OGH 3Ob41/23k

OGH3Ob41/23k19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1) Ma* Z*, geboren am * 2005, und 2) M* Z*, geboren am * 2008, beide wohnhaft bei ihrem Vater M* Z*, vertreten durch das Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Fachgebiet Rechtsvertretung Minderjähriger, *) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der beiden Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 14. Dezember 2022, GZ 23 R 396/22s‑56, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Haag vom 24. Oktober 2022, GZ 307 PU 152/19i‑52, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00041.23K.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 30. 10. 2020 wurde die Mutter ab 1. 11. 2020 zu laufenden monatlichen Unterhaltsbeiträgen in Höhe von 460 EUR für ihre Tochter und 414 EUR für ihren Sohn verpflichtet. Dieser Unterhaltsfestsetzung lag eine in der Tagsatzung vom 28. 10. 2020 (ON 21) vor dem Erstgericht getroffene Vereinbarung zwischen dem Kinder- und Jugendhilfeträger und der Mutter zugrunde, bei der von einem fiktiven Einkommen der Mutter von 2.300 EUR ausgegangen wurde.

[2] Am 19. 7. 2022 stellte der Kinder- und Jugendhilfeträger (bereits zum wiederholten Mal) einen Antrag, die Unterhaltsverpflichtung der Mutter zu erhöhen, und zwar ab 1. 1. 2022 auf monatlich 600 EUR für ihre Tochter und 540 EUR für ihren Sohn. Die Mutter sei auf ein Einkommen in Höhe von 3.012 EUR aus einer Vollzeitbeschäftigung anzuspannen. Außerdem hätten sich die Regelbedarfssätze ab 1. 1. 2022 erhöht. Zudem hätten sich auch die Bedürfnisse der Kinder erhöht; der Sohn habe die Schule gewechselt.

[3] Die Mutter sprach sich gegen den Antrag auf Erhöhung der Unterhaltsbeiträge aus.

[4] Das Erstgericht wies den Erhöhungsantrag ab, weil keine wesentliche Änderung der Umstände vorliege.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Aus einem Vergleich zwischen dem im Oktober 2020 angenommenen fiktiven Einkommen der Mutter und der aktuellen Bemessungsgrundlage ergebe sich keine wesentliche Änderung der Verhältnisse. Eine Umstandsänderung aufgrund gestiegener Bedürfnisse der Kinder sei im Erhöhungsantrag nicht konkret vorgebracht worden. Auch die jährliche Erhöhung der Regelbedarfssätze führe zu keiner wesentlichen Umstandsänderung. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

[6] Über Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers nach § 528 Abs 2a ZPO iVm § 508 Abs 1 ZPO sprach das Rekursgericht nachträglich aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil der Frage erhebliche Bedeutung zukomme, ob § 190 Abs 3 ABGB, wonach Unterhaltsvereinbarungen nur für den Unterhaltsverpflichteten verbindlich seien, auch für eine gerichtliche Festsetzung des Unterhalts gelte, wenn sich diese auf das Einverständnis der Parteien gründe.

[7] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs des Kinder- und Jugendhilfeträgers, der auf eine Stattgebung des Erhöhungsantrags abzielt.

[8] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Mutter, dem Revisionsrekurs den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.

[10] 1.1 Zur Zulassungsfrage wird im Revisionsrekurs ausgeführt, dass die – der Unterhaltsfestsetzung im Jahr 2020 zugrunde liegende – Unterhaltsvereinbarung durch die von der Mutter listig herbeigeführte falsche Annahme zustande gekommen sei, dass es ihr aufgrund der Vorgaben des Dienstgebers nicht möglich sei, eine Tätigkeit in einem höheren Beschäftigungsausmaß als jenem von 24 Wochenstunden auszuüben.

[11] 1.2 Der gegenüber der Mutter erhobene Vorwurf der listigen Irreführung findet im Akteninhalt keine Deckung. Der damaligen Vereinbarung, die Grundlage der gerichtlichen Unterhaltsfestsetzung war, wurde nicht etwa ein Einkommen der Mutter für eine Arbeitsleistung im Ausmaß von 24 Wochenstunden zugrunde gelegt, sondern – unter Vornahme einer Anspannung bei Berücksichtigung altersbedingter und psychischer Einschränkungen – ein fiktives Einkommen in Höhe von monatlich 2.300 EUR. Dieser Betrag entspricht rund 80 % des sich – ausgehend von der Aufstellung der Mutter (AS 65) – für eine Vollzeitbeschäftigung der Mutter errechnenden Einkommens (inkl Sonderzahlungen). Entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs war die damalige Vereinbarung das Ergebnis intensiver Vergleichsgespräche nach Darlegung der beiderseitigen Standpunkte, wobei auf beiden Seiten das Interesse an einer Einigung bestand, die letztlich in der dargelegten „Gesamtlösung“ gefunden wurde.

[12] 1.3 Davon abgesehen ist die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Zulassungsfrage eindeutig zu beantworten und in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch schon geklärt.

[13] Vor Einführung des § 190 Abs 3 ABGB mit dem KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, war eine Unterhaltsvereinbarung erst mit der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung wirksam (RS0000166). Mit dem KindNamRÄG 2013 wurde diese Wirksamkeitsvoraussetzung beseitigt, dafür zum Schutz der unterhaltsberechtigten Kinder aber vorgesehen, dass eine solche Vereinbarung nur für den Unterhaltsverpflichteten verbindlich ist (RV 2004 BlgNR 24. GP  31; vgl RS0107666 [T10]). Schon aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung und ihrer Entstehungsgeschichte ergibt sich eindeutig, dass eine gerichtliche Unterhaltsfestsetzung mit Beschluss nicht in deren Anwendungsbereich fällt, und zwar auch dann nicht, wenn dieser eine Einigung der Parteien zugrunde liegt. Wenn nämlich eine gerichtliche Beschlussfassung erfolgt, entspricht dies zumindest der nach der alten Rechtslage vorgesehenen pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung. In diesem Sinn wurde in der Entscheidung zu 1 Ob 25/21i (Rz 15) festgehalten, dass der Unterhalt des ältesten und des jüngsten Kindes mit – auf das Einvernehmen der Parteien gestütztem – Beschluss des Erstgerichts festgesetzt wurde, und dazu beurteilt, dass – mangels einer vor Gericht bzw durch den Kinder- und Jugendhilfeträger geschlossenen Vereinbarung über die Höhe des Unterhalts – das auf eine Neubemessung (ohne Bindung an die bisherigen Umstände) gerichtete Begehren dieser beiden Kinder nicht auf § 190 Abs 3 ABGB gegründet werden könne.

[14] 2.1 Hauptargument im Revisionsrekurs ist die Behauptung geänderter Verhältnisse für eine Neubemessung der Unterhaltsbeiträge. Dazu wird auf das Einkommen der Mutter bei einer Vollzeitbeschäftigung, auf die Erhöhung der Bedürfnisse der Kinder und auf die erhöhten Regelbedarfssätze hingewiesen.

[15] 2.2 Jede Unterhaltsregelung, sei es durch gerichtliche Entscheidung oder durch einen Vergleich, unterliegt der Umstandsklausel und kann demnach aufgrund einer wesentlichen Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Umstände neu bemessen werden (vgl RS0053297; RS0047398). Wann von einer solchen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist, hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0007161 [T12]; RS0047529 [T15]). Geänderten tatsächlichen Verhältnissen ist ein Sachverhalt gleichzuhalten, bei dem die wahren Einkommensverhältnisse anlässlich der Unterhaltsfestsetzung unbekannt waren und bei dem die den Vergleich abschließenden Parteien oder das Gericht irrtümlich von einer falschen Bemessungsgrundlage ausgegangen sind (vgl RS0107667; RS0107666).

[16] 2.3 Wie bereits ausgeführt, wurde bei der Unterhaltsfestsetzung im Jahr 2020 von einem fiktiven Einkommen der Mutter von 2.300 EUR ausgegangen, was dem Einkommen bei einer Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von rund 80 % entspricht. Das nunmehr tatsächlich erzielte Einkommen der Mutter beträgt 2.467 EUR bei einem Beschäftigungsausmaß von 30 Stunden. Aufgrund des ähnlichen Beschäftigungsausmaßes sind die genannten Einkommensbeträge zur Beurteilung des Vorliegens geänderter Einkommensverhältnisse miteinander vergleichbar. Dabei ist das Rekursgericht ohne korrekturbedürftige Fehlbeurteilung davon ausgegangen, dass in dieser Hinsicht keine geänderten Verhältnisse vorliegen.

[17] Für die vom Kinder- und Jugendhilfeträger geforderte Anspannung der Mutter auf eine Vollzeitbeschäftigung besteht weder nach den für die Unterhaltsfestsetzung im Jahr 2020 maßgebenden Umständen noch nach dem sonstigen Akteninhalt eine Grundlage.

[18] 3.1 Zu den von den Kindern behaupteten erhöhten Bedürfnissen hat das Rekursgericht ausgeführt, dass gestiegene Bedürfnisse nicht konkret vorgebracht worden seien. Der Revisionsrekurs hält dem entgegen, dass schon im erstinstanzlichen Verfahren auf eine Erhöhung der Bedürfnisse der Tochter und des Sohnes, der seit September 2022 die HTL besuche, hingewiesen worden sei.

[19] 3.2 Auch im außerstreitigen Unterhaltsverfahren sind die Behauptungs- und Beweislastregeln nicht aufgehoben (vgl RS0006261 [T1]; RS0006790 [T1]), weshalb der Unterhaltsberechtigte zur Darlegung geänderter Verhältnisse für eine Neubemessung das gestiegene Einkommen bzw die erhöhte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen oder seinen erhöhten oder besonderen Bedarf ausreichend konkret darlegen muss (vgl RS0006348 [T4]). Die im außerstreitigen Verfahren geltende Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung findet insofern dort ihre Grenze, wo ein Vorbringen der Parteien fehlt und keine Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit bestehen (RS0069653 [T6]; RS0006261 [T17]).

[20] Selbst wenn man annimmt, dass der Hinweis auf den Schulwechsel des Sohnes einen ausreichenden Anhaltspunkt für mögliche erhöhte Bedürfnisse begründete und eine Erörterungspflicht des Erstgerichts auslöste und dieser Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens im Interesse des Kindeswohls auch noch im Revisionsrekurs geltend gemacht werden kann (vgl RS0050037 [T4]), so sind die Kinder doch nicht in der Lage, die Erheblichkeit eines solchen Mangels aufzuzeigen. Zwar können gestiegene Bedürfnisse des Kindes eine relevante Umstandsänderung begründen (vgl RS0047332; RS0047306). Die Unterhaltsbemessung minderjähriger Kinder erfolgt aber nach der Prozentsatzkomponente und gelangt nach dieser Methode der altersbedingte Bedarf des Kindes im Allgemeinen durch die Höhe des Prozentsatzes zum Ausdruck (vgl 4 Ob 228/19m). An den für die beiden Minderjährigen für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Prozentsätzen hat sich zwischen der Unterhaltsfestsetzung im Jahr 2020 und der nunmehr vorliegenden Entscheidung des Erstgerichts nichts geändert. Zu den für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Prozentsätzen wird im Revisionsrekurs auch nichts ausgeführt. Das Gleiche gilt für die Frage, ob durch den Schulwechsel des Sohnes ein besonderer Bedarf begründet wurde.

[21] 4. Schließlich hat sich die Deckungspflicht des geldunterhaltspflichtigen Elternteils an den Lebensverhältnissen zu orientieren und im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu halten (vgl RS0109907 [T9]). Die Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzkomponente soll gerade der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen Rechnung tragen (4 Ob 242/16s Pkt 3.1). Demgegenüber widerspricht eine Unterhaltsbemessung, die sich nur am Regelbedarf der jeweiligen Altersgruppe orientiert, dem Gesetz (RS0007199 [T1]). Eine Änderung der Regelbedarfssätze führt für sich allein daher noch nicht zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Das Rekursgericht hat auch in dieser Hinsicht eine Umstandsänderung vertretbar verneint.

[22] 5. Insgesamt gelingt es dem Kinder- und Jugendhilfeträger mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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