OGH 6Ob52/22y

OGH6Ob52/22y29.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. A*, geboren am * 2013, 2. L*, geboren am * 2016, 3. R*, geboren am * 2017, alle vertreten durch das Land Oberösterreich (Bezirkshauptmannschaft Freistadt 4240 Freistadt, Promenade 5) als Kinder‑ und Jugendhilfeträger, dieser vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterhalts, über die Revisionsrekurse der Minderjährigen und des Vaters J*, vertreten durch Raffaseder Haider Rechtsanwälte OG in Freistadt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. Dezember 2021, GZ 15 R 426/21d‑106, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Freistadt vom 19. Oktober 2021, GZ 1 Pu 255/18x‑96, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00052.22Y.0829.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werdenzurückgewiesen.

Der Vater hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[2] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs jeweils nachträglich mit der Begründung zu, der von den Kindern aufgeworfenen Frage einer Anrechnung der Wohnkostenersparnis des Vaters in dessen ausbezahltem Eigenheim komme vor dem Hintergrund der Stimmen in der Literatur und zweitinstanzlicher Entscheidungen, die sich für eine solche Anrechnung aussprachen, zur Wahrung der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu. Der Vater wiederum zeige zutreffend auf, dass sich das Rekursgericht mit der Entscheidung 5 Ob 204/11b nicht auseinandergesetzt habe, in der ausgeführt worden sei, dass bei der Prüfung der Anspannungsvoraussetzungen auch die (fiktive) Anschaffung eines Pkw, um zum (fiktiven) Arbeitsplatz zu kommen – abgesehen vom ohnehin vorgenommenen Abzug für (fiktive) Arbeitsplatzfahrtkosten – berücksichtigt werden müsste.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revisionsrekurse sind nicht zulässig; sie zeigen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

1. Zum Revisionsrekurs der Kinder :

[4] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen die Berücksichtigung jenes „Wohnvorteils“ zu Lasten des Unterhaltspflichtigen abgelehnt, der dadurch entsteht, dass dieser seinen Wohnbedarf in einer Wohnung deckt, für die er – mit Ausnahme der Wohnungsbenützungskosten – keine Aufwendungen (etwa Mietzinszahlungen, Darlehenstilgungen udgl) zu tragen hat (6 Ob 5/04k und 10 Ob 96/05y – Wohnung von Dritten freiwillig zur Verfügung gestellt; 10 Ob 8/07k EF‑Z 2007/83 [Gitschthaler] – geschenkte Wohnung).

[5] 1.2. Zuvor hatte allerdings die Entscheidung 6 Ob 97/00h ausgeführt, beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil müsse bei der Beurteilung dessen Leistungsfähigkeit der Umstand mitberücksichtigt werden, dass er sich den Wohnungsaufwand als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten erspart. In der Entscheidung 8 Ob 106/13s (EF‑Z 2014/160 [Gitschthaler]) wiederum wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass bei einem (wie dort) Landwirt bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage Naturalbezüge, die in Geld bewertbar sind, zu berücksichtigen sind, so unter anderem auch die Wohnmöglichkeit des Unterhaltspflichtigen auf seinem Hof. Und zuletzt ließ die Entscheidung 3 Ob 109/20f (EF‑Z 2021/16 [Gitschthaler]) die Frage der Folgen einer freiwilligen Zuwendung einer Wohnung durch Dritte bzw der Wohnkostenersparnis bei ausbezahltem Eigenheim im Zusammenhang mit der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage ausdrücklich offen.

[6] Zweitinstanzliche Rechtsprechung hielt vereinzelt die Berücksichtigung des Wohnvorteils auch beim Unterhaltspflichtigen für sachgerecht, konkret durch Erhöhung dessen Unterhaltsbemessungsgrundlage um den fiktiven Mietwert seiner Wohngelegenheit. So führte das Landesgericht Linz in EFSlg 156.773 unter Hinweis auf Gitschthaler (in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR1 [2011] § 94 ABGB Rz 93 und Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 [2017] 25) aus: Verfügt der Unterhaltspflichtige neben einem ausreichenden Einkommen über eine billige Wohnmöglichkeit, etwa in einem ausbezahlten Eigenheim, so ist kein Grund ersichtlich, warum dieser Vermögensvorteil bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen wäre. Würde der Unterhaltspflichtige sein Wohnhaus vermieten und in eine Mietwohnung ziehen, würden die Mieteinnahmen als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen sein, die Mietausgaben wären aber als Ausgaben des täglichen Lebens nicht von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen (zuvor bereits Landesgericht Linz EFSlg 153.419 und Landesgericht Salzburg EFSlg 129.943).

[7] 1.3. Auch die Literatur vertritt nahezu einhellig die Auffassung, da durch diesen Wohnvorteil die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen deutlich ansteigt (ihm blieben ja höhere Mittel für andere Ausgaben), sollte die Unterhaltsbemessungsgrundlage um die objektive Marktmiete bzw – wenn diese aufgrund der besonders guten Lage, Größe oder Ausstattung der Wohnung den sonstigen Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen nicht angemessen wäre – um einen noch angemessenen Wohnwert erhöht werden (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 27 unter Hinweis auf Wieland, Auswirkungen der unentgeltlichen Nutzung einer Eigentumswohnung auf die Unterhaltsbemessung, ÖA 2005, 138; ebenso Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR² [2022] § 94 ABGB Rz 93; ders, EF‑Z 2014/79, 2014/113, 2014/160, 2021/16 [alle Entscheidungsanmerkungen]; ders, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 306/2; Neuhauser in Schwimann/Neumayr, TaKomm‑ABGB5 [2020] § 231 Rz 136 aE; Wieland, Unterhaltsrecht und steuerliche Abschreibungen, iFamZ 2013, 222 FN 17).

[8] 1.4. Auf Seiten des Unterhaltsberechtigten entspricht es zwischenzeitig völlig herrschender Auffassung, dass er, wenn er nicht für die Kosten seiner Wohnversorgung aufzukommen hat, regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts bedarf, um seinen vollständigen Unterhalt zu decken (s bloß RS0047254). In den die Rechtsprechung zu wohnversorgten Unterhaltspflichtigen (1.1.) ablehnenden Stellungnahmen wird darin eine Ungleichbehandlung von Pflichtigen und Berechtigten (zu Lasten letzterer) gesehen (vgl nur Wieland, iFamZ 2013, 222 FN 17; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR² § 94 ABGB Rz 93).

[9] 1.5. Letztlich bedarf es jedoch im vorliegenden Fall einer Klärung dieser Rechtsfrage nicht:

[10] Zur Wohnkostenersparnis auf Seite des Unterhaltsberechtigten wurde bereits klargestellt, dass eine solche nur angenommen werden kann, wenn der Unterhaltsberechtigte für die Wohnung keine Kosten aufwenden muss (7 Ob 179/11s). Dass dies auf Seiten des Unterhaltspflichtigen anders sein sollte, ließe sich nicht begründen. Damit ist hier aber entscheidungswesentlich, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen der geldunterhaltspflichtige Vater zwar über eine Wohnversorgung in seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb verfügt (ähnlich dem Sachverhalt der Entscheidung 8 Ob 106/13s), dieser Betrieb (und damit auch die Wohnung) jedoch mit Pfandrechten in Höhe von insgesamt 500.000 EUR belastet ist und dabei nicht feststeht, wie diese Verbindlichkeiten (betrieblich oder „privat“) zuzuordnen sind.

[11] 1.6. Auch im Unterhaltsverfahren gilt ungeachtet der dort das Verfahren prägenden Amtswegigkeit, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat. Somit trifft die unterhaltsberechtigten Kinder die Behauptungs‑ und Beweislast für die erhöhte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (3 Ob 109/20f; vgl RS0006261). Selbst wenn man – wie der Revisionsrekurs der Kinder – nur darauf abstellte, ob die auf der Liegenschaft haftenden Pfandrechte mit dem Erwerb (oder der Erhaltung) der Liegenschaft in Zusammenhang stehen, hätten die Kinder nicht bewiesen, dass solche Verbindlichkeiten nicht (auch) bestehen. Es steht auchnicht fest, dass der Vater aufgrund einer Wohnmöglichkeit im unbelasteten Eigenheim keine (oder nur geringe) Wohnkosten aufzuwenden hätte. Die von den Kindern und auch vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage stellt sich damit nicht.

2. Zum Revisionsrekurs des Vaters:

[12] Die Vorinstanzen haben den selbstständig erwerbstätigen unterhaltspflichtigen Vater wegen seines bereits seit Jahren nur geringe Erträge abwerfenden Betriebs auf ein fiktives Einkommen aus einer unselbständigen Vollzeiterwerbstätigkeit angespannt und dieses (zuzüglich einer von ihm bezogenen Versehrtenrente) der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt; fiktive Arbeitsplatzfahrtkosten berücksichtigten die Vorinstanzen zugunsten des Vaters nicht.

[13] 2.1. (Fiktive) Kosten bei Benützung eines Personenkraftwagens für Fahrten zum und vom Arbeitsplatz sind grundsätzlich auch bei einer Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf eine unselbstständige Erwerbstätigkeit als Abzugsposten anzuerkennen, wenn der Unterhaltspflichtige seinen (fiktiven) Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht (zumutbar) erreichen könnte (5 Ob 204/11b; vgl RS0047472). Denn diesbezüglich haben nur durchschnittliche Aufwendungen, wie sie auch andere Unterhaltspflichtige in der Regel zu tragen haben, bereits in die Höhe der bei der Unterhaltsbemessung vom Erstgericht herangezogenen Prozentwertmethode Eingang gefunden (vgl 10 Ob 59/06h).

[14] 2.2. Mit seiner Argumentation, er hätte bis zu seinem (fiktiven) Arbeitsplatz in eine Richtung täglich 60 km zurückzulegen, geht der Vater nicht von den Feststellungen aus. Danach gab es, ausgehend vom Wohnort des Vaters, im Umkreis von 20 km mehrere offene Stellen. Ebenso steht weder fest noch wurde im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, dass diese Arbeitsplätze zumutbarerweise nur mit dem eigenen PKW zu erreichen wären. Es liegt auch nicht auf der Hand, weshalb der Vater zur Bewältigung dieser Strecke mehr aufwenden müsste als ein durchschnittlicher anderer Unterhaltspflichtiger.

[15] 2.3. Die Beurteilung des Rekursgerichts, im vorliegenden Fall seien (fiktive) Arbeitsplatzfahrtkosten bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen, findet daher im Ergebnis Deckung in der erörterten Rechtsprechung.

[16] 2.4. Kosten für Kreditrückzahlungen können bei der Bemessung des Unterhalts ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn der Kredit zur Erhaltung der Arbeitskraft des Unterhaltsschuldners oder für existenznotwendige Bedürfnisse aufgenommen worden oder er ex ante erforderlich war, die Existenz sichernde Ertragskraft eines Unternehmens des Unterhaltspflichtigen zu erhalten bzw zu verbessern (RS0007202 [T12]). Letzteres ist etwa der Fall, wenn der Unterhaltspflichtige die Schulden nach vernünftigen wirtschaftlichen Kriterien eingehen musste (vgl 3 Ob 201/02h; 1 Ob 217/99i), nicht aber, wenn ein pflichtbewusster Familienvater aufgrund des vorhersehbaren Misserfolgs eine verlustbringende Tätigkeit nicht mehr fortgeführt hätte (vgl 1 Ob 179/00f [ErwGr 3.2.]), ihm also die Verschuldung vorwerfbar ist (vgl 7 Ob 172/99s).

[17] 2.5. Die näheren Umstände für die ausnahmsweise Berücksichtigung von Belastungen durch Schuldtilgungen beziehungsweise Kreditrückzahlungen sind vom Unterhaltsschuldner zu behaupten und zu beweisen (RS0079451 [T7]). Diesem obliegt es somit, die Abzugsfähigkeit von Kreditrückzahlungsraten darzutun (RS0007202 [T2]). Kann eine derartige Zweckwidmung nicht festgestellt werden, sind die Belastungen hieraus nicht von der Unterhaltsbemessungsgrundlage in Abzug zu bringen (8 Ob 69/05p; RS0079451 [T8]). Ob und in welchem Ausmaß bei einem Unterhaltspflichtigen berücksichtigungswürdige Kreditverbindlichkeiten vorliegen, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 182/21x; RS0007202 [T8]; RS0079451 [T9]).

[18] 2.6. Selbst wenn man im Sinne des Revisionsrekurses des Vaters bei der Anspannung auf ein fiktives unselbständiges Einkommen Kreditrückzahlungen für Schulden aus der (fiktiv aufgegebenen) selbstständigen Tätigkeit im Sinne dieser Rechtsprechungsgrundsätze berücksichtigen würde, wäre für den Vater jedoch nichts gewonnen:

[19] Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen zwar das Vorhandensein von Krediten. Es konnte jedoch lediglich die Höhe eines Betriebsmittelkredits festgestellt werden. Im Übrigen war nicht feststellbar, in welcher Höhe Kredite offen, ob diese betrieblich oder privat zuzuordnen oder wie hoch die jeweiligen monatlichen Kreditraten waren. Vorbringen dazu, wann diese Kredite aufgenommen wurden und ob der Vater die Schulden nach vernünftigen wirtschaftlichen Kriterien eingehen musste, wurde im erstinstanzlichen Verfahren nicht erstattet.

[20] Das Rekursgericht verneinte eine Anrechnung von Kreditrückzahlungen (auch) deshalb, weil der Vater die Voraussetzungen für eine Anrechenbarkeit der Kreditrückzahlungen weder dargelegt noch unter Beweis gestellt habe. Mit seinem Hinweis auf den im Außerstreitverfahren geltenden „Untersuchungsgrundsatz“ zeigt der Vater – den, wie bereits erörtert wurde, die diesbezügliche Behauptungs‑ und Beweislast trifft – keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf.

[21] 3. Beide Revisionsrekurse waren daher mangels zu beurteilender erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

[22] 4. Gemäß § 101 Abs 2 AußStrG findet in Verfahren über Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder ein Kostenersatz nicht statt.

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