Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über den Antrag auf Einräumung eines Notweges aufgetragen. Die Kosten der Erstantragsgegnerin sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Antragstellerin - eine Kommanditgesellschaft - ist grundbücherliche Eigentümerin der zur EZ 294 KG L***** gehörenden Grundstücke Nr. 136/9 (landwirtschaftlich genutzt) und 426 (Baufläche); auf diesen Grundstücken ist ein von der Antragstellerin betriebenes Hotelgebäude errichtet. Die Erstantragsgegnerin ist Eigentümerin der EZ 29 mit den Grundstücken Nr. 159/1 und 136/22; der Zweitantragsgegner ist Eigentümer der EZ 28 KG L***** mit dem Grundstück Nr. 136/1; die Drittantragsgegnerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 784 KG L***** mit dem Grundstück Nr. 159/26.
Die Antragstellerin begehrt, daß ihr das Gericht zum Zweck der Verbindung ihrer Grundstücke Nr. 136/9 und 426 mit dem öffentlichen Wegenetz die Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrtrechtes über die oben genannten Grundstücke der drei Antragsgegner einräume, die für die eingeräumte Dienstbarkeit den Antragsgegnern zu leistende Entschädigungssumme bestimme und nach Rechtskraft des Beschlusses von Amts wegen die Einverleibung der Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrtrechtes über die Grundstücke der Antragsgegner als dienende Grundstücke zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Grundstücke Nr. 136/9 und 426 der Liegenschaft EZ 294 KG L***** sowie auf dieser Liegenschaft als dem herrschenden Grund die Anmerkung dieser Dienstbarkeit bewillige. Ihr Rechtsvorgänger, Franz H***** habe das Grundstück Nr. 136/9, aus welchem später die Baufläche Nr. 426 gebildet wurde, mit Kaufvertrag vom 23.6.1950 vom damaligen Eigentümer, Christian Z***** erworben. In diesem Kaufvertrag habe Christian Z***** für sich und seine Rechtsnachfolger im Besitz des Grundstücks Nr. 136/1, aus welchem die Parzelle 136/9 gebildet wurde, dem Käufer Franz H***** für sich und dessen Rechtsnachfolger im Besitz des Grundstücks Nr. 136/9 das unbeschränkte Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück Nr. 136/1 von der Endstation der Bergbahn O***** bis zum Grundstück Nr. 136/9 eingeräumt. Im Jahr 1951 habe Franz H***** auf der gekauften Liegenschaft eine Pension errichtet, welche in den folgenden Jahren zum heutigen Hotel B***** ausgebaut worden sei. Im Zuge der skimäßigen Erschließung von O***** sei das ursprünglich im Kaufvertrag aus dem Jahr 1950 vereinbarte unbeschränkte Geh- und Fahrtrecht den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt und damit geändert worden; insbesondere sei die Bergbahn örtlich verlegt worden. Anläßlich der Errichtung des P*****-Schleppliftes im Jahr 1957 sei eine neue Zufahrt geschaffen worden, welche ebenfalls über das im Eigentum Christian Z***** gestandene Grundstück Nr. 136/1 führe. Die Benützung dieser Zufahrt sei zwischen den ursprünglichen Eigentümern und Nachbarn - Franz H***** und Christian Z***** - unzweifelhaft vereinbart worden. Erst nach dem Tod Christian Z*****s und der daraufhin im Jahr 1986 folgenden Eigentumsaufteilung hätten die Rechtsnachfolger im Besitz der Z*****schen Grundstücke das unbeschränkte Geh- und Fahrtrecht der Antragstellerin mit der Begründung in Zweifel gezogen, daß kein schriftlicher Vertrag über die Einräumung dieses Rechtes vorliege. Ein schriftlicher Dienstbarkeitsvertrag und die Verbücherung der Dienstbarkeit seien deshalb unterblieben, weil Christian Z***** und Franz H***** dies im Hinblick auf ihre klare mündliche Vereinbarung für entbehrlich gehalten hätten. Die im Jahr 1957 errichtete Zufahrtstraße sei im Sinne dieser Vereinbarung durch Jahrzehnte von Franz H***** und seinen Familienangehörigen sowie von Gästen des Hotels benützt worden. Das unbeschränkte Geh- und Fahrtrecht sei erst von den Antragsgegnern bestritten worden, obwohl ihnen aus der Benützung der bestehenden Zufahrtsstraße durch die Antragstellerin und deren Gäste kein wie immer gearteter Nachteil entstehe.
Das Erstgericht wies diesen Antrag zurück. Aus § 1 Abs 1 NWG ergebe sich, daß nur dann ein Notwegeverfahren eingeleitet werden könne, wenn eine nötige Wegeverbindung zum öffentlichen Wegenetz fehle oder die vorhandene Verbindung unzulänglich erscheine. Behaupte aber der Antragsteller ein Wegerecht, das strittig sei, so sei das nicht mit einer unzulänglichen Wegeverbindung gleichzusetzen; vielmehr müsse er dann auf Feststellung seines Dienstbarkeitsrechtes oder auf Duldung des Gehens und Befahrens des bestehenden Weges klagen. Im übrigen sei es gemäß Art III RGBl 1905/33 in Vorarlberg verboten, Wege- und Fahrtdienstbarkeite in das Grundbuch einzutragen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Einräumung eines Notweges sei als einschneidender Eingriff in das Eigentumsrecht nur dann zu rechtfertigen, wenn sie die einzige Möglichkeit sei, wichtige Interessen des Antragstellers zu wahren; schon deshalb sei das Notwegegesetz einschränkend auszulegen. Auf einen Notweg bestehe dann kein Anspruch, wenn eine Wegeservitut behauptet werde und darüber entweder ein Verfahren anhängig sei oder der Antragsteller einem solchen nur ausweichen wolle. Die Zulässigkeit des Verfahrens auf Einräumung eines Notweges hänge demnach davon ab, ob das nach den Behauptungen der Antragstellerin strittige
Wegerecht - zutreffendenfalls in welchem Ausmaß - besteht oder nicht. Diese Vorfrage sei nicht im Notwegeverfahren zu beantworten, weil strittige Beweisfragen über das Bestehen eines Dienstbarkeitsrechtes nicht im Außerstreitverfahren mit Bindungswirkung entschieden werden könnte. Der Antragstellerin sei die Einbringung einer Feststellungsklage durchaus zumutbar; an die darüber allenfalls ergehende gerichtliche Entscheidung sei der Außerstreitrichter zufolge der Tatbestandswirkung gebunden. Da sich erst dann beurteilen lasse, ob die Antragstellerin überhaupt eines Notweges bedürfe, sei die Zurückweisung des Antrages berechtigt.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß dem Erstgericht aufgetragen werde, das Notwegeverfahren nach den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen.
Die Erstantragsgegnerin beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Die übrigen Antragsgegner haben sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen der Meinung der Erstantragsgegnerin zulässig. Sie übersieht, daß die Beschränkung der Anfechtung bestätigender Beschlüsse im Außerstreitverfahren auf die Rechtsmittelgründe der Nullität sowie der offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit (§ 16 Abs 1 AußStrG aF) mit der Erweiterten Wertgrenzenvolle 1989 weggefallen ist. Die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 14 Abs 1 AußStrG idF WGN 1989 - daß nämlich die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt - liegt aber hier schon deshalb vor, weil - soweit überblickbar - zu den hier maßgeblichen Fragen keine veröffentlichte Rechtsprechung besteht (RZ 1990/55 ua).
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Mit Recht weist die Antragstellerin darauf hin, daß bei der Beurteilung der Zulässigkeit ihres Außerstreitantrages das Begehren und die Natur des von ihr geltend gemachten Anspruches maßgebend sind (vgl SZ 44/165; SZ 46/82; EvBl 1960/285; EvBl 1966/379 uva); ohne Einfluß ist, ob der behauptete Anspruch begründet ist (MietSlg 37.714/15; EFSlg 57.711 uva). Nun kann im vorliegenden Fall kein Zweifel darüber aufkommen, daß die Antragstellerin eine rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichtes auf Neubegründung eines Rechtes zur Herstellung einer Wegeverbindung über die Grundstücke der Antragsgegner anstrebt. Für die derzeit allein zu entscheidende Frage nach der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtsweges gibt somit ohne Rücksicht auf die sachliche Rechtfertigung (also auch die Schlüssigkeit) das eindeutige Begehren auf rechtsgestaltende Entscheidung im Sinne des Notwegegesetzes den Ausschlag (6 Ob 657/84; 7 Ob 724/89). Soweit der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen die Einräumung eines Notweges abgelehnt hat, weil der Antragsteller das Bestehen einer Wegedienstbarkeit behauptet hatte und darüber entweder ein Verfahren anhängig war oder der Antragsteller einem solchen Verfahren durch den Antrag auf Einräumung eines Notweges nur ausweichen wollte (7 Ob 242/55; 2 Ob 647/56; 8 Ob 262/63), hat er den Notwegeantrag abgewiesen, da er mangels der Voraussetzung des § 1 Abs 1 NWG die sachliche Berechtigung des Notwegeantrags verneint hat.
Da somit kein Zurückweisungsgrund vorliegt, mußten die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben werden. Das Gericht erster Instanz wird über den Antrag zu verhandeln haben (§ 9 NWG). Ob dieser Antrag mangels Schlüssigkeit abzuweisen ist, ist hier nicht zu erörtern, zumal die Antragstellerin in der Verhandlung Gelegenheit haben wird, ihr Vorbringen zu ändern oder zu ergänzen.
Der Ausspruch über die Kosten der Erstantragsgegnerin - die Antragstellerin hat keine Kosten verzeichnet - gründet sich auf § 25 NWG und die sinngemäße Anwendung des § 52 ZPO (so auch 6 Ob 657/84).
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