OGH 5Ob139/23m

OGH5Ob139/23m29.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei E*, vertreten durch Huainigg Dellacher & Partner Rechtsanwälte OG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte und widerklagende Partei K*, vertreten durch Mag. Astrid Roblyek, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 25. Mai 2023, GZ 2 R 106/23z‑43, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00139.23M.0829.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden.

[2] Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen nicht Folge und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei (idF Beklagte) zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 1. Nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0056341) hat eine schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG ein Verhalten eines Ehegatten zur Voraussetzung, dass mit dem Wesen der Ehe als eine alle Lebensbereiche der Ehepartner umfassende Lebensgemeinschaft unvereinbar ist. Ein Verhalten eines Ehegatten, das seiner Natur nach nicht gegen das Wesen der Ehe verstößt, bildet daher ohne Rücksicht darauf, wie es vom anderen Ehepartner empfunden wird, niemals eine Eheverfehlung. Überdies hat der Oberste Gerichtshof – entgegen der Auffassung der Revisionswerberin – bereits mehrfach ausdrücklich festgehalten (3 Ob 287/05k; 2 Ob 194/12m), dass es auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Verletzten von schweren Eheverfehlungen (dort ebenso ehewidrige Kontakte) nicht ankommt. Dass die festgestellte ehewidrige Beziehung der Beklagten zu einem anderen Mann ab Anfang 2019 und die damit verbundene Verletzung der ehelichen Treue – ohne Rücksicht darauf, wie dies vom Ehepartner empfunden wird – grundsätzlich einen schweren Mangel an ehelicher Gesinnung aufzeigt, hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung (RS0056126; 3 Ob 287/05k).

[5] 2. Die von der Beklagten (offenbar) vertretene Auffassung, eine Eheverfehlung könne ihr aus einer ehewidrigen Beziehung nicht vorgeworfen werden, solange der Kläger davon keine Kenntnis erlangt habe, hätte die aus dem Gesetz nicht ableitbare Konsequenz, dass bis zur nicht mehr vertiefbaren Zerrüttung erfolgreich verheimlichte Treueverletzungen keine Scheidungsgründe wären, und ist nicht zu teilen (3 Ob 287/05k). Gegenteiliges ist auch den in der Revision zitierten Entscheidungen 4 Ob 55/20x und 1 Ob 20/12s nicht zu entnehmen, die zwar aussprachen, die Eheverfehlung müsse – um ein Scheidungsbegehren zu rechtfertigen – Zerrüttungswirkung haben. In beiden Fällen ging es allerdings um Eheverfehlungen nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe. Dass die dem Kläger von der Beklagten hier erfolgreich verheimlichte ehewidrige Beziehung nicht als schwerwiegende Eheverfehlung zu werten wäre, ist diesen Entscheidungen nicht zu entnehmen.

[6] 3. Die unheilbare Ehezerrüttung iSd § 49 EheG ist nach ständiger Rechtsprechung (RS0056832; RS0043423) dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat. Die Frage, ob die Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine Rechtsfrage, während die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, zum Tatsachenbereich gehört (RS0043423 [T4]). Dies verkennt die Revisionswerberin, wenn sie mehrfach darauf abstellt, für den Kläger sei die Ehe bereits 2016 zerrüttet gewesen. Gegen die ausführlich begründete Beurteilung des Berufungsgerichts, erst mit seinem endgültigen Auszug aus dem Ehewohnhaus im Juli 2019 habe es keine Anzeichen für eine Wohn‑, Wirtschafts‑ oder Geschlechtsgemeinschaft der Parteien mehr gegeben, sodass aus objektiver Sicht die Zerrüttung erst mit diesem Zeitpunkt eingetreten sei, führt die Beklagte nur die zitierte Aussage des Klägers ins Treffen, geht aber nicht auf die (schlüssige) Beurteilung des Berufungsgerichts ein, im Jahr 2016 habe sich zwischen den Ehegatten eine Zerrüttung zwar bereits bemerkbar gemacht, die aber im Hinblick auf – näher vom Berufungsgericht genannte – Anknüpfungspunkte noch nicht unheilbar gewesen sei.

[7] 4. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0119414; RS0118125). Dies gilt auch für die Frage, ob die Heranziehung verziehener oder verfristeter Eheverfehlungen der Billigkeit entspricht und für die Gewichtung des beiderseitigen Fehlverhaltens (RS0056171 [T11]). Bei beiderseitigem Verschulden muss nach der Rechtsprechung (RS0057057) ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Dabei ist nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde. Ein überwiegendes Verschulden ist nur dann anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821). Anders als im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein überwiegendes Verschulden daher nicht schon bei mehr als 50 % Anteil anzunehmen, sondern es muss ein offenkundig hervortretender, sehr erheblicher gradueller Unterschied im beiderseitigen Verschulden vorliegen. Das mindere Verschulden müsste fast völlig in den Hintergrund treten, was nicht allein nach der Schwere der Verfehlungen, sondern danach zu beurteilen ist, in welchem Umfang diese Verfehlungen zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (5 Ob 70/18g mwN).

[8] 5. An diesen Grundsätzen hat sich das Berufungsgericht orientiert. Eine auch im Einzelfall aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Die im Jahr 2010 – nach Anmeldung auf einer Partnerbörse mittels Account eines Freundes – begonnene außereheliche Beziehung des Klägers zu einer anderen Frau, die er der Beklagten gestand und dann auch beendete, werteten ohnedies auch die Vorinstanzen (ungeachtet ihrer Verfristung) als relevant für die Verschuldensabwägung. Entgegen den Revisionsausführungen ist es aber nicht zu beanstanden, darin nicht die alleinige Ursache für die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe und die mehrfachen Eheverfehlungen der Beklagten zu sehen; auch die Auffassung, bei den Eheverfehlungen der Beklagten handle es sich schon aufgrund des zeitlichen Moments nicht mehr um entschuldbare Reaktionshandlungen (vgl RS0057494 [T5]), ist nicht korrekturbedürftig. Nach den Feststellungen begann die Entfremdung der Ehegatten ja bereits dadurch, dass die Beklagte – lang vor der ehewidrigen Beziehung des Klägers im Jahr 2010 – mehr Einbeziehung in die Belange seiner Tochter aus seiner ersten Ehe verlangte, mit seinem Erziehungsstil nicht einverstanden war und ihm dies regelmäßig vorhielt. Auch die dem Kläger gegenüber geäußerte Eifersucht und Sorge, die eigenen Kinder kämen finanziell zu kurz, führten zu Streitigkeiten, die die Ehe belasteten. Auch die ehewidrige Beziehung der Beklagten zu einem Mann Anfang des Jahres 2010 konnte zeitlich keine Reaktionshandlung auf die vom Kläger erst im Winter 2010 aufgenommene ehewidrige Beziehung zu einer anderen Frau sein. Die festgestellten Verstöße gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung, insbesondere auf Seiten der Beklagten, wo Streitigkeiten sogar soweit ausarteten, dass sie den Kläger als Arschloch beschimpfte und ihn körperlich attackierte, werteten die Vorinstanzen im Sinn der ständigen Rechtsprechung (RS0056652) zutreffend als schwere Eheverfehlung, die geeignet waren, die bereits bestehende Entfremdung und beginnende Zerrüttung der Ehe zu verstärken. Dass der Kläger dadurch den Schlusspunkt setzte, dass er zunächst aus dem ehelichen Schlafzimmer und dann aus dem Ehewohnhaus auszog, werteten die Vorinstanzen ohnedies als schwere Eheverfehlung seinerseits. Dass aber das Verhalten der Beklagten im Sinn der zitierten Rechtsprechung völlig in den Hintergrund treten würde, ist nicht zu erkennen. Der Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall.

[9] 6. Die Revision war daher zurückzuweisen, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte