OGH 6Ob75/98t

OGH6Ob75/98t23.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Engin-Deniz und Mag.Dr.Christian Reimitz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 23.November 1995 verstorbenen Katharina Aloisia M*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr.Christian Lang, Rechtsanwalt in Wien, und den Nebenintervenienten auf seiten der beklagten Partei Prof.Mag.Wilhelm M*****, vertreten durch Dr.Wilhelm Mährenhorst, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 4.November 1997, GZ 40 R 620/97s-21, womit infolge Berufungen der beklagten Partei und ihres Nebenintervenienten das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 23.Juli 1997, GZ 7 C 14/97m-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei sowie deren Nebenintervenienten auf seiten der beklagten Partei die mit jeweils 4.871,04 S (darin jeweils 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Katharina M***** war bis zu ihrem Tod am 23.11.1995 Hauptmieterin der Wohnung top Nr 19 im Haus Wien *****, A*****straße *****. Prof.Mag.Wilhelm M*****, der Nebenintervenient, bewohnte die 150 bis 160 m2 große Wohnung der Ausstattungskategorie A in ehelicher Lebensgemeinschaft mit seiner Frau bis zu deren Tod. Der Nebenintervenient ist 76 Jahre alt.

Im Jahre 1965 schloß der Nebenintervenient gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich M***** einen Hauptmietvertrag über die im selben Haus gelegene Wohnung top Nr 23. Diese Wohnung ist 55 m2 groß und Ausstattungskategorie D. Die Anmietung erfolgte für die Wohnbedürfnisse der Kinder des Nebenintervenienten, der den Mietvertrag über ausdrücklichen Wunsch der Hausverwaltung mitunterfertigte, weil sein Sohn damals als Student über kein eigenes Einkommen verfügte. Tatsächlich wurde die Wohnung top Nr 23 vom Nebenintervenienten auch nie bewohnt. Seit 1965 stand sie mit Wissen der Hausverwaltung auch immer wieder leer. Auch zum Todeszeitpunkt der Katharina M***** wurde sie weder vom Nebenintervenienten noch von seinen Kindern benützt.

Im November 1996 kündigte die klagende Partei dem Nebenintervenienten und Friedrich M***** die Wohnung top Nr 23 zum 31.3.1997, gestützt auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG auf.

Mit dem Vorbringen, nach dem Tode der Hauptmieterin seien keine eintrittsberechtigten Personen im Sinne des § 14 Abs 3 MRG vorhanden, kündigte die klagende Partei der beklagten Verlassenschaft das Bestandverhältnis an der Wohnung top Nr 19 gestützt auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG ebenfalls zum 31.3.1997 auf. Der Nebenintervenient habe an der aufgekündigten Wohnung kein dringendes Wohnbedürfnis, weil er zum Todeszeitpunkt als Mitmieter über die Wohnung top Nr 23 verfügt habe. Die Aufkündigung dieser Wohnung lange nach dem allein maßgeblichen Todeszeitpunkt der Mieterin der Wohnung top Nr 19 sei für das vorliegende Verfahren nicht relevant.

Die beklagte Partei beantragt die Aufhebung der Kündigung, weil der Nebenintervenient wegen seines dringenden Wohnbedürfnisses eintrittsberechtigt sei.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Verlassenschaft zur Räumung. Der Nebenintervenient gehöre zwar zum Kreis der Eintrittsberechtigten und habe mit der Mieterin bis zu deren Tod einen gemeinsamen Haushalt in der aufgekündigten Wohnung geführt, es mangle ihm jedoch an einem dringenden Wohnbedürfnis, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Todes der Mieterin gemeinsam mit seinem Sohn Hauptmieter einer anderen Wohnung im selben Haus gewesen sei. Daß diese Wohnung lediglich Ausstattungskategorie D und eine wesentlich geringere Nutzfläche aufweise, ändere nichts an der rechtlichen Gleichwertigkeit. Auch die erst nach dem Tod der Aloisia M***** erfolgte Aufkündigung der Wohnung top Nr 23 vermöge daran nichts mehr zu ändern.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten Folge und hob die Aufkündigung auf. Das dringende Wohnbedürfnis des 76-jährigen Nebenintervenienten sei zu bejahen. Dieses sei nach dem Zeitpunkt des Todes der Mieterin zu beurteilen, wobei nachträgliche Änderungen nur insoweit zu berücksichtigen seien, als sie durch den Tod verursacht oder schon damals für die nächste Zeit zu erwarten gewesen seien. Die Rechtsprechung stelle bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses darauf ab, daß der Eintrittsberechtigte über eine rechtlich gleichwertige Wohnmöglichkeit verfüge. Bei Vorhandensein einer Wohnung im eigenen Haus, einer Eigentumswohnung oder einer anderen kündigungsgeschützten Mietwohnung sei die rechtliche Gleichwertigkeit jedenfalls im Regelfall zu bejahen. Im vorliegenden Fall habe der Nebenintervenient die im selben Haus befindliche Wohnung top Nr 23 von vornherein nur für die Wohnbedürfnisse seiner Kinder gemietet und den Mietvertrag auf Wunsch der Hausverwaltung nur deshalb mitunterschrieben, weil sein Sohn damals noch nicht über eigenes Einkommen verfügt habe. Die rechtliche Gleichwertigkeit einer im selben Haus gemieteten Wohnung werde dadurch ausgeschlossen, daß der Liegenschaftseigentümer die zweite Wohnung in Kenntnis des Umstandes vermietet habe, der mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt wohnende Nebenintervenient werde diese Wohnung nicht für eigene Wohnzwecke nutzen. Daß es dem Eintrittswerber rechtlich möglich wäre, diese Wohnung für eigene Zwecke zu verwenden, ändere nichts daran. Es müsse daher nicht mehr beurteilt werden, ob das Vorhandensein bloß eines Mitmietverhältnisses gemeinsam mit einem erwachsenen Sohn überhaupt als rechtlich gleichwertig anzusehen sei und ob wegen Vorliegens besonderer Umstände von einer faktischen Ungleichwertigkeit der Wohnung top Nr 23 mit der hier aufgekündigten auszugehen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier zu lösenden Frage nicht bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.

Während in der älteren Rechtsprechung ein dringendes Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Person nur dann angenommen wurde, wenn die unabweisliche Notwendigkeit bestand, den anderwärts in rechtlich gleichwertiger Weise nicht gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen, und die Berücksichtigung einer faktischen Ungleichwertigkeit gänzlich verneint wurde, hat der Oberste Gerichtshof bereits seit 1985 auch unter Bezugnahme auf Würth in Rummel zu § 14 MRG mehrfach ausgesprochen, daß ein dringendes Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen im Sinne eines schutzwürdigen Interesses zu verstehen und nur dann zu verneinen ist, wenn ihnen eine andere ausreichende und angemessene Unterkunft zur Verfügung steht, wobei immer die Gesamtheit der vorliegenden Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen ist (1 Ob 603/85; 8 Ob 591/92; 5 Ob 1591/92). Die Dringlichkeit des Wohnbedürfnisses eines nahen Angehörigen an der aufgekündigten Wohnung hängt davon ab, ob der Eintrittswerber über eine eigene Wohnung verfügt, die er früher bewohnt hat, oder ob er auf eine andere Wohnung verwiesen werden soll. Nur im ersten Fall ist auf die unbedingte Notwendigkeit abzustellen, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand zu belassen, andernfalls muß es sich um eine ausreichende und gleichartige (rechtlich abgesicherte) Wohnmöglichkeit handeln (4 Ob 580/97 mwN).

Im Sinne dieser Rechtsprechung ist aber das schutzwürdige Interesse des 76 Jahre alten Witwers, der mit der verstorbenen Mieterin durch Jahrzehnte in der gemeinsamen, rund 160 m2 großen Wohnung der Kategorie A gelebt hat, zu bejahen. Die bloßen Mitmietrechte mit einem erwachsenen Sohn an einer flächenmäßig ganz erheblich kleineren Wohnung nur der Ausstattungskategorie D, die überdies vom selben Hauseigentümer zum selben Kündigungstermin wie die gegenständliche Wohnung auch aufgekündigt wurden, stellen keine ausreichende und angemessene sowie rechtlich gleichwertige Unterkunftsmöglichkeit dar. Die Aufkündigung ist daher schon aus diesen Gründen aufzuheben, ohne daß es auf den Zweck der Anmietung, dessen Kenntnis durch den Hauseigentümer und die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Mitmietern über die Benützung der Wohnung top Nr 23 ankommt.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; dem Beklagten gebührt jedoch kein Streitgenossenzuschlag (§ 15 RATG).

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