OGH 8Ob331/97b

OGH8Ob331/97b30.4.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Monika P*****, 2. Mag.Brigitte B*****, beide vertreten durch Dr.Peter Ponschab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Walpurga B*****, vertreten durch Dr.Werner Goeritz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16.Mai 1997, GZ 40 R 225/97b-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 28.November 1996, GZ 9 C 2425/95p-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind Eigentümer des Wiener Mietshauses, in welchem die Mutter der Beklagten bis zu ihrem Tod am 24.4.1991 Hauptmieterin einer Wohnung war. Die Beklagte lebte von Geburt an bis Ende des Jahres 1994 in dieser Wohnung. Die Enkelin der verstorbenen Mutter der Beklagten und Nichte der Beklagten zog zu Beginn des Schuljahres 1990/91 in die Wohnung ein, weil sie wegen familiärer Probleme die elterliche Wohnung verlassen wollte und sich die Gelegenheit bot, bei ihrer Tante weiterhin unter der Obhut eines Erwachsenen zu verbleiben. Sie befand sich damals im 17.Lebensjahr und lebte fortan im gemeinsamen Haushalt mit der Hauptmieterin und ihrer Tante. Die polizeiliche Meldung erfolgte am 5.3.1991. Anfang des Jahres 1995 zog die Beklagte aus der Wohnung aus. Die Nichte der Beklagten und Enkelin der verstorbenen Hauptmieterin beglich ab diesem Zeitpunkt den Mietzins im eigenen Namen, indem sie die mit dem Namen der Beklagten versehenen Erlagscheine auf ihren Namen ausbesserte.

Die Klägerinnen kündigten mit ihrer am 6.9.1995 beim Erstgericht eingelangten Aufkündigung die strittige Mietwohnung der Beklagten auf und brachten vor, daß diese die Wohnung nicht mehr benütze, sondern das Bestandobjekt von anderen Personen oder gar nicht bewohnt werde.

Die Beklagte bestritt die Passivlegitimation und wendete ein, daß sie nach dem Tod der Hauptmieterin gemeinsam mit deren Enkelin in den Mietvertrag gemäß § 14 MRG eingetreten sei. Die Nichte der Beklagten sei im Herbst 1990 in die nahe dem von ihr besuchten Gymnasium gelegene aufgekündigte Wohnung gezogen, um dort mit der Beklagten und deren Mutter einen gemeinsamen Haushalt zu begründen und die Pflege der kranken Großmutter zu bewerkstelligen. Sie habe ohnedies aus der elterlichen Wohnung gestrebt, wozu die Eltern die Zustimmung erteilt haben, weil einerseits Hilfe bei der Pflege der Großmutter erforderlich und andererseits eine gewisse Aufsicht durch die Tante gewährleistet gewesen sei. Die Kosten der Haushaltsführung hätten bis Ende 1994 die Beklagte und die Eltern der Minderjährigen getragen. Seit Anfang 1995 sei die Enkelin der verstorbenen Hauptmieterin berufstätig, komme allein für die Kosten de Haushaltsführung auf und bewohne nunmehr die Wohnung mit ihrem Lebensgefährten.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen, welche es rechtlich dahin beurteilte, daß sowohl die Beklagte als auch deren Nichte im Zeitpunkt des Todes der Hauptmieterin an der strittigen Wohnung ein dringendes Wohnbedürfnis gehabt haben. Die Nichte der Beklagten sei zu diesem Zeitpunkt im 17. Lebensjahr gestanden und sei ihre Selbsterhaltungsfähigkeit in absehbarer Zeit zu erwarten gewesen. Das bloß auf der Eltern-Kind-Beziehung beruhende Recht auf Benützung der elterlichen Wohnung sei nicht mehr auf längere Zeit gesichert gewesen. Beide Frauen seien daher gemäß § 14 Abs 2 MRG in den Mietvertrag eingetreten. Die nur gegen eine der beiden Mieterinnen eingebrachte Aufkündigung sei daher mangels Passivlegitimation aufzuheben gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz erklärte mit dem angefochtenen Urteil die Aufkündigung für wirksam und erkannte die Beklagte zur Räumung des Bestandobjektes schuldig. Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision als nicht zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und folgerte rechtlich, daß die Beklagte den Beweis der Eintrittsberechtigung ihrer Nichte nicht habe erbringen können. Der Oberste Gerichtshof habe jüngst ausgesprochen, daß Kinder auf ihre familienrechtlichen Ansprüche verwiesen werden könnten, wenn sie aufgrund dieser Ansprüche über eine ausreichende Unterkunft verfügen und diejenigen, gegen welche ein Anspruch auf Einräumung eines solchen Wohnrechts bestehe, keine erkennenswerten Gründe hätten, dieses Wohnrecht zu versagen. Der ungewisse künftige Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit und der damit verbundene Verlust des im Familienrecht begründeten Wohnanspruches reiche für die Annahme eines dringenden Wohnbedürfnisses im Sinn des § 14 Abs 3 MRG nicht aus. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß ihre Nichte über keine faktisch gleichwertige Wohnmöglichkeit bei den Eltern verfüge. Die vage Feststellung des Erstgerichtes über Familienprobleme reiche nicht aus, diese Wohnmöglichkeit in Frage zu stellen. Dazu hätte es vielmehr näherer Behauptungen in der Richtung bedurft, daß das Zusammenleben der Minderjährigen mit den Eltern etwa wegen der Gefahr psychischer Schäden unzumutbar sei. Die Nichte der Beklagten sei daher nicht kraft Sonderrechtsnachfolge in das Mietrecht ihrer Großmutter eingetreten, weshalb die Beklagte im Kündigungsstreit passiv legitimiert sei. Die Weitergabe der Wohnung an die hinsichtlich der Beklagten nicht eintrittsberechtigten Nichte begründe den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG.

Die dagegen erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 14 Abs 3 MRG treten nach dem Tod des Hauptmieters unter anderem Verwandte in gerader Linie in den Mietvertrag ein, sofern sie ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter der Wohnung gewohnt haben. Im hier zu entscheidenden Fall ist nur mehr strittig, ob die Enkelin der verstorbenen Hauptmieterin, die mit dieser und ihrer Tante, der Beklagten, zuletzt in der aufgekündigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt gewohnt hat, am Bestandobjekt ein dringendes Wohnbedürfnis hatte. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist ein dringendes Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen nur dann zu bejahen, wenn der Wohnbedarf nicht in rechtlich gleichwertiger Weise befriedigt werden kann. Die daran anknüpfende Frage, ob der Eintrittsberechtigte bei der Prüfung seines dringenden Wohnbedürfnisses auf einen familienrechtlichen Anspruch verwiesen werden darf, wenn er aufgrund dieses Anspruches über eine ausreichende Unterkunft verfügt, wurde bisher in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. So wurde ausgesprochen, daß auch das nicht selbsterhaltungsfähige Kind unabhängig vom Alter und vom Zeitpunkt des Eintritts der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht auf die Wohnmöglichkeit bei seinen Eltern verwiesen werden dürfe, weil die nur im Familienrecht begründete Wohnmöglichkeit nicht als rechtlich gleichwertig gegenüber dem Mietverhältnis gewertet werden könne, in das eingetreten werden soll (WoBl 1988/36; immolex 1998, 6). In SZ 62/200 wurde das Eintrittsrecht einer 19jährigen Studentin bejaht und ausgeführt, eine Verweisung auf die Möglichkeit des Mitbewohnens der elterlichen Wohnung könne schon deshalb nicht erfolgen, weil sie einer eigenen Wohnung nicht gleichwertig sei, käme doch dort nur ein gemeinsames Eintrittsrecht mit den Geschwistern in Betracht. Auch Würth in Rummel ABGB2 § 14 MRG Rz 10 vertritt die Ansicht, daß nach neuerer Auffassung die Verweisung auf eine bloße (rechtlich nicht abgesicherte) Wohnmöglichkeit bei Familienangehörigen nicht ausreiche. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes WoBl 1989/1 sei daher abzulehnen. In dieser von Würth zitierten Fundstelle hatte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage zu beschäftigen, ob zwei drei und sieben Jahre alte Kinder gemeinsam mit ihrem Vater nach dem Tod des im gemeinsamen Haushalt lebenden Wohnungsmieters in dessen Mietrechte eintreten könnten. Er verneinte das mit dem Hinweis darauf, daß die beiden Kinder gegenüber ihrem Vater einen Unterhaltsanspruch haben, der auch die Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses umfasse. Nur bei bereits selbsterhaltungsfähigen Kindern könne eine Verweisung auf familienrechtliche Ansprüche dann nicht erfolgen, wenn der Wohnungsgewährende triftige Gründe habe, das Wohnrecht zu versagen. Diesen rechtlichen Überlegungen folgte im wesentlichen das Urteil des Obersten Gerichtshofes WoBl 1998/38 (ablehnend: Würth), in welchem das Eintrittsrecht einer 16jährigen Mittelschülerin verneint wurde. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Frage der rechtlichen Relevanz des Umstandes, daß die Eintrittsberechtigte nach dem Tode der Hauptmieterin die Wohnung wieder verlassen habe, sei nicht weiter zu prüfen, weil der ungewisse künftige Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit und der damit verbundene Verlust des im Familienrecht begründeten Wohnanspruches für die Annahme eines dringenden Wohnbedürfnisses im Sinne des § 14 Abs 3 MRG nicht ausreiche.

Im hier zu beurteilenden Fall stand die Enkelin der Hauptmieterin im für die Beurteilung relevanten Todeszeitpunkt (MietSlg 38.316/19; WoBl 1989/1; WoBl 1998/38) im 17.Lebensjahr. Sie bewohnt die Wohnung nach dem Tode der Großmutter weiter und ist dort nach dem Auszug der Beklagten eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war Grund für den Auszug aus der elterlichen Wohnung einerseits die erforderliche Mithilfe bei der Pflege der Großmutter und andererseits das Bestehen familiärer Probleme. Das Berufungsgericht folgte bei Beurteilung dieses Sachverhaltes im wesentlichen den beiden zitierten Entscheidungen WoBl 1989/1 und 6 Ob 505/96 = WoBl 1998/38). Diesen vermag der erkennende Senat allerdings nicht uneingeschränkt beizutreten. Ausgehend vom Gesetzestext ist für die Frage der Eintrittsberechtigung neben den anderen hier nicht strittigen Voraussetzungen ausschließlich auf das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses abzustellen. Die Beurteilung, ob der Eintrittswillige anderweitig ausreichend wohnversorgt ist, hat sowohl tatsächliche als auch rechtliche Komponenten zu berücksichtigen, wobei deren Gewichtung im Sinne eines beweglichen Systems je nach Alter des Kindes unterschiedlich ausfallen kann. Entgegen der eingangs zitierten Rechtsprechung und der von Würth aaO vertretenen Meinung kann nicht schlechthin auf die Deckung des Wohnbedarfs in rechtlich gleichwertiger Weise abgestellt werden. Wollte man nämlich in allen Fällen die Verweisung auf eine bloße im Familienrecht begründete Wohnmöglichkeit als rechtlich nicht gleichwertig und damit das Eintrittsrecht nicht hindernd erachten, könnten auch Kleinkinder, die sich etwa bei der Verstorbenen zeitweise in Pflege befunden haben, in deren Mietrechte eintreten, obwohl sie diese auszuüben faktisch nicht in der Lage wären. Andererseits sind Fälle denkbar, in denen noch nicht selbsterhaltungsfähige Minderjährige trotz an sich bestehender Wohnmöglichkeit im Familienverband ein dringendes Wohnbedürfnis an einer Mietwohnung haben, etwa weil sie eine dort gelegene und von der elterlichen Wohnung aus nicht oder nur schwer erreichbare Schule oder sonstige Ausbildungsstätte besuchen. Es kommt daher - womit die beiden dargestellten Judikaturlinien zwanglos zusammengeführt werden können - neben der rechtlichen Gleich- oder Ungleichwertigkeit der sonst gegebenen Wohnmöglichkeit auch auf die tatsächlichen Verhältnisse an, welche den Umzug in die vom Eintrittsrecht betroffene Mietwohnung nach dem üblichen Lauf der Dinge als notwendig und daher das Wohnbedürfnis als dringend erscheinen lassen. Auch bei einer im 17.Lebensjahr stehenden noch nicht selbsterhaltungsfähigen Minderjährigen sind derartige Umstände, wie etwa Nähe zur Ausbildungsstätte, räumliche Beengtheit in der elterlichen Wohnung, schwerwiegende Differenzen mit dort wohnenden nahen Angehörigen, welche auch wenn sie keine psychischen Schäden verursachen, ein Zusammenleben auf Dauer doch unzumutbar machen, denkbar. Taugliches Beurteilungskriterium wird im allgemeinen die Beantwortung der Frage sein, ob auch ungeachtet des als möglich angesehenen nahen Todes des Hauptmieters der Wohnungswechsel aus nicht durch das erhoffte Eintrittsrecht bestimmten Gründen vorgenommen worden wäre. Hiebei wird auch nicht unbeachtet bleiben dürfen, ob die Rückkehr des Eintrittswilligen etwa nach vorübergehender Mithilfe bei der Pflege oder Ende der Ausbildung geplant und im Zeitpunkt des Todes des Hauptmieters möglich war. Die Frage der bis zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit noch notwendigen Zeitspanne ist bei dieser Beurteilung zwar ein ebenfalls mitzuberücksichtigendes nicht unbedeutendes Indiz, jedoch nicht von allein ausschlaggebender Bedeutung.

Im Sinne dieser rechtlichen Erwägungen bedarf der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt nach entsprechender Ergänzung des Parteivorbringens noch der Vertiefung, um verläßlich beurteilen zu können, ob Bestandnehmermehrheit gegeben und die Beklagte allein daher nicht passiv legitimiert ist (vgl EvBl 1972/320; SZ 45/70; MietSlg 35.749; Würth in Rummel ABGB2 § 1116 Rz 17).

Der Revision ist daher Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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