European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030NC00063.24F.1014.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Antrag auf Bestimmung eines zuständigen Gerichts nach § 28 JN für die beabsichtigte Exekution zur Erwirkung unvertretbarer Handlungen wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragsgegnerin mit Sitz in Deutschland ist aufgrund des rechtskräftigen und vollstreckbaren Beschlusses des Handelsgerichts Wien vom 14. Mai 2024, GZ 57 Nc 1/24z‑5, verpflichtet, dem Antragsteller im Rahmen eines Auskunftsanspruchs nach § 18 Abs 4 ECG (idF vor BGBl I 2023/182) Namen und Adresse bestimmter näher bezeichneter Nutzer ihrer Online-Plattform „G*“ bekannt zu geben, um dem Antragsteller die Rechtsverfolgung zu ermöglichen.
[2] Der Antragsteller begehrte die Bestimmung eines österreichischen Exekutionsgerichts im Weg der Ordination. Die Rechtsverfolgung in Deutschland sei unmöglich, weil gemäß § 888 dZPO Entscheidungen, die die verpflichtete Partei zu einer nicht vertretbaren Handlung verpflichteten, durch das Prozessgericht zu vollstrecken seien und sich das Prozessgericht im Anlassfall in Österreich befinde. Art 54 EuGVVO 2012 sei nicht anwendbar, weil auch das deutsche Gericht die zugrunde liegende Entscheidung ohne Anordnung oder Ausspruch einer Zwangsstrafe zu erlassen hätte. Darüber hinaus sei die Vollstreckung in Deutschland unzumutbar, weil gemäß § 78 dZPO iVm § 71 Abs 1 dGVG vor den zuständigen Landgerichten absolute Anwaltspflicht bestehe und eine Vertretung durch einen österreichischen Rechtsanwalt daher nicht ohne weiteres möglich sei, wodurch auch erhebliche Kosten entstünden.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 JN liegen nicht vor.
[4] 1. Als Grundlage für die Bestimmung eines zuständigen Gerichts kommt in Anlassfall (nur) § 28 Abs 1 Z 2 JN in Betracht. Danach ist die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts durch den Obersten Gerichtshof nur dann zulässig, wenn die betreibende Partei ihren Wohnsitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Die genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 28 Abs 4 JN vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen, was auch für Exekutionssachen gilt (RS0124087).
[5] 2.1 Im Anlassfall liegt ein grenzüberschreitender (Vollstreckungs‑)Sachverhalt vor. In einem solchen Fall sind innerhalb der Europäischen Union ausländische Exekutionstitel in Zivil- und Handelssachen nach Maßgabe der Bestimmungen der EuGVVO 2012 zu vollstrecken. Die Vollstreckung selbst richtet sich dabei nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats (vgl 3 Ob 75/14x), hier also nach deutschem Recht. Allfällige Divergenzen im Recht der betroffenen Mitgliedstaaten sind nach den Bestimmungen der EuGVVO 2012 aufzulösen.
[6] 2.2 Nach deutschem Recht sind titulierte Auskunftsverpflichtungen als unvertretbare Handlungen gemäß § 888 dZPO zu vollstrecken (Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO § 888 Rz 6). Nach dieser Bestimmung erfolgt die Erwirkung unvertretbarer Handlungen durch Verhängung eines Zwangsgeldes oder einer Zwangshaft, was auf Antrag vom Prozessgericht des ersten Rechtszugs anzuordnen ist. Nach österreichischem Recht werden die genannten Zwangsmittel nicht durch das Prozessgericht (Titelgericht) verhängt.
[7] 2.3 Die (nicht mehr geltende) EuGVVO 2001 sah die Möglichkeit vor, ausländische Entscheidungen, die Maßnahmen oder Anordnungen enthielten, die dem Recht des ersuchten Vollstreckungsstaats nicht bekannt waren, im Rahmen des Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung an die Anforderungen des nationalen Rechts des Vollstreckungsstaats anzupassen.
[8] Mit Art 54 EuGVVO 2012 ist das Exequaturverfahren entfallen (vgl § 1112 dZPO). Aus diesem Grund sieht diese Bestimmung nunmehr vor, dass ausländische Titel im Vollstreckungsverfahren des Vollstreckungsstaats anzupassen sind (vgl Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO § 1114 Rz 1 ff). Enthält demnach eine ausländische Entscheidung eine Maßnahme oder Anordnung, die im Recht des ersuchten Vollstreckungsstaats nicht bekannt ist, so ist diese Maßnahme oder Anordnung, soweit dies möglich ist, an eine im Recht des Vollstreckungsstaats bekannte Maßnahme oder Anordnung anzupassen, mit der vergleichbare Wirkungen verbunden sind und die ähnliche Ziele und Interessen verfolgt. Die Vollstreckungsorgane des Vollstreckungsstaats sind somit verpflichtet, die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Zwangsmittel anzuwenden, die die Befolgung des im ausländischen Titel enthaltenen Verbots oder Gebots in gleicher Weise sicherstellen können. In der Praxis erweist sich dieses Anpassungserfordernis vor allem bei Exekutionstiteln als erforderlich, die keine Geldleistung betreffen, weil die nationalen Rechtsordnungen insoweit erhebliche Unterschiede aufweisen (vgl Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO § 1114 Rz 6 ff).
[9] 2.4 Für den Anlassfall bedeutet dies, dass ein österreichischer Exekutionstitel zur Erwirkung unvertretbarer Handlungen, der – wie hier im Einklang mit der österreichischen Rechtslage – keine Anordnung eines Zwangsgeldes im Sinn des § 888 dZPO enthält, vom zuständigen deutschen Gericht entsprechend angepasst werden muss. Insofern besteht kein Unterschied zur Vollstreckung eines österreichischen Unterlassungstitels im EU-Ausland (vgl 3 Ob 20/20a; vgl zur Vollstreckung vertretbarer Handlungen BGH I ZB 43/08).
[10] 2.5 Da der hier zu vollstreckende österreichische Exekutionstitel zur Erwirkung unvertretbarer Handlungen keine Anordnung eines Zwangsgeldes enthält, hat das zuständige deutsche Gericht den österreichischen Titel um die für die Vollstreckung in Deutschland erforderlichen Zwangsmittel zu ergänzen. Die Ansicht des Antragstellers, dass die Vollstreckung in Deutschland unmöglich sei, erweist sich damit als unzutreffend.
[11] 3.1 Die Vollstreckung des zugrunde liegenden Exekutionstitels in Deutschland ist auch nicht unzumutbar.
[12] 3.2 Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung bzw Rechtsdurchsetzung im Ausland wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insbesondere dann bejaht, wenn die Entscheidung im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung bzw Vollstreckung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozess- oder Exekutionsführung im Ausland eine der Parteien einer politischen Verfolgung aussetzen würde oder eine Verfahrensführung im Ausland äußerst kostspielig wäre (RS0046148; 8 Nc 27/09a).
[13] 3.3 Im Rahmen der Europäischen Union bestehen seit langem Vorschriften zur Verwirklichung der Freizügigkeit anwaltlicher Tätigkeiten (vgl RL 77/249/EWG ; RL 98/5/EG ). Diese Vorschriften sollen sicherstellen, dass Rechtsanwälte innerhalb der EU (und des EWR) ihre Dienstleistungen in Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen und beruflichen Standards grenzüberschreitend anbieten oder sich niederlassen können. Auf diese Weise soll die Mobilität der Rechtsanwälte gefördert und der Zugang zu anwaltlichen Dienstleistungen im Binnenmarkt erleichtert werden. In Deutschland wurden die in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorgaben durch das dEuRAG und in Österreich (nunmehr) durch das EIRAG umgesetzt. Nach § 5 Abs 1 EIRAG dürfen selbst in Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht – sofern nicht der Fall des § 5 Abs 3 leg cit vorliegt – europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei handeln, sofern sie dies im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) machen (RS0129660; 6 Ob 212/22b). § 28 Abs 1 dEuRAG enthält eine vergleichbare Bestimmung.
[14] Die Rechtsvertreterin des Antragstellers ist von der Vertretungstätigkeit in Deutschland somit nicht ausgeschlossen.
[15] 3.4 Auch das vom Antragsteller ins Treffen geführte Kostenargument ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich nicht geeignet, einen Ordinationsantrag zu rechtfertigen. Im Regelfall stellt sich die Kostenfrage bei Distanzverfahren nämlich für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen, weshalb diese zu Lasten des Antragstellers geht (2 Ob 32/08g; 7 Nc 21/10p; RS0046420). Außerdem dürfen die unionsrechtlichen Vorschriften nicht mit Kostenargumenten umgangen werden.
[16] 4. Insgesamt sind die Voraussetzungen für die beantragte Ordination nicht gegeben. Der Ordinationsantrag war daher abzuweisen.
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