European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117733
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger kaufte am 9. Mai 2015 vom Beklagten um 7.200 EUR ein bestimmtes Kraftfahrzeug. Der Beklagte hatte das Fahrzeug im Internet zum Verkauf angeboten und als sehr gepflegt beschrieben (weiterer Anbotsinhalt war nicht feststellbar).
Bereits bei Besichtigung und Probefahrt vor dem Vertragsabschluss gab es Probleme, weil der Motor abstarb. Beim Verkaufsgespräch teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass sich das Fahrzeug in einem einwandfreien Zustand befinde und er sämtliche Services vorschriftsgemäß durchführen habe lassen. Der Beklagte erwähnte frühere Probleme mit der Zündspule und Startprobleme, diese seien jedoch behoben. Entsprechende Rechnungen wies der Beklagte vor. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde das Fahrzeug als nicht verkehrs‑ und betriebssicher bezeichnet. Die Gewährleistung wurde (abgesehen vom genannten Kilometerstand) ausgeschlossen. Der Beklagte sicherte zu, dass ihm keine Vorschäden bekannt seien.
Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ging der Beklagte davon aus, dass das Fahrzeug keine schweren Mängel aufweise und verkehrs‑ und betriebssicher sei. Zur Begründung, dass das Fahrzeug im Kaufvertrag als nicht verkehrs‑ und betriebssicher bezeichnet wurde, erklärte der Beklagte dem Kläger, dass dies aus formellen Gründen notwendig sei, weil das Fahrzeug kein „Pickerl“ mehr habe. Der Beklagte sicherte dem Kläger die Verkehrs‑ und Betriebssicherheit nicht ausdrücklich zu.
Im Übergabszeitpunkt hatte der Hinterachs‑Exzenter ein erhöhtes Spiel, was einen „schweren Mangel“ bildet. Ein weiterer „schwerer Mangel“ am Fahrzeug bestand darin, dass der Motor nicht gestartet werden konnte. Nicht feststellbar war aber, ob dieser Mangel bereits im Zeitpunkt der Übergabe vorlag.
Im Verkaufszeitpunkt hatte das Fahrzeug unter Berücksichtigung der erwähnten Mängel einen Wert von 6.000 EUR, ohne diese Mängel hätte der Marktwert 6.350 EUR betragen.
Die Verkehrs‑ und Betriebssicherheit des Fahrzeugs war im Übergabezeitpunkt nicht gegeben, für deren Wiederherstellung wären 324 EUR aufzuwenden. Bereits am 10. Juni 2015 begehrte der Kläger außergerichtlich die Aufhebung des Kaufvertrags und die Rückzahlung des Kaufpreises.
Am 26. August 2015 klagte der Kläger den Beklagten auf Zahlung von 7.200 EUR sA, hilfsweise Zug um Zug gegen die Rückstellung des gekauften Fahrzeugs. Entgegen den Zusicherungen des Beklagten liege ein verschwiegener, wesentlicher und massiver Mangel am Fahrzeug vor. Der Beklagte habe zugesichert, dass das Fahrzeug betriebs‑ und verkehrssicher sei und überdies bei größeren Schäden die Rücknahme des Fahrzeugs in Aussicht gestellt. Tatsächlich sei das Fahrzeug aber nicht fahrbereit, es sei mit wesentlichen Mängel behaftet. Der Beklagte habe sich geweigert, die aufgezeigten Mängel zu beheben, das Klagebegehren werde auf jedweden Rechtsgrund gestützt. Jedenfalls liege ein gemeinsamer Irrtum über einen wesentlichen Umstand, nämlich die Mängelfreiheit bzw Verkehrs‑ und Betriebssicherheit vor.
Der Beklagte wendete ein, die Gewährleistung für das Fahrzeug sei ausgeschlossen worden. Er habe dem Kläger nie zugesichert, das Fahrzeug bei größeren Schäden zurückzunehmen und habe auch die Verkehrs‑ und Betriebssicherheit nie bestätigt. Das Fahrzeug sei im vereinbarten Zustand und mängelfrei erworben worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwar sei ein Gewährleistungsausschluss restriktiv auszulegen und erstrecke sich weder auf arglistig verschwiegene Mängel noch auf das Fehlen ausdrücklich zugesicherter oder konkludent vereinbarter Eigenschaften, der Beklagte habe aber eine entsprechende Zusicherung weder ausdrücklich gemacht, noch sei diese als schlüssig vereinbart anzusehen. Der Beklagte habe überdies weder einen Irrtum des Klägers veranlasst noch ihm arglistig Mängel verschwiegen. Schadenersatz scheide mangels Verschuldens aus. Im Hinblick auf den Marktwert des Fahrzeugs zum Verkaufszeitpunkt liege auch laesio enormis nicht vor.
Das Berufungsgericht gab dem Kaufpreisrückzahlungsbegehren über Berufung des Klägers statt und sprach (nachträglich) aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf fehlende Feststellungen zur Wesentlichkeit des festgestellten Irrtums zulässig sei. Nach den getroffenen Feststellungen liege ein gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien über das Fehlen schwerer Mängel am Fahrzeug vor. Beim Vorliegen eines schweren Mangels (erhöhtes Spiel am Hinterachs‑Exzenter) sei von einem wesentlichen Irrtum auszugehen, unabhängig davon, ob der Mangel durch einen Verschleißteil verursacht worden sei oder nicht. Der Kaufvertrag sei daher infolge des gemeinsamen wesentlichen Irrtums rückabzuwickeln.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils anstrebt, ist infolge Abweichens des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Der Kläger behauptete zunächst arglistige Irreführung oder zumindest einen durch den Beklagten veranlassten Irrtum, ergänzte sein Vorbringen aber später (ON 16) dahin, dass betreffend Mängelfreiheit bzw Verkehrs‑ und Betriebssicherheit zumindest ein gemeinsamer Irrtum vorliege.
In der Rechtsprechung ist – trotz Kritik in der Lehre – anerkannt, dass auch ein gemeinsamer Geschäftsirrtum der Vertragspartner die Anfechtung oder Anpassung des Vertrags rechtfertigen kann (8 Ob 57/14m mwN; RIS‑Justiz RS0016230). Ein gemeinsamer Irrtum setzt voraus, dass beide Parteien demselben Irrtum unterliegen (RIS‑Justiz RS0016226). Gemeinsamer wesentlicher Geschäftsirrtum bewirkt die Unverbindlichkeit des Vertrags unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB (RIS‑Justiz RS0016230 [T3]).
Die Behauptung, der Vertragspartner habe den Vertragsabschluss durch List veranlasst, beinhaltet die Anfechtung wegen Irrtums nur unter der für jedes Klagevorbringen unabdingbaren Voraussetzung, dass das tatsächliche Vorbringen des Anfechtenden auch die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung trägt. Das mag in der Regel bei einen vom anderen Teil veranlassten Irrtum gelten, nicht aber auch dann, wenn List behauptet, aber nur gemeinschaftlicher Irrtum festgestellt ist (RIS‑Justiz RS0014766). Eine Anfechtung wegen gemeinsamen Irrtums ist nämlich mit der Behauptung, getäuscht worden zu sein, begrifflich unvereinbar, sodass sie besonders geltend gemacht werden muss (5 Ob 144/98g; 8 Ob 57/14m). Bei der Irrtumsanfechtung muss der Kläger einen Sachverhalt behaupten, aus dem sich ergibt, dass der Geschäftsirrtum des Klägers wesentlich war und entweder vom Beklagten veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (RIS‑Justiz RS0093831). Stützt der Kläger das Klagebegehren auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, so entbindet ihn eine solche Leerformel nicht von der Verpflichtung, die rechtserzeugenden Tatsachen vorzubringen (RIS‑Justiz RS0037591).
Das Klagevorbringen umfasste hier aber sowohl das Vorliegen eines gemeinsamen Irrtums (ON 16) als auch die klägerische Behauptung der Wesentlichkeit des Irrtums, was im Sinn üblichen juristischen Sprachgebrauchs nur dahin verstanden werden kann, dass der Kläger den Vertrag ohne den geltend gemachten Irrtum nicht geschlossen hätte. Da diese Anfechtungsvoraussetzung von den Vorinstanzen nicht geprüft wurde (entsprechende Feststellungen fehlen) erweist sich die Sache als nicht spruchreif.
Für die Beurteilung der Wesentlichkeit des Irrtums ist der hypothetische Parteiwille entscheidend. Der Irrtum ist dann wesentlich, wenn der Erklärende ohne ihn das Geschäft nicht geschlossen hätte (RIS‑Justiz RS0016201). Maßgebender Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses (7 Ob 568/95). Erst wenn die Feststellung des hypothetischen Willens der konkreten Parteien unmöglich ist, ist zu fragen, wie normale Personen redlicherweise gehandelt hätten (9 Ob 247/02t ua; RIS‑Justiz RS0016201 [T3]; RIS‑Justiz RS0082957 [T1]). Bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für den hypothetischen Parteiwillen aus dem Verhalten der Parteien ist die Verkehrsauffassung nach objektivem Maßstab ausschlaggebend (7 Ob 568/95). Die Prüfung hat daher somit zunächst nach dem tatsächlichen, dann nach dem hypothetischen Willen der konkreten Parteien zu erfolgen; erst wenn dieser nicht feststellbar ist, anhand der Frage, was normale Parteien redlicherweise unternommen hätten (Bollenberger in KBB4 § 871 ABGB Rz 18).
Da weder eine positive noch eine negative Feststellung zur behaupteten Verursachung des Vertragsabschlusses durch den gemeinsamen Irrtum der Streitteile vorliegt, kann nicht gesagt werden, dass der hypothetische Wille des Klägers nicht feststehe (so aber offenbar das Berufungsgericht). Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass bei Vorliegen eines schweren Mangels von einem wesentlichen Irrtum auszugehen sei, weshalb eine Vertragsaufhebung stattzufinden habe, obwohl keine Feststellungen zum hypothetischen Parteiwillen vorliegen, steht daher im Widerspruch zur Rechtsprechung.
Im fortzusetzenden Verfahren sind daher zunächst Feststellungen zum hypothetischen Parteiwillen des Klägers nachzutragen. Nur für den Fall, dass der Wille des Klägers nicht feststellbar bleiben sollte, wäre nach dem Verhalten redlicher Personen an der Stelle des Klägers zu fragen. Hiezu sei angemerkt, dass nach Auffassung des erkennenden Senats aus dem Vorliegen des konkret festgestellten Mangels (erhöhtes Spiel des Hinterachs‑Exzenters) im Hinblick auf die mögliche und mit nicht besonders hohen Aufwendungen verbundene Reparatur nicht ohne weiters darauf geschlossen werden kann, dass eine redliche Partei auf der Vertragsauflösung bestanden hätte. Nicht nur nach dem hypothetischen Parteiwillen (vgl 8 Ob 19/12w mwN), sondern auch nach redlicher Verkehrsauffassung kann durchaus auch ein wesentlicher Vertragsumstand, der die Hauptsache betrifft, (nur) zu einer Vertragsanpassung führen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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