European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00136.21T.0928.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin eines von der Beklagten mit Elektroinstallationsarbeiten beauftragten Unternehmens. Gegenstand des Verfahrens ist die restliche Werklohnforderung der Klägerin aus der 9. Teil‑ bzw Schlussrechnung vom 6. 6. 2016. Im Revisionsverfahren sind noch von der Klägerin geltend gemachte Positionen für „Vorhalten Beleuchtung in Stiegenhäusern“ und „Vorhalten Beleuchtung unter Gerüst“ sowie ihreForderung von Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung der 2., 3. und 7. Teilrechnung Gegenstand, außerdem ist eine für Mängelbehebungskosten eingewendete Gegenforderung der Beklagten strittig.
[2] Das Erstgericht wies die Klage schon mangels Zurechtbestehens der Klageforderung ab.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu, zumal der Schwerpunkt der Berufung auf der in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren Tatsachenebene gelegen sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 1. Es trifft zu, dass auch die Vertragsanpassung wegen Irrtums durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden muss und nicht von Amts wegen aufzugreifen ist (RIS‑Justiz RS0098986; RS0016253). Die Vorinstanzen haben aber nicht etwa amtswegig einen Irrtum berücksichtigt, die rechtliche Beurteilung beruhte nicht auf Irrtumsregeln (§ 871 ff ABGB). Nach deren übereinstimmender Rechtsauffassung war vielmehr der zwischen der Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Klägerin abgeschlossene Vertrag dahin auszulegen, dass für die Leistungsposition „Beleuchtung vorhalten“ ein Pauschale vereinbart wurde. Da sowohl Vertragsanfechtung als auch ‑anpassung das Vorliegen eines Vertrags, somit einer (zumindest) normativen Übereinstimmung der Willenserklärung beider Vertragsparteien und damit deren Auslegung erfordert (vgl RS0014704; Riedler in Schwimann/Kodek 4 § 871 ABGB Rz 9), ist die Vertragsauslegung der Vertragsanpassung nach Irrtumsregeln vorgelagert. Von einer amtswegigen Vertragsanpassung wegen Irrtums kann hier keine Rede sein.
[6] 2. Fragen der Vertragsauslegung selbst begründen – wie die Revisionswerberin selbst erkennt – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042555; RS0042936). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige grobe Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf.
[7] 2.1 Es trifft grundsätzlich zu, dass bei öffentlichen Ausschreibungen die Erklärungen der Auftraggeberin und jene der Bieter objektiv auszulegen sind. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung kommt es bei der Auslegung von Ausschreibungsbedingungen darauf an, wie diese bei objektiver Beurteilung der Sache vom Bieter zu verstehen waren, wobei bei Unklarheiten vor allem dem Geschäftszweck, der redlicherweise der Erklärung zu unterstellen ist, und der Interessenslage Bedeutung zukommt (RS0014205 [T24]). Öffentliche Ausschreibungen sind – wie AGB – so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind – wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren – objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (vgl RS0008901 [T1]; Binder/Kolmasch in Schwimann/Kodek 4 § 914 ABGB Rz 230 f). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach bei der Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen den objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt für maßgebend erachtet (VwGH Ra 2018/04/0176; 2012/04/0066; 2006/04/0200). Betont wird der objektive Erklärungswert der Ausschreibungsbestimmungen (VwGH Ra 2018/04/0137).
[8] 2.2 Dass die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltene Leistungsposition des Vorhaltens der Beleuchtung mit einer Pauschale angeboten wurde, beruht nicht nur auf dem – nach den Feststellungen übereinstimmenden – Willen der Vertragsparteien, sondern ist auch mit dem objektiven Erklärungswert der Ausschreibung nach dem Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers und der Verkehrssitte in Einklang zu bringen. Das Berufungsgericht hat auf den Seiten 24 f seiner Entscheidung ausführlich mit dem Wortlaut der Vertragsbestimmungen selbst argumentiert und ausgeführt, dass etwa die Baustellengemeinkosten in Pauschalen und zeitgebundene Kosten gegliedert gewesen seien, wobei bei den Pauschalen „1,00 PA“, bei den zeitgebundenen Kosten hingegen „26,00 Wo“ (Wochen) vorgesehen gewesen seien, während die hier strittige Position mit „1,00 VE“ angeführt sei, was ungeachtet der Einheit „VE“ darauf schließen lasse, dass damit nur ein einmaliger Pauschalbetrag veranschlagt und angeboten werden sollte. Diese Auslegung werde dadurch gestützt, dass zu Baustellengemeinkosten vermerkt worden sei, dass die Teilleistung des Aufbauens eines gebrauchsfertigen Zustands mit 70 %, die Teilleistung des Abbauens mit 30 % der Gesamtleistung bewertet werde, sodass das Vorhalten offenkundig in die Herstellungs‑ und Abbaukosten einzukalkulieren gewesen sei. Überdies hätten bei der veranschlagten Bauzeit von 26 Wochen nach der Berechnung der Klägerin die beiden strittigen Positionen allein einen Kostenaufwand von 49.920 EUR brutto verursacht und damit 25 % des Angebotspreises betragen, was völlig realitätsfremd und in der Baubranche unüblich sei. Damit hätte ein Mitarbeiter der Klägerin nahezu ausschließlich die Aufgabe der Kontrolle und Instandhaltung der Baustellenbeleuchtung haben müssen. Diese Argumentation des Berufungsgerichts – der die Revisionswerberin inhaltlich nichts Substanzielles entgegensetzt – beruht aber (auch) auf dem objektiven Erklärungswert und Wortlaut der Ausschreibung und nicht (nur) auf dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien. Eine Abweichung vom Grundsatz, öffentliche Ausschreibungen und die Erklärungen der Auftraggeberin und der Bieter objektiv auszulegen, ist daher nicht zu erkennen, die Entscheidungen der Vorinstanzen sind nicht korrekturbedürftig.
[9] 3.1 Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft, er liegt nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht wurde, vom Gericht zweiter Instanz aber verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (RS0042963; RS0106371). Dieser Grundsatz wäre nur dann nicht anzuwenden, wenn das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sich mit den Rechtsmittelausführungen zur Verfahrens‑ und Beweisrüge nur unvollständig auseinandergesetzt und mit gewichtigen Argumenten gar nicht befasst hätte. Dies könnte als Mangel des Berufungsverfahrens selbst iSd § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
[10] 3.2 Ob ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen gewesen wäre, hat das Berufungsgericht abschließend zu beurteilen (RS0042963 [T42, T44, T57, T64]). Ob es eines (weiteren) Sachverständigengutachtens bedarf, ist grundsätzlich eine Frage der an den Obersten Gerichtshof nicht herantragbaren Beweiswürdigung (vgl RS0043320). Im Übrigen sind die Auslegung des Begriffs „Verrechnungseinheit“ und auch die Beurteilung, nach welchen Grundsätzen das Leistungsverzeichnis einer öffentlichen Ausschreibung auszulegen ist, nicht Tat‑, sondern Rechtsfragen.
[11] 3.3 Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043150; RS0043371). Das Berufungsgericht ist aber nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der Feststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis und jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RS0043162).
[12] 3.4 Zur Zahlung der drei angeblich verspätet gezahlten Teilrechnungen traf das Erstgericht eine Negativfeststellung. Das Berufungsgericht behandelte die Beweisrüge der Klägerin und führte zu den Teilrechnungen 2 und 3 ergänzend aus, die Beklagte habe jeweils Unterlagen zur Rechnungsprüfung nachfordern müssen. Zur 7. Teilrechnung wies es darauf hin, dass diese zwar vom 3. 8. 2015 datiere, allerdings Leistungen vom 17. 8. 2015 bis zum 21. 12. 2015 betreffe. Das Berufungsgericht hat daher nachvollziehbare Überlegungen angestellt und die Negativfeststellung zum Zeitpunkt der Zahlung nach Fälligkeit aufgrund seiner Schlussfolgerungen als unbedenklich übernommen. Dies ist vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu überprüfen.
[13] 3.5 Die in der Berufung mit Beweisrüge beanstandeten Feststellungen zu den Ersatzvornahmekosten sind nicht relevant. Da schon die Klageforderung nicht zu Recht besteht, erübrigt sich ein Ausspruch über die eingewendete Gegenforderung (vgl RS0034013). Die im Zusammenhang mit der Behandlung der Beweisrüge zu diesem Thema behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegtnichtvor.
[14] 4. Damit war die Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
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