OGH 2Ob47/19d

OGH2Ob47/19d30.3.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** AG, *****, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ÖBB‑Infrastruktur Aktiengesellschaft, Wien 2, Praterstern 3, vertreten durch Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 57.582,68 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. November 2018, GZ 4 R 77/18z‑51, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. April 2018, GZ 59 Cg 12/16d‑47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00047.19D.0330.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.236,43 EUR (darin 357,08 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Am 2. 2. 2013 fuhr ein Güterzug auf der Bahnstrecke von Hieflau nach Eisenerz, einem Teil der Schieneninfrastruktur der beklagten Partei. Dabei kollidierte die bei der Rechtsvorgängerin der klagenden Partei versicherte Lokomotive mit auf den Gleisen liegenden Felsbrocken, die aufgrund eines Felssturzes aus der neben den Gleisen befindlichen Felswand auf die Gleise gestürzt waren. Dadurch wurde die Lokomotive beschädigt. Die betroffenen Geländebereiche waren im Rahmen eines „Inspektionsplans“ (im Auftrag der beklagten Partei) regelmäßig durchstiegen und abgesteint worden. Versicherungsnehmerinnen der klagenden Partei waren die Halterin der Lokomotive M***** GmbH, nunmehr M***** GmbH (in der Folge: M***** GmbH) mit Sitz in Deutschland sowie die M***** B.V. mit Sitz in den Niederlanden (im Folgenden: M***** B.V.). Zwischen der klagenden Partei und den Versicherungsnehmerinnen bestand Einvernehmen, dass Geldleistungen an die M***** GmbH immer schuldbefreiend an die M***** B.V. erfolgen sollen. Die klagende Partei überwies an die M***** B.V. den Klagsbetrag, mit dem sie die von der M***** GmbH bezahlten angemessenen Reparaturkosten der Lokomotive ersetzte. In dritter Instanz ist nicht mehr strittig, dass damit eine Leistung an die M***** GmbH erfolgte.

Die M***** B.V. hatte zunächst eine andere Lokomotive an die L***** GmbH (mit Sitz in Österreich) vermietet, ihr dann jedoch die später am Unfall beteiligte Lokomotive als Ersatzlokomotive zur Verfügung gestellt. Mit Nachtrag zum Mietvertrag vom 1. 4. 2012 trat die C***** GmbH (mit Sitz in Österreich) in alle Rechte und Pflichten der L***** GmbH aus dem Mietvertrag ein. Zwischen der beklagten Partei einerseits und der L***** GmbH sowie der C***** GmbH andererseits bestanden jeweils Infrastrukturnutzungsverträge, mit Letzterer allerdings erst seit 27. 5. 2013.

Die klagende Partei begehrte vom beklagten Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) den Ersatz der von ihr an ihre Versicherungsnehmerin geleisteten Reparaturkosten. Deren Schadenersatzanspruch nach dem EKHG sei durch Legalzession auf sie übergegangen.

Die beklagte Partei wendete ein, die Klägerin sei nicht Versicherer der Lokomotive. Die Versicherungsleistung sei nicht an die unmittelbar Geschädigte ausbezahlt worden, sodass ein wirksamer Forderungsübergang nicht stattgefunden habe. Sie hafte nicht für den eingetretenen Schaden, weil die C***** GmbH nicht zum Betrieb der Lokomotive auf der Infrastruktur der beklagten Partei berechtigt gewesen sei. Auch wegen der Unabwendbarkeit des Felssturzes bestehe keine Ersatzpflicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die beklagte Partei hafte als EIU für den eingetretenen Schaden. Es sei weder eine Schwarzfahrt iSd § 6 EKHG noch ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 EKHG vorgelegen. Der Felssturz habe eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgelöst, für welche die beklagte Partei hafte. Die Schadenersatzforderung der geschädigten Halterin sei mit der schuldbefreienden Zahlung an die M***** B.V. gemäß § 86 Abs 1 (d)VVG durch Legalzession auf die klagende Partei übergegangen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Haftung des EIU gegenüber einem Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU).

In ihrer Revision strebt die beklagte Partei die Klagsabweisung an und stellt hilfsweise Aufhebungsanträge.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel dargelegt:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revisionswerberin wendet sich nicht gegen die (zutreffende) vorinstanzliche Beurteilung des Schadenersatzanspruchs nach österreichischem Recht (Art 4 Rom II‑VO; Deliktsstatut) und des Forderungsübergangs auf die klagende Partei nach deutschem Recht (Art 19 Rom II‑VO; Zessionsgrundstatut).

2. Die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts nicht näher angesprochenen Haftungsfragen eines EIU gegenüber einem EVU sind im vorliegenden Fall nicht zu beantworten (vgl dazu etwa 2 Ob 69/17m mwN), weil keine Schadenersatzansprüche eines EVU zu beurteilen sind. Im Übrigen wird auch in der Revision dazu nichts ausgeführt.

3. Entgegen der in der Revision mehrfach wiederholten Behauptung der beklagten Partei hat die klagende Partei schon in der Klage vorgebracht, dass die M***** GmbH nicht „bloße“ Halterin, sondern auch Eigentümerin des beschädigten Triebfahrzeugs gewesen sei. Dieses Vorbringen wurde von der beklagten Partei während des gesamten Verfahrens nicht substanziiert bestritten, obwohl dies angesichts ihres sonst umfassenden Bestreitungsvorbringens zu erwarten gewesen wäre. Vielmehr hat die beklagte Partei diesbezüglich sogar selbst vorgebracht, dass die Gesellschaft in Eisenbahndatenbanken sowie im deutschen Fahrzeugeinstellungsregister als Eigentümerin des Triebfahrzeugs geführt werde, und dazu auch selbst Urkunden vorgelegt (AS 27). Unter diesen Umständen ist das Eigentum der M***** GmbH an der beschädigten Lokomotive als von der beklagten Partei (zumindest) schlüssig zugestanden anzusehen (RS0039927 [T13], RS0039941 [T3, T4], RS0040091). Zugestandene Tatsachen sind aber ohne weiteres der Entscheidung zugrunde zu legen (RS0040110), worauf auch im Rechtsmittelverfahren Bedacht zu nehmen ist (1 Ob 73/18v; RS0040101).

Dass der Eigentümer des Triebfahrzeugs als unmittelbar Geschädigter anzusehen ist, bezweifelt die Revisionswerberin ohnehin nicht. Die erstmals in der Revision aufgeworfene Frage, ob die M***** GmbH als „bloße“ Halterin des Triebfahrzeugs als unmittelbar Geschädigte anzusehen sei, stellt sich daher nicht.

4. Die Einheitlichen Rechtsvorschriften über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr (CUI; Anhang E zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr [COTIF]) erfassen nach deren Art 1 § 1 nur Verträge über die Nutzung einer Eisenbahninfrastruktur zum Zwecke der Durchführung internationaler Eisenbahnbeförderungen. Weder hat sich die beklagte Partei im erstinstanzlichen Verfahren auf die Haftungserleichterung nach diesem Übereinkommen berufen, noch haben die Parteien – anders als etwa in dem der Entscheidung 2 Ob 18/16k zugrunde gelegenen Fall – in erster Instanz Tatsachenvorbringen erstattet, aus dem das Vorliegen eines internationalen Eisenbahnbeförderungsvertrags abgeleitet werden könnte (aus dem Untersuchungsakt der beklagten Partei [Beilage ./8] geht Gegenteiliges hervor). Zwar ordnet § 31 Eisenbahn‑Beförderungs‑ und Fahrgastrechtegesetz (EisBFG) darüber hinaus an, dass die Art 1 § 2, Art 3 bis 23 und Art 25 CUI auch in rein nationalen Fällen anzuwenden sind. Diese Bestimmung trat allerdings nach § 33 EisBFG erst mit 1. 7. 2013 in Kraft, während sich der hier strittige Unfall schon am 2. 2. 2013 ereignete. Er ist daher vom zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht erfasst, sodass schon deshalb eine Grundlage für die Anwendung der CUI fehlt (2 Ob 69/17m). Ob dieses Übereinkommen die Anwendung des EKHG ausschließt, muss daher im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden, eine erhebliche Rechtsfrage liegt nicht vor.

Aus den angeführten Gründen bedarf es auch keines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung von Art 19 CUI. Der diesbezüglichen Anregung der beklagten Partei ist nicht zu folgen.

5. Gemäß § 6 Abs 1 EKHG kann eine Schwarzfahrt auch mit dem „Verkehrsmittel der Eisenbahn“ begangen werden. Die beklagte Partei sieht in der angeblich unbefugten Benutzung ihrer Infrastruktur eine ihre Haftung als Betriebsunternehmerin (§ 5 Abs 1 EKHG) ausschließende Schwarzfahrt iSd § 6 Abs 1 Satz 1 EKHG (zum Haftungsschema des § 6 EKHG ausführlich 2 Ob 120/15t). Eine Auseinandersetzung mit dieser These und sich daran allenfalls anknüpfenden weiteren Rechtsfragen erübrigt sich jedoch schon deshalb, weil eine unbefugte Benutzung nicht erwiesen ist:

Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen jener Tatsachen, die eine Schwarzfahrt iSd § 6 Abs 1 EKHG begründen könnten, trifft den Betriebsunternehmer (vgl 2 Ob 227/68; RS0023475; Koziol/Apathy/Koch , Haftpflichtrecht III 3 Rz 55), hier daher die beklagte Partei. Diese beruft sich in Verkennung dieser Beweislast in ihrem Rechtsmittel jedoch selbst darauf, es stehe nicht fest, durch wen das Triebfahrzeug im Unfallzeitpunkt tatsächlich in Betrieb genommen worden sei. Bei einem solchen Verständnis der erstinstanzlichen Feststellungen geht die verbliebene Unklarheit aber zu ihren Lasten. Ein Feststellungsmangel liegt nicht vor, zumal die beklagte Partei in erster Instanz nur widersprüchliches Vorbringen zu diesem Thema erstattet hat. Die von ihr als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob die Benutzung der Schieneninfrastruktur der beklagten Partei durch die C***** GmbH (anstelle der zu der Fahrt berechtigten L***** GmbH), die im Unfallszeitpunkt kein EVU gewesen sei und noch keinen Infrastrukturnutzungsvertrag mit der beklagten Partei abgeschlossen habe, eine Schwarzfahrt iSd § 6 Abs 1 EKHG darstelle, bleibt somit rein theoretischer Natur. Auch insoweit zeigt die beklagte Partei daher keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Der in diesem Zusammenhang erfolgten abermaligen Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung „der RL 91/440/EWG “ zu richten, ist mangels Entscheidungsrelevanz der formulierten Fragen nicht zu folgen.

6. Auf die in der Revision angesprochene Frage, ob die beklagte Partei die nach den Umständen gebotene, äußerst mögliche Sorgfalt obwalten ließ (RS0058317, RS0058326), kommt es nicht an. Der Entlastungsbeweis steht dem (hier) Betriebsunternehmer nach § 9 Abs 2 EKHG nicht offen, wenn der Unfall unmittelbar auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist. Der Oberste Gerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass es für die Haftung keinen Unterschied macht, ob die außergewöhnliche Betriebsgefahr durch einen Dritten, ein Tier oder durch höhere Gewalt, wie zB einen Felssturz, ausgelöst wurde (2 Ob 172/82; 2 Ob 113/06s; 2 Ob 181/11y; RS0058485, RS0058494, RS0058804). Letzteres trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ist bei einer besonderen Gefahrensituation anzunehmen, die nicht bereits regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb verbunden ist, sondern durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Bereich liegender Umstände vergrößert wurde (2 Ob 181/11y; RS0058448, RS0058461, RS0058467).

Die schon vom Erstgericht geäußerte und vom Berufungsgericht unbeanstandet gebliebene Auffassung, auf den Eisenbahngleisen liegende Felsbrocken lösten eine vom Betriebsunternehmer der Eisenbahn zu vertretende außergewöhnliche Betriebsgefahr aus, steht mit den Grundsätzen dieser Rechtsprechung im Einklang. Die gegenteilige Rechtsansicht der beklagten Partei wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

7. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Fachsenats haften EIU und EVU jedenfalls dann, wenn sich eine im Zusammenwirken dieser Unternehmen begründete (hier: außergewöhnliche) Betriebsgefahr verwirklicht hat, als „mehrere Betriebsunternehmer“ iSd § 5 Abs 2 EKHG solidarisch. Nur wenn die Gefahr ausnahmsweise nicht auf einem Zusammenwirken von EIU und EVU beruhte, haftet allein jenes Unternehmen, dessen Betrieb die Gefahr (allein) zuzurechnen ist (2 Ob 34/18s; 2 Ob 69/17m; 2 Ob 18/16k).

Bereits in der Entscheidung 2 Ob 18/16k wurde eine „Gleiserhöhung“ als ein typisches Gefahrenmoment der in der Verfügungsgewalt des EIU stehenden Schienentrasse angesehen (nicht aber die Zurechnung des Unfalls zum Betrieb des EIU und die Anwendbarkeit des EKHG von dieser Gefahrenerhöhung abhängig gemacht; vgl 2 Ob 97/18v mwN). Warum die im vorliegenden Fall gegebene Verlegung der Schienentrasse durch Felsbrocken anders zu beurteilen sein und eine ausschließlich vom EVU ausgehende Gefahr darstellen sollte, ist nicht ersichtlich und vermag auch die Revisionswerberin nicht nachvollziehbar darzulegen.

8. Soweit die Revisionswerberin weiterhin die Eigenschaft der klagenden Partei als Versicherer in Frage stellt, wendet sie sich lediglich gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung, die aber in dritter Instanz nicht mehr bekämpft werden kann (RS0043371). Gleiches gilt für die als aktenwidrig bezeichneten Erwägungen der Vorinstanzen, mit denen nicht der Inhalt des Untersuchungsakts der beklagten Partei unrichtig wiedergegeben, sondern daraus Schlussfolgerungen für die Beweiswürdigung gezogen wurden (RS0043256, RS0043277).

9. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 Abs 1 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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