European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00029.15Y.0324.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Wien. Mit einem ‑ mit einfacher Mehrheit gefassten ‑ Beschluss der Wohnungseigentümer, der am 14. 12. 2011 im Haus ausgehängt wurde, wurde die bisher vom Verwalter eingehobene Reparaturreserve für den Zeitraum von 1. 1. 2012 bis 31. 12. 2016 von monatlich 4.360,43 EUR auf 52.000 EUR angehoben. Der Reparaturfondsbetrag erhöhte sich pro Anteil von 0,02 auf 0,25 EUR. Der Beklagte und andere Wohnungseigentümer fochten diesen Beschluss an.
Am 8. 11. 2012 fand eine Eigentümerversammlung statt, bei der ‑ nach Anteilen ‑ 81,81 % der Wohnungseigentümer anwesend waren. Ohne Gegenstimme wurde folgender, in seinem wesentlichen Inhalt wiedergegebener, Beschluss gefasst:
„Der Beschluss über die Abstimmung über die Generalsanierung und die damit verbundene Anhebung der Reparaturreserve ab Jänner 2012, der am 14. 12. 2011 ausgehängt wurde, wird hiermit einverständlich aufgehoben.“
Die abstimmenden Wohnungseigentümer hatten die Absicht, mit diesem Beschluss den vorangegangenen Mehrheitsbeschluss rückwirkend aufzuheben. Der Beschluss vom 8. 11. 2012 wurde am 20. 11. 2012 ausgehängt und nicht angefochten.
Der Antrag auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des vorangegangenen Beschlusses wurde in der Folge rechtskräftig in erster Instanz abgewiesen. Aufgrund der „rechtskräftigen“ Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch die „in Rechtskraft erwachsene“ Mehrheitsentscheidung der Wohnungseigentümer vom 8. 11. 2012 sei das Rechtsschutzinteresse weggefallen.
Der Beklagte bezahlte die ihm von der damaligen Hausverwaltung vorgeschriebenen Wohnbeiträge (einschließlich der erhöhten Reparaturrücklage) für die Monate Oktober bis Dezember 2012 nicht.
Die Eigentümergemeinschaft begehrte mit der im April 2013 eingebrachten Klage die aushaftenden Wohnbeiträge für diesen Zeitraum. Die Aufhebung des Beschlusses über die Erhöhung der Beiträge zum Reparaturfonds wirke nur ex nunc und somit erst ab 1. 1. 2013.
Der Beklagte vertrat den gegenteiligen Standpunkt. Er berief sich auf eine rückwirkende Aufhebung sowie eine Anrechnung der von Jänner bis September 2012 gezahlten Beiträge zum Reparaturfonds.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In der rechtlichen Beurteilung bejahte es das Recht der Eigentümergemeinschaft, einen früheren Beschluss in der selben Sache rückwirkend aufzuheben, weil auch gerichtliche Entscheidungen im Fall der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit eines Beschlusses grundsätzlich ex tunc wirkten. Die vom Beklagten von Jänner bis September 2012 als Beitrag zum Reparaturfonds geleisteten Zahlungen müssten auf die von Oktober bis Dezember 2012 zu zahlenden Wohnbeiträge angerechnet werden. Dies führe zur Abweisung des Klagebegehrens nicht nur hinsichtlich der Beiträge zur Reparaturreserve, sonder im vollen Umfang.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. In der rechtlichen Beurteilung ordnete es die Festsetzung und Einhebung der Beiträge zur Rücklage der ordentlichen Verwaltung zu. Ein wirksam zustande gekommener Mehrheitsbeschluss sei vorläufig vollziehbar, wenn die Anfechtungsfrist noch nicht verstrichen oder der Beschluss angefochten worden sei. Erst die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses durch das Gericht beseitige dessen Wirkung ex tunc. Der Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft, der einen früheren Beschluss aufhebe, sei nur pro futuro rechtswirksam, Rückzahlungen aus dem angesparten Teil der Rücklage an die einzelnen Wohnungseigentümer seien ausgeschlossen. Eine Herabsetzung des angesparten Teils der Rücklage könne nur mehr im Wege einer Ermäßigung der Beiträge für die Zukunft oder bestimmungsgemäßen Verwendung für Liegenschaftsaufwendungen geschehen. Sogar die Aufhebung eines Beschlusses ex tunc setzte die Feststellung voraus, dass die formellen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Beschlusses im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vorhanden gewesen seien. Hier sei einfach nur ein neuer Beschluss gefasst worden. Ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft, der auch an sichtbarer Stelle im Haus anzuschlagen sei, sei ‑ auch gegenüber Dritten ‑ nur soweit rechtswirksam, als das Ergebnis dem Wortlaut zu entnehmen sei. Eine rückwirkende Aufhebung des vorangegangen Beschlusses sei aus dem Wortlaut des zweiten Mehrheitsbeschlusses nicht zu erkennen. Der Beklagte sei daher verpflichtet, die vorgeschriebenen Wohnbeiträge für die Monate Oktober und November 2012 zu leisten. Die Weisung an den Verwalter, den erhöhten Reparaturfondsbeitrag einzuheben, sei im November 2012 aufgehoben worden. Dieser Beschluss sei im Rahmen der ordentlichen Verwaltung sofort in Vollzug zu setzen gewesen. Eine Weisung an den Verwalter hinsichtlich der Höhe des Beitrags für den Monat Dezember 2012 habe es nicht mehr gegeben. Der Verwalter sei jedoch befugt gewesen, die Einhebung und den Umfang der Rücklage selbst festzulegen. Die Wohnungseigentümer seien verpflichtet, die vom Verwalter vorgeschriebenen Vorauszahlungen zu leisten.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen zu, ob ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft nur nach dem Wortlaut oder einem allenfalls festgestellten Willen der Wohnungseigentümer zu interpretieren sei, und ob ein Beschluss über Höhe und Einhebung der Rücklage mit einem neuerlichen Beschluss rückwirkend aufgehoben werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Die ‑ von der Klägerin beantwortete ‑ Revision des Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
1. Im Revisionsverfahren ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht umstritten, wonach die Bildung der Rücklage (§ 31 WEG 2002) zufolge § 28 Abs 1 Z 2 WEG 2002 zu den Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung zu zählen war, in der die Mehrheit der Wohnungseigentümer entscheidet.
1.1 Der Mehrheitsbeschluss über die Erhöhung der Beiträge zur Rücklage war ungeachtet seiner Anfechtung durch mehrere Wohnungseigentümer sofort vollziehbar und vorläufig rechtswirksam. Sein Bestand war nur insoweit auflösend bedingt, als er erst im Fall des rechtskräftigen Scheiterns der Anfechtung endgültig „bestandskräftig“ werden konnte (5 Ob 228/09d = SZ 2010/32; RIS‑Justiz RS0122765; H . Löcker in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht³, § 24 WEG Rz 99; Illedits in Illedits/Reich/Rohrwig , Wohnrecht² § 24 WEG Rz 19). Eine gerichtliche Entscheidung, die eine Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses aus den in § 24 Abs 5 WEG 2002 genannten Anfechtungsgründen feststellte und damit seine Wirkungen ex tunc beseitigte (5 Ob 105/07p; H . Löcker aaO), wurde aber nicht getroffen.
1.2 Eine rückwirkende Festsetzung von Beiträgen zur Rücklage ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs deshalb nicht zulässig, weil sie als Vorsorge für künftige Aufwendungen zu bilden ist (5 Ob 290/05s; RIS‑Justiz RS0103218 [T3]). Der Beklagte meint nun, dass die Mehrheit der Wohnungseigentümer den Beschluss über die Festsetzung der Rücklage bindend für dieses - erst nach Fassung des zweiten Beschlusses eingeleitete - streitige Verfahren rückwirkend widerrufen dürfe. Ob dieses Recht besteht, muss aber aus folgenden Erwägungen nicht abschließend geklärt werden:
1.3 Die Beschlussfassung ist iSd § 24 Abs 1 WEG 2002 Ausdruck der internen Willensbildung der Eigentümergemeinschaft und als Willenserklärung anzusehen (5 Ob 147/12x; vgl H . Löcker aaO Rz 69).
1.4 Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft können entweder ‑ wie hier ‑ durch Abstimmung in der Eigentümerversammlung oder durch schriftlichen Umlaufbeschluss (RIS‑Justiz RS0108768 [T6, T7, T8, T12]) zustande kommen. Sie müssen nach § 24 Abs 5 Satz 1 WEG 2002 jedem Wohnungseigentümer sowohl durch Hausanschlag als auch durch Übersendung schriftlich zur Kenntnis gebracht werden. Nur der Hausanschlag löst die Anfechtungsfristen des § 24 Abs 6 WEG 2002 und des § 29 Abs 1 letzter Satz WEG 2002 aus. Zweck der schriftlichen Verständigung ist die umfassende Information von Stand und Lauf der Verwaltung ( H . Löcker aaO Rz 51).
1.5 Die im WEG 2002 zwingend vorgesehene schriftliche Verständigung der Wohnungseigentümer durch den Hausanschlag als allein Anfechtungsfristen auslösendes Moment zeigt deutlich, dass nur der schriftlich zur Kenntnis gebrachte Text des Beschlusses für die Beurteilung maßgeblich sein kann, was Gegenstand des Beschlusses der Eigentümergemeinschaft sowie der Anfechtung durch Wohnungseigentümer ist. Ein vom Wortlaut nicht gedeckter, oder sogar davon abweichender subjektiver Parteiwille der an der Beschlussfassung beteiligten Wohnungseigentümer ist hingegen irrelevant. Eine gegenteilige Auffassung würde nicht nur zur Rechtsunsicherheit nach außen führen ‑ beispielsweise gegenüber dem Verwalter, der an nicht offensichtlich gesetzwidrige Beschlüsse gebunden ist (RIS‑Justiz RS0083550) ‑, sondern auch im Innenverhältnis. Jenen Wohnungseigentümern, die bei der Abstimmung in einer Eigentümerversammlung nicht anwesend waren, bliebe eine nicht im schriftlichen Beschluss festgehaltene Absprache der Abstimmenden verborgen. Bei einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren dient ein zur Kenntnis gebrachter Text als Entscheidungsgrundlage für die Abstimmung. Nur dieser kann bestimmen, worüber abgestimmt werden soll.
1.6 Nach dem für die Interpretation seines Inhalts allein maßgeblichen Wortlaut des im Haus angeschlagenen, unangefochten gebliebenen Mehrheitsbeschlusses wurde der vorangegangene Mehrheitsbeschluss „hiermit“ aufgehoben. „Hiermit“ bringt lediglich zum Ausdruck, dass dieser Beschluss zum Zeitpunkt seiner Fassung etwas bewirken soll. Eine rückwirkende Beseitigung ist aus dem Wortlaut jedoch nicht herauszulesen, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Die Aufhebung des ersten Beschlusses konnte die Verpflichtung des Beklagten, die vorgeschriebenen Beiträge zur Rücklage zu zahlen, daher nicht rückwirkend beseitigen. Ab dem Zeitpunkt der (vorläufigen) Wirksamkeit des zweiten Beschlusses vom 8. 11. 2012 war der Verwalter entgegen der Meinung des Beklagten berechtigt, die Höhe der Rücklage für Dezember 2012 bindend für alle Wohnungseigentümer selbständig festzusetzen (5 Ob 290/05s; 5 Ob 197/10x; RIS‑Justiz RS0103218). Die gewünschte Anrechnung einer (hier eben nicht gegebenen) Überzahlung auf die vorgeschriebenen Wohnbeiträge ‑ exklusive der Rücklage ‑ wäre im Sinn der ständigen Rechtsprechung zum konkludenten Aufrechnungsverzicht von Wohnungseigentümern (RIS‑Justiz RS0119211; RS0109647) nicht zulässig gewesen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 ZPO iVm mit § 50 Abs 1 ZPO.
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