Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:
„Das Klagebegehren des Inhalts
1.) Die beklagten Parteien seien schuldig, Behauptungen des Inhaltes, die klagende Partei hätte in ihrem Eigentum befindliche Unternehmen hinuntergewirtschaftet und/oder verkauft und die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen sowie sinngleiche Äußerungen ab sofort bei sonstiger Exekution zu unterlassen.
2.) Die beklagten Parteien seien bei sonstiger Exekution schuldig, gegenüber den Internet-Usern, die die APA-OTS-Aussendung OTS0102 5 II 0224 BZK0001 vom 22. August 2007 gelesen haben, die zu Punkt 1.) dargestellte Behauptung öffentlich als unwahr zu widerrufen,
und zwar durch Veröffentlichung nachstehender Widerrufserklärung:
Widerruf:
In einer APA-OTS-Aussendung vom 22. 08. 2007 mit dem Titel ‘BZÖ-P*****: Verkauft die SPÖ Kärnten das eigene Familiensilber' haben Die Freiheitlichen in Kärnten/BZÖ die Behauptung ihres geschäftsführenden Landesparteiobmanns S***** P***** verbreitet, schon zu oft habe die Kärntner SPÖ Unternehmen, die sich in ihrem Eigentum befinden, hinuntergewirtschaftet, verkauft und die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen.
Die Freiheitlichen in Kärnten/BZÖ und deren geschäftsführenden Landesparteiobmann S***** P***** widerrufen hiemit diese Behauptung als unwahr,
wobei diese Widerrufserklärung binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Urteils als APA-OTS-Aussendung in der für die Veröffentlichung von APA-OTS-Aussendungen üblichen Gestaltung zu veröffentlichen sei.
3.) Die beklagten Parteien seien weiters schuldig, gegenüber den Besuchern der Website ‘Die Freiheitlichen in Kärnten - BZÖ' die zu Punkt 1.) dargestellte Behauptung öffentlich als unwahr zu widerrufen,
und zwar durch die Veröffentlichung nachstehender Widerrufserklärung:
Widerruf:
Auf der Website ‘Die Freiheitlichen in Kärnten - BZÖ' wurde die Behauptung des geschäftsführenden Landesparteiobmanns S***** P***** verbreitet, die Kärntner SPÖ habe schon zu oft Unternehmen, die sich in ihrem Eigentum befinden, hinuntergewirtschaftet, verkauft und die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen.
Die Freiheitlichen in Kärnten-BZÖ und S***** P***** widerrufen diese Behauptung als unwahr,
wobei diese Widerrufserklärung binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Urteiles wie folgt auf der Website der erstbeklagten Partei zu veröffentlichen sei:
a) auf der Startseite unter dem Übertitel ‘TOP AKTUELL' der Titel ‘Widerruf' und die ersten zwei Zeilen der Erklärung mit einem Link ‘mehr> >' und,
b) derart, dass die gesamte Erklärung samt Titel ‘Widerruf' nach Anklicken von ‘mehr> >' unter dem Übertitel ‘Aktuelle Themen' abrufbar ist;
diese Veröffentlichungen seien in dieser Form und Platzierung für die Dauer eines Monats auf der Website der erstbeklagten Partei abrufbereit zu halten,
wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 8.509,28 EUR (darin 1.204,08 EUR USt und 1.284,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 2.843,90 EUR (darin 302,75 EUR USt und 1.027,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.665,57 EUR (darin 218,03 EUR USt und 1.357,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klägerin ist eine politische Partei, der als Landesorganisation der Sozialdemokratischen Partei Österreichs eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. Der Erstbeklagte war zum Zeitpunkt der klagsgegenständlichen Aussendung im August 2007 geschäftsführender Parteiobmann der Zweitbeklagten und Pressesprecher des Landeshauptmannes von Kärnten. Derzeit ist der Erstbeklagte für „Die Freiheitlichen“ Nationalratsabgeordneter und Pressesprecher des Landeshauptmannes von Kärnten.
Die Zweitbeklagte ist ein Verein und eine politische Partei, die nunmehr vorwiegend unter der Bezeichnung „BZÖ“ auftritt; sie veröffentlicht regelmäßig APA-OTS-Aussendungen. Die Austria Presse Agentur (APA) unterhält das Originaltext-Service OTS. Wer sich in dieses Netz aktiv einmietet, kann ohne Einflussnahme der APA auf den Inhalt Informationen eingeben, die dann an die Abonnenten des Netzes ausgesendet werden und überdies im Internet kostenlos für jedermann abrufbar sind. Medieninhaber ist der jeweilige Aussender. Die Zweitbeklagte ist somit Medieninhaber der gegenständlichen OTS-Aussendung.
Die Zweitbeklagte unterhält auch eine Websitehttp://Freiheitliche-kaernten.at , die über Google unter „Die Freiheitlichen in Kärnten“ abrufbar ist. Sie ist Medieninhaberin dieser Website und haftet für die darauf verbreiteten Inhalte.
Am 22. 8. 2007 um 11:11 Uhr hat die Zweitbeklagte eine OTS-Aussendung mit dem Titel „BZÖ-P*****: Verkauft die SPÖ Kärnten das eigene Familiensilber“ veröffentlicht. In dieser Aussendung gibt die Zweitbeklagte Äußerungen ihres (damals) geschäftsführenden Parteiobmannes - des Erstbeklagten - wieder. Wörtlich heißt es dort als Zitat des Erstbeklagten:
„Schon zu oft habe die Kärntner SPÖ Unternehmen, die sich in ihrem Eigentum oder Einflussbereich befinden, hinuntergewirtschaftet, verkauft und die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen. P***** erinnerte in diesem Zusammenhang an Beispiele wie Magdalen, die BAWAG oder den Konsum ...“.
Darüber hinaus heißt es wörtlich in dieser OTS-Aussendung:
„Massiven Gerüchten zufolge und heute erstmals von Medien berichtet, soll die im Eigentum der SPÖ Kärnten stehende Kärntner Druckerei (KD) mit 150 Beschäftigten vor dem Verkauf stehen. Der geschäftsführende Landesparteiobmann S***** P***** berichtet diesbezüglich von besorgten Anfragen von KD-Mitarbeitern im Büro des Landeshauptmannes und fordert daher Aufklärung von der SPÖ Kärnten.“
Weiters hat der Erstbeklagte diese Aussendung auch auf seiner Website veröffentlicht. Auf der Startseite der Website hat er in der Rubrik „TOP AKTUELL“ den Titel und die ersten Zeilen der Aussendung mit dem Hinweis, man müsse auf „mehr> >“ klicken, um die gesamte Aussendung zu lesen, veröffentlicht. Klickt man hier, so erscheint nach dem einleitenden Teil der Startseite der Wortlaut der Aussendung.
Weder der Konsum noch die BAWAG oder das Zellstoffwerk Magdalen standen oder stehen im Eigentum der Klägerin als Landesorganisation der Sozialistischen Partei Österreichs.
Eigentümer des Zellstoffwerks Magdalen, einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen, war seit 1984 Wilhelm Papst. Beim Fall Magdalen ging es in erster Linie um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Bis zum Konkurs im Jahre 1989 wurde das Zellstoffwerk Magdalen vom damaligen Bau-Holding-Chef Hans-Peter Haselsteiner weitergeführt. Der Schaden, der unter Wilhelm Papst für das Land Kärnten entstanden ist, beläuft sich auf rund 750.000.000 Schilling. Wilhelm Papst wurde wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Insgesamt flossen 1,2 Milliarden Schilling an öffentlichen Geldern in das Zellstoffwerk Magdalen zu dessen Sanierung. Es gab damals darüber eine große politische Debatte. Dr. Jörg Haider hat beispielsweise in einem Leserbrief den damaligen Landeshauptmannstellvertreter Erwin Frühbauer massiv aufgefordert, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen. Die SPÖ hatte damals in der Landesregierung die absolute Mehrheit; sie hat sich auch dafür eingesetzt, dass die Arbeitsplätze in Magdalen erhalten bleiben. Es hat damals eine Bereitstellung von öffentlichen Mitteln dafür gegeben.
Der Konsum war eine österreichweite organisierte Genossenschaft, welche nicht im Eigentum der Klägerin gestanden ist. Generaldirektor war Hermann Gerharter. Der Konsum musste 1995 den Ausgleich anmelden. Langjähriger Vorsitzender des Aufsichtsrates und damit oberster Eigentümervertreter im Konsum war Anton Benya, der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und Präsident des österreichischen Nationalrates war. Der Konsum Österreich wurde daher von Teilen der Öffentlichkeit als gewerkschaftseigenes Unternehmen wahrgenommen, was er formell aber nie war.
Die BAWAG ist eine Aktiengesellschaft. Die BAWAG-Affäre führte zum Rücktritt von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch und von BAWAG Aufsichtsratsvorsitzenden Günther Weninger. Im Zuge des BAWAG-Skandals war eine Verschuldung des ÖGB von über 2 Milliarden EUR verursacht worden, weshalb die BAWAG zur Gänze an den US-Fonds Cerberus Capital Management verkauft wurde, um eine Insolvenz des ÖGB zu vermeiden.
Die Kärntner Druckerei befindet sich im Eigentum der Medien GmbH, welche eine Tochtergesellschaft der SPÖ Kärnten (der Klägerin) ist. Im August 2007 gab es diverse Überlegungen in verschiedenste Richtungen und auch dahin, die Betriebsstätten, welche sich am Viktringer Ring und am Südring befinden, zusammenzulegen. Es gab aber auch Überlegungen in Richtung einer Partnerschaft. In die damaligen Gespräche waren der Betriebsrat und die Arbeitnehmervertretung eingeschlossen. Nach derzeitigem Stand der Entwicklung wird die Zusammenlegung der beiden Betriebsstätten verfolgt. Dadurch würde das Haus Viktringer Ring frei und könnte einer Verwertung zugeführt werden. Es gab laufend Kündigungen und Neuanstellungen. Sollte es zu einer Zusammenlegung kommen, ist davon auszugehen, dass mit weniger Mitarbeitern das Auslangen gefunden wird.
Ausgehend von diesem Sachverhalt gab das Erstgericht dem Begehren auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs statt. Die inkriminierte Äußerung der Beklagten sei ehrenbeleidigend und kreditschädigend gemäß § 1330 Abs 1 und 2 ABGB.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die inkriminierte Äußerung, „die Kärntner SPÖ habe schon zu oft Unternehmen, die sich in ihrem Eigentum oder Einflussbereich befinden, hinuntergewirtschaftet, verkauft und die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen“ enthalte im Gesamtkontext der Äußerung (Verkaufsgerüchte der Kärntner Druckerei; Bezugnahme auf die Beispiele Magdalen, BAWAG, Konsum und Hypo) den Vorwurf, dass die Klägerin wie schon bei den angeführten Beispielen in ihrem Eigentum oder Einflussbereich befindliche Unternehmen hinuntergewirtschaftet und verkauft und die betroffenen Mitarbeiter im Stich gelassen hätte. Diese Äußerung enthalte einen auf den Wahrheitsgehalt überprüfbaren Tatsachenkern. Die inkriminierte Äußerung sei im Gesamtzusammenhang zu verstehen. Dem unbefangenen Durchschnittsleser gegenüber werde der Eindruck erweckt, dass die Klägerin schon früher unter anderem in ihrem Eigentum befindliche Unternehmen hinuntergewirtschaftet, verkauft und dadurch bzw dabei die betroffenen Arbeiter im Stich gelassen hätte; dies drohe nunmehr auch bei der im Eigentum der Klägerin stehenden Druckerei. Die einzelnen Textpassagen könnten nicht isoliert als inkriminiert erachtet werden, sondern stellten vielmehr in ihrer Gesamtheit eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung dar. Das Erstgericht sei daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagten die Richtigkeit der Tatsache (Wahrheitsbeweis) bzw das Fehlen der (objektiven bzw subjektiven) Vorwerfbarkeit der unrichtigen Verbreitung zu beweisen hatten. Diesen Beweis hätten die Beklagten nicht erbracht.
Nachträglich ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass hinsichtlich der Frage, ob bei mehreren im Gesamtkontext gefallenen kreditschädigenden und nur zum Teil ehrenbeleidigenden Äußerungen die Frage der Beweislast für die Richtigkeit der Tatsache für jede einzelne Äußerung jeweils isoliert zu betrachten sei oder ob sie in ihrer Gesamtheit (als kreditschädigend und ehrenbeleidigend) aufzufassen seien, eine erhebliche Rechtsfrage vorliegen könne.
Rechtliche Beurteilung
Die ordentliche Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat die im zweiten Rechtsgang vorgenommene Qualifikation der Äußerung durch das Erstgericht als ehrenbeleidigend und kreditschädigend iSd § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB gebilligt. Die Äußerung lasse sich auf einen auf den Wahrheitsgehalt überprüfbaren Tatsachenkern zurückführen und stelle damit eine Tatsachenbehauptung dar. Die Behauptung, die Klägerin habe betroffene Arbeiter im Stich gelassen, stelle eine Ehrenbeleidigung dar, die zugleich auch eine Tatsachenbehauptung beinhalte.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen (RIS-Justiz RS0115084). Ob ein Ausdruck den Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB erfüllt, kann nur aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, beurteilt werden (RIS-Justiz RS0031857). Unter „Tatsachen“ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt zu verstehen (RIS-Justiz RS0032212). Darin liegt der Unterschied gegenüber bloßen Werturteilen, die erst aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen werden können und die eine rein subjektive Meinung des Erklärenden wiedergeben (SZ 11/39; 6 Ob 147/73; RIS-Justiz RS0032212 [T1]). Es ist demnach entscheidend, ob die Unrichtigkeit der in Frage kommenden Behauptungen bewiesen werden kann. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um eine unüberprüfbare Meinungskundgebung des Erklärenden (SZ 46/114 uva; RIS-Justiz RS0032212 [T1]).
2.2. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Wesentlich ist, das sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f). Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, die auf einer unwahren Tatsachenbehauptung basieren, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung (RIS-Justiz RS0107915).
2.3. Ein und dieselbe Äußerung kann je nach ihrem Zusammenhang unter den Begriff der Tatsachenbehauptung oder den des reinen Werturteils fallen; entscheidend ist dabei, wie die Äußerung vom Empfänger - zu einem nicht unerheblichen Teil - verstanden wird (RIS-Justiz RS0031815).
3.1. Diese einfachgesetzlichen Vorgaben sind jedoch im Lichte der Anforderungen der EMRK auszulegen. Nach Art 10 Abs 1 MRK hat jedermann ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Nach Art 10 Abs 2 MRK sind Einschränkungen dieses Rechts nur in dem Maße zulässig, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Diese Ausnahmen müssen jedoch eng ausgelegt und die Notwendigkeit jeglicher Einschränkungen muss überzeugend begründet werden (vgl EGMR 25. 1. 1999, Nr 23118/93, Nilsen und Johnsen Z 43). Der Begriff der Unentbehrlichkeit iSd Art 10 Abs 2 MRK erfordert daher ein „dringendes soziales Bedürfnis“ („pressing social need“; vgl etwa EGMR 8. 7. 1988, Nr 12/1984/84/131, Lingens Z 40, EuGRZ 1986, 428 = MR 1986, 11).
3.2. Die Freiheit der Meinungsäußerung bildet nach ständiger Rechtsprechung des EGMR eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der Grundbedingungen für deren Fortentwicklung und die Selbstverwirklichung jedes Individuums. Vorbehaltlich des Art 10 Abs 2 MRK ist sie nicht nur auf „Informationen“ oder „Ideen“ anwendbar, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies sind die Anforderungen an Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit, ohne die es keine demokratische Gesellschaft gibt (EGMR 7. 12. 1976, Nr 5493/72, Handyside Z 49). Dabei schützt Art 10 MRK nicht nur den Inhalt der Ideen und Nachrichten, sondern auch die Form, in der sie geäußert werden (EGMR 1. 7. 1997, Nr 47/1996/666/852, Oberschlick II Z 34, MR 1997, 196).
3.3. Art 10 Abs 2 EMRK lässt wenig Raum für Einschränkungen gegenüber politischer Rede oder Debatten über Fragen von öffentlichem Interesse (vgl EGMR 8. 7. 1999, Nr 26682/95, Sürek gegen Türkei, Z 61). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Freiheit der Meinungsäußerung zwar für jedermann von Bedeutung; in besonderem Maße gilt dies jedoch für gewählte Volksvertreter (vgl EGMR 23. 4. 1992, Nr 2/1991/254/325, Castells gegen Spanien, Z 42, ÖJZ 1992/35 [MRK]; 27. 2. 2001, Nr 26958/95, Jerusalem gegen Österreich, Z 36; EGMR 27. 4. 1995, Nr 5/1994/452/531-532, Piermont gegen Frankreich, Z 76, ÖJZ 1995/43 [MRK]; 11. 4. 2006, Nr 71343/01, Brasilier gegen Frankreich Z 42). Die Freiheit der politischen Debatte ist nach der Rechtsprechung des EGMR das eigentliche Kernstück des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft. Die Grenzen akzeptabler Kritik sind daher hinsichtlich eines Politikers dementsprechend breiter als hinsichtlich einer einzelnen Privatperson (EGMR Lingens aaO Z 42; 9. 6. 1998, Incal gegen Türkei Z 54; EGMR 11. 4. 2006, Nr 71343/01, Brasilier gegen Frankreich; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 279), wobei es freilich ungeachtet der Heftigkeit der politischen Auseinandersetzung legitim ist, auf ein Minimum an Mäßigung und Anstand zu achten (EGMR 24. 6. 2004, Nr 21279/02 und 36448/02, Lindon und Otchakovsky-Laurens gegen Frankreich, Z 57, MR 2007, 419).
4.1. Die gefestigte Rechtsprechung des EGMR unterscheidet zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Das Vorliegen von Tatsachen kann dargetan werden, während die Wahrheit von Werturteilen keinem Beweis zugänglich ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil allerdings eine fließende, die im jeweiligen Einzelfall zu treffen ist. Dabei räumt der EGMR ausdrücklich ein, dass in vielen Fällen schwer zu entscheiden ist, ob eine bestimmte Äußerung ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung darstellt (vgl EGMR 13. 11. 2003, Nr 39394/98, Scharsach und News gegen Österreich Z 39, MR 2003, 365).
4.2. Der Unterschied zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem Werturteil liegt nach der Rechtsprechung des EGMR letztlich im Grad des zu erbringenden Beweises („degree of factual proof which has to be established“; EGMR 20. 3. 2003, Krone Verlag GmbH & Co KG Mediaprint Zeitschriften Verlag GmbH & Co KG gegen Österreich; Scharsach und News gegen Österreich Z 39). Selbst wenn es sich um ein Werturteil handelt, kann dieses unverhältnismäßig sein, wenn eine ausreichende Tatsachengrundlage fehlt („absence of any factual basis“; EGMR 24. 2. 1997, Nr 7/1996/626/809, De Haes und Gijsels gegen Belgien, Z 47; Jerusalem gegen Österreich Z 43; 12. 7. 2001, Nr 29032/95, Feldek gegen Slowakei Z 76; EGMR 26. 2. 2002, Nr 28525/95, Unabhängige Initiative Informationsvielfalt gegen Österreich Z 47). Auch Werturteile, die unnötigerweise in beleidigender Sprache geäußert werden, genießen keinen Schutz, wenn der Beschwerdeführer seine Kritik ohne weiteres auch ohne den Gebrauch der beleidigenden Äußerung äußern hätte können (vgl EGMR 27. 6. 2000, Nr 28871/95, Constantinescu gegen Rumänien Z 73 f; 6. 2. 2001, Nr 41205/98, Tammer gegen Estland Z 67). Dabei kann nach der Rechtsprechung des EGMR die Notwendigkeit eines Zusammenhangs zwischen einem Werturteil und den es stützenden Fakten von Fall zu Fall entsprechend den besonderen Umständen variieren (Feldek Z 86). So hat der EGMR im Fall Oberschlick II (EGMR 1. 7. 1997, Nr 47/1996/666/852, Oberschlick gegen Österreich II, MR 1997, 196) die Bezeichnung eines Politikers als ‚Trottel' als zulässiges Werturteil angesehen (vgl auch etwa Unabhängige Initiative Informationsvielfalt Z 43).
5.1. Die inkriminierte Aussage ist nach der Rechtsprechung des EGMR in ihrem Zusammenhang und daher vor dem Hintergrund eines möglichen Verkaufs bzw der Schließung eines Werks der Kärntner Druckerei zu sehen. Art 10 Abs 2 MRK lässt wenig Raum für Einschränkungen gegenüber politischer Rede oder Debatten über Fragen von öffentlichem Interesse (vgl nur Sürek v Türkei (No. 1) (GC), Nr 26682/95, Z 61). Im vorliegenden Fall betrifft die inkriminierte Äußerung zweifellos eine Frage des öffentlichen Interesses, geht es doch um die Zukunft eines Unternehmens und einer Vielzahl von Arbeitsplätzen. Die inkriminierten Äußerungen fielen zudem im Kontext einer politischen Debatte und richteten sich nicht gegen eine Einzelperson, sondern gegen eine politische Partei insgesamt.
5.2. Nach der Rechtsprechung des EGMR unterscheiden sich die bei der Beurteilung von politischen Aktivitäten nach moralischen Gesichtspunkten angewendeten Maßstäbe von denen, die für die Feststellung eines strafrechtlichen Delikts erforderlich sind (Scharsach und News v Österreich Z 42). Würde man jede Äußerung in einer politischen Debatte gewissermaßen auf eine juristische „Goldwaage“ legen, könnte dies in Hinkunft Politiker davon abschrecken, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen. Sowohl der EGMR (vgl EGMR 17. 12. 2004, Cumpana und Mazare gegen Rumänien, Z 115; 21. 3. 2002, Nikula gegen Finnland, Z 54; EGMR 28. 10. 1999, Wille gegen Liechtenstein, Z 50) als auch der Oberste Gerichtshof (vgl 6 Ob 248/08a) haben im Zusammenhang mit Art 10 MRK bereits wiederholt auf die Gefahr eines „chilling effect“ hingewiesen. In diesem Sinne rechtfertigt etwa nach der Rechtsprechung des EGMR der Gebrauch des Ausdrucks „Nazi“ nicht automatisch aufgrund des ihm anhaftenden Stigmas eine Verurteilung wegen übler Nachrede (EGMR, Scharsach und News v Österreich Z 42).
5.3. Diese Überlegung lässt sich auf den vorliegenden Fall übertragen: In der politischen Debatte ist kein streng juristisches Begriffsverständnis anzulegen. Vielmehr kann mit der Verwendung des Begriffs des „Eigentümers“ in einem derartigen Kontext auch nur eine entsprechende Einflussmöglichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Dabei schadet es auch nicht, wenn in der politischen Diskussion nicht stets scharf zwischen einer politischen Partei auf Bundesebene und einer ihrer Landesorganisationen unterschieden wird.
5.4. Die in der Aussendung erwähnten Fälle Magdalen, Konsum und BAWAG sind noch einer breiten Öffentlichkeit in Erinnerung. Im ersten Fall hat das Land Kärnten unter einer Mehrheits-SPÖ-Landesregierung hohe Summen in ein Zellstoffwerk investiert, das schließlich dennoch geschlossen wurde, sodass die dort beschäftigten Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren. Der Konsum wurde in der öffentlichen Diskussion vielfach als „roter Riese“ bezeichnet; bei diesem Unternehmen war Anton Benya, ein prominenter SPÖ-Politiker und Nationalratspräsident, Aufsichtsratspräsident. Mehrheitsgesellschafter der BAWAG war der ÖGB. Dass eine politische Einflussnahme auf die in der Aussendung genannten Unternehmen von den Vorinstanzen nicht festgestellt werden konnte, steht der Zulässigkeit der inkriminierten Aussage nicht entgegen. Vielmehr stellen der Umstand, dass der erste Fall sich unter einer entsprechenden Mehrheit der SPÖ im Landtag ereignete, sowie die gerichtsnotorischen personellen Verflechtungen zwischen SPÖ-Politikern und Gewerkschaft einerseits und dem Konsum bzw der BAWAG andererseits eine ausreichende Tatsachengrundlage für ein diesbezügliches Werturteil dar, Politiker der SPÖ seien für den Niedergang der Unternehmen und den Verlust der Arbeitsplätze zumindest moralisch mitverantwortlich. Dabei implizieren die inkriminierten Äußerungen keineswegs ein rechtswidriges oder gar strafrechtswidriges Vorgehen. Vielmehr reduziert sich der Vorwurf letztlich auf die Behauptung mangelnder Wirtschaftskompetenz. Danach, derartige wirtschaftspolitische Debatten dadurch einzuschränken, dass in der öffentlichen politischen Diskussion über Gebühr Bedacht auf die Wahl einzelner Worte genommen werden müsste, besteht in einer demokratischen Gesellschaft aber kein dringendes Bedürfnis („pressing social need“) im Sinne des Art 10 Abs 2 MRK. In eine derartige politische Auseinandersetzung einzugreifen ist nicht Aufgabe der Gerichte. Vielmehr sind die Folgerichtigkeit derartiger Behauptungen ebenso wie die Richtigkeit oder Relevanz der zugrundegelegten Prämissen von den Bürgern im Zuge der politischen Debatte zu beurteilen. Zusammenfassend handelt es sich bei der inkriminierten Äußerung daher im Hinblick auf die angeführte Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte um ein Werturteil, dem ein ausreichendes Tatsachensubstrat zugrunde liegt.
6. Damit waren in Stattgebung der Revision die Urteile der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
7. Aufgrund der Abänderung war auch die Kostenentscheidung hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens neu zu fassen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor den Vorinstanzen und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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