European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00160.15W.0223.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsteller sind zur ungeteilten Hand schuldig, 1. Dr. C***** S*****, 2. Dr. W***** L*****, und 3. Mag. G***** S*****, die mit 670,55 EUR (darin 111,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Im Firmenbuch des Landesgerichts Linz ist seit 31. 12. 2008 zu FN ***** die von G***** K***** errichtete G***** Privatstiftung, eine Privatstiftung auf den Todesfall, mit Sitz in L***** eingetragen. Der Stifter verstarb am 14. 7. 2007.
Die Privatstiftung ist Alleingesellschafterin der K***** GmbH, diese ist wiederum Alleingesellschafterin der G***** GmbH. Geschäftsführer beider Gesellschaften sind M***** K***** und Ing. G***** H*****.
Punkt 7. Abs 2 der aktuellen Fassung der Stiftungsurkunde lautet:
STIFTUNGSVORSTAND ‑ AUFTRÄGE AN DEN STIFTUNGSVORSTAND
Zum ersten Stiftungsvorstand berufe ich die schon unter Punkt Sechstens Bezeichneten, Herrn Doktor C***** S***** und Herrn G***** S*****, wobei dem Stiftungskurator sodann die Bestellung eines dritten Vorstandsmitgliedes obliegt.
Die Bestellung sowie Abberufung des Stiftungsvorstandes obliegt in weiterer Folge den Begünstigten, die die Mitglieder des Stiftungsvorstandes mit einfacher Mehrheit wählen und abberufen. Die Abberufung der Mitglieder des Stiftungsvorstandes kann nur aus wichtigem Grund erfolgen. Jeder Stiftungsbegünstigte hat unabhängig von seiner Beteiligung im Sinne des Punktes 8. dieser Stiftungsurkunde nur eine Stimme ohne weitere Gewichtung (Kopfmehrheit).
Vorstandsmitglieder sind nach dem aktuellen Firmenbuchstand seit der Ersteintragung der Privatstiftung Rechtsanwalt Dr. C***** S*****, Steuerberater Mag. G***** S***** und Notar Dr. W***** L*****. Begünstigte der Privatstiftung sind neben S***** K***** und D***** K***** (in der Folge: Antragsteller) der am 7. 9. 2005 geborene A***** H***** G***** K*****, der von Rechtsanwalt Dr. C***** Sp***** als Kollisionskurator vertreten wird.
Mit Kaufvertrag vom 27. 3. 2013 veräußerte die Privatstiftung eine Liegenschaft um einen Gesamtkaufpreis von 510.000 EUR. G***** K***** hatte die Liegenschaft im Jahr 1987 gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau je zur Hälfte erworben. Nach dem Umzug des Betriebs aus dem auf dieser Liegenschaft befindlichen Objekt in ein anderes Objekt war ersteres zum Teil vermietet, zuletzt teilweise von der G***** GmbH als zusätzliche Betriebsstätte angemietet, ohne dass in den letzten 15 Jahren Investitionen getätigt worden wären. Ab der neuerlichen Übersiedlung des Betriebs stand das Objekt leer. Eine Fremdvermietung wäre nur nach beträchtlichen Investitionen in Frage gekommen, weil sowohl der Büroteil als auch die Betriebshalle massiv abgenutzt waren. Die Vermietungssituation von Gewerbeobjekten im Raume Linz‑Land ist sehr schwierig. Es sind sehr viele Leerstände vorhanden, sowohl bei Neubauprojekten als auch bei Altbestandsobjekten. Diese können großteils nur mit sehr geringen Mieterträgen verwertet werden. Bei einer Verwertung der Liegenschaft samt dem Objekt hätten sehr hohe Investitionen getätigt werden müssen, unter anderem die Erneuerung der Böden, der Elektrik, der kompletten Sanitäranlagen sowohl im Bürotrakt als auch im Lagerbereich und der Beleuchtung; es hätten teilweise Feuchtigkeitsschäden im Kellerbereich saniert und teilweise die Fassade erneuert werden müssen, desgleichen die Außenanlagen. Als erschwerende Faktoren im Hinblick auf die Vermietung waren auch noch das Missverhältnis zwischen Büro‑ und Lagerflächen und die doch sehr geringen Parkflächen anzusehen. Am 15. 5. 2012 ermittelte Dipl.‑Ing. Dr. L***** S***** zum Stichtag 9. 5. 2012 einen Schätzwert (Verkehrswert) der Liegenschaft in Höhe von 508.000 EUR, wobei er der Ertragswertermittlung unter Berücksichtigung der Lage, der Ausstattung und des Komforts eine erzielbare Nettomiete von monatlich 3.500 EUR zugrunde legte.
Anlässlich eines vereinbarten Bucheinsichts-termins am 14. 3. 2014 in der Kanzlei des Vorstandsmitglieds Mag. G***** S***** wurde dem Erstantragsteller die Einsicht in die Unterlagen betreffend die E***** SRL verweigert. Die Privatstiftung ist an dieser Gesellschaft zu 95,22 % beteiligt.
In der Konzernbilanz der K***** GmbH zum 31. 3. 2014, Gewinn‑ und Verlustrechnung, ist ein Jahresfehlbetrag von 900.745,17 EUR ausgewiesen. Gleichzeitig ist ein Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in der Höhe von 29.322.767,38 EUR ausgewiesen. Insgesamt beträgt das Eigenkapital der K***** GmbH 30.502.844,51 EUR.
Im Jahresabschluss der G***** GmbH zum 31. 3. 2014 sind ein Eigenkapital von 11.636.249,87 EUR, ein Bilanzgewinn von 2.583.547,99 EUR (davon Gewinnvortrag von 3.400.848,08 EUR und Rücklagen von insgesamt 8.852.701,88 EUR) ausgewiesen. Der Gewinn- und Verlustrechnung ist zu entnehmen, dass der Betriebserfolg in diesem Geschäftsjahr minus 1.919.790,18 EUR betrug, welcher zum Großteil durch die Auflösung von Rücklagen ausgeglichen werden konnte.
Von August 2007 bis einschließlich Dezember 2014 wurden jedem Begünstigten 578.250 EUR netto zugewendet, dies sind in 89 Monaten 6.497,19 EUR monatlich. Erstantragstellerin und dem minderjährigen A***** K***** ist darüber hinaus auf Kosten der Privatstiftung ein Wohnhaus mit zirka 400 m² zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsteller fassten zwar am 27. 5. und am 8. 11. 2010 Abberufungsbeschlüsse hinsichtlich sämtlicher Mitglieder des Vorstands der Privatstiftung. Aufgrund der Ergebnisse der zu 6 Ob 101/11p und 6 Ob 41/14v geführten Verfahren ist der Vorstand jedoch nach wie vor unverändert eingetragen. Bezüglich eines weiteren Abberufungs-beschlusses der Antragsteller vom 4. 3. 2013 ist weder ein Löschungsverfahren noch ein Verfahren zur Eintragung neuer Vorstandsmitglieder anhängig.
In dem der Entscheidung 6 Ob 41/14v zugrunde liegenden Verfahren hatte das Landesgericht Linz zu AZ 2 Cg 212/10i mit Urteil vom 31. 5. 2013 das gegen die Begünstigten und den von diesen berufenen neuen Vorstand der Privatstiftung gerichtete Klagebegehren der Vorstandsmitglieder, die von den Begünstigten mit den Beschlüssen vom 27. 5. und vom 8. 11. 2010 vorgenommene Abberufung der Vorstandsmitglieder und die mit diesen Beschlüssen vorgenommene Bestellung des neuen Vorstands für unwirksam zu erklären, mit der Begründung abgewiesen, es habe ein wichtiger Grund für die Abberufung vorgelegen. Den Vorstandsmitgliedern sei als grobe Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen, dass sie, obwohl schon vor den Abberufungsbeschlüssen überlegt worden sei, die künftigen Zuwendungen an die Begünstigten mit einem bestimmten relativen Betrag in Abhängigkeit vom operativen Ergebnis der Gesellschaften der Privatstiftung festzusetzen, nachfolgend die Zuwendung des vom gerichtlichen Sachverständigen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ermittelten Aufrollungsbetrags für die Vergangenheit in Höhe von 1,1 Mio EUR konditional mit dem Verbleib als Stiftungsvorstand verknüpften. Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht und der Oberste Gerichtshof bestätigten am 19. 12. 2013 beziehungsweise am 28. 8. 2014 diese Entscheidung mit der Begründung, die Begünstigten und der neue Vorstand seien nicht passiv legitimiert; die Klage wäre richtigerweise gegen die Privatstiftung zu richten gewesen.
Seit 29. 1. 2014 ist nunmehr hinsichtlich sämtlicher Abberufungsbeschlüsse zu AZ 1 Cg 15/14t des Landesgerichts Linz ein von den Vorstandsmitgliedern eingeleitetes und gegen die Privatstiftung gerichtetes Verfahren auf Feststellung der Nichtigkeit dieser Beschlüsse, in eventu auf deren Nichtigerklärung, und auf Feststellung, die Kläger seien weiterhin Mitglieder des Vorstands, gerichtsanhängig.
Bereits am 27. 5. 2010 hatte der neue Vorstand seine Eintragung im Firmenbuch und die Löschung der abberufenen Vorstandsmitglieder beantragt. Diesen Antrag wies der Oberste Gerichtshof am 27. 1. 2012 zu AZ 6 Ob 101/11p ab. Weiters unterbrach der Oberste Gerichtshof am 26. 11. 2015 zu AZ 6 Ob 72/15d das Revisionsrekursverfahren betreffend einen weiteren und inhaltsgleichen Antrag des neuen Vorstands vom 13. 8. 2013 auf Firmenbucheintragung bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren AZ 1 C 15/14t des Landesgerichts Linz; dieses Eintragungsbegehren hatte das Landesgericht zurück‑ und das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht zum Teil zurück- sowie zum Teil abgewiesen.
Am 8. 5. 2014 stellten die Antragsteller unter anderem unter Hinweis auf die Ergebnisse des zu AZ 2 Cg 212/10i des Landesgerichts Linz geführten Verfahrens einen Antrag auf Abberufung der Vorstandsmitglieder gemäß § 27 Abs 2 PSG. Die Vorstandsmitglieder hätten
a) die Zuwendung von Erträgnissen konditional mit der Frage ihres eigenen Verbleibs als Stiftungsvorstände verknüpft, dies obwohl ihnen die Stiftungsurkunde kein wie immer geartetes Ermessen einräume;
b) mehrfach ihre Auskunftspflichten gegenüber den Antragstellern erheblich verletzt;
c) rechtsgrundlos und ohne vorherige Information der Antragsteller versucht, die Stiftungsurkunde dahin abzuändern, dass den Antragstellern ihr Abberufungsrecht entzogen worden wäre;
d) die Privatstiftung einem finanziellen Risiko ausgesetzt, weil Barmittel von zumindest 6,4 Mio EUR über Jahre hinweg bei vollem Insolvenzrisiko nicht aus den Stiftungsgesellschaften in die Privatstiftung ausgeschüttet worden seien;
e) eine nachträgliche einmalige Zuwendung von 1,1 Mio EUR brutto zugesagt, diese jedoch schließlich von ihrem Verbleib als Vorstandsmitglieder abhängig gemacht;
f) eine Liegenschaft entgegen dem in Punkt 4. der Stiftungsurkunde enthaltenen Auftrag, Liegenschaftsvermögen zu erhalten und allfällige Erträge daraus den Begünstigten zukommen zu lassen, veräußert;
g) dem Erstantragsteller am 14. 3. 2014 die Einsicht in die Unterlagen betreffend die E***** SRL mit der Begründung verweigert, es bestehe nur eine 95,22%ige Beteiligung der Privatstiftung an dieser Gesellschaft, obwohl das Einsichtsrecht des Begünstigten von der Höhe der Beteiligung der Privatstiftung unabhängig sei;
h) seit rund vier Jahren beharrlich die Kontrolle der Stiftung durch die Begünstigten verweigert.
Im Übrigen ergebe sich aus dem Konzernabschluss der K***** GmbH zum 31. 3. 2014 ein Jahresfehlbetrag von 900.745,17 EUR, welcher lediglich durch Auflösung von Rücklagen habe ausgeglichen werden können; dies verdeutliche, dass die genannten Beträge durch die konsequente Thesaurierung der Gewinne dem betrieblichen Insolvenzrisiko ausgesetzt seien und die Vorstandsmitglieder durch die Nichtausschüttung bisher erwirtschafteter Gewinne in die Privatstiftung riskierten, dass diese verloren gehen könnten und die Privatstiftung in der Folge nicht mehr in der Lage sein könnte, den Stiftungszweck zu erfüllen.
Die Antragsgegner wendeten ein, sie hätten ihr Handeln auf Sachverständigengutachten gestützt, weder gegen das Gesetz noch gegen die Stiftungserklärung verstoßen und seien korrekt im Rahmen des ihnen eingeräumten Ermessensspielraums vorgegangen; kollidierende Stiftungs-zwecke erforderten eine Interessensabwägung.
Die Vorinstanzen wiesen den Abberufungsantrag übereinstimmend ab. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Revisionsrekurs zulässig ist; der Oberste Gerichtshof habe bislang zur Geltung der Business Judgement Rule für Vorstandsmitglieder einer Privatstiftung und zum Einsichtsrecht von Begünstigten in Unterlagen von Tochtergesellschaften der Privatstiftung noch nicht Stellung genommen.
In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, nach Prüfung sämtlicher geltend gemachter Abberufungsgründe bestünden in keinem Fall Anhaltspunkte für das Vorliegen grober Pflichtverletzungen im Sinne des § 27 Abs 2 Z 1 PSG. Sämtliche geltend gemachte Vorwürfe, nämlich
a) jener der Verknüpfung der Ausschüttung von 1,1 Mio EUR an die Begünstigten mit dem Verbleib der Vorstandsmitglieder im Amt
b) jener der Thesaurierung der Gewinne in den Gesellschaften
c) jener der Verletzung des Auskunftsanspruchs und des Einsichtsrechts der Begünstigten
d) jener eines Liegenschaftsverkaufs und
e) jener der beabsichtigten Änderung der Stiftungsurkunde zu Lasten der Begünstigten,
seien unberechtigt; die Vorstandsmitglieder hätten zumindest in vertretbarer Weise gehandelt. Zu berücksichtigen sei, dass die Business Judgement Rule auch im Stiftungsrecht anzuwenden sei, sodass den Vorstandsmitgliedern bei ihren Entscheidungen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei; diesen hätten sie nicht überschritten.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Unter der im anglo‑amerikanischen Rechtsbereich herausgebildeten Business Judgement Rule, auf welche sich insbesondere das Rekursgericht bezogen hat, wird ‑ vereinfacht ausgedrückt ‑ der Grundsatz verstanden, dass ein Manager, der das Wagnis einer unternehmerischen Entscheidung eingeht, nicht dafür haften soll, wenn sich seine Entscheidung zwar als Irrtum herausstellt und Schaden daraus resultiert, er aber bestrebt war, auf einer informierten Grundlage und frei von Interessenkonflikten das Beste für das Unternehmen zu bewirken (statt vieler Gasser, Die Business Judgement Rule in Liechtenstein, PSR 2011/17).
1.1. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Abberufung der Vorstandsmitglieder einer Privatstiftung, also nicht deren Haftung für ihre Entscheidungen und Handlungen. Die Haftung einerseits und die Abberufung andererseits haben unterschiedliche Zielrichtungen (Schurr, Abberufung von Stiftungsorganen in Liechtenstein, PSR 2013, 22 [24]): Während die Haftungsfolge Sanktion für in der Vergangenheit gesetztes Fehlverhalten ist, dient die Abberufung der Organträger dem Schutz der Stiftung vor Fehlverhalten in der Zukunft (Schurr aaO). Daraus folgt etwa zum einen, dass der Umstand, dass den Stiftungsvorstand eine Haftung für vergangenes Fehlverhalten trifft, weil er sich nicht auf die Business Judgement Rule berufen kann und damit alle Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch erfüllt sind, noch nicht zwangsläufig bedeutet, dass eine Enthebung erforderlich beziehungsweise zulässig ist. Zum anderen ist aber umgekehrt die Haftung keine Voraussetzung für die Abberufung. Liegt beispielsweise kein Schaden vor, so kommt zwar auch ein Haftungsanspruch nicht in Frage; nichtsdestotrotz kann das in der Vergangenheit gesetzte Fehlverhalten bei entsprechender Gravität eine Abberufung rechtfertigen (vgl auch Arnold, PSG3 [2013] § 27 Rz 16b: Der Eintritt eines Schadens ist keine Voraussetzung einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 27 PSG).
Aus diesen Überlegungen lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass der Business Judgement Rule bei der Frage der Abberufung keinerlei Relevanz zukommt. Kann dem Stiftungsvorstand aus haftungsrechtlicher Sicht überhaupt kein Vorwurf gemacht werden, weil er nach den Kriterien der Business Judgement Rule den an ihn gestellten Sorgfaltsmaßstab eingehalten hat, ist regelmäßig auch kein Raum für eine Abberufung nach § 27 Abs 2 Z 1 PSG, zumal in diesem Fall auch nicht von einer Pflichtverletzung gesprochen werden kann. Insoweit kann die Business Judgement Rule auch für die Frage der Abberufung von Vorstandsmitgliedern von Bedeutung sein, setzt § 27 Abs 2 Z 1 PSG doch eine grobe Pflichtverletzung voraus.
1.2. Damit erweist sich aber die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nach der Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf Vorstandsmitglieder einer Privatstiftung, im vorliegenden Verfahren als entscheidungsrelevant.
2. In Österreich wurde die Business Judgement Rule zwar erst mit BGBl 2015/112 für das Aktien- (§ 84 Abs 1a AktG) und GmbH‑ (§ 25 Abs 1a GmbHG) ‑recht positivrechtlich verankert. Der Sache nach war sie aber bereits vorher in der Literatur anerkannt (G. Schima, Business Judgment Rule und Verankerung im österreichischen Recht, GesRZ 2007, 93; Reich‑Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG [2015] § 25 Rz 33 ff; aus rechtsvergleichender Sicht für Österreich und Deutschland Lutter, Die Business Judgement Rule in Deutschland und Österreich, GesRZ 2007, 79). Auch der Oberste Gerichtshof sprach bereits mehrfach aus, dass Organmitgliedern bei ihren unternehmerischen Entscheidungen ein weiter Ermessensspielraum zukommt (vgl etwa 1 Ob 144/01k SZ 2002/26; 8 Ob 262/02s; 7 Ob 58/08t ecolex 2008, 926 [Reich‑Rohrwig]).
Damit traf auch bislang den Vorstand oder Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft keine Erfolgshaftung; sie hatten vielmehr nur für ein ex ante pflichtwidriges Verhalten einzustehen (Karollus, Gedanken zur Haftung des Stiftungsvorstands, insbesondere im Zusammenhang mit unternehmerischen Ermessens-entscheidungen und mit der Schutzpflicht des Stiftungsvorstands für die Stiftungs‑Governance, in FS Reischauer [2010] 209). Eine Haftung der Organwalter war somit nur dann zu bejahen, wenn diese ihren Ermessensspielraum eklatant überschritten, eine evident unrichtige Sachentscheidung oder eine geradezu unvertretbare Entscheidung trafen (Briem, Unternehmerische Entscheidungen in Stiftungen, PSR 2010, 108; Karollus aaO). Daraus folgt, dass es in einer Entscheidungssituation nicht zwingend nur eine richtige Entscheidungsalternative gibt, sondern dass auch mehrere gegenteilige Handlungsalternativen sorgfaltskonform sein können (Reich‑Rohrwig aaO Rz 34).
Während die Literatur hierfür bereits seit längerem ausdrücklich die Kriterien der Business Judgement Rule heranzog und sich auch der deutsche Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21. 4. 1997 (II ZR 175/95 BGHZ 135, 244, 253/254) im Ergebnis zur Business Judgement Rule bekannte, setzte sich der Gedanke, den Ermessensfreiraum anhand eines eigenen Tatbestands der Business Judgement Rule zu prüfen, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bislang noch nicht durch.
3.1. Der durch BGBl 2015/112 geschaffene § 84 Abs 1a AktG lautet: „Ein Vorstandsmitglied handelt jedenfalls im Einklang mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, wenn er sich bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessener Information annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
§ 25 Abs 1a GmbHG ist nahezu wortgleich formuliert: „Ein Geschäftsführer handelt jedenfalls im Einklang mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, wenn er sich bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessener Information annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
In Art 182 Abs 2 des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR) heißt es: „Ein Mitglied der Verwaltung handelt im Einklang mit diesen Grundsätzen, wenn es sich bei seiner unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten liess und vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Verbandsperson zu handeln.“
Im Vergleich dazu heißt es in § 93 Abs 2 Satz 2 dAktG: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
3.2. Der Tatbestand der Business Judgement Rule ist somit in Österreich, Deutschland und Liechtenstein grundsätzlich gleich formuliert; damit spricht alles dafür, Literatur und Rechtsprechung aus Deutschland und Liechtenstein hiezu auch für den österreichischen Rechtsbereich fruchtbar zu machen. Dass das Merkmal, dass sich der Vorstand nicht von sachfremden Interessen leiten lässt, im Vergleich zum österreichischen und liechtensteinischen Recht in § 93 Abs 2 Satz 2 dAktG fehlt, ändert daran nichts; nach völlig herrschender Meinung wird dies als stillschweigendes Tatbestandsmerkmal angesehen (vgl bloß Spindler in MünchKomm AktG4 [2014] § 93 Rz 60; G. Schima, Reform des Untreuetatbestands und Business Judgement Rule im Akten- und GmbH‑Recht, GesRZ 2015, 286 ‑ jeweils mit weiteren Nachweisen).
4.1. Es ist allgemein anerkannt, dass das Prinzip der Business Judgement Rule dem Grunde nach auch auf die Vertretungsorgane von Privatstiftungen anzuwenden ist. Dies zeigt im deutschsprachigen Bereich allein schon deren Kodifizierung im liechtensteinischen Recht. Art 182 Abs 2 liechtensteinisches PGR gilt zwar für alle juristischen Personen gleichermaßen, wurde aber im Zuge der Totalrevision des Stiftungsrechts 2008 (LGBl 2008/220) geschaffen; die Regelung erfolgte dabei gerade im Hinblick auf das Stiftungsrecht (Gasser aaO [62 f]).
4.2. Auch in Österreich ist es herrschende Auffassung, dass die Business Judgement Rule im Privatstiftungsrecht Anwendung zu finden hat. Die Literatur geht auch hier von einem haftungsfreien Kernbereich unternehmerischen Ermessens aus, wie ihn die Business Judgement Rule postuliert. Unerheblich ist dabei, ob man diese Prinzipien als „unternehmerisches Ermessen“ bezeichnet oder den Anglizismus der Business JudgementRule verwendet. Im Kern meint beides dasselbe: Dem Stiftungsvorstand kommt im Rahmen seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsfunktion bei Ausübung seiner (unternehmerischen) Entscheidungen ein Ermessensspielraum zu (Arnold, PSG3 § 17 Rz 50 f), wenn er auf Grundlage ausreichender Information das seiner Ansicht nach Beste für die Privatstiftung erreichen will und sich nicht von sachfremden Interessen leiten lässt. Er schuldet deshalb nicht einen bestimmten Erfolg, sondern nur eine branchen‑, größen und situationsadäquate Bemühung (Arnold aaO) und hat die Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters einzuhalten (§ 17 Abs 2 S 1 PSG; Briem, PSR 2010, 108; Karollus in FS Reischauer 209).
Neben Briem, Karollus und Arnold vertraten diese Auffassung bereits vor der Einführung der Business Judgement Rule im Kapitalgesellschaftsrecht auch Hofmann (Überlegungen zur Verantwortung des Stiftungsvorstands bei Investitionsentscheidungen, PSR 2010, 173), Kalss/Müller (in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögens-nachfolge [2010] § 25 Rz 99 ff), Kalss (Auffassungs-unterschiede von Familienangehörigen der Staber‑Gruppe - Familienunternehmen und Familienstiftung, GesRZ 2013, 203) und Müller/Melzer (Die Business Judgement Rule im liechtensteinischen Stiftungsrecht, in FS Delle Karth [2013] 669).
4.3. Aus dem Umstand, dass dieser Grundsatz im Zuge einer Novelle zum Strafgesetzbuch nur für das Kapitalgesellschaftsrecht gesetzlich verankert wurde, kann nicht (e contrario) geschlossen werden, die Business Judgement Rule gelte für andere Rechtsformen nicht. Mit BGBl 2015/112 wurde insoweit ein rechtsformübergreifend anerkannter Rechtsgrundsatz einer gesetzlichen Regelung zugeführt.
Die Rechtfertigung für die Business Judgement Rule liegt ja darin, eine sachgerechte Regelung für die Risikotragung bei unternehmerischen Entscheidungen zu schaffen (Lutter, GesRZ 2007, 79; G. Schima, GesRZ 2015, 286). Das wirtschaftliche Risiko für unternehmerisches Handeln trägt aber stets der Eigentümer, weil diesem auch die Vorteile aus der Tätigkeit zugewiesen sind (Lutter, GesRZ 2007, 79). Folgerichtig kann es keine Erfolgshaftung des handelnden Organs geben (vgl 2.). Dass eine Stiftung über keine Eigentümer und Gesellschafter verfügt, vermag daran nichts zu ändern. Auch hier gibt es mit den Begünstigten wirtschaftlich interessierte Personen, die als Zweckadressaten der Stiftung das Risiko unternehmerischer Entscheidungen zu tragen haben.
Auch aus rechtsvergleichender Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die Business Judgement Rule im deutschen Recht zwar nur für die Aktiengesellschaft normiert wurde (§ 93 Abs 1 Satz 2 dAktG). Dennoch ist es unbestritten, dass sie ‑ allenfalls mit bestimmten Modifikationen (von Hippel, Gilt die Business Judgement Rule auch im Stiftungsrecht? in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung [2008] 167 ff) ‑ auch für andere juristische Personen und die Stiftung (von Hippel aaO; ders, Grundprobleme von Nonprofit‑Organisationen [2007] 88) Geltung beansprucht (vgl bloß Fleischer in MünchKomm GmbHG² [2010] § 43 Rz 71; Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG² [2010] § 43 Rz 68). In Liechtenstein wurde dieses Prinzip in Art 182 Abs 2 PGR überhaupt für alle juristischen Personen angeordnet (Schauer in Schauer, Kurzkommentar zum liechtensteinischen Stiftungsrecht [2009] Art 182 Rz 1).
5.1. Im Hinblick auf § 84 Abs 1a AktG und § 25 Abs 1a GmbHG ist der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule nur dann eröffnet, wenn es sich um eine unternehmerische Entscheidung des Vertretungsorgans handelt. Derartige Entscheidungen sind infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und „nicht justiziable“ Einschätzungen gekennzeichnet (vgl die Begründung des deutschen Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts [UMAG] zu § 93 Abs 1 Satz 2 und 3 AktG; Spindler in MünchKomm AktG4 § 93 Rz 41 f; Schauer aaO Rz 3); unternehmerischen Entscheidungen wohnt daher ein gewisses Risiko inne (Spindler aaO).
5.2. Liegt eine unternehmerische Entscheidung vor, müssen folgende vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
a) Der Geschäftsleiter darf sich nicht von sachfremden Interessen leiten lassen.
b) Die Entscheidung muss auf Grundlage angemessener Information getroffen werden.
c) Die Entscheidung muss ex ante betrachtet offenkundig dem Wohl der juristischen Person dienen.
d) Der Geschäftsleiter muss (vernünftigerweise) annehmen dürfen, dass er zum Wohle der juristischen Person handelt. Dieser Punkt wird auch dahingehend beschrieben, dass der Geschäftsleiter hinsichtlich der übrigen Kriterien gutgläubig sein muss (vgl Briem, PSR 2010, 108).
Kein haftungsfreier unternehmerischer Ermessensspielraum besteht, wenn die Pflichtverletzung bereits aus einer Kompetenzüberschreitung abzuleiten ist; ebenso wenig besteht ein solcher bei Vorliegen eines Insichgeschäfts (Karollus in FS Reischauer 209 ff [232 f]; Arnold, PSG3 § 17 Rz 51), weil die Pflichtverletzung schon aus der Verletzung der Genehmigungspflicht folgt (Karollus aaO).
6.1. Auch ein Stiftungsvorstand hat unternehmerische Entscheidungen zu treffen; darunter kann auch eine bewusste Nichtentscheidung (ein Unterlassen) in Bezug auf unternehmerische Belange subsumiert werden (U. Torggler, Zur Business Judgment Rule gemäß Art 182 Abs 2 PGR, LJZ 2009, 56; Gasser, PSR 2011/17 [64] jeweils zum liechtensteinischen Stiftungsrecht; Spindler in MünchKomm AktG4 § 93 Rz 43 zum deutschen Aktienrecht). Dieses Tatbestandselement ist nach Schauer (in Schauer, Stiftungsrecht Art 182 Rz 3) im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Stiftungsvorstands weit auszulegen und nicht auf eine unternehmerische Tätigkeit im „technischen Sinn“ zu beschränken. So ist beispielsweise die Veranlagung des Stiftungsvermögens Gegenstand der Business Judgement Rule (Hofmann, PSR 2010, 173; Arnold aaO Rz 51; ausführlich Kalss/Müller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Vermögens-nachfolge § 25 Rz 199 ff; für das liechtensteinische Recht Schauer aaO; Gasser, PSR 2011, 62; Melzer, Österreichisches Privatstiftungsrecht und neues liechtensteinisches Stiftungsrecht im Vergleich [2010] 134; einschränkend für deutsches Recht jedoch von Hippel in Beiträge für Klaus J. Hopt 167). Die Verwaltung des Stiftungsvermögens, wozu auch strategische Entscheidungen im Zusammenhang mit dieser zählen, wird überhaupt als „Kernanwendungsbereich“ der stiftungsrechtlichen Business Judgement Rule bezeichnet (Müller/Melzer in FS Delle Karth 669 [673 f]).
6.2. Auch der Stiftungsvorstand muss jedenfalls innerhalb der Gesetze und Verordnungen handeln. Die Verletzung zwingender rechtlicher Vorgaben, etwa im Stiftungsrecht eine Missachtung der Ausschüttungssperre gemäß § 17 Abs 2 Satz 2 PSG, begründen eine Pflichtwidrigkeit (Karollus aaO [234] mit weiteren Beispielen).
Die Grenze jeglichen Ermessens wird aber auch durch die Stiftungsdokumente gezogen. Ein Stiftungsvorstand, der sich beispielsweise bei der Vornahme von Ausschüttungen über den Stiftungszweck im Allgemeinen oder über Regeln über die Vermögensveranlagung aufgrund der Stiftungszusatzurkunde hinwegsetzt, kann sich hierfür niemals auf die Business Judgement Rule berufen (Schauer in Schauer, Stiftungsrecht Art 182 Rz 3). Weicht der Stiftungsvorstand von den Vorgaben in der Stiftungserklärung ab, trifft ihn ‑ bei Vorliegen der übrigen Schadenersatz-voraussetzungen ‑ eine Haftung. Die Verantwortlichkeit besteht bei Missachtung der Stiftungserklärung auch dann, wenn der Vorstand in der Absicht gehandelt hat, das Wohl der Stiftung zu fördern (vgl Karollus aaO). Desgleich sind eine allfällige Geschäftsordnung und davon abgeleitete Richtlinien zu berücksichtigen (Arnold aaO Rz 51).
6.3. Strittig ist dabei, ob die Auswahlentscheidung für einen Begünstigten oder die Entscheidung über die Höhe einer Ausschüttung unternehmerische Entscheidungen im Sinne der Business Judgement Rule sind.
6.3.1. Nach Gasser (PSR 2011, 61) gehört die Bestimmung von Ermessensbegünstigten aus einem Kreis von Begünstigten durch den Stiftungsrat zu den ureigenen und praktisch bedeutsamen, ja laufenden Pflichten, weshalb ihre Ausklammerung aus dem Anwendungsbereich der Business Judgement Rule systemwidrig wäre. Seiner Ansicht nach umfasst der Begriff der unternehmerischen Entscheidung jegliche Entscheidung des Stiftungsrats, die sich auf die Mittelverwaltung oder die Mittelverwendung (wozu auch Entscheidungen über Ausschüttungen zählen) bezieht.
6.3.2. Demgegenüber vertreten Melzer (Vergleich 134) und Müller/Melzer (in FS Delle Karth 669) die Auffassung, dass es sich dabei nicht um unternehmerische Entscheidungen handelt. Da die Business Judgement Rule die Förderung einer adäquaten Risikobereitschaft der Organmitglieder bezwecke, sei für das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung ein der Entscheidung immanentes Risikopotential zu fordern (Melzer/Müller aaO). Bei der Entscheidung über Ausschüttungen an Begünstigte komme dem Stiftungsvorstand zwar ein Ermessen zu, der Entscheidung wohne aber kein von der Business Judgement Rule gefordertes Risiko inne (Melzer/Müller aaO). Das Ermessen des Vorstands durch die mehr oder weniger konkreten Vorgaben über die Begünstigten in den Stiftungsdokumenten sei regelmäßig sehr weit eingeschränkt oder tendiere überhaupt gegen Null, sodass es überhaupt an einem Ermessensspielraum fehle, weshalb der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule von Vornherein nicht gegeben sei (Melzer aaO).
6.3.3. Nach Karollus (in FS Reischauer 209 [232]) handelt es sich zwar nicht um eine unternehmerische Entscheidung „im eigentlichen Sinn“, sehr wohl aber um eine Ermessensentscheidung, für die derselbe haftungsfreie Beurteilungsspielraum bestehen müsse.
6.3.4. Ausschüttungsentscheidungen unter-scheiden sich insoweit von typischen unternehmerischen Entscheidungen, als ihnen die Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses regelmäßig fehlt. Eine Ausschüttungs-entscheidung stellt in Ermangelung eines vergleichbaren Risikopotentials zwar keine unternehmerische Entscheidung dar, die Kriterien, die an die Entscheidungsfindung bei einer Ausschüttungsentscheidung gestellt werden, sind aber durchaus vergleichbar (vgl zum schweizerischen Stiftungsrecht auch Büchler/Jakob, Kurzkommentar zum schweizerischen Zivilgesetzbuch [2011] Art 83 Rz 16). Insoweit ist deshalb der Ansicht von Karollus zu folgen.
Der Vorstand hat zunächst das Abwägungsmaterial zusammenzustellen. Es geht also darum, jene Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die für die Entscheidungsfindung relevant sind. Diese Kriterien werden regelmäßig vom Stifter in den Stiftungsdokumenten vorgegeben (etwa die Bedürftigkeit der Begünstigten). Sachfremde Interessen (etwa persönliche Zu‑ oder Abneigung gegenüber einzelnen Begünstigten) haben außen vor zu bleiben. Sodann ist das Abwägungsmaterial zu gewichten und auf dieser Gewichtung aufbauend die beste Entscheidung zu treffen (Büchler/Jakob aaO Rz 14). Sofern der Stiftungsvorstand diese Vorgaben bei der Entscheidungsfindung einhält, trifft ihn keine Haftung. Bei der Ausübung des Ermessens kommt dem Stifterwillen besonderes Gewicht zu (Büchler/Jakob aaO Rz 17),wobei bei Ausschüttungsentscheidungen auch die Interessen der Begünstigten zu berücksichtigen sind. Hier ist allerdings zu beachten, dass der Stifter in den Stiftungsdokumenten regelmäßig die Kriterien festlegen wird, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß die Interessen der Begünstigten Berücksichtigung zu finden haben.
Auch bei Ausschüttungsentscheidungen nach der Stiftungserklärung kann somit ein Ermessen bestehen; wo ein solches Ermessen besteht, ist nur die ex ante ordnungsgemäße Ermessensausübung gefordert.
7. Sind die unter 5. genannten Voraussetzungen der Business Judgement Rule kumulativ erfüllt, handelt der Stiftungsvorstand also innerhalb der von der Business Judgement Rule gezogenen Grenzen, so befindet er sich im „Safe Harbour“ und ist haftungsfrei (Jakob, Liechtensteinisches Stiftungsrecht [2009] Rz 363); in diesem Fall handelt er jedenfalls nicht rechtswidrig (G. Schima, GesRZ 2015, 286; U. Torggler, LJZ 2009, 56; vgl auch Arnold, PSG3 § 17 Rz 51; Jakob aaO). Andernfalls trifft ihn zwar nicht automatisch eine Haftung, eine solche kann aber eintreten, wenn das Verhalten im Einzelnen als sorgfaltswidrig einzustufen ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen (insb Schaden und Kausalität) gegeben sind (Jakob aaO).
8. Vor diesem Hintergrund sind die vom Rekursgericht zu den einzelnen Vorwürfen der Antragsteller gegenüber den Vorstandsmitgliedern dargelegten Ausführungen nicht zu beanstanden:
8.1. Zum Vorwurf der Verknüpfung der Ausschüttung von 1,1 Mio EUR an die Begünstigten mit dem Verbleib der Vorstandsmitglieder im Amt:
Stiftungszweck „ist die Erhaltung der der Stiftung übertragenen Gesellschaften, Gesellschaftsanteile sowie des Liegenschaftsvermögens, wobei allfällige Erträgnisse aus diesem Unternehmen beziehungsweise aus der gestifteten Liegenschaft den tieferstehend angeführten Begünstigten im dort bezeichneten Verhältnis zukommen soll“. Primärer Stiftungszweck ist somit der Erhalt des Stiftungsvermögens. Die Versorgung der Begünstigten ist, wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, nur weiterer Stiftungszweck.
Ausschüttungen an die Begünstigten setzen den Erhalt des Vermögens voraus, zumal nur „allfällige Erträgnisse“ auszuschütten sind. Die Beurteilung, welche Maßnahmen zum Erhalt des Unternehmens beziehungsweise der Unternehmensanteile (aber auch der Liegenschaft) erforderlich sind, gehört in den Bereich der unternehmerischen Entscheidungen und eröffnet dem Stiftungsvorstand daher ein entsprechendes Ermessen. Ob eine Gewinnentnahme durch den Hauptgesellschafter erfolgt oder nicht, ist eine genuin unternehmerische Entscheidung. So ist beispielsweise auch die Steuerung der Bilanz- und Gewinnausschüttungspolitik zweifelsfrei eine unternehmerische Ermessensentscheidung (Karollus in FS Reischauer 209 [238]). Die Entscheidung über allfällige Ausschüttungen an die Begünstigten ist somit eine Folge einer unternehmerischen Entscheidung und daher ‑ unabhängig von der unmittelbaren Unterstellung von Ausschüttungs-entscheidungen unter die Business Judgement Rule (vgl 6.3.) ‑ von dieser erfasst, weil sie untrennbar mit einer unternehmerischen Entscheidung verbunden ist (vgl auch Kalss, GesRZ 2013, 203).
Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Vorstandsmitglieder die wirtschaftliche Situation des Unternehmens und der Stiftung von einem Experten evaluieren ließen, auf dessen Ausführungen aufbauend sie eine Entscheidung über die Ausschüttungen an die Begünstigten trafen. Dieses Verhalten steht im Einklang mit den Vorgaben der Business Judgement Rule. Das schlüssige Gutachten des Experten stellt eine Grundlage dar. Den primären Zweck und den sekundären Zweck der Stiftung miteinander bestmöglich in Einklang zu bringen und aufgrund nachvollziehbarer Kriterien Streitigkeiten für die Zukunft zu vermeiden, lag ex ante betrachtet im besten Interesse der Stiftung. Die Vorstandsmitglieder durften daher vernünftigerweise annehmen, zum Wohle der Stiftung zu handeln.
Dass der Vergleich mit den Begünstigten an den Verbleib im Amt geknüpft wurde, bedeutet nicht zwingend, dass sie sich von sachfremden Interessen leiten ließen. Streitigkeiten mit den Begünstigten beizulegen, liegt ‑ wenn Ermessensfragen betroffen sind ‑ durchaus auch oder gerade im Interesse der Stiftung. Dies gilt umso mehr, als im Zusammenhang mit der vorliegenden Stiftung bekanntermaßen eine Vielzahl ähnlicher Rechtsstreite anhängig waren und sind, die aus der unterschiedlichen Einschätzung der Gewichtung der Stiftungszwecke einerseits durch die Begünstigten und andererseits durch den vom Stifter berufenen Vorstand herrühren. Da die Vorstandsmitglieder zudem im Rahmen des ihnen vorgegebenen Ermessens handelten und ihre Entscheidung auf dem Vorschlag eines unabhängigen Experten beruhte, kann von einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 27 Abs 2 Z 1 PSG nicht ausgegangen werden, selbst wenn man ein Eigeninteresse der Vorstandsmitglieder am Verbleib im Amt bejahen und dem Stiftungsvorstand daher die Berufung auf den „Safe Harbour“ der Business Judgement Rule verweigern sollte.
8.2. Zum Vorwurf der Thesaurierung der Gewinne in den Gesellschaften:
Auch die Beurteilung, welche Maßnahmen zum Erhalt beziehungsweise der Fortentwicklung des Unternehmens aus betriebswirtschaftlicher Sicht notwendig und zweckmäßig sind, gehört zum weiten unternehmerischen Ermessen (Kalss, GesRZ 2013, 203). Nachprüfbar ist zwar, ob der Ermessensspielraum überschritten wurde (6 Ob 28/08y GesRZ 2008, 304 [Schmidt]), eine Ermessensüberschreitung ist aber nicht erkennbar, wobei in diesem Zusammenhang auch auf die Entscheidung 6 Ob 101/11p (GesRZ 2012, 270 [Arnold] = ZfS 2012, 34 [Lenz; Leitner‑Bommer/Oberndorfer] = PSR 2012/9 [Murko/Zollner]), verwiesen werden kann. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Thesaurierung der Gewinne ‑ und damit auch die Ausschüttungen in der vorgenommenen Höhe - auch nach dem Gutachten eines Sachverständigen unternehmerisch durchaus vertretbar war. Konkrete Änderungen, die eine Überschreitung des durch die Business Judgement Rule eröffneten Ermessens nachweisen konnten, sind nicht ersichtlich.
8.3. Zum Vorwurf der Verletzung des Auskunftsanspruchs und des Einsichtsrechts der Begünstigten:
Die Business Judgement Rule ist auf die Pflicht zur Auskunftserteilung gemäß § 30 PSG nicht anwendbar. Die Erteilung von Auskünften stellt keine unternehmerische Entscheidung in diesem Sinne dar, weil es schon an einem Ermessen fehlt. Die Einsicht in die nach § 30 Abs 1 PSG genannten Unterlagen ist ‑ vorbehaltlich eines allfälligen rechtsmissbräuchlichen Begehrens ‑ zu gewähren. Gleiches gilt für die Auskunftserteilung über die Erfüllung des Stiftungszwecks. Dass eine Beurteilung, ob ein Einsichtsrecht besteht beziehungsweise auf welche Unterlagen sich dieses bezieht, im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, vermag an der Unanwendbarkeit der Business Judgement Rule nichts zu ändern. Es liegt kein für eine unternehmerische Entscheidung gefordertes Risiko bei der Entscheidungsfindung vor.
Eine zu Unrecht nicht gewährte Einsicht und Auskunft kann daher ‑ entsprechende Gravität vorausgesetzt - eine Abberufung rechtfertigen (6 Ob 82/11v GesRZ 2011, 380 [Hochedlinger] = PSR 2011, 117 [Hofmann] = ZfS 2011, 130 [Oberndorfer]; Arnold, PSG³ § 27 Rz 15, § 30 Rz 8). Jedoch kann im vorliegenden Fall von einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 27 Abs 2 Z 1 PSG keine Rede sein. Eine solche setzt voraus, dass der Stiftungsvorstand eine Entscheidung getroffen hat, die ein ordentlicher Geschäftsleiter (im Sinne des § 17 Abs 2 1. Satz PSG: objektiver Maßstab) an dieser Stelle niemals getroffen hätte (Arnold aaO § 27 Rz 17); den Stiftungsvorstand muss ein Verschulden treffen (Arnold aaO § 27 Rz 18). Ein solches liegt nicht vor. Die Vorstandsmitglieder haben sich bei Verweigerung der Einsicht in die Unterlagen der Tochtergesellschaft an die herrschende Lehre gehalten (Arnold aaO § 30 Rz 9c und Zollner, Die eigennützige Privatstiftung aus dem Blickwinkel der Stiftungsbeteiligten [2011] 462 betonen, dass ein Recht zur Einsicht in Unterlagen von Unternehmen, an welchen die Privatstiftung nicht zu 100 % beteiligt ist, wegen möglicher Konflikte mit den Einsichtsrechten der übrigen Gesellschafter des Beteiligungsunternehmens abzulehnen sei) und diese Rechtsansicht auch noch durch ein Gutachten absichern lassen. Es kann daher ex ante betrachtet jedenfalls von keiner schuldhaften Pflichtverletzung gesprochen werden, weil ‑ wie das Rekursgericht zutreffend ausführt ‑ eine gut vertretbar und begründete Entscheidung vorlag. Im Übrigen wäre den Begünstigten die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung dieser Rechtsansicht durchaus offen gestanden (§ 30 Abs 2 PSG).
8.4. Zum Vorwurf eines Liegenschaftsverkaufs:
Der Stiftungsvorstand ist nach der Stiftungsurkunde befugt, Vermögen der Stiftung zu veräußern, „sofern dies unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten notwendig oder wenigstens zweckmäßig ist“. Die Beurteilung, was wirtschaftlich notwendig und vor allemzweckmäßig ist, eröffnet einen wesentlichen Ermessensspielraum. Zweifelsfrei gehören Entscheidungen über Veräußerungen von Stiftungsvermögen zu den unternehmerischen Entscheidungen (zur Beteiligungs-veräußerung vgl Karollus in FS Reischauer 209 [235]), womit der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule eröffnet ist. Bei unternehmerischen Entscheidungen ist aber lediglich zu überprüfen, ob das vorhandene Ermessen überschritten oder missbraucht wurde. Da die Vorstandsmitglieder im Einklang mit den Vorgaben in der Stiftungserklärung handelten, können weder eine Überschreitung noch ein Missbrauch des Ermessensspielraums erkannt werden.
8.5. Zum Vorwurf der beabsichtigten Änderung der Stiftungsurkunde zu Lasten der Begünstigten:
Der Vorwurf, die Vorstandsmitglieder hätten eine Abänderung der Stiftungserklärung dahin angestrebt, dass den Begünstigten die ihnen zustehende Kompetenz der Bestellung sowie Abberufung des Stiftungsvorstands entzogen werde, war bereits Gegenstand der Entscheidung AZ 6 Ob 101/11p. Der letztlich gescheiterte Versuch der Vorstandsmitglieder muss nicht zwingend als grobe Pflichtverletzung angesehen werden. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Änderung einer Stiftungserklärung durch den Stiftungsvorstand zum einen ohnehin der gerichtlichen Kontrolle unterliegt und zum anderen die gerichtliche Bewilligung gestützt auf umfassende rechtliche Überlegungen beantragt wurde.
9. Zusammenfassend ist deshalb davon auszugehen, dass die von den Antragstellern behaupteten groben Pflichtverletzungen nach § 27 Abs 2 Z 1 PSG von den Vorinstanzen zutreffend verneint wurden, weshalb dem Revisionsrekurs der Antragsteller ein Erfolg nicht beschieden sein konnte.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG.
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