Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten die mit 366,34 EUR (darin 61,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Rechtssache war bereits Gegenstand einer Entscheidung des erkennenden Senats; hinsichtlich Vorbringen, Verfahrensgang und Sachverhalt wird auf den im ersten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss (4 Ob 22/05x = immolex 2005, 214 = ecolex 2005, 609) verwiesen.
Das Berufungsgericht hob im zweiten Rechtsgang die Aufkündigung auf und wies die Räumungsklage ab; es sprach aus, dass die Revision im Hinblick auf die uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage des dringenden Wohnbedürfnisses des Eintrittswerbers zulässig sei. Es ging bei seiner Entscheidung nach Erörterung der Frage der Verfügbarkeit der Wohnung im 17. Bezirk in der Berufungsverhandlung sowie nach Beweisergänzung und -wiederholung im fortgesetzten Verfahren von folgenden weiteren Feststellungen aus:
Der Nebenintervenient hat den von ihm seit 1963 angemieteten Einzelraum im 17. Bezirk nur kurze Zeit selbst bewohnt und sodann entweder als Lagerraum genutzt oder untervermietet. Der Raum ist ca 15 m² groß und verfügt weder über ein WC noch über einen Wasser- oder Kaminanschluss und auch über keine Kochgelegenheit. Die Untermietverträge waren zumeist mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren befristet. Der Untermietvertrag, der 1981 zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin der aufgekündigten Wohnung (der Adoptivmutter des Nebenintervenienten) bestand, war auf vier Jahre befristet; davon war im Todeszeitpunkt rund die Hälfte vergangen. Die damalige Untermieterin blieb noch über die vereinbarte Vertragsdauer hinaus in der Wohnung. Der Nebenintervenient unternahm nach dem Tod seiner Adoptivmutter keinen Versuch, den untervermieteten Einzelraum freizubekommen, weil er ohnehin seit 1976 mit seiner Adoptivmutter in der aufgekündigten Wohnung wohnte. Die aufgekündigte Wohnung im 7. Bezirk ist 96 m² groß und verfügt über Bad, WC und Gasetagenheizung. Es steht nicht fest, dass die Hausverwaltung auf Grund eines mietrechtlichen Verfahrens im April 2003 oder eines Telefonats mit dem Nebenintervenienten nach dem Tod der Adoptivmutter Kenntnis von der Wohnung im 17. Bezirk erlangt hat.
In rechtlicher Hinsicht ging das Berufungsgericht davon aus, das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten sei nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Eintrittsfalls zu beurteilen. Der Eintrittsberechtigte könne nicht auf die Wohnmöglichkeit in einer anderen Wohnung verwiesen werden, wenn unbestimmt sei, ob diese freigemacht werden könne, es sei denn, die Vertragsbeendigung stehe in naher Zukunft bevor. Der im Zeitpunkt des Eintrittsfalls bestehende Untermietvertrag sei auf länger als ein halbes Jahr befristet gewesen, was nach damaliger Rechtslage ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Untermietverhältnis begründet habe (§ 23 MG). Im Gegensatz zu älteren Entscheidungen verneine die jüngere Rechtsprechung ein dringendes Wohnbedürfnis nur dann, wenn dem Eintrittswerber nicht nur eine rechtlich gleichwertige, sondern auch eine ausreichende Unterkunft zur Verfügung stehe, wobei eine nur 23 m² große Ersatzwohnung letztere Voraussetzung nicht erfülle. Daraus folge, dass der Nebenintervenient im Eintrittszeitpunkt ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung gehabt habe. Damit sei er in das Mietverhältnis eingetreten und die beklagte Verlassenschaft nach seiner Adoptivmutter nicht passiv klagelegitimiert.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage besteht, ob das „dringende Wohnbedürfnis" eintrittsberechtigter Personen nach § 19 MG nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen ist wie die gleichlautende Eintrittsvoraussetzung nach § 14 MRG; die Revision ist aber nicht berechtigt.
Der Kläger erblickt einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Verfahrensmangel (Verstoß gegen das Neuerungsverbot) darin, dass das Berufungsgericht dem Nebenintervenienten nach Anleitung in der Berufungsverhandlung die Möglichkeit eingeräumt hat, sein Vorbringen zu ergänzen; der Nebenintervenient sei nicht Partei des Verfahrens, weshalb schon nach dem Wortlaut der §§ 182, 182a ZPO ihm gegenüber keine richterliche Anleitungspflicht bestehe.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass weder ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot noch eine über die Anleitungspflicht hinausgehende Anleitung und Belehrung geeignet ist, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern. Sie bilden daher keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 503 Z 2 ZPO und können demnach auch nicht als Revisionsgrund geltend gemacht werden (zum Verstoß gegen das Neuerungsverbot s Kodek in Rechberger, ZPO² § 482 Rz 6 mwN; zur „übertriebenen" Anleitung s Fucik in Rechberger, ZPO² § 182 Rz 2 mwN). Der Kläger übersieht auch, dass im Falle einer Beweisergänzung durch das Berufungsgericht das Verfahren in den Stand vor Schluss der Verhandlung tritt, sodass die Parteien nunmehr - ohne dem Neuerungsverbot des § 482 ZPO unterworfen zu sein - zu dem von der Ergänzung betroffenen Verhandlungsgegenstand neues Vorbringen erstatten können (RIS-Justiz RS0042354). Die Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist in diesem Fall eine Verhandlung erster Instanz und keine mündliche Berufungsverhandlung im Sinne der §§ 486 ff ZPO (4 Ob 19/89 = RZ 1989/106; vgl Kodek aaO § 482 Rz 5 mwN). Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist der Schluss der Verhandlung des Berufungsgerichts (8 Ob 78/00d). Die behauptete Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt daher nicht vor.
In der Sache selbst macht die Revision geltend, dass die erst jüngst zur faktischen Gleichwertigkeit einer Unterkunft iSd § 14 MRG entwickelte Rechtsprechung nicht auf Sachverhalte anwendbar sei, die noch der Beurteilung nach § 19 Abs 2 Z 11 MG unterliegen. Ob die im Eintrittszeitpunkt untervermietete Wohnung des Nebenintervenienten der aufgekündigten Wohnung in der Ausstattung gleichwertig sei, sei für die Frage des dringenden Wohnbedürfnisses ohne Bedeutung, weil es insoweit nur auf die rechtliche Gleichwertigkeit ankomme.
Das Mietrechtsgesetz (MRG), BGBl 1981/520, ist mit 1. Jänner 1982, also erst nach dem Tod der Mieterin der aufgekündigten Wohnung im Jahr 1981, in Kraft getreten. Ob der damals im gemeinsamen Haushalt mit seiner Adoptivmutter lebende Nebenintervenient in deren Mietvertrag eingetreten ist, richtet sich daher nach dem Mietengesetz (MG), BGBl 1929/210 idF des Bundesgesetzes BGBl 1976/91. Nach § 19 Abs 2 Z 11 MG lag ein wichtiger Kündigungsgrund vor, wenn die vermieteten Wohnräume nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen dienten. Eintrittsberechtigt waren (ua) der Ehegatte und Verwandte in gerader Linie, die schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter wohnten.
Das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses im Sinne des hier noch zur Anwendung kommenden § 19 Abs 2 Z 11 MG wurde in der Rechtsprechung nur verneint, wenn dem Eintrittswerber eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stand; die Gleichwertigkeit bezog sich hiebei weniger auf die faktische als auf die rechtliche Position (RISJustiz RS0068334[T10].
§ 14 MRG regelt das Eintrittsrecht in den hier wesentlichen Punkten gleich wie § 19 Abs 2 Z 11 MG. Der Begriff des dringenden Wohnbedürfnisses hat sich somit durch die Erlassung des MRG nicht geändert. Die ältere Rechtsprechung hat ein dringendes Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen nur dann angenommen, wenn die unabweisliche Notwendigkeit bestand, den anderweitig in rechtlich gleichwertiger Weise nicht gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen, wobei eine faktische Ungleichwertigkeit nicht berücksichtigt wurde. In jüngeren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs wird hingegen das dringende Wohnbedürfnis im Sinne eines schutzwürdigen Interesses verstanden und nur dann verneint, wenn dem Eintrittsberechtigten eine andere ausreichende und angemessene sowie rechtlich gleichwertige Unterkunftsmöglichkeit zur Verfügung steht, wobei immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls unter Einschluss sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Verhältnisse abgestellt wird (6 Ob 75/98t = MietSlg 50.309 = wobl 1998/171; 8 Ob 331/97b = wobl 1999/206; vgl auch 6 Ob 505/96 = wobl 1998/38; 5 Ob 1591/92 = wobl 1993/82: diese Entscheidung sieht unter Berücksichtigung der Schwangerschaft der Eintrittswerberin eine 23 m² große Wohnung nicht als ausreichend an). Die Dringlichkeit des Wohnbedürfnisses eines nahen Angehörigen an der aufgekündigten Wohnung hängt davon ab, ob der Eintrittswerber über eine eigene Wohnung verfügt, die er früher bewohnt hat, oder ob er auf eine andere Wohnung verwiesen werden soll. Nur im ersten Fall ist auf die unbedingte Notwendigkeit abzustellen, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand zu belassen, andernfalls muss es sich um eine ausreichende und gleichartige Wohnmöglichkeit handeln (4 Ob 580/87 = MietSlg 39.300; 6 Ob 75/98t = MietSlg 50.309 = wobl 1998/171). Verfügt der Eintrittswerber über eine eigene Wohnung, dann ist sein Wohnbedarf gleich dem dringenden Eigenbedarf nach § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG zu prüfen (Würth in Rummel, ABGB³ §§ 14, 15 MRG Rz 10 mwN).
Diese Rechtsprechung muss auch maßgebend sein, wenn sich ein Sachverhalt vor Inkrafttreten des Mietrechtsgesetzes verwirklicht hat, da die Rechtslage in den hier wesentlichen Punkten gleich geblieben ist und gleiche Tatbestände die gleichen Rechtsfolgen nach sich ziehen. Wendet man die Grundsätze der Rechtsprechung im vorliegenden Fall an, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der vom Nebenintervenienten angemietete, ca 15 m² große Einzelraum ohne WC und Kochgelegenheit sowie ohne Wasser- oder Kaminanschluss keine ausreichende und gleichwertige Wohnmöglichkeit ist, die geeignet wäre, sein dringendes Wohnbedürfnis an der 96 m² großen aufgekündigten Wohnung mit Bad, WC und Gasetagenheizung zu verneinen. Dass der Nebenintervenient den 1963 angemieteten Raum kurze Zeit selbst bewohnt hat, schließt eine Berücksichtigung der gravierenden Unterschiede gegenüber der aufgekündigten Wohnung nicht aus. Durch einen Raum, der weder über ein WC noch über einen Wasser- oder Kaminanschluss und auch über keine Kochgelegenheit verfügt, wird der Wohnbedarf derart unzulänglich gedeckt, dass ein dringendes Wohnbedürfnis des Nebenintervenienten an der aufgekündigten Wohnung zu bejahen ist. Damit ist es ohne Bedeutung, dass der Nebenintervenient nicht versucht hat, die im Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivmutter untervermietete Wohnung frei zu bekommen.
Das Berufungsgericht hat die Aufkündigung zu Recht aufgehoben. Der Revision musste erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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