OGH 6Ob211/23g

OGH6Ob211/23g20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* N*, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei E* E*, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, wegen Widerruf, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. September 2023, GZ 5 R 87/23p‑39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00211.23G.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Persönlichkeitsschutzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger M* N* ist Polizist. Die Beklagte teilte mit einem zustimmenden Beisatz auf ihrem Facebook-Profil eine von dritter Seite bei einem Polizeieinsatz im Zuge einer Demonstration angefertigte Bildaufnahme, zeigend das mit einer FFP 2‑Maske bedeckte Gesicht des ihr unbekannten, uniformierten Klägers, samt dem ersichtlichen (unwahren) Begleittext: „Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“ Der Beitrag samt Lichtbild wurde mittlerweile vom Facebook-Profil der Beklagten gelöscht.

[2] Das Erstgericht wies das Widerrufshauptbegehren des Inhalts, die Äußerung, „M* N*, dessen Bild in der Chronik des Facebookprofils [der Beklagten] ab [Datum] veröffentlicht wurde, eskalierte bei der Demo […]. M* N* ist schuldig.“, als unwahr zu widerrufen, ab. Dem Widerrufseventualbegehren mit dem Wortlaut, „Jener Polizist, dessen Bild in der Chronik des Facebookprofils [der Beklagten] ab [Datum] veröffentlicht wurde, eskalierte bei der Demo […]. Jener Polizist ist schuldig.“, gab es statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Veröffentlichung dieses Widerrufs auf ihrem Facebook‑Profil für die Dauer von einem Monat. Über ein weiteres Eventualbegehren auf Feststellung einer Verletzung des Rechts des Klägers auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten entschied das Erstgericht nicht.

[3] Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[5] 1.1. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands hat nach § 500 Abs 2 ZPO nur dann zu erfolgen, wenn der Streitgegenstand einen Geldeswert besitzt. Ist dies nicht der Fall, ist eine vom Gericht zweiter Instanz dennoch vorgenommene Bewertung jedenfalls gegenstandslos (RS0042418). Bei der Verletzung von höchstpersönlichen Rechten, die einer Bewertung durch Geld unzugänglich sind, hat ein Bewertungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz somit zu entfallen (RS0042418 [T7, T9]); die Zulässigkeit der Revision hängt dann nur vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab. Bei einer Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz steht nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Eingriff in die höchstpersönliche Rechtssphäre im Vordergrund; ein Bewertungsausspruch ist nicht vorzunehmen (RS0042418 [T17]).

[6] 1.2. Das Erstgericht hat das Hauptbegehren des Klägers abgewiesen, über das auf eine Verletzung des Rechts auf Datenschutz gestützte Eventualbegehren des Klägers jedoch nicht entschieden. Gegen beides hat der Kläger Berufung erhoben. Das Berufungsgericht hat die Abweisung des Hauptbegehrens bestätigt. Gegenstand des Berufungsverfahrens war somit auch die Beurteilung, ob über das auf eine Verletzung des Rechts auf Datenschutz gestützte Eventualbegehren des Klägers abzusprechen war (dazu Punkt 2.) und gegebenenfalls dessen Berechtigung. Der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts ist somit gegenstandslos. Der Zulässigkeit der Revision steht daher § 503 Abs 3 ZPO nicht entgegen (vgl 6 Ob 115/18g [ErwGr 1.1.]; RS0039370; RS0042305 [T6]), sie hängt nur vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

[7] 2.1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8] 2.2. Den in der außerordentlichen Revision neuerlich gerügten (angeblichen) Verfahrensfehler erster Instanz im Zusammenhang mit der Reihung der beiden vom Kläger gestellten Eventualbegehren und der deshalb unterbliebenen Entscheidung über das Eventualbegehren auf Feststellung einer Verletzung des Rechts des Klägers auf Datenschutz (vgl zur Qualifikation als Mangelhaftigkeit 5 Ob 134/18v [ErwGr II.1.3.]; RS0041472; RS0041089) hat das Berufungsgericht verneint.

[9] Es war der Auffassung, der Kläger habe die beiden Eventualbegehren erkennbar dahin gereiht, dass für den Fall der Abweisung des Widerrufshauptbegehrens (mit Namensnennung) zuerst über das Widerrufseventualbegehren (ohne Namensnennung) und (erst) für den Fall auch der Abweisung des Widerrufseventualbegehrens über das weitere Eventualbegehren auf Feststellung einer Verletzung des Rechts auf Datenschutz entschieden werden solle. Damit hat das Berufungsgericht den ihm bei der Auslegung des Klagebegehrens bzw des dazu erstatteten Prozessvorbringens zukommenden Beurteilungsspielraum (RS0042828 [T25, T27]) nicht überschritten.

[10] Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Gericht zweiter Instanz nicht als solche erkannt worden sind, in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371; RS0043919).

[11] 2.3. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision davon ausgegangen ist, dass das Widerrufseventualbegehren ohne Namensnennung des Klägers kein Minus, sondern ein Aliud gegenüber dem Widerrufshauptbegehren mit Namensnennung darstellt. Da auch die Revision auf letzterem Standpunkt steht, zeigt sie insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[12] 3.1. Widerruf bedeutet, dass eine Behauptung als unwahr zurückgenommen wird (RS0031908). Ziel des Widerrufs ist es, die durch die unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptung entstandene abträgliche Meinung über den Verletzten nachträglich zu beseitigen (RS0031936 [T1]).

[13] Ein Widerruf kann grundsätzlich nur hinsichtlich der tatsächlich aufgestellten Behauptungen, und zwar in ihrem ursprünglichen Wortlaut, verlangt werden (4 Ob 247/06m [ErwGr 3.]; RS0078813 [T1]). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur insoweit möglich, als dies zur Entkräftung der beim Empfänger der Mitteilung aus dem Gesamtzusammenhang entstandenen abträglichen Meinung zur Klarstellung notwendig ist (vgl 6 Ob 2059/96d). Dadurch darf der Sinngehalt der beanstandeten Äußerung aber nicht verändert werden (RS0078813).

[14] 3.2. Das Berufungsgericht war der Auffassung, nur der in dem vom Erstgericht zutreffend stattgegebenen Widerrufseventualbegehren angeführte Wortlaut entspreche dem ursprünglichen Wortlaut der von der Beklagten tatsächlich aufgestellten Behauptung, in der nur von dem auf dem Lichtbild abgebildeten Polizisten die Rede gewesen sei. Der Kläger begehre im abgewiesenen Widerrufshauptbegehren seine namentliche Nennung und argumentiere unzutreffend damit, dass der Veröffentlichungswert des Widerrufs der begehrten bloßen Textmitteilung erhöht werden müsse, weil er in der Anlassveröffentlichung (nur) durch ein Bild identifizierbar gewesen sei und beim Widerruf eine neuerliche Bilddarstellung nicht wünsche. Eine Notwendigkeit der Klarstellung durch namentliche Nennung des Klägers im Widerruf sei jedoch nicht gegeben. Das Publikum, das den Kläger auf dem inkriminierten Beitrag im Facebook‑Profil der Beklagten – aufgrund des Lichtbilds – als „M* N*“ identifizieren habe können, bedürfe einer namentlichen Nennung des Klägers nicht, um durch den Widerruf über die Unrechtshandlung der Beklagten gegenüber dem Kläger entsprechend aufgeklärt zu werden. Jene Verkehrskreise, die den Kläger – trotz des Lichtbilds – nicht erkannt hätten, benötigten wiederum nicht die Zusatzinformation, dass es sich bei dem auf dem Lichtbild abgebildeten und im Text erwähnten Polizisten um namentlich den Kläger gehandelt habe, damit die bei ihnen entstandene abträgliche Meinung über den Kläger beseitigt werde.

[15] 3.4. Diese Beurteilung findet Deckung in den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen. Die Revision führt dagegen auch keine stichhaltigen Argumente ins Treffen. Weshalb die durch die inkriminierte Äußerung und das Lichtbild hervorgerufene abträgliche Meinung bei jenen Personen, die den Kläger nicht kannten, durch die Nennung des gar nicht veröffentlichten Namens des Klägers wirksamer beseitigt werden könne, was die Revision offenbar im Auge hat, vermag sie nicht schlüssig darzulegen. Dies liegt auch nicht auf der Hand, zumal aus der im Widerrufshauptbegehren beantragten Formulierung ohne die Bilddarstellung nicht einmal hervorgeht, dass es sich beim genannten M* N* um einen Polizisten handelte.

[16] 3.5. Die Entscheidungen 6 Ob 328/00d und des dazu geführten Provisorialverfahrens 6 Ob 218/98x sind hier schon deshalb nicht relevant, weil die Beklagte ohnehin verpflichtet wurde, den Widerruf durch Veröffentlichung auf ihrem Facebook‑Profil gegenüber allen Lesern der inkriminierten Äußerung zu erklären. Eine von der Revision erblickte Judikaturdivergenz in diesen Entscheidungen liegt überdies nicht vor, weil – wie in 6 Ob 328/00d dargelegt wurde – das Provisorialverfahren nur die Beurteilung der Aktivlegitimation für den zu sichernden Unterlassungsanspruch betraf. Im Gegenteil wird in der Entscheidung 6 Ob 218/98x die im Hauptverfahren erfolgte Abweisung des Widerrufsbegehrens gegenüber jenen breiten Publikumsteilen, für die der dortige Kläger nicht identifizierbar war, bereits angedeutet.

[17] 3.6. Die Revision führt auch keine Gründe an, weshalb die Judikatur zum gesetzlichen Inhalt der zu veröffentlichenden Mitteilung nach § 37 Abs 1 MedienG über das eingeleitete Strafverfahren, nach der es der Namensnennung desjenigen, der die Mitteilung begehrt, bedarf (15 Os 25/23z), auch für eine Widerrufsverpflichtung nach § 1330 Abs 2 ABGB gelten sollte.

[18] 3.7. § 30 KSchG über die Urteilsveröffentlichung dient dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Aufklärung über die Verwendung bestimmter gesetzwidriger Vertragsbestandteile (9 Ob 81/21h [ErwGr 10.]; 6 Ob 242/15d [ErwGr 4.]). Aus der Rechtsprechung, wonach eine anonymisierte Urteilsveröffentlichung diesem Zweck nicht gerecht wird (vgl 9 Ob 81/21h [ErwGr 10.]; RS0128866), ist für den Inhalt des von der ohnehin nicht „anonymisierten“ Beklagten zu veröffentlichenden Widerrufs nach § 1330 Abs 2 ABGB, der anderen Zwecken dient (siehe Punkt 3.1.), im gegenständlichen Fall nichts zu gewinnen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte