OGH 6Ob151/02b

OGH6Ob151/02b29.8.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Claudia P*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen die beklagten Parteien 1. Josef H*****, 2. Monika H*****, beide vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung der Rechtsunwirksamkeit eines Vergleichs (Streitwert 7.267,28 EUR) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 28. Februar 2002, GZ 1 R 71/02m-9, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mürzzuschlag vom 15. Jänner 2002, GZ 2 C 955/01p-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 549,32 EUR (darin 91,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten hatten am 14. 1. 1997 beim Erstgericht eine Unterlassungsklage gegen die nunmehrige Klägerin eingebracht; sie sei schuldig, es zu unterlassen, Foto- und Videoaufnahmen von ihnen zu machen, sofern sie diese nicht ausdrücklich genehmigten. Das Interesse an der Unterlassung war mit 100.000 S bewertet. Eine erste Tagsatzung fand nicht statt. Die damalige Beklagte erschien in der für den 25. 3. 1997 ausgeschriebenen mündlichen Streitverhandlung ohne Anwalt. Im Verhandlungsprotokoll ist festgehalten, dass die Parteien nach Rechtsbelehrung und über ausdrücklichen Wunsch der damaligen Beklagten einen Vergleich schlossen, worin sich diese verpflichtete, Foto- und Videoaufnahmen der Beklagten ohne deren ausdrückliche Genehmigung zu unterlassen. Sie verpflichtete sich ferner zur Tragung der mit 10.000 S verglichenen Prozesskosten. Mit der am 14. 12. 2001 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die nunmehrige Klägerin die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des im Vorprozess geschlossenen Vergleichs. Im Verfahren habe Anwaltspflicht bestanden, sodass sie auch zum Vergleichsabschluss eines Anwalts bedurft hätte. Ein damals beigezogener Anwalt hätte diesen Vergleich nicht geschlossen, die unberechtigte Klage wäre abgewiesen worden. § 27 Abs 3 ZPO sei nicht anzuwenden, weil sie die damalige Klageforderung vollständig anerkannt habe; der Vergleich sei daher in Wahrheit ein Anerkenntnisurteil.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klageabweisung und wendeten ein, für den Vergleichsabschluss vor Bezirksgerichten bedürfe es unabhängig vom Streitwert keiner rechtsfreundlichen Vertretung; im Übrigen begründe ein Verstoß gegen die Anwaltspflicht nur einen Verfahrensmangel.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass eine Bewertung des Streitgegenstandes nur nach dem RATG stattgefunden habe und der "Zweifelstreitwert" nach § 56 Abs 2 JN von damals 30.000 S zugrundegelegt werden müsse. Das vorhergehende Verfahren unterliege daher nicht der absoluten Anwaltspflicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit anderer Begründung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Anerkenntnis in Form eines Prozessvergleichs abgeschlossen werden könne, verneinendenfalls, wie ein derartiger Mangel geltend zu machen sei und ob bei einer ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung (deren Inhalt nicht über jenen einer ersten Tagsatzung hinausgehe) die Befreiung von der absoluten Anwaltspflicht nach § 27 Abs 2 ZPO eingreife. Unter Hinweis auf § 27 Abs 3 ZPO in der damals geltenden Fassung vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, Vergleiche vor dem Bezirksgericht könnten unabhängig vom Streitwert ohne Anwalt abgeschlossen werden. Ein gerichtlicher Vergleich erfordere nicht beiderseitiges Nachgeben, sein Gegenstand könne auch in der Anerkennung eines Rechtsverhältnisses bestehen. Selbst wenn man aber ein Anerkenntnis als vergleichsunfähig ansehen wollte, wäre das Klagebegehren schon deshalb verfehlt, weil die prozessrechtliche Unwirksamkeit eines dennoch protokollierten Vergleichs nur durch Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt. Die Klägerin gründet die behauptete Unwirksamkeit des vor dem Bezirksgericht abgeschlossenen Prozessvergleich auf das Fehlen anwaltlicher Vertretung, somit auf eine nach Prozessrecht zu beurteilende Wirksamkeitsvoraussetzung, von der es abhängt, ob der Prozess als beendet anzusehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Prozessvergleich sowohl den Charakter einer Prozesshandlung als auch jenen eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts; er kann prozessual unwirksam, zugleich aber als materielles Rechtsgeschäft wirksam sein, weshalb Lehre und Rechtsprechung zwischen den Fragen, ob ein gerichtlicher Vergleich den Prozess beendet und welche materiellen Wirkungen er hat, streng unterscheiden (SZ 70/120; Gitschthaler in Rechberger ZPO2 § 206 Rz 5 mwN). Ob nun die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs dadurch beeinträchtigt wird, dass eine der Parteien bei Vergleichsabschluss nicht durch einen Anwalt vertreten war, ist eine Frage des Prozessrechts, die die Wirksamkeit der Prozesshandlung betrifft, wobei die prozessuale Unwirksamkeit durch Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden kann (EvBl 1987/51).

§ 27 Abs 3 ZPO in der hier geltenden Fassung WGN 1998 nahm vor einem Bezirksgericht geschlossene Vergleiche über einen 30.000 S übersteigenden Streitgegenstand ganz generell von der in § 27 Abs 1 ZPO geregelten absoluten Anwaltspflicht aus. Nach den Materialien (JAB 991 BlgNR 17. GP 6) soll für Vergleiche vor einem Bezirksgericht, gleichgültig ob es sich um prätorische oder um Vergleiche im Zuge eines Verfahrens handelt, keine Anwaltspflicht bestehen. Dem sind Lehre und Rechtsprechung schon bisher gefolgt (Rechberger/Simotta Zivilprozessrecht4 Rz 245; Fucik in Rechberger ZPO2 § 27 Rz 6; Gitschthaler in Rechberger ZPO2 § 206 Rz 21; SZ 65/12 = EvBl 1992/83). Der Oberste Gerichtshof hat auch ausgesprochen, dass sich die in § 27 Abs 3 (und § 29 Abs 2) ZPO vorgesehenen Ausnahmen von der absoluten und relativen Anwaltspflicht auf alle Erklärungen der Parteien erstrecken, die für ein Zustandekommen des Vergleichs von Bedeutung sind (SZ 65/12; 3 Ob 536/94; RIS-Justiz RS0035727 und RS0035733).

Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit des von der Klägerin abgeschlossenen Prozessvergleichs in Einklang mit diesen Grundsätzen bejaht.

Die Revision meint nun, der Prozessvergleich sei in Wahrheit ein Anerkenntnisvertrag, der zu seiner Wirksamkeit der anwaltlichen Vertretung bedurft hätte. Sie übersieht dabei, dass der bürgerlich rechtliche Anerkenntnisvertrag keiner Vertretung durch Rechtsanwälte bedarf. Im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Forderung im Prozess besteht Anwaltspflicht (sieht man vom Argument des Berufungsgerichtes ab, wonach § 27 Abs 2 ZPO hier zum Tragen komme) nur insoweit, als es die Abgabe des Anerkenntnisses als Prozesserklärung betrifft. Das prozessuale Anerkenntnis ist eine reine Prozesshandlung, die nicht zwangsläufig mit einem Anerkenntnisvertrag einhergeht (Rechberger in Rechberger ZPO2 § 395 Rz 1 mwN). Als reine Prozesshandlung bedarf das Anerkenntnis im Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht (von der ersten Tagsatzung abgesehen) der anwaltlichen Vertretung. Ein von der nicht vertretenen Prozesspartei erklärtes Anerkenntnis kann in einem solchem Fall nicht Grundlage eines Anerkenntnisurteiles sein und daher auch nicht zur Prozessbeendigung führen. Davon unabhängig richten sich seine materiellrechtlichen Auswirkungen nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Danach kann ein mit einer unwirksamen Prozesserklärung verbundener Anerkenntnisvertrag materiellrechtliche Wirkungen entfalten, die durch eine allfällige prozessuale Unwirksamkeit des Anerkenntnisses nicht beseitigt werden (Rechberger aaO Rz 1).

Wie nun die Prozesserklärungen der damaligen Beklagten im Vorprozess aufzufassen sind und ob sie demnach einen gerichtlichen Vergleich geschlossen oder ein prozessuales Anerkenntnis erklärt hat, richtet sich nach dem objektiven Erklärungswert ihrer Prozesshandlung. Danach besteht kein Zweifel, dass die damals Beklagte einen Prozessvergleich schließen und keineswegs ein Anerkenntnis erklären wollte. In diesem Sinn hat auch der Prozessgegner ihre Erklärungen verstanden, hätte er doch sonst die Fällung eines Anerkenntnisurteiles beantragt und nicht einen Prozessvergleich geschlossen. Für den Abschluss eines Prozessvergleichs vor dem Bezirksgericht bedurfte es jedoch, unabhängig davon, ob der Vergleich durch beiderseitiges Nachgeben gekennzeichnet war oder die damals Beklagte zur Gänze submittierte, nicht der anwaltlichen Vertretung. Mag auch aus materiellrechtlicher Sicht der bürgerlichrechtliche Vergleich im Unterschied zum Anerkenntnisvertrag durch eine gegenseitiges Nachgeben der Vertragspartner gekennzeichnet sein, so ändern dies nichts daran, dass Gegenstand eines Prozessvergleichs jede materiellrechtliche zulässige Vereinbarung sein kann (Rechberger/Simotta Zivilprozessrecht4 Rz 460; Gitschthaler in Rechberger ZPO2 § 206 Rz 25 ff). Der Prozessvergleich ist nach Lehre und Rechtsprechung nicht etwa nur ein vor dem Gericht abgeschlossener Vergleich im Sinn des §§ 1380 ff ABGB mit materiellrechtlicher Wirkung (SZ 56/98, RIS-Justiz RS0032581), sondern wird als doppelfunktionale Prozesshandlung mit prozessbeendender Wirkung gesehen (Nachweise bei Gitschthaler aaO § 206 Rz 2 ff). Sein Gegenstand kann jede zulässige materiellrechtliche Regelung sein, wobei es ausreicht, dass eine Partei von ihrem Prozessstandpunkt abweicht. Ein erkennbares beiderseitiges Nachgeben ist für seine Wirksamkeit hingegen nicht erforderlich. Dass auch ein Anerkenntnis im Form eines Prozessvergleichs vereinbart werden kann, ergibt sich schon aus § 205 Abs 1 ZPO, der ausdrücklich von der Anerkennung eines Rechtsverhältnisses durch gerichtlichen Vergleich spricht.

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend von der Gültigkeit des im Vorprozess abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs ausgegangen. Der unberechtigten Revision der Klägerin wird ein Erfolg versagt. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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