European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00013.22Y.0329.000
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 194,76 EUR (darin 32,46 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der beklagten Gemeinde gehört ein trockenliegender Entwässerungsgraben, der weder bebau‑ noch befahrbar ist und über keinen Anschluss an das öffentliche Gut verfügt; dieses Grundstück der Beklagten liegt zwischen zwei der – während des Verfahrens in Konkurs verfallenen – Schuldnerin gehörenden Grundstücken. Der Kläger als Masseverwalter begehrt die Einwilligung der Beklagten in den Vertragsabschluss über die Einräumung von Geh-, Fahr- und Leitungsservituten.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Klagsstattgebung nur in Ansehung der Leitungsservitut, wies jedoch das Mehrbegehren ab. Es ließ die ordentliche Revision zur Frage des Umfangs der Interessensabwägung im Falle eines klaren Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot bei Zusammentreffen mehrerer, teils nicht im Wege eines Notwegerechts substituierbarer Dienstbarkeiten zu. Damit zeigt das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage auf. Da auch die Parteien in ihren Revisionen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermögen, sind deren Revisionen entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung ordentlicher Rechtsmittel wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Allgemeines:
Rechtliche Beurteilung
[3] 1.1. Dass ein Kontrahierungszwang zur Einräumung der vom Kläger begehrten Dienstbarkeiten mangels Monopol- oder marktbeherrschender Stellung der Beklagten hier zu verneinen ist, hat der Senat bereits in der aufhebenden Entscheidung im ersten Rechtsgang zu 4 Ob 207/19y klargestellt.
[4] 1.2. In 4 Ob 207/19y wurde auch geklärt, dass die Beklagte im Rahmen ihrer Privatwirtschaftsverwaltung aber der Fiskalgeltung der Grundrechte unterliegt; demnach verpflichtet die Bindung an den Gleichheitssatz die öffentliche Hand zur strikten Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer bzw der Teilnehmer am Rechts- und Geschäftsverkehr, weshalb sie diese nicht unsachlich bevorzugen oder benachteiligen darf. Liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots vor und wird ein Wirtschaftsteilnehmer durch eine Leistungsverweigerung unsachlich benachteiligt, so kann dies zu einem Kontrahierungszwang führen (RS0016744 [T13]). Einerseits ist die Beklagte hier im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung tätig und daher an das Gleichbehandlungsgebot gebunden, andererseits kommt ihr als Trägerin von Privatrechten grundrechtlicher Schutz (hier) des Eigentums und der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs zu. Die vorliegende Situation, bei der widerstreitende Grundrechte aufeinandertreffen, erfordert daher eine Interessensabwägung, die nur bei einem klaren Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu Lasten der Beklagten ausschlägt. Es muss nämlich auch einer Gemeinde grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum darüber zugebilligt werden, ob sie ihr Grundeigentum aufgibt oder mit einer Servitut belastet und dadurch ihr Eigentum beschränkt. Nur wenn sie diesen Spielraum eklatant überschreitet, sodass sie sich geradezu willkürliches Verhalten vorwerfen lassen muss, ist die Grenze der Unsachlichkeit überschritten. In einem solchen Fall kannder Kläger verlangen, dass ihm die Beklagte die für die widmungskonforme Nutzung seiner Grundstücke notwendigen Rechte einräumt. Eine solche Rechteeinräumung ist auf die notwendigen Maßnahmen zur Zielerreichung im Sinn der jeweils gelindesten Mittel zu begrenzen.
[5] 1.3. Der Senat hat weiters bereits in 4 Ob 207/19y auch ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Gesetz für eine Situation wie hier eine besondere Abhilfemöglichkeit durch die Einräumung eines Notwegerechts vorsieht. Steht aber ein im Gesetz vorgesehener alternativer Weg zur Zielerreichung zur Verfügung, so spricht dies im Allgemeinen gegen einen Kontrahierungszwang, weil ein solcher nicht dazu dienen soll, gesetzliche Sonderregelungen zu umgehen (insofern zust Egglmeier‑Schmolke, bbl 2020/53, 71 [Glosse zu 4 Ob 207/19y]). Als im fortgesetzten Verfahren zu klärende Frage hat der Senat aufgeworfen, warum der Kläger diesen alternativen Weg nicht beschritten hat.
[6] 1.4. Das Recht des Grundstückseigentümers wird durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt (RS0010395). Rechtsmissbrauch (Schikane) ist nicht erst dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund steht und andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (RS0026265; RS0025230; RS0013207). Im Allgemeinen geben selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden kann, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0026205 [T9]; RS0026271 [T26]).
[7] Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]).
[8] 1.5. Die Frage, ob das Vorbringen einer Partei soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist ebenfalls grundsätzlich eine solche des Einzelfalls und daher nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0042828), es sei denn die Auslegung des Vorbringens ist mit seinem Wortlaut unvereinbar oder verstößt gegen die Denkgesetze (RS0042828 [T11]).
2. Zur Revision des Klägers:
[9] 2.1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt schon deshalb nicht vor, weil Schlussfolgerungen aus Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen sind. Soweit der Kläger eine Erörterung seines Vorbringens zur Notwendigkeit der Servitutseinräumung vermisst, hätte er zur Darlegung der Relevanz eines Mangels anführen müssen, welches (taugliche) Vorbringen er im Fall der Erörterung erstattet hätte (RS0037300 [T28, T48]; RS0037095 [T6]); dies ist hier aber unterblieben.
[10] 2.2.1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Abweisung des auf Einräumung von Geh‑ und Fahrrechten gerichteten Begehrens erwogen, das Vorbringen des Klägers zum Notwegerecht beschränke sich auf die Darlegung, dessen Einräumung sei entsprechend den baurechtlichen Vorschriften nicht ausreichend, um die geforderte Anbindung an das öffentliche Gut zu gewährleisten.
[11] 2.2.2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dies sei kein substanziiertes Vorbringen dahin, warum der Kläger nicht den Weg der Einräumung eines Notwegerechts in Form der Servitut des Fußsteigs oder Fahrwegs (§ 3 NWG) beschritten habe, und dass entgegen der Berufungsbeantwortung des Klägers die Beklagte auch nicht gehalten war, dieses unsubstanziierte Vorbringen selbst substanziiert zu bestreiten, ist im Einzelfall jedenfalls vertretbar; sie ist nicht mit seinem Wortlaut unvereinbar und verstößt auch nicht gegen die Denkgesetze, sodass hier keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt.
[12] 2.3.1. Relevant ist im vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob dem Kläger die Möglichkeit offenstand, einen Notweg zu erlangen, nämlich – wie oben (Pkt 1.2. und 1.3.) dargelegt – im Rahmen derAbwägung seiner Interessen und der des Grundeigentümers.
[13] 2.3.2. Der Oberste Gerichtshof hat früher bereits ausgesprochen, dass ein bloßes wirtschaftliches Interesse eines eine Dienstbarkeit Begehrenden bei einer Interessenabwägung selbst dann nicht ausreicht, ein krasses Missverhältnis zwischen seinen Interessen und denen des Grundeigentümers zu begründen, wenn dessen Verbot die wirtschaftliche Existenz des die Dienstbarkeit Begehrenden gefährdet. Auch dann muss das Interesse des Grundeigentümers, das Entstehen einer Dienstbarkeit zu verhindern, höher bewertet werden (RS0010395 [T1]). Rechtsinstitute wie Enteignung, Notwegerecht und Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum zu Notzeiten wären überflüssig, wenn die bloße Berufung auf das Schikaneverbot zu einer Einschränkung des Eigentumsrechte führen könnte, welche die wirtschaftliche Betätigung eines anderen ermöglicht oder sogar nur erleichtert (4 Ob 58/93 mwN).
[14] Die Revision zeigt daher keine erhebliche Rechtsfrage dahin auf, dass sich die Rechtsprechung mit der Frage der Rangordnung verschiedener Rechtsbehelfe noch nicht auseinandergesetzt hätte.
[15] 2.3.3. Die Revision des Klägers macht auch sonst zur Frage der angeblichen Gleichrangigkeit von Anträgen auf Einräumung von Notwegerechten und solchen auf Wegedienstbarkeiten keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend, weil solches aus den von ihm zitierten, zu RS0070984 indizierten Entscheidungen nicht abzuleiten ist. Nach dieser Rechtsprechungslinie ist die Einräumung des Notweges unzulässig, wenn der Antragsteller das Bestehen einer identischen Wegdienstbarkeit behauptet und darüber entweder ein Verfahren anhängig ist oder der Antragsteller einem solchen Verfahren durch den Antrag auf Einräumung eines Notweges ausweichen will; Gegenteiliges gilt hingegen bei einem Begehren auf rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichts auf Neubegründung eines Rechts zur Herstellung einer Wegeverbindung (vgl etwa [richtig:] 4 Ob 547/91).
[16] 2.4.1. Das Berufungsgericht sah das nicht hinreichende Klagsvorbringen zu § 3 NWG – im Einklang mit der ihm zu 4 Ob 207/19y übertragenen Rechtsansicht – als nicht geeignet an, in der Interessensabwägung gegenüber dem Grundrecht der Beklagten auf Eigentum zu überwiegen.
[17] 2.4.2. Dass deshalb mangels Überwiegens der Interessen des Klägers kein Kontrahierungszwang betreffend Geh‑ und Fahrrechten begründet werden kann, hält sich im Rahmen des dem Berufungsgericht im Einzelfall zukommenden Ermessensspielraums und entspricht auch der Rechtsprechung, wonach jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat (RS0037797; RS0109832), der Kläger daher die anspruchsbegründenden, die Beklagte die anspruchshemmenden Tatsachen (RS0106638). Aus der in der Revision zitierten Entscheidung 2 Ob 237/98m, wonach ein zum Vertragsabschluss grundsätzlich verpflichteter Monopolist einen solchen nur aus von ihm zu behauptenden und zu beweisenden sachlich gerechtfertigten Gründen verweigern dürfte (vgl RS0117542; RS0106571), ist für den Kläger hier nichts zu gewinnen.
3. Zur Revision der Beklagten:
[18] 3.1. Vorauszuschicken ist, dass die Aufzählung in § 3 NWG – wonach ein Notweg in der Servitut des Fußsteiges, Viehtriebes oder Fahrweges oder in der Erweiterung solcher bereits bestehender Wegerechte besteht – taxativ ist (RS0071184). Das NWG bietet daher keine Anspruchsgrundlage für andere Begehren, etwa Begehren auf Bewilligung des Einbaus öffentlicher Versorgungsleitungen (Kanal, Wasser) in eine Weganlage oder gar für die Verpflichtung einer politischen Gemeinde, solche Versorgungsleitungen an das öffentliche Leitungsnetz anzuschließen (vgl 6 Ob 163/13h mwN).
[19] Soweit die Vorinstanzen zur begehrten Einräumung einer Dienstbarkeit des Leitungsrechts im Rahmen der Interessensabwägung keine Überlegungen zu einem Alternativweg nach dem NWG angestellt haben, hielten sie sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Auch die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich nicht.
[20] 3.2. Das Berufungsgericht ist weiters – ausgehend unter anderem von der Feststellung, dass der Kläger der einzige von mehreren Grundstückseigentümern ist, den die Beklagte in einer vergleichbaren Situation benachteiligt – im Einklang mit dem Erstgericht zum Ergebnis einer Interessensabwägung gelangt, wonach die Weigerung der Beklagten auf Gewährung eines Leitungsrechts willkürlich sei, weil sie trotz bestehender Baulandwidmung des „hinteren“ nicht an das öffentliche Wege‑ und Leitungsnetz angeschlossenen Grundstücks des Klägers durch eine Verweigerung der Servitutseinräumung die ebenso bau- und raumordnungskonforme Bebauung des „vorderen“ Grundstücks verhindern wolle. Damit greife sie aber im Ergebnis zu untauglichen und damit unsachlichen Mitteln, weshalb sie sich geradezu willkürliches Verhalten vorwerfen lassen müsse.
[21] 3.3. Diese Interessensabwägung und ihr Ergebnis folgen den Grundsätzen der dargelegten Rechtsprechung, insbesondere wie sie vom Senat zu 4 Ob 207/19y aufgezeigt wurden, und überschreiten den den Vorinstanzen im Einzelfall zukommenden Ermessensspielraum nicht.
[22] 3.4. Die Beklagte führt allgemeine Grundsätze für die Beurteilung von Rechtsmissbrauch ins Treffen und meint, ihr könne ein solcher – insbesondere angesichts einer Vielzahl von vom Erstgericht getroffener Negativfeststellungen – nicht zur Last gelegt werden. Sie zeigt auch damit aber keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf.
[23] Insbesondere geht die Revision mit ihren nunmehrigen Behauptungen, Motiv der Verhinderung der Bebauung der klägerischen Grundstücke sei eine „Verhinderung der hohen und dichten Bebauung der Örtlichkeiten“ nicht von den Sachverhaltsfeststellungen aus, wonach die der Beklagten bekannten Pläne der Klägerin den geltenden Bauvorschriften entsprechen und nicht feststellbar ist, welche Überlegungen zur Weigerung der Beklagten gegenüber der Klägerin führten.
4. Ergebnis; Kosten:
[24] 4.1. Beide Parteien machen insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Ihre Revisionen sind daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.
[25] 4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit der Revision der Gegenseite hingewiesen. Sie habe daher ihre Gegenschriften jeweils zur Gänze, jedoch auf Basis des jeweiligen Revisionsinteresses ihres Gegners ersetzt zu erhalten. Dieses beträgt – wie schon das Berufungsgericht dargelegt hat – angesichts dreier verfahrensgegenständlicher Dienstbarkeiten und eines Gesamtstreitwerts von 10.000 EUR für die Revision des Klägers 6.666,67 EUR und für die der Beklagten 3.333,33 EUR. Die sich daraus ergebenden Kostenersatzbeträge (Nettoverdienst Kläger 327,30 EUR, Beklagte 489,60 EUR) waren zu saldieren.
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