet anwendbar sei.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

[13] 2.1. Der Kläger eröffnete im Jahr 2013 ein Spielerkonto, über das seine Einzahlungen, Gewinne und Verluste aus der fortlaufenden Teilnahme an Glücksspielen abgewickelt wurden. Dieses Rechtsverhältnis erschöpfte sich nicht in einzelnen, isoliert voneinander zu betrachtenden Glücksspielverträgen. Vielmehr hatte der Glücksspielanbieter auch das Spielerkonto zu führen und über dieses die Glücksspiele des Klägers abzuwickeln. Er hatte somit auch Dienstleistungen zur Abrechnung und Verwaltung des Spielerkontos des Klägers zu erbringen. Da sich dieses Rechtsverhältnis nicht nur auf die wiederholte Inanspruchnahme von Glücksspieldienstleistungen durch den wiederkehrenden Abschluss von Glücksspielverträgen beschränkte, sondern auch weitere, dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen beinhaltete, handelte es sich um ein Dauerschuldverhältnis (3 Ob 44/22z [Rz 19]; 2 Ob 40/22d [Rz 15]).

[14] 2.2. Auf einen – hier unstrittig vorliegenden – Verbrauchervertrag ist im Anwendungsbereich von Art 6 Rom I‑VO grundsätzlich das Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Verbraucherstaat), anzuwenden. Das Verbraucherstatut gelangt unter anderem dann zur Anwendung (Art 6 Abs 1 lit b leg cit), wenn der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auf den Verbraucherstaat ausrichtet. Den Begriff „Ausrichten“ hat der EuGH dahin ausgelegt, dass der Unternehmer seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen (vgl EuGH Pammer und Hotel Alpenhof, C‑585/08 und C‑144/09 , ECLI:EU:C:2010:740, Rn 75, 93), was insbesondere bei auf Österreich ausgerichteten Online‑Aktivitäten – wie hier – der Fall ist (7 Ob 213/21f [Rz 5] ua).

[15] Eine Dienstleistung wird nur dann im Sinn des Ausnahmetatbestands des Art 6 Abs 4 lit a Rom I‑VO „ausschließlich“ außerhalb des Mitgliedstaats erbracht, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn dieser keine Möglichkeit hat, sie in seinem Aufenthaltsstaat in Anspruch zu nehmen und sich zu diesem Zweck ins Ausland begeben muss (EuGH Verein für Konsumenteninformation, C‑272/18 , ECLI:EU:C:2019:827, Rn 52). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor (7 Ob 213/21f [Rz 6]).

[16] Nach Art 12 Abs 1 Rom I‑VO sind grundsätzlich alle vertragsrechtlichen Fragen nach dem einheitlichen Vertragsstatut (hier Verbraucherstatut) zu beurteilen. Das gilt nach Art 12 Abs 1 lit e leg cit auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags. Für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gilt somit das Recht des Vertragsstatuts (Spellenberg in Münchener Kommentar zum BGB8 Art 12 Rom I‑VO Rn 175; 3 Ob 44/22z [Rz 15]; 2 Ob 40/22d [Rz 13]; 6 Ob 12/22s [Rz 15 f]). Das Vertragsstatut (Verbraucherstatut) verweist im Anlassfall auf österreichisches Recht.

[17] 2.3. Für die Teilnahme an Glücksspielen vom Inland aus gilt folgendes:

[18] Das konzessionslose Veranstalten, Organisieren, Anbieten oder Zugänglichmachen von Glücksspielen in Österreich, wozu auch Online‑Lotterien gehören (§ 12a GSpG), ist nach dem GSpG verboten (§ 2 Abs 1 iVm § 2 Abs 4 GSpG). Verträge, die zur Durchführung eines solchen verbotenen Glücksspiels abgeschlossen werden, sind nach der Rechtsprechung absolut nichtig. Bei verbotenen und sittenwidrigen Verträgen im Sinn des § 879 Abs 1 ZPO erfolgt die Kondiktion nach § 877 ABGB, was grundsätzlich zur Rückabwicklung des nichtigen Rechtsgeschäfts führt. Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel (abzüglich der Auszahlungen) können daher zurückgefordert werden (3 Ob 44/22z [Rz 14] mwN).

[19] 3. Das österreichische GSpG ist (aber) auf im Ausland getätigte Glücksspiele eines Inländers mit einem ausländischen Online‑Glücksspielanbieter nicht anzuwenden:

[20] 3.1. Art 3 Abs 1 B‑VG bestimmt: „Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer“. Diese Verfassungsnorm legt somit das Staatsgebiet als territorialen Geltungs‑ und Anwendungsbereich des nationalen Rechts fest. Aus den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Sinn des Art 9 Abs 1 B‑VG wird abgeleitet, dass sich (österreichische) Gebote grundsätzlich nur an Personen richten dürfen, die sich im jeweiligen Hoheitsgebiet aufhalten bzw hier einen Anknüpfungspunkt aufweisen (Territorialitätsprinzip). Nur ausnahmsweise erlaubt das durch Art 9 Abs 1 B‑VG transformierte Völkerrecht ein Anknüpfen an die Staatsbürgerschaft (Personalitätsprinzip) oder eine Orientierung am Schutzprinzip (Muzak, Der Geltungsbereich landesrechtlicher Regelungen für Internetwetten im Lichte verfassungsrechtlicher Vorgaben, ÖZW 2023, 18 [19] mwN zur Judikatur des VfGH und VwGH).

[21] 3.2. Für das gesamte Bundesgebiet besteht eine ausschließliche Konzession zu Gunsten des Monopolinhabers hinsichtlich Lotterien und Spielbanken (vgl § 3 GSpG; Peschel/Göschlberger, Online‑Casinos und das österreichische Glücksspielmonopol, Bemerkungen aus Anlass von OGH 5 Ob 30/21d und 3 Ob 72/21s, ecolex 2021/571, 900). Eine österreichische Konzession kann daher nur zur Veranstaltung von Glücksspielen im Bundesgebiet befugen. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Anbietens von derartigen Dienstleistungen außerhalb des Gebiets der Republik Österreich wird dadurch nicht berührt. Die Regelung der Erbringung derartiger Dienstleistungen bleibt ausschließlich den jeweils anzuwendenden ausländischen Rechtsordnungen vorbehalten (VwGH 2004/17/0034).

[22] 3.3. Für die enge Auslegung, dass das (österreichische) GSpG nicht auf Glücksspielleistungen anzuwenden ist, die von einem in Inland wohnenden Verbraucher im Ausland mit der maltesischen Beklagten abgerufen wurden, spricht zunächst das verfassungsrechtliche Territorialitätsprinzip (vgl 1 Ob 176/22x [Rz 40] mwN; Muzak, B‑VG6 Art 3 B‑VG Anm I.1).

[23] Auch der Gesetzgeber hielt in den Materialien zur GSpG‑Novelle BGBl I 2008/126 fest (Abänderungsantrag im Plenum; StenProtNR, 68. Sitzung, 23. GP, 146 ff [150; zu § 56 Abs 2 GSpG]): „Reist ein Inländer allerdings physisch in den EU/EWR‑Raum und nimmt damit nicht mehr vom Inland aus an ausländischen Glücksspielangeboten teil, so ist ihm bewusst, dass er sich damit auch auf Vollziehungsebene in die hoheitliche Verantwortung der staatlichen Glücksspielaufsicht des anderen Staates begibt.“ Damit legt der Gesetzgeber dar, dass bei Reisetätigkeiten ins Ausland auch grundsätzlich im Inland aufhältigen Bewohnern bewusst sein muss, dass sie sich auf Vollziehungsebene in die hoheitliche Verantwortung der staatlichen Glücksspielaufsicht des ausländischen Staats begeben, wenn sie nicht mehr vom Inland aus an ausländischen Glücksspielangeboten teilnehmen.

[24] Der Bezug des GSpG auf das österreichische Bundesgebietzeigt sich auch darin, dass Steuergegenstand der Glücksspielabgaben nach § 57 GSpG Ausspielungen sind, an denen die Teilnahme vom Inland aus erfolgt. Dabei ist gleichgültig, ob der Spielanbieter oder die Spielteilnehmer im Inland oder im Ausland einen Wohnsitz haben, denn es kommt nur darauf an, dass am Spiel vom Inland aus teilgenommen wird (Bavenek‑Weber in Bavenek‑Weber/Petritz/Petritz‑Klar, Gebührengesetz6 [2020], § 33 TP 17 GebG/GSpA Rz 111). Tatbestandsmerkmal des § 57 Abs 2 GSpG sind „Ausspielungen …, an denen die Teilnahme vom Inland aus erfolgt“. Die „Teilnahme an der Ausspielung vom Inland aus“ bedeutet, dass der Spielvertrag zwar nicht im Inland abgeschlossen werden muss, aber den tatsächlichen, physischen Aufenthalt eines Vertragsteils (= Spielteilnehmer) im Inland als geografisch festlegbarem Ort zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäfts voraussetzt. Ausgangspunkt ist die sachliche Inlandsbezogenheit (Bavenek‑Weber aaO Rz 116 mwN).

[25] Auch Verwaltungsstrafbestimmungen knüpfen an die Teilnahme vom Inland aus an, so etwa § 52 Abs 1 Z 1 GSpG.

[26] 3.4. Als Zwischenergebnis folgt daraus, dass für Glücksspielleistungen, die einInländervon einem ausländischen Online‑Glücksspielanbieter im Ausland abruft, nicht das (österreichische) GSpG zur Anwendung gelangt.

[27] 4.1. Demnach unterliegen die von der Beklagten angebotenen Online‑Glücksspiele in Kroatien, Slowenien, Slowakei und Kosovo, an denen der Kläger teilnahm, nicht dem österreichischen GSpG, sodass die dort von ihm abgerufenen Glücksspielleistungen nicht wegen eines Verstoßes gegen die Konzessionspflicht des österreichischen GSpG nichtig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB sein können.

[28] 4.2. Grundsätzlich trifft denjenigen die Behauptungs‑ und Beweislast, der aus dem betreffenden Tatumstand für seinen Standpunkt etwas abzuleiten gedenkt (RS0037797 [T8]). Das Erstgericht stellte lediglich fest, dass der Kläger auch von Kroatien, Slowenien, der Slowakei und dem Kosovo aus die Glücksspielleistungen der Beklagten in Anspruch nahm. Die Beklagte behauptete bereits im erstinstanzlichen Verfahren, dass der Kläger durch Glücksspiele in diesen Ländern Verluste in der Höhe von 46.170,33 EUR erlitten hätte, wozu jedoch Feststellungen fehlen. Feststellungen über die vom Kläger in diesen Ländern getätigten Spieleinsätze (abzüglich der Auszahlungen) wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen haben.

[29] 4.3. Sollte die Beklagte nachweisen können, dass der Kläger in diesen Staaten Glücksspielleistungen der Beklagten in Anspruch genommen hat, die zu Verlusten führten, kann jener seinen Rückforderungsanspruch nicht auf die Nichtigkeit dieser Glücksspielverträge wegen eines Verstoßes gegen die Konzessionspflicht nach österreichischem Glücksspielrecht stützen. Vielmehr müsste der Kläger einen Verstoß gegen ein ausländisches gesetzliches Verbot nachweisen, der in Verbindung mit dem anzuwendenden § 879 Abs 1 ABGB zur Nichtigkeit der im Ausland in Anspruch genommenen Glücksspielleistungenführen könnte.

[30] Der Kläger erstattete kein Vorbringen, dass die Beklagte gegen eine in diesen Staaten geltende Konzessionspflicht verstoßen hätte, sondern behauptete bloß, dass die Beklagte in diesen Ländern über keine Konzession verfüge. Im Fall der Rückforderung von Verlusten aus seiner Teilnahme an Online‑Glücksspielen vom Ausland aus hat er aber jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich die Nichtigkeit der im Ausland abgerufenen Glücksspielleistungen ergeben könnte.

[31] 5. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen sind im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Rechtssache ist zur Erörterung und neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[32] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte