OGH 5Ob126/18t

OGH5Ob126/18t28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin E*, vertreten durch Dr. Rudolf Böhm, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin R*, vertreten durch Leissner Kovaricek Rechtsanwälte OG in Wien, sowie die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft *, wegen § 21 Abs 3 iVm § 52 Abs 1 Z 8 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. März 2017, GZ 40 R 263/16x‑75, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122800

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Individualrecht auf Auflösung des Verwaltungsvertrags kann nur dann erfolgreich ausgeübt werden, wenn nach dem Verhalten des Verwalters begründete Bedenken gegen seine Treue‑ und Interessenwahrungspflicht bestehen. Dabei muss es sich um Gründe handeln, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung so gewichtig sind, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer nicht mehr gesichert ist (RIS‑Justiz RS0083249). Geringfügige und entschuldbare Fehlleistungen haben unberücksichtigt zu bleiben (RIS‑Justiz RS0083249 [T1]). Mehrere einzelne Pflichtverletzungen des Verwalters, die für sich allein betrachtet noch keine grobe Vernachlässigung der Verwalterpflichten sind, können bei einer Gesamtschau seine Abberufung rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0083249 [T2]). Für die sofortige Abberufung des Verwalters einer Wohnungseigentumsanlage auf Antrag (nur) eines Miteigentümers sind gravierende, die Vertrauensbasis zerstörende Pflichtverletzungen zu fordern (RIS‑Justiz RS0083249 [T4]), zumal im Hinblick auf das Verbot der Wiederbestellung (§ 21 Abs 3 WEG) zu berücksichtigen ist, dass durch eine derartige Abberufung der Mehrheit der Mit‑ und Wohnungseigentümer – die dem Verwalter weiterhin das Vertrauen schenken – ein Verwalterwechsel aufgezwungen wird (5 Ob 293/07k).

2. Ob ausreichende Gründe vorliegen, den Verwaltungsvertrag auf Antrag eines Mit‑ und Wohnungseigentümers aufzulösen, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (RIS‑Justiz RS0111893). Die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten des Verwalters als grobe Vernachlässigung einer Pflicht zu werten ist, eröffnet dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Solange die Vorinstanzen ihre Entscheidung innerhalb dieses Spielraums treffen, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS‑Justiz RS0042763). Dies ist hier der Fall:

3.1. Nach der übereinstimmenden Rechtsauffassung der Vorinstanzen bedurfte die Erhöhung der Rücklage ab 2013 keines Mehrheitsbeschlusses, sodass der Antragsgegnerin diesbezüglich keine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt insoweit nicht vor. § 31 Abs 1 WEG 2002 verpflichtet nunmehr die Wohnungseigentümer zur Bildung einer angemessenen Rücklage zur Vorsorge für künftige Aufwendungen. Die Bildung dieser angemessenen Rücklage ist Maßnahme der ordentlichen Verwaltung (§ 28 Abs 1 Z 2 WEG). Im Fall einer akuten Liquiditätskrise, die die laufende Bewirtschaftung des Objekts gefährdet, steht es dem Verwalter im Rahmen der ordentlichen Verwaltung daher zu, monatliche Vorschreibungen für Betriebskosten und Rücklage auch während des laufenden Jahres zu erhöhen, er hat lediglich durch entsprechende Information den Wohnungseigentümern eine (abweichende) Weisung zu ermöglichen (RIS‑Justiz RS0083581 [T3]; 5 Ob 144/15k). Mehrfach wurde auch bereits ausgesprochen (5 Ob 29/15y; 5 Ob 72/15x), dass selbst der Wegfall eines die Erhöhung der Beiträge zur Rücklage bestimmenden Beschlusses nichts an der Berechtigung des Verwalters ändert, die Höhe der Rücklage selbständig in entsprechender Höhe festzusetzen und vorzuschreiben, was die Minderheit solange bindet, als nicht durch rechtsgestaltenden Beschluss des Außerstreitrichters mit Wirkung ex nunc die Herabsetzung verfügt wird (RIS‑Justiz RS0103218).

3.2. Dass die – hier nach den Feststellungen nicht zuletzt aufgrund mehrfacher Anzeigen der Antragstellerin bei der Baupolizei – durchzuführenden Erhaltungsarbeiten mangels ausreichender Liquidität eine Erhöhung der Rücklage durch die Antragsgegnerin erforderten, zieht auch die Antragstellerin nicht in Zweifel. Auf eine Bindung der Antragsgegnerin an Weisungen der Eigentümergemeinschaft betreffend Rücklagenhöhe aus den Jahren 1990 und 1999 hat sich die Antragstellerin im Verfahren erster Instanz nicht berufen, Feststellungen dazu finden sich im erstinstanzlichen Sachbeschluss daher nicht. Auch im Rekurs nahm sie auf diese Beschlüsse nicht Bezug. Der erstmaligen Geltendmachung im Revisionsrekurs steht das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot entgegen (RIS‑Justiz RS0070485). Einer näheren Erörterung, ob bei 1999 noch nicht absehbaren Liquiditätsengpässen ungeachtet eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft die Verwalterin nicht ohnedies im Rahmen der ordentlichen Verwaltung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen wäre, unzureichende Rücklagenbeiträge zu erhöhen, bedarf es daher nicht.

3.3. Die im Revisionsrekurs zitierten Entscheidungen im (streitigen) Parallelverfahren zwischen der Antragstellerin und der Eigentümergemeinschaft können schon mangels Parteienidentität keinerlei Bindungswirkung für den hier zu beurteilenden Fall entfalten (RIS‑Justiz RS0041572).

4. Weshalb die Vorinstanzen von den in der Entscheidung 5 Ob 91/17v dargelegten Grundsätzen abgewichen sein sollen, ist nicht erkennbar. Gegenstand dieser Entscheidung war eine von der Verwalterin beauftragte Liftsanierung, die im Hinblick darauf, dass in einem TÜV‑Bericht gewisse Maßnahmen aufgrund der Änderungen des Wiener Aufzugsgesetzes verlangt wurden, als Erhaltungsmaßnahme beurteilt wurde. Dort sprach der Fachsenat ausdrücklich aus, die Vornahme einer demgemäß als ordentliche Verwaltung zu qualifizierenden Maßnahme ohne vorangegangene Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft ist keine Pflichtverletzung der Verwalterin. Soweit die Antragstellerin meint, hier habe die Antragsgegnerin eine neue Heizanlage angeschafft, obwohl weder Gefahr im Verzug bestand noch die alte defekt gewesen sei, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach der Eigentümergemeinschaft mit Bescheid vom 10. 7. 2013 aufgetragen worden war, die Heizungsanlage schalltechnisch ö‑normgerecht auszuführen. Überdies lag der Grund für die Erhöhung der Rücklagenbeiträge letztlich ohnedies in den von der Antragstellerin bereits zuvor initiierten baupolizeilichen Aufträgen zur Sanierung der Terrassen und Balkone der Häuser (Bescheid vom 4. 5. 2009). Dass insoweit jedenfalls Erhaltungsarbeiten und somit Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 WEG 2002 vorliegen, bestreitet auch die Antragstellerin nicht.

5. Eine bewusst falsche Behauptung eines Gerichtsauftrags ist dem Schreiben der Antragsgegnerin im Juli 2011 an die Firma I* GmbH im Zusammenhang mit der Heizkostenabrechnung nicht zu entnehmen, auch insoweit geht die Antragstellerin nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

6. Die auf § 38 WEG gestützte rechtliche Beurteilung des Erstgerichts betreffend die Unzulässigkeit der Klausel des Nutzungsregelungsvertrags, wonach Änderungen der Höhe der Beiträge zur Reparaturrücklage der einstimmigen Vereinbarung der Wohnungseigentümer bedürften, zog die Antragstellerin im Rekurs nicht in Zweifel. Die insoweit in zweiter Instanz unterlassene ordnungsgemäße Rechtsrüge ist in dritter Instanz aber nicht nachholbar (RIS‑Justiz RS0043480). Davon abgesehen ordnet § 56 Abs 13 WEG 2002 ausdrücklich an, dass das WEG 2002 – soweit die hier nicht einschlägigen § 56 Abs 1 bis 12 WEG 2002 nichts Abweichendes anordnen – auch auf vor dem 1. 7. 2002 begründeten Wohnungseigentumsrechte und vor diesem Zeitpunkt zwischen Wohnungseigentümern, Wohnungseigentumsbewerbern und Wohnungseigentums-organisatoren untereinander oder mit Dritten geschlossenen Rechtsgeschäfte anzuwenden ist.

7. Die Auffassung des Rekursgerichts, aus der einmaligen Verletzung der zweijährigen Mindestfrist zur Einberufung einer Eigentümerversammlung (§ 25 Abs 1 WEG) im Jahr 2011 verbunden mit von der Antragsgegnerin nur in geringem Umfang zu verantwortenden Nachlässigkeiten und Versäumnissen bei der Terrassensanierung sei auch in der Gesamtschau keine grobe Vernachlässigung ihrer Verwalterpflichten abzuleiten, ist nicht korrekturbedürftig, zumal unstrittig ist, dass sämtliche übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer der Antragsgegnerin weiterhin ihr Vertrauen schenken.

8. Der außerordentliche Revisionsrekurs war somit mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

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