European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126551
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, die Argumentation des Revisionswerbers zur Unterhaltsverwirkung sei „nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen“ und seine eigene Rechtsansicht, an der es festhalte, sei als „nicht irreversibel“ zu erachten. Damit wird nicht aufgezeigt, worin eine erhebliche Rechtsfrage liegen soll. Da auch die Revision keine solche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
1. Die Unterhaltsverwirkung setzt eine besonders schwerwiegende, das Maß schwerer Eheverfehlungen iSd § 49 EheG übersteigende Verfehlung gegen den früheren Ehegatten voraus, sodass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (vgl RS0078153). Die Beweislast für das Vorliegen des Verwirkungstatbestands trifft – insbesondere auch hinsichtlich des Verschuldens des unterhaltsberechtigten Ehegatten (RS0057400) – den Unterhaltspflichtigen (vgl RS0009772).
Auch mehrere Verfehlungen, die erst in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verfehlung bilden, können zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen; dabei kommt es auf den Moment an, in dem die Gesamtheit der Verfehlungen erstmals als schwer zu beurteilen ist (vgl 3 Ob 86/16t mwN).
Zwar kann die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 74 EheG führen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anzeige nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein erstattet wurde, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen (RS0057429). Weiters sind auch die Begleitumstände und das Verhalten des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen (vgl RS0056716; RS0057392). Im Allgemeinen übt derjenige, der von einem Urteil Gebrauch macht, nur ein ihm zustehendes Recht aus; Anträge auf exekutive Durchsetzung eines rechtskräftigen Titels können daher für sich allein keinen Rechtsmissbrauch bilden (RS0022832 [T2]; vgl auch RS0022840). Zugunsten desjenigen, der gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt, ist stets ein milder Maßstab anzulegen; vor allem ist zu berücksichtigen, dass das Recht jedes Rechtssuchenden, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Behörden in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit belastet werden darf (vgl RS0022781). Nicht schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige Anschuldigungen können zur Unterhaltsverwirkung führen; wurde ein strafrechtlich relevanter Vorwurf (nicht nur, aber eben auch) „zum Zweck der Wahrheitsfindung“ erhoben, verbietet sich geradezu diese Annahme (RS0078153 [T8, T9]). Von einer gegen die guten Sitten verstoßenden missbräuchlichen Rechtsausübung könnte daher nur dann gesprochen werden, wenn demjenigen, der sein Recht ausübt, jedes andere Interesse abgesprochen werden muss als eben das Interesse, dem anderen Schaden zuzufügen. Besteht ein begründetes Interesse des Rechtsausübenden, einen seinem Recht entsprechenden Zustand herzustellen, wird die Rechtsausübung nicht schon dadurch zu einer missbräuchlichen, dass der sein Recht Ausübende unter anderem auch die Absicht verfolgte, mit der Rechtsausübung dem anderen Schaden zuzufügen (RS0026271). Ein Unterhaltsschuldner, der selbst seine Unterhaltsverpflichtung nicht erfüllt hat, kann die dadurch hervorgerufene Reaktion des Unterhaltsschuldners nicht gemäß § 74 EheG als Verwirkungstatbestand geltend machen, weil auch dies infolge des Zusammenhangs mit seinem eigenen Verschulden sittlich nicht gerechtfertigt wäre (vgl RS0057384).
Die Beurteilung von Verhaltensweisen als verwirkungstauglich hat sich regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls zu richten und begründet grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0047080 [T7]; RS0078153; RS0009759 [T13]).
2. Die Revision zeigt nicht auf, inwieweit die Vorinstanzen von diesen Grundsätzen abgewichen wären oder warum ihnen eine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende gravierende Fehlbeurteilung im Einzelfall unterlaufen wäre.
In der Judikatur ist geklärt, dass es nicht auf ein Einzelfaktum ankommt, sondern die Verwirkung auch durch eine Gesamtheit der Verfehlungen begangen werden kann.
Warum die Einbringung mehrerer erfolgreicher und angesichts der Säumnis des Beklagten auch erforderlicher und großteils bewilligter Exekutionsanträge zur Unterhaltsverwirkung führen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Die Sachverhaltsdarstellung wegen § 198 StGB, welche auch in einem Strafantrag resultierte, wurde zu einer Zeit erstattet, nachdem gegen den Beklagten eine Vielzahl von Exekutionsbewilligungen wegen feststehender Unterhaltsrückstände unter anderem auch für den laufenden Monat, in dem die Anzeige erfolgte, und den Vormonat ergangen waren. Dass die Exekutionsanträge und die Anzeige bewusst wahrheitswidrig oder bloß in Schädigungsabsicht erstattet worden wären, steht damit gerade nicht fest.
Nach den Feststellungen hat die Klägerin dem Beklagten einer Vereinbarung folgend alle ihre Schlüssel zur Ehewohnung übergeben; die Rechtsansicht, dass sich die Vereinbarung nicht auf die Schlüssel des damals bereits volljährigen Sohnes bezog, ist nicht zu beanstanden. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, die Entfernung eines alten Autos mit im Verfahren ungeklärt gebliebenen Eigentumsverhältnissen zwischen den Streitteilen begründe keine Verwirkung, bringt die Revision nichts Substanzielles vor.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Werden neben dem laufenden Unterhalt rückständige Beträge begehrt, so sind nach § 9 Abs 3 RATG diese nicht in die Bemessungsgrundlage einzurechnen; es bleibt bei der einfachen Jahresleistung (RS0121989; Obermaier, Kostenhandbuch³ [2018] Rz 2.19 f). Der zum Zeitpunkt der Entscheidung der zweiten Instanz zwischen den Parteien noch strittige (vgl 4 Ob 197/09p mwN; Obermaier Rz 2.20) laufende monatliche Unterhaltsbetrag belief sich auf 252 EUR, woraus sich ein Jahresbetrag von 3.024 EUR als Bemessungsgrundlage und ein Ansatz TP 3C von 216,80 EUR ergeben. Der ERV-Zuschlag nach § 23a RATG von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, worunter nicht nur Rechtsmittel, sondern auch Rechtsmittelbeantwortungen wie hier zu verstehen sind (vgl RS0126594); der Klägerin stehen daher nur 2,10 EUR zu.
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