OGH 3Ob220/22g

OGH3Ob220/22g2.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G*, 2. K*, beide vertreten durch Dr. Franz Xaver Berndorfer, Rechtsanwalt in Linz, und ihrer Nebenintervenienten 1. Dr. F*, vertreten durch Mag. Rupert Wagner, Rechtsanwalt in Linz, 2. Dr. G*, 3. Dr. G*, vertreten durch Dr. Georg Martin Steininger, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. J*, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher 1.229.793,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtvom 22. September 2022, GZ 3 R 91/22f‑58, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. April 2022, GZ 38 Cg 36/20m‑48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00220.22G.0202.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit (insgesamt) 3.896,20 EUR (hierin enthalten 649,37 EUR USt), dem ersten Nebenintervenienten die mit 4.250,34 EUR (hierin enthalten 708,39 EUR USt) und dem zweiten und dem dritten Nebenintervenienten die mit (insgesamt) 4.675,13 EUR (hierin enthalten 779,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Urfahr‑Umgebung vom 5. November 2012 wurde der Zweitkläger für seine 1935 geborene Halbschwester zum Sachwalter – beschränkt auf die Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten – bestellt. Im Bestellungsbeschluss wurde ausgesprochen, dass die Betroffene ihren letzten Willen nur mündlich vor Gericht oder vor einem Notar erklären kann.

[2] Im Jahr 2013 sagte die Betroffene dem Zweitkläger, dass sie ihn und seinen Bruder (ihren Halbbruder), den Erstkläger, je zur Hälfte als Erben einsetzen wolle. Der Zweitkläger kontaktierte daraufhin im Wissen um die Einschränkung auf bestimmte Testierformen zunächst das örtlich zuständige Bezirksgericht, wo ihm geraten wurde, dass die Betroffene sich an einen Notar wenden solle.

[3] Der Zweitkläger, der damals ein gutes Verhältnis zum beklagten Notar hatte, rief daraufhin diesen an und schilderte ihm, dass für die Betroffene, die nur vor Gericht oder einem Notar testieren dürfe, ein Testament zu errichten sei. In weiterer Folge vereinbarte er für die Betroffene einen Termin für den 20. Juni 2013 im Notariat des Beklagten.

[4] An diesem Tag suchte die Betroffene in Begleitung des Zweitklägers das Notariat des Beklagten auf. Den Termin nahm entgegen der Erwartung des Zweitklägers nicht der Beklagte persönlich wahr, sondern dessen damaliger Substitut. Der Zweitkläger wies auch den Notarsubstituten darauf hin, dass für die Betroffene eine Sachwalterschaft bestehe und sie nur vor Gericht oder einem Notar testieren dürfe. Zum Nachweis für die Sachwalterschaft wies er seine Bestellungsurkunde vor, aus der sich diese Einschränkung auf bestimmte Testierformen allerdings nicht ergab.

[5] Der Notarsubstitut ersuchte den Zweitkläger, vor dem Büro zu warten, und besprach mit der Betroffenen die Testamentserrichtung. Das im Anschluss nach seinem Diktat geschriebene Testament las er der Betroffenen vor und ging es Punkt für Punkt mit ihr durch.

[6] In diesem Testament setzte die Betroffene „bei vollkommen gesunden Geisteskräften, frei von Irrtum, Betrug oder Zwang“ ihre beiden Halbbrüder, die Kläger, nach Stämmen zu Erben ein und vermachte ihrer Cousine einen Betrag von 10.000 EUR.

[7] Die Betroffene unterfertigte das Testament an diesem Tag vor drei Zeugen (dem Notarsubstituten und zwei Mitarbeiterinnen des Notariats) und erklärte, dass dies ihr letzter Wille sei. Die letztwillige Verfügung wurde auch von den drei Zeugen unterschrieben. Ein auch nur allgemein gehaltener Vermerk über das Ergebnis der Erforschung durch den Notarsubstituten, ob die Erklärung des letzten Willens frei und mit Überlegung geschah, wurde nicht vorgenommen.

[8] Die Betroffene litt bei Errichtung des Testaments an einer leichtgradigen Demenz vom Alzheimertyp. Diese Erkrankung führte zum Abbau von kognitiven Funktionen und zur Einschränkung der Alltagskompetenz. Dies zeigte sich bei der Betroffenen insbesondere im Umgang mit Geldangelegenheiten. Das Erfassen von einfachen Willensbedingungen war ihr jedoch möglich. So war sie damals in der Lage einzuschätzen, ob eine Person ihr gesamtes Vermögen erhalten sollte. Sie war weiters in der Lage, einen Sachverhalt unabhängig von der Höhe des Geldwerts zu erfassen, wenn sie etwa mehreren Personen die gleichen Geldwerte überlassen wollte. Ihr war damals bewusst, dass sie ein Testament errichtete und sie konnte auch die erforderlichen Handlungen setzen. Sie verstand den Inhalt des von ihr errichteten Testaments; dieser entsprach dem damals von ihr frei gebildeten Willen. Sie verstand weiters, dass sie mit diesem Testament die Verteilung ihres Vermögens nach ihrem Tod festlegte. Ihre geistigen Fähigkeiten entsprachen damals jedenfalls jenen einer 14‑jährigen Person.

[9] Nach dem Tod der Betroffenen am 4. Oktober 2017 gab die Tochter des Zweitklägers aufgrund eines im Jahr 2010 in einem Notariat entsprechend den Formvorschriften errichteten Testaments der Betroffenen eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Sie vertrat die Auffassung, dass die Betroffene am 20. Juni 2013 aufgrund ihres geistigen Gesundheitszustands nicht mehr testierfähig gewesen sei. Die Kläger gaben aufgrund des Testaments vom 20. Juni 2013 jeweils eine bedingte Erbantrittserklärung zur Hälfte des Nachlasses ab. Der Gerichtskommissär legte den Akt daraufhin dem Verlassenschaftsgericht zur Entscheidung über das bessere Erbrecht vor.

[10] In diesem Verfahren vor dem Verlassenschaftsgericht brachte die Tochter des Zweitklägers vor, dass die Betroffene das Testament nur mündlich vor Gericht oder einem Notar errichten habe dürfen. Der damalige Rechtsvertreter der Kläger (der dritte Nebenintervenient) ersuchte deshalb den Beklagten um Bekanntgabe, ob das in seiner Kanzlei errichtete Testament den Formvorschriften entspreche. In einem Telefonat am 29. März 2018 erklärte der Beklagte dem Zweitkläger, dass bei der Errichtung des Testaments ein Fehler unterlaufen sei, weil kein Beirückungsprotokoll erstellt worden sei.

[11] Am 12. April 2018 fand im Notariat des Beklagten eine Besprechung zwischen diesem und den Klägern statt. Der Beklagte erklärte damals neuerlich, dass bei der Errichtung des Testaments ein Fehler unterlaufen sei. Die Kläger würden aber keinen Schaden erleiden, weil er ausreichend versichert sei. Die Kläger sprachen mit dem Beklagten auch über das weitere Verlassenschaftsverfahren. In diesem Zusammenhang wies der Beklagte darauf hin, dass ein Anerkenntnis des Erbrechts der Tochter des Zweitklägers alternativlos sei. Diese Auskunft wiederholte der Beklagte bei einer weiteren Besprechung mit den Klägern am 9. Mai 2018.

[12] Der dritte Nebenintervenient brachte daraufhin am 14. Mai 2018 beim Verlassenschaftsgericht einen Schriftsatz ein, mit dem die Kläger die Erbantrittserklärung der Tochter des Zweitklägers anerkannten und ihre eigenen Erbantrittserklärungen nicht weiter aufrecht hielten.

[13] Mit Beschluss vom 16. Mai 2018 stellte das Verlassenschaftsgericht gemäß § 161 Abs 1 AußStrG das Erbrecht der Tochter des Zweitklägers fest. Dieser Beschluss wurde am 18. Mai 2018 abgefertigt.

[14] Da die Kläger Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen wollten, suchten sie am 22. Mai 2018 die Kanzlei des nunmehrigen Klagevertreters auf und schilderten diesem den Sachverhalt. Als die Kläger kurz nach diesem Gespräch den Gerichtskommissär kontaktierten, wies sie dieser auf die Übergangsbestimmung des § 1503 ABGB hin. Dies teilten die Kläger dem Klagevertreter mit. Daraufhin nahm der Klagevertreter Kontakt zum dritten Nebenintervenienten auf. Letztlich wurde bei einer Besprechung der beiden Rechtsanwälte und der Kläger beschlossen, dass der dritte Nebenintervenient das Anerkenntnis der Erbantrittserklärung der Tochter des Zweitklägers schriftlich zurückziehe. Dies tat er mit Schriftsatz vom 25. Mai 2018.

[15] Dem von den Klägern erhobenen Rekurs gegen den Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 16. Mai 2018 gab das Landesgericht Linz als Rekursgericht nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Kläger zu 2 Ob 220/18v nicht Folge.

[16] Die Aktiva der Verlassenschaft nach der Betroffenen betrugen insgesamt 1.269.562,14 EUR; nach Abzug der Verlassenschaftspassiva (Begräbnis- und andere Kosten) sowie der Kosten des Verlassenschaftsverfahrens errechnet sich ein Saldo von 1.222.693,17 EUR. Im Erbrechtsstreit entstanden den Klägern insgesamt Kosten von 7.100,63 EUR.

[17] Die Kläger begehrten vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes wegen des fehlerhaft erstellten Testaments und des ihnen deshalb entgangenen Erbes jeweils den Betrag von 633.527,50 EUR sA.

[18] Der Beklagte wendete, soweit in dritter Instanz noch von Interesse, insbesondere ein, ein allfälliger Formfehler des Testaments durch eine fehlende Beirückung sei durch die Übergangsbestimmungen zum ErbRÄG 2015 saniert worden. Der behauptete Schaden der Kläger in Form des Verlusts ihres testamentarischen Erbrechts sei nicht in einem Fehler des Beklagten begründet, sondern darin, dass die anwaltlich vertretenen Kläger das widerstreitende Erbrecht der Tochter des Zweitklägers anerkannt und dieses Anerkenntnis verspätet (erst nach der Entscheidung des Verlassenschaftsgerichts) widerrufen hätten. Überdies sei die Betroffene am 20. Juni 2013 gar nicht mehr testierfähig gewesen. § 568 ABGB aF sei außerdem wegen Verstoßes gegen die UN‑Behindertenrechtskonvention verfassungswidrig gewesen, weshalb diese Bestimmung insbesondere im Erbrechsstreit als verfassungswidrig und der UN‑Behindertenrechtskonvention widersprechend zu bekämpfen gewesen wäre.

[19] Das Erstgericht sprach den Klägern jeweils einen Betrag von 614.896,90 EUR sA zu; das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab. Gemäß § 568 ABGB idF BGBl I 2004/58 habe eine Person, für die ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt gewesen sei, sofern dies gerichtlich angeordnet worden sei, nur mündlich vor Gericht oder einem Notar testieren können. Dem Notar sei nach dieser Bestimmung nicht nur die Protokollierung der Willenserklärung des Erblassers oblegen, sondern auch die Erforschung seines freien Willens. Das Ergebnis dieser Erforschung habe dem Testament angeschlossen („beigerückt“) werden müssen. Da das Testament der Betroffenen weder in Form eines notariellen Protokolls errichtet worden sei noch eine Beirückung iSd § 568 ABGB idF BGBl I 2004/58 enthalte habe, sei es ungültig. Der Einwand des Beklagten, die Betroffene sei am 20. Juni 2013 gar nicht mehr testierfähig gewesen, treffe nach den Feststellungen nicht zu. Aus den Regelungen des ErbRÄG 2015 ergebe sich entgegen der Ansicht des Beklagten keine Heilung des ungültigen Testaments. § 568 ABGB idF BGBl I 2004/58 sei entgegen der Behauptung dem Beklagten auch nicht verfassungswidrig, weshalb die Kläger nicht verpflichtet gewesen seien, einen Antrag nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG zu stellen.

[20] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Das Erstgericht habe ausreichende Feststellungen zur Testierfähigkeit der Betroffenen getroffen. Das Testament vom 20. Juni 2013 habe nicht dem § 568 ABGB aF entsprochen und sei daher jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Errichtung formungültig gewesen. Weder aus der Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 4 und 5 ABGB noch aus den Gesetzesmaterialien zum ErbRÄG 2015 lasse sich eine nachträgliche Heilung des Testaments ableiten. Für die Kläger habe auch keine Verpflichtung bestanden, zur Überprüfung der Verfassungskonformität des § 568 ABGB aF einen Normprüfungsantrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG zu stellen. Dass der Beklagte den Klägern zu einem solchen Antrag geraten habe, sei weder konkret behauptet noch vom Erstgericht festgestellt worden.

[21] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob ein zum Zeitpunkt seiner Errichtung wegen Verstoßes gegen § 568 ABGB aF formungültiges Testament durch die Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 4 und 5 ABGB idF des ErbRÄG 2015 im Nachhinein geheilt werde und somit Gültigkeit erlangen könne.

[22] In seiner Revision macht der Beklagte zusammengefasst geltend, durch das ErbRÄG 2015 sei nachträglich das Erfordernis der Beirückung bzw des notariellen Protokolls weggefallen, weshalb das Testament im Zeitpunkt des Erbfalls wirksam gewesen sei. Im Übrigen sei § 568 ABGB aF verfassungswidrig gewesen, weshalb das Testament von Anfang an formgültig gewesen sei. Die Kläger hätten daher im Verlassenschaftsverfahren aufgrund der sie treffenden Schadensminderungsobliegenheit einen Antrag nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG stellen müssen; hätten sie das getan, wäre das Testament für rechtsgültig erklärt worden. Außerdem sei die Betroffene bei Abfassung des Testaments nicht mehr testierfähig gewesen, zumal eine partielle Testier‑(un‑)fähigkeit dem österreichischen Recht fremd sei; für die Unwirksamkeit des Testaments reiche es daher aus, dass die Betroffene nur „einfache Willensbildungen“ verstehen habe können.

[23] In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen der Kläger und der erste Nebenintervenient jeweils, der Revision nicht Folge zu geben. Der zweite und der dritte Nebenintervenient beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[24] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[25] 1.1. Ob Testierfähigkeit vorlag, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die aufgrund der Feststellungen über den Geisteszustand des Erblassers und den Grad der Beeinträchtigung der Willensbildung zu beantworten ist (vgl RS0012408). An die Testierfähigkeit legt die Rechtsprechung weniger strenge Maßstäbe an als an die Geschäftsfähigkeit. Richtschnur für die Bejahung der Testierfähigkeit sind die kognitiven Fähigkeiten eines 14‑Jährigen. Nicht jede geistige Erkrankung oder bloße Abnahme der geistigen Kräfte schließt die Testierfähigkeit aus. Es darf nur nicht die Freiheit der Willensbildung aufgehoben sein, insbesondere etwa infolge von Wahnvorstellungen. Jedenfalls muss immer das Bewusstsein vorliegen, ein Testament zu errichten (RS0012402 [T4]; vgl auch RS0012427). Die Testierfähigkeit fehlt nur dann, wenn der Erblasser nicht einmal das Bewusstsein hatte, eine letztwillige Anordnung zu treffen und ihm das Verständnis ihres Inhalts zur Gänze abging. Die Beeinträchtigung des Bewusstseins des Erblassers muss so weit gehen, dass die normale Freiheit der Willensbildung aufgehoben ist (RS0012402).

[26] 1.2. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen haben die Vorinstanzen die Testierfähigkeit der Betroffenen zutreffend bejaht. Von einer bloß „partiellen Testierfähigkeit“ (vgl dazu 2 Ob 609/87) ist das Berufungsgericht ohnehin nicht ausgegangen.

[27] 2. Die Vorinstanzen haben auch zutreffend eine Heilung des ursprünglich wegen Verstoßes gegen § 568 ABGB aF formungültigen Testaments verneint:

[28] 2.1. Gemäß § 568 ABGB idF FamRÄG 2004 (= BGBl I 2004/58) konnte eine Person, für die ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt ist, sofern dies gerichtlich angeordnet war, nur mündlich vor Gericht oder Notar testieren; dies galt nicht im Fall des § 597 ABGB. Das Gericht musste sich durch eine angemessene Erforschung zu überzeugen suchen, dass die Erklärung des letzten Willens frei und mit Überlegung geschehe. Die Erklärung musste in ein Protokoll aufgenommen, und dasjenige, was sich aus der Erforschung ergeben hat, beigerückt werden. Im Fall eines notariellen mündlichen Testaments traf die Nachforschungspflicht den Notar (6 Ob 282/07z mwN). Dieser Prüfvorgang war dem Protokoll über die Erklärung des letzten Willens in einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung beizurücken (vgl 6 Ob 282/07z = RS0123218). Es ist herrschende Auffassung, dass diese ins Protokoll aufzunehmende Erklärung über die Prüfung der Testierfähigkeit und deren Ergebnis eine Formvorschrift war, deren Verletzung die Erklärung des letzten Willens ungültig machte (RS0021949).

[29] 2.2. Im Lichte der UN‑Behindertenrechtskonvention und ihres autonomiefreundlichen Ansatzes wurde § 568 ABGB aF mit dem ErbRÄG 2015 ersatzlos eliminiert (Apathy/Neumayr in KBB6 § 567 ABGB Rz 4 mwN). Nach der Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 4 ABGB verlieren Anordnungen der Gerichte nach § 568 ABGB aF, wonach eine Person unter Sachwalterschaft nur mündlich vor Gericht oder Notar testieren konnte, mit 1. Jänner 2017 ihre Gültigkeit; die letztwilligen Verfügungen, die auf Grundlage der früher in Geltung gestandenen Bestimmungen errichtet wurden, blieben aufrecht.

[30] 2.3. Die Aufhebung des § 568 ABGB aF vor dem Ableben der Betroffenen führte allerdings entgegen dem Standpunkt des Beklagten nicht zu einer Heilung des Formmangels des vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 errichteten Testaments. Gemäß § 575 ABGB ist die Form letztwilliger Verfügungen nämlich anhand jener Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung galt. Eine ursprünglich wegen eines Formmangels ungültige letztwillige Verfügung kann also nicht durch eine nachträgliche Änderung der Rechtslage geheilt werden (vgl Fischer‑Czermak/Pierer in Fenyves/​Kerschner/​Vonkilch,Klang3 §§ 566–568 aF, §§ 566–568 nF ABGB Rz 12; ebenso A. Tschugguel, Neues zur Form letztwilliger Verfügungen, EF‑Z 2016/83, 177). Der vom Beklagten ins Treffen geführten gegenteiligen Ansicht von Vonkilch/Kehrer (in Fenyves/​Kerschner/​Vonkilch,Klang3 § 5 ABGB Rz 12 mwN), wonach zwar hinsichtlich der grundsätzlichen Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung jedenfalls auf den Errichtungszeitpunkt abzustellen sei, in favor testamenti allerdings eine Heilung einer formungültigen letztwilligen Verfügung anzunehmen sein werde, falls diese zumindest späteren Formerfordernissen entspreche und dem Erblasserwillen dadurch zum Durchbruch verholfen werden könne, kann angesichts des klaren Wortlauts des § 575 ABGB nicht gefolgt werden.

[31] 3. Auf die vom Beklagten behauptete Verfassungswidrigkeit des § 568 ABGB aF kommt es hier nicht an. Der Beklagte erklärte den Klägern, dass seinem Substituten bei der Errichtung des Testaments ein Fehler unterlaufen sei, weshalb ein Anerkenntnis des Erbrechts der Tochter des Zweitklägers alternativlos sei. Genau dieser Rat des Beklagten stand nämlich seiner Forderung, die Kläger hätten im Verlassenschaftsverfahren einen Normprüfungsantrag nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG stellen müssen, von vornherein entgegen: Um einen solchen Antrag überhaupt stellen zu können, hätten die Kläger nämlich entgegen dem ausdrücklichen Rat des Beklagten („alternativlos“) das Erbrecht der Tochter des Zweitklägers gerade nicht anerkennen dürfen, sondern ihre Erbantrittserklärungen unter Behauptung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 568 ABGB aF aufrecht halten müssen.

[32] 4. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

[33] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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