European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00146.19B.0128.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird in seinen Punkten 1., 3. und 4. dahin abgeändert, dass es einschließlich seiner unangefochten gebliebenen Teile insgesamt wie folgt lautet:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 70.797,77 EUR samt 4 % Zinsen aus 10.000 EUR von 1. März 2017 bis 21. Juni 2017, aus 26.168,44 EUR von 22. Juni 2017 bis 9. Dezember 2018 und aus 70.797,77 EUR seit 10. Dezember 2018 binnen 14 Tagen zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche künftigen, derzeit nicht bezifferbaren Schäden der klagenden Partei aus dem Skiunfall vom ***** 2017 im Skigebiet ***** zu haften hat.
3. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei 14.868,75 EUR samt 4 % Zinsen aus 1.920,34 EUR von 22. Juni 2017 bis 9. Dezember 2018 und aus 14.868,75 EUR seit 10. Dezember 2018 zu zahlen, wird abgewiesen.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 18.859,04 EUR (darin 2.675,46 EUR USt und 2.806,27 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 5.795,88 EUR (darin 697,73 EUR USt und 1.609,50 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten anteiligen Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.448,90 EUR (darin 169,65 EUR USt und 1.431 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Durch einen Zusammenstoß der Parteien beim Schifahren wurde (nur) die Klägerin (schwer) verletzt.
Sie war vor dem Unfall als Hauspflegerin einer körperlich sehr eingeschränkten älteren Person tätig, hätte ohne den Unfall eine neue Beschäftigung im Hauspflegebereich gefunden und dabei wieder ein Einkommen in derselben Höhe erzielt wie zuvor. Nach dem Schiunfall war die Klägerin jedoch nicht in der Lage, wiederum eine Beschäftigung als Hauspflegerin anzunehmen.
Seit dem Unfall ist die Klägerin nur einmal in den Sommermonaten einer Beschäftigung als Badeaufsichtshilfe in einem Gemeindefreibad nachgegangen; dazu hatte sie diverse Ausbildungen absolvieren müssen, wofür ihr Kosten von 2.626,38 EUR entstanden.
Um beruflich umzusatteln, besuchte die Klägerin zahlreiche Kurse im Bereich Wassertherapien, für die sie insgesamt weitere 13.803,25 EUR bezahlte. Für sie bestünden abseits einer Tätigkeit im Bereich Wassertherapie auch andere Möglichkeiten, sich beruflich zu betätigen.
Die Klägerin begehrte insgesamt 85.666,52 EUR sA (neben Schmerzengeld, Haushaltshilfekosten, Pflegekosten, diversen Nebenpositionen und Verdienstentgang auch insgesamt 16.429,63 EUR an Umschulungskosten) und stellte auch ein mit 5.000 EUR bewertetes Feststellungsbegehren. Sie setze alles daran, trotz der unfallkausalen Beeinträchtigungen wieder „auf die Beine“ zu kommen. Da sie nun nicht mehr im vormaligen (kraftraubenden bzw knie- und gelenksbelastenden) Tätigkeitsfeld (Pflege, Haushälterin, Betreuerin, Gartenarbeit) tätig sein könne, habe sie sich sehr darum bemüht, beruflich umzusatteln, wofür zahlreiche Ausbildungen erforderlich gewesen seien, die sie selbst habe zahlen müssen. Die Klägerin versuche, im Bereich der sehr gefragten Wassertherapien Fuß zu fassen und habe dafür schon zahlreiche Kurse besucht. Wenn alles gut gehe, könne die Klägerin in Zukunft allenfalls eine Tätigkeit in einer Naturheilpraxis beginnen.
Die Beklagte bestritt ihr Verschulden am Unfall. Die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt arbeitslos gewesen; wäre der Unfall nicht passiert, hätte sie keine neue Arbeitsstelle als Hauspflegerin gefunden und angetreten. Die Klägerin sei nicht unfallskausal arbeitsunfähig. Es werde bestritten, dass die Klägerin der Arbeit als Hauspflegerin unfallskausal nicht mehr nachgehen könne. Die geltend gemachten Umschulungskosten würden sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bestritten.
Das Erstgericht gab der Klage, ausgehend von gleichteiligem Verschulden am Unfall, teilweise – im Umfang von 26.997,27 EUR sA und der Feststellung der Haftung zu 50 % – statt und wies das Mehrbegehren ab. Mit Ausnahme von 2.626,38 EUR, um die Tätigkeit als Badeaufsicht zu erlangen (woraus sie auch ein den Verdienstentgang reduzierendes Einkommen erzielt habe), seien Umschulungskosten nicht unfallskausal; es sprach der Klägerin aus diesem Titel nur 1.313,19 EUR zu.
Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil – ausgehend vom Alleinverschulden der Beklagten am Unfall – dahin ab, dass es der Klägerin 56.994,52 EUR sA zusprach und die Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden zur Gänze feststellte. Im Punkt Umschulungskosten sprach es der Klägerin die gesamten 2.626,38 EUR für die Badeaufsichtsausbildung zu, nicht jedoch die Kosten von 13.803,25 EUR für die Ausbildung zur Wassertherapeutin. Umschulungskosten seien nur zu ersetzen, wenn sie der Schaffung einer Ersatzlage dienten, was nicht festgestellt sei.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revision den Zuspruch weiterer 13.803,25 EUR an Umschulungskosten, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung in diesem Umfang.
Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
Die Klägerin führt ins Treffen, der Schädiger habe auch Umschulungskosten zu ersetzen, „da“ (und nicht „wenn“) diese der Schaffung einer Ersatzlage dienten. Sie seien auch dann ersatzfähig, wenn der Erfolg der Umschulung noch nicht eingetreten sei. Die Beklagte wäre dafür behauptungs- und beweispflichtig, dass die Klägerin eine konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ausgeschlagen habe. Derartiges habe die Beklagte nicht behauptet und lasse sich auch der pauschalen und abstrakten Feststellung des Erstgerichts zu anderen Erwerbsmöglichkeiten nicht entnehmen.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
1. Abschließend entschieden ist das Alleinverschulden der Beklagten am Unfall; sie hat der Klägerin alle dadurch verursachten Schäden zu ersetzen.
2. Der Schadenersatzanspruch geht primär auf Naturalersatz; dem Wiederherstellungsbefehl ist Genüge getan, wenn eine im Wesentlichen gleiche Lage, ein gleichartiger, wirtschaftlich gleichwertiger Zustand („Ersatzlage“) hergestellt wird (RS0030228; RS0060539). Die Geschädigte ist demnach primär so zu stellen, wie sie ohne das schädigende Ereignis gestellt wäre (RS0060539 [T7]).
3. Die Erwerbsfähigkeit ist dann beeinträchtigt, wenn die Verletzte in geringerem Ausmaß als vor dem Vorfall oder gar nicht in der Lage ist, in einer ihrer Ausbildung, ihren Anlagen und ihrer bisherigen Tätigkeit entsprechenden Stellung den Lebensunterhalt zu verdienen; nicht maßgebend ist hingegen die medizinisch-physiologische Arbeitsfähigkeit (RS0110243). Ob und in welchem Grad Erwerbsunfähigkeit besteht, ist eine vom Gericht zu lösende Tatfrage (2 Ob 164/17g, 2 Ob 38/02f, jeweils mwN; RS0030444).
4.1. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird zwischen dem Fall der verbliebenen teilweisen Erwerbsunfähigkeit und dem der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im früheren Ausmaß unterschieden. Im ersten Fall müsste, um eine schuldhafte (RS0027062) Verletzung der Schadensminderungspflicht annehmen zu können, die Schädigerin den Nachweis erbringen, dass die Geschädigte eine ihr nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat (vgl RS0027129). Im zweiten Fall hingegen ist von der wiederhergestellten Verletzten zu erwarten, dass sie sich um die Wiedererlangung des früheren oder eines gleichwertigen Arbeitsplatzes bemüht; in diesem Fall der Wiedererlangung der früheren Arbeitsfähigkeit wird es als unbillig erachtet, von der Schädigerin zu verlangen, dass sie die Geschädigte auf die allfällige Möglichkeit der Wiedererlangung des entsprechenden Arbeitsplatzes besonders hinweist (2 Ob 164/17g; RS0022883, RS0027143).
4.2. Ganz grundsätzlich hat die Geschädigte die Pflicht, den Schaden möglichst gering zu halten (§ 1304 ABGB; RS0027116; RS0027043; vgl 1 Ob 97/13s). Eine in ihrem erlernten Beruf arbeitsunfähig gewordene Verletzte muss eine zur Schadensminderung erforderliche Umschulung beginnen, wenn sie im Einzelfall zumutbar ist (RS0031294). Eine Umschulungspflicht besteht nur so weit, als damit keine nennenswerte Verschlechterung der sozialen Lebensstellung und der Art des Berufs verbunden ist (RS0027170 [T4]). Die Prüfung der Zumutbarkeit einer Umschulung oder der Annahme einer anderen als der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit (als Spezialfall der Schadensminderungspflicht) richtet sich nach vielen verschiedenen Kriterien, zB dem jeweils erzielbaren Einkommen, dem Alter der Geschädigten, Sorgepflichten, Sicherheit des Arbeitsplatzes uam (vgl RS0027170 [T6, T7]).
5. Im vorliegenden Fall kann bei der Klägerin– nunmehr unstrittig – keine Rede davon sein, dass ihre Erwerbsfähigkeit im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Pflegehelferin im früheren Ausmaß wiederhergestellt wäre. Da sie aufgrund der unfallskausalen Beeinträchtigungen in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten kann, liegt die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sie eine ihr nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat, sowie für die Verletzung der Schadensminderungspflicht in Ansehung des Verdienstentgangs bei der Beklagten.
Die Klägerin hat nach eigenem Vorbringen Umschulungsmaßnahmen gesetzt und damit als ihr zumutbar zugestanden. Allen eingeklagten Umschulungskosten hat die Beklagte aber – anders als von ihr in der Revisionsbeantwortung behauptet – in erster Instanz nur unsubstanziiert entgegengehalten, dass diese dem Grunde und der Höhe nach bestritten würden, ohne Näheres dazu vorzubringen und insbesondere ohne im Einzelnen auszuführen, warum die jeweiligen Maßnahmen nicht zweckmäßig oder zielführend gewesen wären. Dass die Klägerin Umschulungsmaßnahmen nicht abgelehnt hat und ihr Kosten für solche Schadensminderungsmaßnahmen grundsätzlich zustehen, ist auch insofern abschließend geklärt, als ihr ein Teil der hierfür aufgewandten Beträge bereits rechtskräftig zugesprochen wurde.
Soweit das Erstgericht feststellte, die revisionsgegenständlichen weiteren Umschulungskosten seien nicht „unfallskausal“, handelt es sich nicht um eine gesonderte Tatsachenkonstatierung, sondern um eine Umschreibung der weiteren Feststellung, wonach für die Klägerin abseits einer Tätigkeit im Bereich Wassertherapie auch andere Möglichkeiten bestünden, sich beruflich zu betätigen. Darauf kommt es jedoch insofern nicht an, als die Beklagte weder behauptet noch bewiesen hat, dass – zudem auch nicht näher festgestellte – andere zumutbare Möglichkeiten ohne (oder mit geringeren) Schadensminderungskosten zu realisieren gewesen wären.
Dass die noch revisionsgegenständlichen Umschulungskosten nicht der Herstellung einer Ersatzlage im aufgezeigten Sinne gedient hätten, wie das Berufungsgericht vermeint, ist aus den Feststellungen nicht ableitbar.
Der Klägerin waren daher weitere 13.803,25 EUR an Umschulungskosten zuzusprechen.
6. Daraus folgt auch eine Abänderung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen:
6.1. Im zweiten Verfahrensabschnitt des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin (statt wie vom Berufungsgericht angenommen zu drei Vierteln) zu fast neun Zehnteln obsiegt. Sie hat daher nach § 43 Abs 1 ZPO vier Fünftel der sich aus der Kostenbegründung des Berufungsgerichts ergebenden Verfahrenskosten von 3.889,85 EUR (= 3.111,88 EUR) ersetzt zu erhalten. Weiters hat die Beklagte neun Zehntel der Barauslagen der Klägerin von 2.310,24 EUR (= 2.079,22 EUR), vermindert um ein Zehntel ihrer eigenen Barauslagen von 2.970 EUR (= 297 EUR), zu ersetzen (= saldiert 1.782,22 EUR).
Gemeinsam mit dem ebenfalls aus dem Berufungsurteil ersichtlichen, unberührt bleibenden Kostenersatzanspruch der Klägerin für den ersten Verfahrensabschnitt (Vertretungskosten 10.147,33 EUR; Barauslagen 1.024,05 EUR) und den diesem Abschnitt zuzuordnenden vorprozessualen Kosten von 118,10 EUR ergibt dies Vertretungskosten von netto 13.377,31 EUR zuzüglich 2.675,46 EUR USt und 2.806,27 EUR Barauslagen, insgesamt 18.859,04 EUR.
6.2. Im Berufungsverfahren bleibt der Kostenersatzanspruch der Klägerin für die Abwehr der Berufung der Beklagten wie aus dem Berufungsurteil ersichtlich unberührt (2.614,32 EUR, darin 435,72 EUR USt).
Mit ihrem eigenen Berufungsinteresse von 61.169,25 EUR (inklusive Feststellungsbegehren) ist die Klägerin nunmehr mit einem Betrag von 46.300,55 EUR (inklusive Feststellungsbegehren), also zu rund drei Vierteln durchgedrungen. Dies hat zur Folge, dass sie gemäß §§ 50, 43 Abs 1 ZPO die Hälfte ihrer Berufungskosten von 3.144,12 EUR (= 1.572,06 EUR inklusive USt) und drei Viertel ihrer Pauschalgebühren von 2.146 EUR (= 1.609,50 EUR) ersetzt zu erhalten hat.
In Summe hat die Beklagte 4.186,38 EUR (darin 697,73 EUR USt) und 1.609,50 EUR an Pauschalgebühren, insgesamt 5.795,88 EUR, an Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
7. Die Kostenentscheidung im Revisions-verfahren, in dem die Klägerin zur Gänze obsiegt hat, stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.
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