OGH 4Ob124/13h

OGH4Ob124/13h17.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Mag. K***** A*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer und Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Beklagte A***** GmbH, *****, vertreten durch die Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Unterlassung und Zahlung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR) sA, über die außerordentliche Revision des Klägers (Revisionsinteresse 34.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Mai 2013, GZ 2 R 59/13f‑14, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. Februar 2013, GZ 30 Cg 39/12f‑10, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 5.814 EUR (darin enthalten 753 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Rechtsanwalt und unter anderem als Strafverteidiger tätig. Die Beklagte ist Medieninhaberin einer Gratiszeitung.

In der Ausgabe vom 24. 4. 2012 der Zeitung der Beklagten erschien ein Artikel über ein in der Wohnung des Klägers ausgebrochenes Feuer. Auf Seite 9 war ein Bild platziert, das den Kläger und im Hintergrund die Fassade seines Wohnhauses zeigte. Die über der Wohnung des Klägers liegende und durch den Brand in Mitleidenschaft gezogene Fassade war durch einen Kreis gekennzeichnet. Im Begleittext mit der Überschrift Promi-Anwalt [Name]: Feuer verwüstet Luxus-Wohnung! hieß es: Schock in der Familie von Promi‑Anwalt [Name]! Im Kamin im Dachgeschoß des Hauses in Wien-Leopoldstadt brach ein Brand aus. Als die Feuerwehr eintraf, hatten die Flammen bereits auf den Dachstuhl und das benachbarte Hotel übergegriffen. Die Brandbekämpfer waren mehr als drei Stunden im Einsatz. Die Wohnung des Rechtsanwalts ist durch das Löschwasser und die Verrußung schwer beschädigt ‑ und vorerst unbewohnbar.

Der Kläger begehrt gemäß § 78 UrhG die Unterlassung der Veröffentlichung und/oder Verbreitung seiner Personenbildnisse, wenn dies seine berechtigten Interessen verletze, nämlich im Zusammenhang mit der Veröffentlichung bzw Verbreitung seiner privaten Wohnverhältnisse und/oder Erörterung bzw Darstellung seines Wohnorts, und/oder wenn im Begleittext sinngleiche Inhalte verbreitet werden. Weiters begehrt der Kläger Leistung eines Schadenersatzes gemäß § 87 Abs 2 UrhG in Höhe von 1.000 EUR. Aufgrund der Angaben in Text und Bild des Artikels sei für den Leser seine Wohnadresse identifizierbar. Er habe aber als Strafverteidiger ein erhöhtes Sicherheitsinteresse daran, dass seine Wohnadresse geheim bleibe.

Die Beklagte wendete ein, die Bildveröffentlichung im Zusammenhang mit dem Begleittext stelle den Kläger nicht bloß, sie stehe auch in keinem Zusammenhang mit seinem Privatleben. Das Foto zeige einen Teil der Fassade eines Gebäudes, woraus weder der Standort noch die Größe und Ausstattung der Wohnung ersichtlich seien. Es würden daher weder der Wohnort noch die Wohnverhältnisse des Klägers preisgegeben.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Zahlungsbegehren ab. Durch die Berichterstattung werde auf die persönlichen Lebensumstände und Wohnverhältnisse des Klägers hingewiesen. Das Haus sei aufgrund der auffälligen Dachkonstruktion und der Angabe, dass es sich in Wien Leopoldstadt, direkt benachbart zu einem Hotel befinde, identifizierbar. Dadurch werde der Öffentlichkeit bekanntgegeben, wo der Kläger wohne. Der Wohnort gehöre zum Privatleben, daran bestehe kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Eine empfindliche Kränkung im Sinne von § 87 Abs 2 UrhG liege jedoch nicht vor.

Das Berufungsgericht wies auch das Unterlassungsbegehren ab. Sofern man die Wohnungsverhältnisse als Teil des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 MRK bzw des höchstpersönlichen Lebensbereichs ansehe, sei der Kläger in diesem Recht nicht verletzt worden. Weder das Bild noch der Begleittext enthielten Angaben zur Ausstattung, Größe oder zur sonstigen Gestaltung der Wohnung. Auch von einer Veröffentlichung der Privatanschrift des Klägers durch die Beklagte könne keine Rede sein. Die Angaben erschöpften sich in der Information, dass sich die Wohnung des Klägers im Dachgeschoss eines Hauses in Wien Leopoldstadt in direkter Nachbarschaft zu einem Hotel befinde. Diese Identifikationsmerkmale träfen aber auf unzählige Wohnungen in Wien Leopoldstadt zu, sodass ein Rückschluss auf die Wohnanschrift des Klägers schier unmöglich sei. Daran ändere auch die Abbildung eines Teils der Hausfassade nichts. Diese sei weder besonders auffällig noch allgemein bekannt. Mangels Bekanntgabe der privaten Wohnadresse des Klägers seien auch seine Sicherheitsinteressen nicht gefährdet. Die bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung reiche nicht aus. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Der Kläger macht geltend, Wohnungsverhältnisse seien Teil des Privat- und Familienlebens. Der Artikel verletze den Schutz vor Indiskretion nach Art 8 Abs 1 EMRK und § 7 Abs 1 MedienG und damit berechtigte Interessen des Klägers iSd § 78 Abs 1 UrhG. Die Pressefreiheit nach Art 10 EMRK sei mit Rechten und Pflichten verbunden, die eine Interessenabwägung im Einzelfall erforderten. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an seiner Sicherheit und Unversehrtheit. Strafverteidiger würden aufgrund ihrer beruflichen Funktion immer wieder bedroht. Es sei daher zur Wahrung seiner persönlichen Sicherheit erforderlich, dass seine Wohnverhältnisse nicht allgemein bekannt würden. Wo seine Wohnung liege und wie seine Wohnverhältnisse seien, habe keinen gesellschaftlichen Orientierungs- bzw Nachrichtenwert.

Die Beklagte beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof zugelassenen Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Die Wertungen des Medienrechts sind bei der Auslegung von § 78 UrhG zu berücksichtigen (4 Ob 184/97f = SZ 70/183 ‑ Ernestine F; RIS-Justiz RS0074824 [T1]); das gilt insbesondere für den hier strittigen Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs iSv § 7 MedienG (4 Ob 233/08f = MR 2009, 135 ‑ Fiona G). Die Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten iSv § 78 UrhG folgt jedoch nicht aus einer schematischen Anwendung dieser Bestimmung. Sie ergibt sich vielmehr aus der (auch) darin ausgedrückten Wertung des Gesetzgebers, dass jedenfalls die Intimsphäre einer Person grundsätzlich jeder Erörterung in der Öffentlichkeit entzogen ist (6 Ob 266/06w = MR 2007, 73 - Mordzeuge; 4 Ob 233/08f - Fiona G).

2. Der „höchstpersönliche Lebensbereich“ bildet den Kernbereich der geschützten Privatsphäre und ist daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich. Er ist nicht immer eindeutig abgrenzbar, erfasst aber jedenfalls die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie (4 Ob 150/08z = MR 2008, 346 ‑ Julius M mwN; RIS-Justiz RS0122148).

3. Es ist im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass auch eine Darstellung von Wohnverhältnissen wegen des dadurch möglichen Rückschlusses auf die Persönlichkeit des Bewohners diesen Kernbereich berührt. Das trifft aber nicht zu, wenn eine Zeitung ohne Abbildung des Wohnungsinneren oder einer privaten Szene und in nicht reißerischer Weise - also nicht bloßstellend iSv § 7 Abs 1 MedienG (vgl 15 Os 175/08m = MR 2009, 11 [Zöchbauer] - Müllkinder II; RIS-Justiz RS0124514) ‑ über Tatsachen berichtet, deren Richtigkeit nicht bestritten ist (vgl jüngst 4 Ob 216/13p).

4. Im vorliegenden Fall berührt die Veröffentlichung nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich des Klägers. Es wird keine nähere Beschreibung seiner Wohnverhältnisse gegeben ‑ die Bezeichnung seines Domizils als „Luxus-Wohnung“ beanstandet der Kläger nicht. Er wendet sich gegen die Identifizierbarkeit seiner Privatadresse und sieht sich dadurch in seinem Interesse an Sicherheit und Unversehrtheit verletzt. Was diese Identifizierbarkeit betrifft, ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen, dass die Identifikationsmerkmale (Gestaltung des abgebildeten Dachs samt Angabe der Lage der Dachgeschoßwohnung in unmittelbarer Nähe an ein Hotel in Wien Leopoldstadt) auf unzählige Wohnungen in diesem Wiener Bezirk zutreffen. Vielmehr ermöglichen es diese Angaben, die Wohnadresse des Klägers relativ einfach herauszufinden.

5. Bei der Prüfung, ob berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, ist darauf abzustellen, ob die geltend gemachten Interessen des Abgebildeten bei objektiver Prüfung des einzelnen Falles als schutzwürdig anzusehen sind (RIS‑Justiz RS0078088). Das Interesse eines Rechtsanwalts an der Geheimhaltung seiner Privatadresse ist als grundsätzlich schutzwürdig anzusehen.

6. Dieses Interesse des Klägers an der Wahrung seiner Anonymität (Art 8 EMRK) ist mit dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Interesse der Beklagten an der Berichterstattung (Art 10 EMRK) abzuwägen (4 Ob 166/10f = MR 2011, 16 ‑ Tiroler Top-Polizist; 4 Ob 101/12z = MR 2013, 115 ‑ Polizist des Jahres I; allgemein zur Interessenabwägung RIS-Justiz RS0078088 [insb T2]).

7. Die Interessenabwägung schlägt zugunsten des Klägers aus, denn es liegt auf der Hand, dass die Bekanntgabe der Privatadresse eines als Strafverteidiger tätigen Rechtsanwalts in dessen berechtigte Sicherheitsinteressen eingreift. Demgegenüber ist der Beklagten zwar ein Interesse an der Berichterstattung an sich zuzugestehen. Doch auch das echte Informationsbedürfnis darf nicht weiter als unbedingt notwendig gehen (vgl RIS-Justiz RS0077883). Hier ist kein Grund ersichtlich, welches Interesse die beklagte Medieninhaberin an der Veröffentlichung der (Identifizierungsmöglichkeit der) Privatadresse des Klägers haben sollte. Im Unterschied zum vorliegenden Fall lag in dem der Entscheidung 4 Ob 216/13p zugrunde liegenden Sachverhalt keine vergleichbare Identifizierbarkeit der Wohnadresse der dortigen Klägerin vor. Ein Eingriff in berechtigte Interessen der Klägerin war dort auch deshalb zu verneinen, weil diese selbst ihre Beziehung zum Politiker und die Suche nach einer gemeinsamen Wohnung öffentlich gemacht hatte.

8. Das Unterlassungsbegehren besteht daher zu Recht. Der Revision war Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung war im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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