OGH 3Ob72/21s

OGH3Ob72/21s20.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** Limited, *****, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 73.536 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2021, GZ 11 R 39/21t‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00072.21S.0520.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Das Berufungsgericht bestätigte die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts auf Rückzahlung der Spielverluste der Klägerin wegen Unerlaubtheit des von der Beklagten angebotenen, gegen das österreichische Glücksspielmonopol (Konzessionssystem) verstoßenden Online-Glücksspiels und daraus resultierender Nichtigkeit der zugrunde liegenden Glücksspielverträge.

[2] Mit der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[3] 1. Richtig ist, dass die hier zu beurteilenden elektronischen Lotterien im Sinn des § 12a GSpG, bei denen die Spielteilnahme über elektronische Medien erfolgt und auch die Entscheidung über das Spielergebnis über elektronische Medien zur Verfügung gestellt wird, dem Konzessionssystem unterliegen.

[4] 2. Sowohl der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) als auch der Oberste Gerichtshof und die übrigen österreichischen Höchstgerichte haben sich mit dem Glücksspielmonopol (Konzessionssystem) und den von der Beklagten aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragestellungen mehrfach und umfassend auseinandergesetzt.

[5] 2.1 Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen das Glücksspiel regulierende nationale Maßnahmen – so wie alle (hier) die Dienstleistungsfreiheit potentiell beschränkenden Regelungen – geeignet sein, die Verwirklichung eines legitimen Schutzziels in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen und anhand einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (vgl C‑98/14 , Berlington Hungary, Rn 64; C‑464/15 , Admiral, Rn 33; vgl auch schon C‑316/07 , Stoß, Rn 77 ff und 98; C‑46/08 , Carmen Media Group, Rn 60 ff). Der EuGH billigt den Mitgliedstaaten dabei einen weiten Ermessensspielraum zu. Dementsprechend steht es den Mitgliedstaaten frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet des Glücksspiels festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen (C‑316/07 , Stoß, Rn 77 und Rn 81 ff; C‑98/14 , Berlington Hungary, Rn 56). Ein Konzessionssystem kann insbesondere durch das Ziel, die Spieler zu schützen und Straftaten im Zusammenhang mit Glücksspielen) zu bekämpfen, gerechtfertigt sein (C‑390/12 , Pfleger, Rn 42). Auch der maßvolle Einsatz von Werbung sowie von neuen Vertriebstechniken kann eine kohärente Politik sein, um das Ziel, die Spieltätigkeit in kontrollierbare Bahnen zu lenken, verwirklichen zu können (C-347/09 , Dickinger und Ömer, Rn 67; C‑79/17 , Gmalieva, Rn 27).

2.2 Der VfGH gelangte in seinem Erkenntnis zu E 945/2016 – ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH – zum Ergebnis, dass die Bestimmungen des Glücksspielgesetzes allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts, einschließlich der Beschränkung der Werbemaßnahmen, entsprechen und die Regulierung des Glücksspielrechts auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen der sich daraus ergebenden Beschränkungen keine Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols erkennen lässt. An dieser Rechtsansicht hielt der VfGH in weiterer Folge fest (E 3282/2016; E 883/2017; E 2172/2017; E 2341/2017; E 3302/2017).

[6] 2.3 Ebenso geht der VwGH davon aus, dass das mit einem Konzessionssystem verbundene Glücksspielmonopol – auch unter Berücksichtigung des für Landesausspielungen bestehenden Bewilligungssystems für Glücksspielautomaten – die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung sowie der Verhinderung von Kriminalität in kohärenter und systematischer Weise verfolgt und nicht unionsrechtswidrig ist. Dies gelte auch für die teilweise „expansionistische“ Geschäfts- und Werbepolitik der Konzessionsinhaber, weil gerade im Online-Bereich eine starke Ausweitung illegalen Glücksspiels durch zahlreiche Anbieter erfolge, die ihre Angebote äußerst offensiv bewerben (Ro 2015/17/0022; Ra 2018/17/0048; Ra 2018/17/0203; Ra 2019/17/0054; Ra 2021/17/0031).

[7] 2.4 Auch der Oberste Gerichtshof judiziert in nunmehr ständiger Rechtsprechung, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt und auch unter Bedachtnahme auf die Werbemaßnahmen der Konzessionäre im Sinn der Rechtsprechung des EuGH und der vom Gerichtshof aufgezeigten Vorgaben nicht gegen Unionsrecht verstößt (RS0130636; 4 Ob 125/18p; 3 Ob 57/19g).

[8] 3.1 Die Beklagte wiederholt in ihrer außerordentlichen Revision die schon behandelten Argumente, ohne sich auf eine neue Rechtsprechung oder auf neue relevante Aspekte berufen zu können. Sie stützt sich im Wesentlichen nur auf eine gegenteilige Beurteilung der schon beantworteten Fragen und versucht weiterhin, die generelle Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols in Form des Konzessionssystems zu argumentieren. Mit ihren Ausführungen, mit denen sie vor allem die Inkohärenz (angebliche Widersprüchlichkeiten und Scheinbegründungen) der beschränkenden Regelungen konkret für das Anbieten von Online-Glücksspielen behauptet, kann sie aber nicht aufzeigen, dass die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach das in Rede stehende Konzessionssystem die damit angestrebten Schutzziele in kohärenter und systematischer Weise verfolge, von der Rechtsprechung des EuGH abweicht und der österreichische Gesetzgeber mit diesen Regelungen den ihm zustehenden weiten Ermessensspielraum überschritten hat.

[9] 3.2 Das Argument der angeblich unzulässigen unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen hat der VwGH in seiner Entscheidung zu Ra 2018/17/0048 bereits berücksichtigt. Er schloss auch daraus auf keine Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielrechts und wies darauf hin, dass nach den landesgesetzlichen Regelungen auch die Sportwetten nicht vollständig liberalisiert seien.

[10] In diesem Zusammenhang lässt die Beklagte auch außer Acht, dass nach der Rechtsprechung des EuGH einzelne Arten von Glücksspielen (im Sinn des Unionsrechts) durchaus einem staatlichen Monopol, andere Arten hingegen anderen Regulierungsvorschriften unterliegen können (vgl C‑316/07 Stoß, Rn 96; C‑46/08 Carmen Media Group, Rn 63). Der EuGH hat auch schon zum Ausdruck gebracht, dass von Online-Glücksspielen im Vergleich zu herkömmlichen Glücksspielen durchaus ein größeres Gefahrenpotential ausgeht (C‑42/07 , Liga Portuguesa, Rn 70; C‑3/17 Sporting Odds, Rn 41).

[11] 3.3 Zu den von der Beklagten ins Treffen geführten unterschiedlichen Regelungen für Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten und Video-Lotterie-Terminals (VLT) gilt es zu beachten, dass VLT zu den Online-Lotterien zählen und überdies für beide Glücksspielarten gemäß § 5 GSpG (Landesausspielungen) und § 12a GSpG (VLT) Bewilligungspflichten bestehen. In diesem Zusammenhang führte der VwGH in den Entscheidungen zu Ro 2015/17/0022 und Ra 2018/17/0048 aus, dass auch Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten einem vergleichbaren ordnungs- und aufsichtsrechtlichen Regime wie die im Glücksspielgesetz geregelten Glücksspiele unterliegen und auch diese Regelungen als unionsrechtskonform zu beurteilen sind. Soweit die Beklagte ausführt, dass für Landesausspielungen in einzelnen Bundesländern sogar ein Totalverbot bestehe, ist sie mit ihrem Online-Angebot davon ohnedies nicht betroffen.

[12] 3.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht entnehmen, dass die Kohärenz jeder einzelnen Differenzierung im nationalen Glücksspielrecht durch eine empirische Studie untermauert werden müsste (vgl C‑316/07 Stoß, Rn 72; C‑390/12 Pfleger, Rn 51; C‑3/17 , Sporting Odds, Rn 63).

[13] 3.5 Von der Beklagten behauptete exzessive Werbepraktiken der Konzessionäre müssen keineswegs zur Unzulässigkeit des Konzessionssystems führen, weil in einem solchen Fall auch eine (allenfalls interpretative) Reduktion der Werbemaßnahmen auf das unionsrechtlich zulässige Maß in Betracht kommt.

[14] 4. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des EuGH war nicht aufzugreifen, weil unter Bedachtnahme auf die vom EuGH bereits geklärten Fragen in der außerordentlichen Revision keine stichhaltigen Zweifel zur Auslegung des Unionsrechts aufgezeigt werden. Die Vorlagefragen im Vorabentscheidungsersuchen zu C‑920/19 , Fluctus, betreffen Werbepraktiken von Konzessionären und sind nicht relevant bzw geklärt. Dies gilt im Übrigen auch für die von der Beklagten vorgeschlagene Frage 3. Die übrigen von ihr formulierten Fragen wären zur Vorlage nicht geeignet.

[15] 5. Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel zurückgefordert werden können (vgl RS0025607 [T1]; 3 Ob 57/19g) tritt die Beklagte zu Recht nicht entgegen.

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