OGH 5Ob199/08p

OGH5Ob199/08p25.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Mietrechtssache des Antragstellers Michael W*****, vertreten durch Dr. Walter Solic, Rechtsanwalt in Kaindorf/Leibnitz, gegen die Antragsgegnerin E***** Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft „H***** GmbH", *****, vertreten durch Dr. Erich Trachtenberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen §§ 10, 37 Abs 1 Z 6 MRG über den ordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. Juli 2008, GZ 3 R 105/08w‑16, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 10. Juni 2008, GZ 4 Msch 1/07f‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem ordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Antragsteller ist vormaliger Mieter der Wohnung Top 1 im Haus *****, S*****straße *****. Die Antragsgegnerin ist die frühere Vermieterin. Im Verfahren 7 C 74/07m des Bezirksgerichts Leibnitz wegen Aufkündigung schlossen die Parteien am 14. 6. 2007 einen Räumungsvergleich, in dem sich der nunmehrige Antragsteller als dort gekündigte und beklagte Partei verpflichtete, die bezeichnete Wohnung bis zum 31. 7. 2007 zu übergeben. Die Rechtswirksamkeit des Räumungsvergleichs war damit bedingt, dass vom nunmehrigen Antragsteller bis zum 29. 6. 2007 (einlangend) kein schriftlicher Widerruf erfolgt. Der Räumungsvergleich wurde mangels Widerrufs am 30. 6. 2007 rechtswirksam. Mit Schreiben vom 5. 7. 2007, zur Post gegeben am 6. 7. 2007, forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, ihm Investitionsersatz zu leisten.

Der Antragsteller begehrt nunmehr von der Antragsgegnerin für seine in der Wohnung gemachten Aufwendungen einen Ersatz in der Höhe von 8.000 EUR.

Die Antragsgegnerin beantragte die Antragsabweisung mit der hier wesentlichen Begründung, der Antragsteller habe seinen Ersatzanspruch nicht innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist von 14 Tagen (§ 10 Abs 4 Z 1 MRG) angezeigt.

Das Erstgericht wies das Begehren des Antragstellers ab. Für die Geltendmachung von Aufwandersatz durch den Mieter verlange § 10 Abs 4 Z 1 MRG die Einhaltung einer Frist von 14 Tagen. Entscheidend für den Beginn des Fristlaufs sei der Zeitpunkt des Zustandekommens der Auflösungsvereinbarung. Es dürfe nicht bis zum vereinbarten Auflösungstermin zugewartet werden. Vorliegend sei die Auflösungsvereinbarung mit dem Räumungsvergleich am 14. 6. 2007 zustande gekommen. Lediglich zur ergänzenden Prüfung der Rechtslage sei der Vergleich bis 29. 6. 2007 bedingt abgeschlossen worden. Dem Antragsteller habe bewusst sein müssen, dass er ab 14. 6. 2007 Zeit habe, seinen Aufwandersatz für Investitionen schriftlich geltend zu machen, weil zu diesem Zeitpunkt die von ihm angeblich getätigten Investitionen bereits abgeschlossen gewesen seien und er auch alle diesbezüglichen Unterlagen in Händen gehabt habe. Da sich der Antragsteller dazu entschlossen habe, den Vergleich nicht zu widerrufen, hätte er die Anzeige seines Anspruchs auf Investitionsersatz gegenüber der Antragsgegnerin innerhalb von 14 Tagen leicht geltend machen können. Der Beginn des Fristlaufs erst mit 30. 6. 2007 finde in der gesetzlichen Regelung des § 10 Abs 4 Z 1 MRG keine Deckung. Sachliche Gesichtspunkte würden im konkreten Fall ebenfalls nicht für eine 14‑tägige Verlängerung der Frist zu Gunsten des Antragstellers sprechen, weil diesem alle erforderlichen Informationen bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zur Verfügung gestanden seien. Die Bestimmungen über die Fristen des § 10 Abs 4 MRG könnten zu Gunsten des Mieters abgeändert werden, doch sei dem Vergleich eine solche Abänderung nicht zu entnehmen. Die demnach eingetretene Anspruchspräklusion sei von Amts wegen zu beachten.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Gemäß § 10 Abs 4 Z 1 MRG habe der Mieter bei sonstigem Verlust seines Anspruchs dem Vermieter unter Vorlage von Rechnungen seinen Anspruch schriftlich anzuzeigen. Die 14‑tägige Frist beginne bei einvernehmlicher Auflösung des Mietverhältnisses spätestens 14 Tage nach Abschluss der Auflösungsvereinbarung. Der Zeitpunkt der Auflösung des Mietverhältnisses sei jener, in welchem der Vermieter die Auflösungserklärung des Mieters annehme (vgl Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 10 MRG Rz 57 f mwN). Die Annahme der (bedingten) Auflösungserklärung sei im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 14. 6. 2007 erfolgt. Mit diesem Tag habe der Fristenlauf für die Geltendmachung des Aufwandersatzanspruchs begonnen. Zweck der Anzeige sei es, den Vermieter in die Lage zu versetzen, über künftige Forderungen des Mieters zu disponieren und sich über deren allfällige Berechtigung zu informieren, um ihm die Überwälzung dieser Ansprüche auf den Nachmieter zu ermöglichen (vgl 5 Ob 20/08i mwN). Vor Inkrafttreten der WRN 2006 habe die Anzeige gleichzeitig mit der Auflösungserklärung erfolgen müssen. Nunmehr werde dem Mieter eine 14‑tägige Frist gewährt. Im Hinblick auf diesen Zweck der Gesetzesbestimmung und deren Entwicklung müsse der Fristlauf mit Vergleichsabschluss, also dem 14. 6. 2007 beginnen. Das Aufforderungsschreiben des Antragstellers vom 5. 7. 2007 falle nicht mehr in diese Frist. Seinem Rekurs sei daher ein Erfolg zu versagen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil auch die Ansicht vertreten werden könne, dass mit der Einräumung einer Widerrufsmöglichkeit eine Verlängerung der 14‑tägigen Präklusivfrist vereinbart worden sei. Eine höchstgerichtliche Rechtsprechung liege dazu - soweit überblickbar - nicht vor.

Gegen den Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Der Antragsteller macht zusammengefasst geltend, dass die Parteien die Auflösungsvereinbarung aufschiebend bedingt abgeschlossen hätten, sodass diese erst per 30. 6. 2007 rechtswirksam geworden sei. Allfällige Rechtswirkungen welcher Art immer habe die Auflösungsvereinbarung erst mit Ablauf der vereinbarten Widerrufsfrist entfaltet. Auch die Antragsgegnerin als Vermieterin habe erst ab diesem Zeitpunkt Dispositionen rechtlicher und tatsächlicher Natur hinsichtlich des Mietobjekts treffen können.

Die Antragsgegnerin erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs kostenpflichtig abzuweisen. § 10 Abs 4 Z 1 MRG räume dem Mieter eine 14‑tägige Frist nach Abschluss der Auflösungsvereinbarung zur Geltendmachung seiner Ansprüche ein. Hätte der Gesetzgeber die Meinung des Antragstellers vertreten, so wäre die Formulierung „spätestens 14 Tage nach Rechtswirksamkeit der Auflösungsvereinbarung" zu wählen gewesen. Auch nach allgemeinem Sprachgebrauch gelte eine Vereinbarung, also auch hier der gerichtliche Vergleich, mit seiner Unterzeichnung als abgeschlossen. Das Rekursgericht habe daher richtig erkannt, dass die Annahme der bedingten Auflösungserklärung durch die Antragsgegnerin am 14. 6. 2007 erfolgt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

1.1. Nach § 10 Abs 1 MRG hat der Hauptmieter, der in den letzten zwanzig Jahren vor der Beendigung des Mietverhältnisses in der gemieteten Wohnung Aufwendungen zur wesentlichen Verbesserung (§ 9 MRG) gemacht hat, die über seine Mietdauer hinaus wirksam und von Nutzen sind, oder der solche Aufwendungen dem Vormieter oder dem Vermieter abgegolten hat (§ 10 Abs 6 erster und zweiter Satz MRG), bei der Beendigung des Mietverhältnisses Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen vermindert um eine jährliche Abschreibung. Gemäß § 10 Abs 4 MRG (idF WRN 2006) ist der Anspruch auf Ersatz bei sonstigem Verlust des Anspruchs dem Vermieter vom Hauptmieter unter Vorlage von Rechnungen schriftlich anzuzeigen, und zwar bei einvernehmlicher Auflösung des Mietverhältnisses spätestens 14 Tage nach Abschluss der Auflösungsvereinbarung (Z 1), bei Aufkündigung des Mietverhältnisses durch den Hauptmieter spätestens 14 Tage nach Zustellung der Aufkündigung an den Vermieter (Z 2) und in allen übrigen Fällen binnen einer Frist von zwei Monaten ab Eintritt der Rechtskraft des Räumungstitels, bei früherer Zurückstellung des Mietgegenstands jedoch spätestens mit der Zurückstellung (Z 3).

1.2. In den Materialien (RV 1183 BlgNR 22. GP 38) heißt es zur Neufassung des § 10 Abs 4 MRG (ua):

„Um zu verhindern, dass Mieter ihre Investitionsersatzansprüche verlieren, wenn sie diese erst einige Tage nach einvernehmlicher Vertragsauflösung oder der von ihnen getätigten Kündigung geltend machen, wird ihnen für diese beiden Fälle noch eine 14‑tägige Frist jeweils nach diesem Ereignis zur Erhebung des Anspruchs eingeräumt. Genau wird der Beginn des Fristenlaufs im ersten Fall durch den Abschluss der Auflösungsvereinbarung und im zweiten Fall durch die - für den Mieter aus dem Rückschein feststellbaren - Zustellung der Mieterkündigung an den Vermieter ausgelöst."

2. Die ratio der in § 10 Abs 4 MRG normierten Anzeigenobliegenheit liegt darin, den Vermieter über die Ersatzansprüche des scheidenden Mieters genau in Kenntnis zu setzen, um ihm die (nach § 27 Abs 1 Z 1 MRG zulässige) Überwälzung dieser Ansprüche auf die Nachmieter zu ermöglichen (5 Ob 293/02b = MietSlg 55.268 = wobl 2004/2, 15 [Dirnbacher] = ecolex 2004/7, 28 = immolex 2003/73, 135 = ImmZ 2004, 286; 5 Ob 193/03y = wobl 2004/48, 183 = RdW 2004/254, 277 = wobl 2004,183/48 = ImmZ 2004, 286 = MietSlg 55.270; 5 Ob 20/08i = Zak 2008/310, 177; RIS‑Justiz RS0070044; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 10 MRG Rz 51 mzN). Die Anzeige des Mieters ist eine empfangsbedürftige Erklärung, weshalb nach allgemeinen Grundsätzen ihre Wirksamkeit auch von einem ordnungsgemäßen Zugang beim Erklärungsempfänger abhängig ist (5 Ob 20/08i = Zak 2008/310, 177; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 10 MRG Rz 53).

3. Bei einvernehmlicher Auflösung war bis zur WRN 2006 nach § 10 Abs 4 Z 1 aF deren Zeitpunkt (und nicht etwa jener, zu dem der Vertrag erlöschen soll) maßgeblich (wobl 2003/136, 262 [Vonkilch] = MietSlg 54.248/27 = immolex 2003/35, 68 [Pfiel] = ecolex 2003/133, 333 [Wilhelm]). Dieser Auflösungszeitpunkt ist idR jener des Zugangs der Annahme der Auflösungsofferte durch den Vertragspartner (vgl RIS‑Justiz RS0070084; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 10 MRG Rz 57). Auch ein Räumungsvergleich kann eine Dissolutionsvereinbarung enthalten und sich insoweit als einvernehmliche Auflösung des Mietverhältnisses im Sinn des § 10 Abs 4 Z 1 MRG darstellen (vgl Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 10 MRG Rz 57).

4.1. Der gerichtliche (prozessuale) Vergleich ist Rechtsgeschäft und Prozesshandlung und hat daher nach hA Doppelfunktion (vgl 3 Ob 50/83 = SZ 56/98 = EvBl 1983/165, 634 = JBl 1984, 500; 6 Ob 151/02b = JBl 2003, 251= RdW 2003/74, 89 RIS‑Justiz RS0032587 [T1]; VwGH 2003/06/0138; Klicka in Fasching/Konecny² § 206 ZPO Rz 8). Er kann nicht resolutiv, wohl aber suspensiv bedingt abgeschlossen werden (RIS‑Justiz RS0032587). Aufschiebend bedingte Rechte entstehen erst mit dem Eintritt der Bedingung oder des Termins; bis dahin besteht bloß eine Anwartschaft auf die künftige Erwerbung des Rechts (RIS‑Justiz RS0012689; Koziol/Welser, BR I13, 194). Der hier vorliegende Räumungsvergleich sollte nach dem Willen der Parteien erst dann Rechtswirksamkeit erlangen, wenn er vom nunmehrigen Antragsteller nicht bis zum 29. 6. 2007 (einlangend) widerrufen wird. Das bedeutet, dass der Zeitpunkt, in welchem seine Wirkung beginnen sollte, mit dem Ende der Widerrufsfrist vereinbart wurde (vgl 2 Ob 514/82 = SZ 55/109 = JBl 1983, 607 = HS 12.882; vgl auch 3 Ob 600/86 = JBl 1987, 122 = SZ 59/170). Es folgt dann aber aus der Natur der aufschiebenden Bedingung, dass auch die im Vergleich enthaltene Auflösungsvereinbarung erst nach dem ungenützten Ablauf der Widerrufsfrist Rechtswirkungen erzeugen kann, steht doch bis dahin gar nicht fest, ob es überhaupt zur Beendigung des Bestandverhältnisses kommt. Solange die Beendigung des Bestandverhältnisses noch in Schwebe ist, besteht auch unter Berücksichtigung der - oben unter 2. dargestellten - ratio des § 10 Abs 4 MRG kein Anlass zur Information des Vermieters über ein - allenfalls bei Vergleichswiderruf gar nicht zum Tragen kommendes - Begehren nach Ersatz von Aufwendungen.

4.2. Dass für den Beginn des Fristlaufs nach § 10 Abs 4 Z 1 MRG der Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit eines bedingten, eine Dissolutionsvereinbarung enthaltenden Räumungsvergleichs maßgeblich sein muss, legt aber auch dessen (zusätzliche) Funktion als Exekutionstitel und damit im Zusammenhang die Regelung des § 10 Abs 4 Z 3 MRG nahe; nach dieser kommt es auf die Rechtskraft des Räumungstitels an, weil eben erst zu diesem Zeitpunkt endgültig feststeht, ob das Bestandverhältnis tatsächlich beendet wird.

5. Zusammengefasst folgt daher:

5.1. Ist die Vereinbarung über die Auflösung des Bestandverhältnisses in einem Räumungsvergleich enthalten, dessen Rechtswirksamkeit aufschiebend bedingt vom Unterbleiben eines Vergleichswiderrufs durch die (eine der) Parteien abhängt, so ist § 10 Abs 4 Z 1 MRG dahin auszulegen, dass die Frist für die Anzeige des Begehrens nach Ersatz von Aufwendungen erst mit Rechtswirksamkeit des Räumungsvergleichs zu laufen beginnt.

5.2. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren klarzustellen haben, ob der Antragsgegnerin ‑ ausgehend vom Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit des Räumungsvergleichs - die Anzeige des Antragstellers innerhalb der 14‑tägigen Frist des § 10 Abs 4 Z 1 MRG zugegangen ist; gegebenenfalls wird dann das Begehren des Antragstellers materiell zu beurteilen sein.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 2. Satz AußStrG (iVm § 37 Abs 3 MRG), § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die nach § 37 Abs 3 Z 17 MRG maßgeblichen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache erledigenden Sachbeschluss angestellt werden (RIS‑Justiz RS0123011).

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