European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00040.24G.0321.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die 2021 Verstorbene errichtete am 3. 7. 2007 ein Testament, mit dem sie ihren Neffen und dessen Ehefrau als Alleinerben einsetzte. Mit Nachtrag vom 1. 4. 2015 vermachte sie ihrem Neffen alle Ersparnisse. Mit dem weiteren Nachtrag vom 15. 5. 2015 setzte sie ihren Großneffen, den Erstantragsteller, als Alleinerben ein.
[2] Aufgrund der Anregung des Hausarztes vom 26. 7. 2016 wurde für die Verstorbene aufgrund ihrer Demenzerkrankung ein Sachwalter bestellt. Die Verstorbene errichtete daraufhin am 29. 8. 2016 ein Testament, mit dem sie ihren Bekannten, den Zweitantragsteller, als Alleinerben einsetzte, weil sie der irrigen Annahme war, dass die Familie des Erstantragstellers die Sachwalterschaft angeregt habe, sie in einem Pflegeheim unterbringen wolle sowie ihr Dokumente, Wertsachen und Geld weggenommen habe. Hätte die Verstorbene gewusst, dass dies nicht den Tatsachen entspricht, hätte sie dieses Testament nicht errichtet. Andere Motive für die Errichtung des Testaments gab es nicht.
[3] Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass das Testament vom 29. 8. 2016 aufgrund eines Motivirrtums der Verstorbenen unwirksam sei, sodass sie das Erbrecht des Erstantragstellers zum gesamten Nachlass feststellten und die Erbantrittserklärung des Zweitantragstellers abwiesen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Zweitantragstellers ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.
[5] 1. Auch wenn der vom Erblasser angegebene Beweggrund für falsch befunden wird, bleibt die Verfügung nach § 572 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015 gültig, es sei denn, dass der Wille des Erblassers einzig und allein auf diesem irrigen Beweggrund beruhte. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der bloße Nachweis der Ursächlichkeit eines Irrtums deshalb noch nicht aus, um die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zu begründen, sondern es muss sich um das ausschließliche Motiv handeln (RS0012420; vgl RS0012439; RS0012445; RS0012446). Dies ist dahin zu verstehen, dass ein Motivirrtum nur dann zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung führt, wenn kein anderes Motiv übrig bleibt (RS0012420 [T3]; RS0012439). Dadurch soll verhindert werden, dass ein Beweisverfahren darüber geführt werden muss, ob gerade jener Beweggrund, der sich als irrig erwiesen hat, für den Erblasser der entscheidende war oder nicht (RS0012420). Die Vorinstanzen sind von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen, weil das Erstgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass abgesehen von den unberechtigten Vorwürfen gegenüber der Familie des Erstantragstellers keine anderen Motive für die Errichtung des Testaments vorhanden waren. Die Behauptung des Zweitantragstellers, die Verstorbene hätte ihn auch deshalb zum Erben eingesetzt, weil er in den letzten fünf Jahren für sie gesorgt habe, widerspricht den getroffenen Feststellungen.
[6] 2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht seit jeher auf dem Standpunkt, dass es für die Beachtlichkeit eines Motivirrtums nicht darauf ankommt, ob der Beweggrund in der letztwilligen Verfügung angegeben wurde (10 Ob 2/06a; 6 Ob 168/13v; krit dazu Stefula/Thunhart, Der Motivirrtum beim Rechtsgeschäft unter Lebenden – zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 572 ABGB, NZ 2002/77, 196 ff). Demgegenüber findet sich in den Materialien zum ErbRÄG 2015 der Hinweis, dass der Beweggrund in der Verfügung angegeben sein müsse, um beachtlich zu sein, doch wurde der Wortlaut des § 572 ABGB insofern nicht verändert (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 9). Der Oberste Gerichtshof hat deshalb zu 2 Ob 41/19x = RS0132880 und 2 Ob 180/19p ausgesprochen, dass die Beachtlichkeit des Motivirrtums auch nach dem ErbRÄG 2015 nicht davon abhängt, ob der Verstorbene seinen Beweggrund in der letztwilligen Verfügung angegeben hat oder nicht (ebenso Fischer‑Czermak, § 572 ABGB: „Heimliche“ Rechtsänderung durch das ErbRÄG 2015? EF‑Z 2017/29 [64 f]; Aigner, Das ErbRÄG 2015 und seine Auswirkungen auf die allgemeine Auslegungsregel und das Irrtumsrecht, NZ 2018/44 [125 ff]; Welser, Anm zu 2 Ob 41/19x, EF‑Z 2020/16 [40]; Graf, Fünf Jahre ErbRÄG – Was hat der OGH daraus gemacht? NZ 2022/2 [5]; anders Kerschner/Felbauer, Anm zu 2 Ob 41/19x, JEV 2020, 15 [19 f]; Kerschner, Juristische Methodenlehre [2022] 91 und Krenmayr, Anfechtung einer letztwilligen Verfügung wegen Motivirrtums [§ 572 ABGB], JBl 2020, 473 ff). Der Oberste Gerichtshof hat sich zu 2 Ob 41/19x ausführlich mit dem Wortlaut des § 572 ABGB und den Materialien zum ErbRÄG 2015 auseinandergesetzt. Eine „Rangordnung der Auslegungsmethoden“, wie sie der Zweitantragsteller für sich ins Treffen führt, wird von der Rechtsprechung seit jeher abgelehnt (RS0008877). Der Zweitantragsteller nennt auch keine sonstigen Gründe, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung rechtfertigen könnten, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.
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