European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E115528
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Beiden Revisionen wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 27. 12. 2014 gegen 8:20 Uhr ereignete sich in F* auf dem F*weg ein Verkehrsunfall, an dem das von der klagenden Partei gehaltene Fahrzeug VW Touareg sowie der bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte VW Amarok der Firma S* GmbH & Co KG beteiligt waren.
Der F*weg verläuft im Unfallbereich in Nord-Süd‑Richtung und beschreibt in Richtung Norden gesehen eine Rechts‑Links‑Kurvenkombination. Er ist im Nahbereich der Unfallstelle 4,6 m, sonst teilweise aber auch nur 4 m breit. Seine Steigung beträgt ungefähr 14 %. Am westlichen Rand grenzt ein Graben und daran eine steile Böschung. Durch diese ist die Sicht auf den Weg markant eingeschränkt; sie beträgt im Unfallsbereich rund 36 m.
Der F*weg ist eine Forststraße. Die klagende Partei hat mit der Ö* B* AG vereinbart, dass sie diesen Weg für alle mit der Bewirtschaftung ihres Schirestaurants verbundenen Fahrten während des Winters selbst oder durch Dritte benutzen (sowie auf eigene Kosten eine anschließende Forststraße dorthin errichten) darf. Am talseitigen Beginn des Weges ist im Winter jeweils neben der Fahrverbotstafel die Zusatztafel „Gilt für alle Fahrzeuge inklusive Hüttenanrainer, ausgenommen Rodeltaxis“ angebracht. Es besteht keine vertragliche Regelung mit Rodeltaxis, sondern Kontakt zwischen der klagenden Partei und zwei Taxiunternehmen, die auf dem F*weg mit ihren Taxis hochfahren, wenn Hüttenabende stattfinden oder Hausgäste zu transportieren sind.
Der Betriebsleiter der S* GmbH & Co KG nimmt, wenn im Winter der F*weg benützt werden muss, grundsätzlich mit J* S* Verbindung auf und ersucht um die Nutzung. Bislang ist ihm dies noch nie verweigert worden. Im Jahr 2014 fanden ungefähr 10 bis 15 Mal solche Anfragen statt.
Im Unfallszeitpunkt war aufgrund der Schneelage die Abfahrt mit Schiern ins Tal nicht möglich, weshalb öfters Transporte mit Fahrzeugen der S* GmbH & Co KG auf dem F*weg zu den Liftanlagen durchgeführt wurden. Am 27. 12. 2014 erteilte der Betriebsleiter einem Mitarbeiter die Anweisung, mit dem Fahrzeug talwärts zu fahren, um Ersatzteile zu holen. Er nahm davor aber keine Verbindung mit J* S* auf, um dessen Zustimmung einzuholen. Zur selben Zeit fuhr die Ehefrau des J* S* mit dem Klagsfahrzeug bergwärts. Wenn ein fremdes Fahrzeug den F*weg benutzt, wird sie von J* S* darüber in Kenntnis gesetzt. Es bestand damals eine Schneefahrbahn, die Wegoberfläche war rutschig. I* S* fuhr mit dem Klagsfahrzeug mit ungefähr 20 bis 25 km/h im zweiten Gang mittig auf dem Weg, weil sie nicht mit Gegenverkehr rechnete. Sie sah das entgegenkommende, im ersten Gang mit langsamer Fahrgeschwindigkeit talwärts fahrende Beklagtenfahrzeug erstmals aus einer Entfernung von ca 32 m, leitete daraufhin eine Bremsung ein und versuchte nach rechts zu lenken, was ihr nur geringfügig gelang. Das Beklagtenfahrzeug wurde bei erster Sicht zunächst abgebremst, danach aber nach rechts ausgelenkt, sodass es mit den Rädern auf der Böschung hoch und an dieser entlang fuhr, um dem entgegenkommenden Klagsfahrzeug auszuweichen.
Im Zeitpunkt der darauffolgenden streifenden Kollision war das Beklagtenfahrzeug in Bewegung mit den Rädern auf der Böschung, das Klagsfahrzeug dagegen mittig auf dem F*weg im Stillstand. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs lag zwischen 10 und 20 km/h. Durch die Kollision verhakten sich die beiden Fahrzeuge und kamen nebeneinander zum Stillstand. In dieser Endstellung befand sich das Beklagtenfahrzeug mit seiner linken Fahrzeugflanke maximal 1 m innerhalb des Wegs.
Bei einer Fahrgeschwindigkeit des Klagsfahrzeugs von 20 bis 25 km/h beträgt die Anhaltestrecke 12 m. Bei erster Sichtmöglichkeit waren die Fahrzeugfronten rund 34 m voneinander entfernt, die halbe Sichtstrecke beträgt daher 17 m. Der Lenkerin des Klagsfahrzeugs war es daher möglich, ihr Fahrzeug innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten.
Den Fahrzeugen standen auch unter Berücksichtigung der im Unfallszeitpunkt vorhandenen Schneelage im Kollisionsbereich insgesamt 4,6 m zur Verfügung. Beide Fahrzeuge haben von den jeweiligen Spiegelspitzen gerechnet eine Breite von 2,2 m. Bei langsamer Fahrgeschwindigkeit wäre es im Unfallbereich fahrtechnisch möglich gewesen, sich aneinander vorbeizutasten, bei normaler Fahrgeschwindigkeit war ein Vorbeifahren dagegen nicht möglich. Zwischen der linken Spiegelspitze des Beklagtenfahrzeugs und dem östlichen Straßenrand bestand im Unfallszeitpunkt unter Berücksichtigung der Schneeverhältnisse eine befahrbare „Durchfahrtslücke“ von zumindest 3 m. Es wäre daher fahrtechnisch möglich gewesen, mit dem Klagsfahrzeug am Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren.
Der Lenkerin des Klagsfahrzeugs wäre es innerhalb der Anhaltestrecke auch möglich gewesen, das Fahrzeug nach rechts auszulenken; es legte innerhalb der Reaktionszeit eine Strecke von 7 m zurück. Innerhalb der Bremsstrecke des Klagsfahrzeugs wäre ein Ausweichen nach rechts ebenfalls möglich gewesen, ohne allerdings eine äußerst rechts gelegene Fahrlinie zu erreichen. Wäre das Klagsfahrzeug 30 bis 40 cm nach rechts gelenkt worden, hätte die Kollision vermieden werden können.
Die Reparatur des Klagsfahrzeugs erforderte 11.766,42 EUR, die Reparaturkosten wurden von der klagenden Partei bezahlt.
Die klagende Partei begehrt diese Reparaturkosten samt pauschalen Unkosten. Sie brachte vor, dass den Lenker des Beklagtenfahrzeugs das Alleinverschulden an der Kollision treffe, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit und nicht auf halbe Sicht gefahren sei. Außerdem habe er das für ihn geltende Fahrverbot missachtet, das Rechtsfahrgebot verletzt und verspätet reagiert.
Die beklagte Partei bestritt und lastete das Verschulden am Unfall der Lenkerin des Klagsfahrzeugs an. Sie habe das Rechtsfahrgebot verletzt, eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und einen Sorgfaltsverstoß zu verantworten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und meinte in Würdigung der eingangs wiedergegebenen Feststellungen rechtlich, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe. Den Lenker des Beklagtenfahrzeugs treffe dagegen kein Verschulden, weil er soweit ausgewichen sei, dass mindestens 3 m für ein kollisionsfreies Passieren zur Verfügung gestanden hätten. Dass er nicht auf halbe Sicht gefahren sei, sei nicht unfallskausal; das Fahrverbot stehe nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem Unfall.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der klagenden Partei im Sinne einer Verschuldensteilung von 2:1 zu Lasten der beklagten Partei ab. Die erstgerichtliche Feststellung, dass J* S* den Ö* B* AG im Gegenzug für die Nutzung des hier relevanten F*wegs ein Geh‑ und Fahrrecht auf seinem neu errichteten Weg eingeräumt habe, sei zwar überschießend, aber für die rechtliche Beurteilung des Falls ohne Relevanz. Der Schutzzweck des Fahrverbots umfasse nämlich all jene Gefahren, die durch das Befahren der betroffenen Verkehrsfläche verursacht oder erhöht würden.
Aufgrund der teilweise lediglich 4 m breiten Fahrbahn hätte beide Verkehrsteilnehmer die Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht getroffen. Auch wenn die genaue Feststellung der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs nicht möglich gewesen sei, könne den Feststellungen ein diesbezüglicher Verstoß des Fahrzeuglenkers der beklagten Partei nicht entnommen werden, sei er doch mit seinem Fahrzeug im ersten Gang mit langsamer Fahrgeschwindigkeit talwärts gefahren. Insoweit liege daher auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor. Es sei vielmehr auch zu Gunsten des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs davon auszugehen, dass er innerhalb der halben Sichtstrecke sein Fahrzeug zum Stillstand hätte bringen können. Ihm sei allerdings ein Verstoß gegen § 10 Abs 2 StVO anzulasten, da er zum Anhalten verpflichtet gewesen wäre, wenn ein Ausweichen nicht möglich gewesen sei. Andererseits sei auch der Lenkerin des Klagsfahrzeugs eine Schutzgesetzverletzung anzulasten. Zwar sei es bei Bestehen der Anhaltepflicht nach § 10 Abs 2 StVO grundsätzlich unerheblich, ob gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO verstoßen werde; die festgestellte Fahrlinie des Klagsfahrzeugs sei aber hier insofern von Bedeutung, als die Kollision nicht stattgefunden hätte, wenn das Fahrzeug nur 30 bis 40 cm weiter rechts gelenkt worden wäre. Selbst wenn die Lenkerin des Klagsfahrzeugs nicht damit habe rechnen müssen, dass der Beklagtenlenker versuchen werde, ohne anzuhalten teilweise über die Böschung an ihrem Fahrzeug vorbeizufahren, wäre von ihr doch zu erwarten gewesen, dass sie unter den konkreten Bedingungen eine Fahrlinie gewählt hätte, die es ihr ermöglicht hätte, im Falle der Begegnung mit einem anderen Fahrzeug näher am rechten Fahrbahnrand stehen zu bleiben. Es sei allerdings davon auszugehen, dass ihr Verschulden geringer wiege.
Das Berufungsgericht ließ die Revision wegen fehlender oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zu, inwieweit der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des nach § 10 Abs 2 StVO anhaltenden Verkehrsteilnehmers bei der Verletzung der Anhaltepflicht des Entgegenkommenden zu berücksichtigen sei, wenn – wie hier – der Unfall bei einer 30 bis 40 cm weiter rechts gewählten Fahrlinie vermeidbar gewesen wäre.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien, jeweils aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem klägerischen Antrag, dem Klagebegehren auch mit dem abgewiesenen Drittel stattzugeben und dem beklagtenseitigen Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise werden auch beidseits Aufhebungsanträge gestellt.
In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben. Die klagende Partei bringt zusätzlich vor, dass die beklagte Partei nach Ergehen der Berufungsentscheidung den zugesprochenen Betrag vorbehaltslos bezahlt und damit (schlüssig und konstitutiv) anerkannt habe, weshalb ihr die Beschwer für die Revision fehle.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind zulässig und im Sinne der gestellten Aufhebungsanträge auch berechtigt.
1. Revisionsvorbringen:
1.1. Klagende Partei:
Die klagende Partei meint zur Zulässigkeit, dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei, wonach es bei Bestehen der Anhaltepflicht gemäß § 10 Abs 2 StVO unerheblich sei, ob gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO verstoßen werde. Im Übrigen habe die Lenkerin des Klagsfahrzeugs mit keinem Gegenverkehr rechnen müssen, habe doch auf dem F*weg ein Fahrverbot gegolten. Eine allfällige Übertretung des Rechtsfahrgebots bzw straßenmittige Fahrlinie sei daher weder schuldhaft, kausal noch rechtswidrig. Im vorliegenden Fall habe das Rechtsfahrgebot „seinen Sinn verloren“, weil beim gebotenen Fahren auf halbe Sicht die sich begegnenden Kraftfahrer ohnehin zum Anhalten verpflichtet gewesen seien. Eine Fahrlinie von 30 bis 40 cm weiter rechts wäre für die Lenkerin des Klagsfahrzeugs nach dem Sachverhalt nur dann unfallvermeidend gewesen, wenn sich der Lenker des Beklagtenfahrzeugs bereits bei erster Sicht auf der Böschung befunden hätte, weil nur diesfalls die vom Erstgericht festgestellte „Durchfahrtslücke“ von etwa 3 m vorhanden gewesen wäre. Nur unter dieser Prämisse wäre es fahrtechnisch möglich gewesen, am Beklagtenfahrzeug kontaktfrei vorbeizufahren. Das Befahren der Böschung durch das gegnerische Fahrzeug sei nicht vorhersehbar gewesen, abgesehen davon, dass die Böschung nicht befahren werden dürfe (RIS‑Justiz RS0073637).
1.2. Beklagte Partei:
Die beklagte Partei meint, dass auch das Ausweichen über den Fahrbahnrand ein taugliches Ausweichmanöver im Sinne des § 10 StVO sei, wenn es die Durchfahrtsbreite für den Gegenverkehr erhöhe. Rechtzeitiges Ausweichen im Sinne des § 10 Abs 1 StVO bedeute ein so frühzeitiges Zurseitefahren, dass der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der richtigen Straßenseite auf eine größere Strecke freie Bahn habe. Diesem Gebot sei der Lenker des Beklagtenfahrzeugs nachgekommen, weil er sich nur mit ungefähr 1 m der Breite seines Fahrzeugs auf dem Weg und ansonsten auf der Böschung befunden habe, sodass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs ohne Probleme auf ihrem Fahrstreifen passieren habe können. Das Befahren der Böschung sei nicht verboten. Selbst wenn, würde aber der Rechtswidrigkeitszusammenhang fehlen, weil der Lenker des Beklagtenfahrzeugs dem Klagsfahrzeug freie Bahn verschafft und die Engstelle freigegeben habe, wodurch sich die Lenkerin des Klagsfahrzeugs „nicht beschwert“ erachten könne (ZVR 1981/203 = 2 Ob 129/80). Ein eingeschränktes Fahrverbot solle nur die spezifische Gefahr einer Massierung des Verkehrs auf Straßen mit begrenztem Verkehrsteilnehmerkreis verhindern; diese Gefahr habe sich nicht verwirklicht. Dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs sei auch kein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht vorzuwerfen, weil er entsprechend § 10 Abs 1 StVO rechtzeitig und ausreichend nach rechts ausgewichen sei. Das Alleinverschulden liege daher bei der Lenkerin des Klagsfahrzeugs, die gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 1 und Abs 2 StVO verstoßen habe.
2. Zur Beschwer der beklagten Partei:
Zwar ist nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch in dritter Instanz ein prozessuales Anerkenntnis möglich und kann daher ein Anerkenntnisurteil ergehen (RIS‑Justiz RS0119634). Ein solches prozessuales Anerkenntnis, also die einseitige, daher keiner Annahme bedürftige, aber durch Abgabe unwiderruflich gewordene Erklärung des Beklagten an das Gericht in der prozessrechtlich vorgeschriebenen Form, dass der vom Kläger geltend gemachte Klagsanspruch (ganz oder teilweise) berechtigt ist (3 Ob 255/04b, 3 Ob 11/15b), liegt jedenfalls nicht vor. Ein allenfalls mit der Zahlung verbundenes materiell-rechtliches Anerkenntnis wäre aber nach dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, nämlich dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, erfolgt und daher unbeachtlich (vgl Fucik in Rechberger ZPO4 § 193 Rz 4).
Überdies ist die Beschwer als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels gegeben, wenn nach objektiven Gesichtspunkten betrachtet und ohne Überprüfung der sachlichen Einwände des Rechtsmittelwerbers die Entscheidung für den Rechtsmittelwerber auch nur durch eine ihrer Rechtswirkungen nachteilig ist („materielle Beschwer“: RIS‑Justiz RS0043773). Dies liegt aber hier unzweifelhaft vor.
3. Zum beschränkten Fahrverbot:
Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710). Sind durch die Missachtung eines Fahrverbots keine Gefahren verwirklicht worden, die das beschränkte Fahrverbot verhindern wollte, so kann der Unfallbeteiligte nicht alleine wegen des Verstoßes gegen diese Anordnung für den Schaden haftbar gemacht werden (RIS‑Justiz RS0027750). Die in einem solchen Zusammenhang zu berücksichtigende spezifische Gefahr, die durch ein beschränktes Fahrverbot verhindert werden soll, liegt nach 2 Ob 60/11d ZVR 2012/216 in der Massierung des Verkehrs auf einer Straße mit begrenztem Verkehrsteilnehmerbereich. Diese Gefahr ist dann nicht verwirklicht, wenn sich der Unfall auch bei der Beteiligung eines berechtigten Verkehrsteilnehmers ereignet hätte. Ein Verkehrsteilnehmer, der gegen ein beschränktes Fahrverbot verstoßen hat, hat dann kein (Mit‑)Verschulden an einem Verkehrsunfall, wenn durch die Missachtung des Fahrverbots keine Gefahren verwirklicht wurden, die das beschränkte Fahrverbot verhindern wollte (8 Ob 8/83 ZVR 1984/82; 2 Ob 7/07d ZVR 2007/254 [Ch. Huber]; 2 Ob 226/00z ZVR 2002/73 zu einer angeordneten Gewichtsbeschränkung).
Ein solcher Fall liegt aber hier – wie bereits die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben – vor.
4. Zum Verkehrsunfall selbst:
4.1. Gemäß § 10 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeugs einem entgegenkommenden Fahrzeug rechtzeitig und ausreichend nach rechts auszuweichen. Nach Abs 2 der Bestimmung sind einander begegnende Fahrzeuge, wenn nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann, anzuhalten.
4.2. Die Frage der Anhaltepflicht hat grundsätzlich nichts mit der Frage zu tun, ob auf halbe Sicht zu fahren ist (2 Ob 41/93 ZVR 1994/118). Ein Fahren auf halbe Sicht ist zu fordern, wenn die zur Verfügung stehende Fahrbahn nicht nur unübersichtlich, sondern auch so schmal ist, dass eine Begegnung voraussichtlich kaum möglich sein wird (RIS‑Justiz RS0073670; RS0073502). Während also bei der Beurteilung der Frage, ob auf halbe Sicht zu fahren ist, auf die abstrakte Möglichkeit der Begegnung mit einem Fahrzeug mit der höchst zulässigen Breite von 2,5 m abzustellen ist, hat die Beurteilung der Anhaltepflicht nach den konkreten Umständen zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0073541; 2 Ob 80/10v). Bei einem ausreichenden Zwischenraum zum konkret entgegenkommenden Fahrzeug besteht daher keine Verpflichtung zum Anhalten (2 Ob 41/93).
4.3. Hier betrug nach den Feststellungen die Wegbreite teilweise nur 4 m, jedes der Fahrzeuge war 2,2 m breit, sodass abstrakt gesehen ein Entgegenkommen eines 2,5 m breiten Fahrzeugs ein gefahrloses aneinander Vorbeifahren jedenfalls ausschloss. Es bestand daher die Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht.
Das hier konkret entgegenkommende Fahrzeug war jeweils 2,2 m breit – bei einer Fahrbahnbreite im Unfallsbereich von 4,6 m. Die damit verbleibende Fahrbahnrestbreite von 20 cm war daher nicht ausreichend, ein gefahrloses Aneinander‑Vorbeifahren der Fahrzeuge zu erlauben, sondern lediglich ein Vorbeitasten.
Es bestand daher hier sowohl allgemein die Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht als auch in der konkreten Situation die Verpflichtung zum Anhalten.
Muss aber im Begegnungsverkehr angehalten werden, ist es für die Verschuldensfrage nach der Judikatur unwesentlich oder zumindest in den Hintergrund tretend, ob das Fahrzeug ausreichend rechts fuhr (RIS‑Justiz RS0073616; 8 Ob 189/81).
Hier wurde die Lenkerin des Klagsfahrzeugs der Anhaltepflicht grundsätzlich gerecht, der Lenker des Beklagtenfahrzeugs dagegen nicht. Er wählte dagegen eine für die Unfallgegnerin nicht ohne Weiteres voraussehbare Fahrlinie, indem er nach kurzem Abbremsen soweit die Böschung befuhr, dass es ihm gelang, eine ausreichende Durchfahrtsbreite für das Klagsfahrzeug zu erzielen.
4.4. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass der zur Stützung der Behauptung der klagenden Partei über die Unzulässigkeit des Befahrens einer Böschung zitierte Rechtssatz RIS‑Justiz RS0073637, nicht auf Böschungen sondern auf das Straßenbankett abstellt (vgl auch 8 Ob 25/85 ZVR 1986/20). Demgegenüber darf nach RIS‑Justiz RS0073492 die Böschung auch zum Ausweichen benutzt werden, auch wenn umgekehrt keine Verpflichtung eines Fahrzeuglenkers besteht, zum Ausweichen außerhalb der befestigten Fahrbahn befindliche Teile der Straße zu benützen (RIS‑Justiz RS0073679). Durch Ausweichen über den Fahrbahnrand hinaus wird ein taugliches Ausweichmanöver erzielt, wenn dadurch die Durchfahrtsbreite für den Gegner erhöht wird (2 Ob 129/80 ZVR 1981/203).
Das Befahren der Böschung war daher nicht unzulässig.
4.5. Rechtzeitig war das Ausweichen aber nur dann, wenn es so frühzeitig erfolgte, dass der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der rechten Straßenseite auf eine größere Strecke freie Bahn hatte (8 Ob 162/82 ZVR 1983/235). In 8 Ob 68/86 hat daher der Oberste Gerichtshof allein die Tatsache, dass im Augenblick des Zusammenstoßes eine hinlänglich breite Durchfahrtslücke bestanden hatte, nicht als ausreichend angesehen, um dem diese nicht nutzenden Fahrzeuglenker das Alleinverschulden anzulasten, ohne nähere Anhaltspunkte dafür, wie und wann das ausweichende Fahrzeug in seine Position kam.
Ab dem Zeitpunkt, in dem die Lenkerin des Klagsfahrzeugs hier erkennen konnte, dass das gegnerische Fahrzeug ausweicht, reicht daher der Umstand, dass sie ihr Fahrzeug innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten vermochte, per se nicht mehr aus, sie von jeglichem Mitverschulden zu entlasten (8 Ob 140/82 ZVR 1983/216).
Nicht fest steht aber, ab welchem Zeitpunkt sie erkennen konnte, dass das Beklagtenfahrzeug nicht zum Stillstand gebracht, sondern in eine Ausweichposition gefahren wird, und ob sie ab diesem Zeitpunkt noch ausreichend nach rechts ausweichen hätte können. Ab diesem Zeitpunkt durfte sie jedenfalls nicht mehr darauf vertrauen, dass das gegnerische Fahrzeug ebenfalls angehalten werden würde.
4.6. Nach 8 Ob 238/81 ZVR 1982/292 ist überdies zu bedenken, dass ein grober Verstoß gegen § 7 Abs 2 StVO auch bedeutet, dass die gegenseitige Sichtstrecke der Fahrzeuge verkürzt wird. Letztlich bedeutet das in den Hintergrund treten des Verstoßes gegen § 7 Abs 2 StVO auch insofern nicht die gänzliche Schuldlosigkeit. So wurde in 8 Ob 189/81 1/3 Mitverschulden angenommen in einem Fall, in dem ein Fahrzeug einen Abstand von 1,2 m zum rechten Fahrbahnrand eingehalten hatte bei einer Gesamtbreite der Fahrbahn von 3,6 m im Unfallbereich, wobei dort ebenfalls eine Fahrlinie um 40 cm weiter rechts ein Unterbleiben der Kollision mit sich gebracht hätte.
4.7. Mag daher auch das Anhalten der Lenkerin des Klagsfahrzeugs grundsätzlich im Sinne des § 10 Abs 2 StVO gewesen sein und es insofern nach der Rechtsprechung nicht auf die Einhaltung des Rechtsfahrgebots des § 7 Abs 2 StVO angekommen sein, so kann trotzdem über das (Mit‑)Verschulden der beteiligten Lenker (§ 1304 ABGB) doch erst abschließend abgesprochen werden, wenn fest steht, ob die Klägerin auch ab dem Zeitpunkt, in dem sie erkennen konnte, dass das gegnerische Fahrzeug seiner Anhalteverpflichtung nicht nachkommen, sondern über die Böschung ausweichen und ihr ausreichend Platz machen würde, noch ausreichend nach rechts ausweichen konnte. Ausgewichen muss nämlich so werden, dass der Begegnende ohne Gefährdung und vermeidbare Behinderung seine Fahrt fortzusetzen vermag (8 Ob 162/82 ZVR 1983/235).
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren nähere Feststellungen in diese Richtung zu treffen haben.
5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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