OGH 2Ob224/22p

OGH2Ob224/22p13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Bernhard Mlynek, Rechtsanwalt in Pressbaum, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Alexander Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.755,04 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. September 2022, GZ 13 R 115/22w‑33, mit dem einer Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 21. April 2022, GZ 4 Cg 59/21h‑25, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00224.22P.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.411,20 EUR (darin enthalten 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbearbeitung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der 2018 verstorbene Erblasser hinterließ seine 2019 verstorbene Ehefrau sowie zwei aus dieser Ehe stammenden Töchter, von denen eine die Klägerin ist. Der Beklagte ist sein Stiefsohn, dem sein gesamter Nachlass eingeantwortet wurde.

[2] Die Vorinstanzen verpflichteten den Beklagten zur Zahlung eines von der Klägerin geltend gemachten Schenkungspflichtteils von 21.755,40 EUR. Sie werteten – soweit noch Gegenstand des Revisionsverfahrens – eine Geldzuwendung des Erblassers an die Klägerin über 150.000 ATS zur Finanzierung der Grundausstattung einer neuen Wohnung als eine Schenkung aus sittlicher Pflicht (§ 784 dritter Fall ABGB), weil die Klägerin im Zuge der Trennung von ihrem Ehemann in einer finanziellen Notlage gewesen sei und über keine Wohnmöglichkeit verfügt habe. Die im Zeitraum November 2009 bis Mai 2015 monatlich erfolgten Zuwendungen an die Klägerin über 250 EUR seien aus den Einkünften des Erblassers ohne Schmälerung seines Stammvermögens erfolgt (§ 784 erster Fall ABGB) und unterlägen daher ebenso wenig der Hinzu‑ und Anrechnung. Hingegen sei ein an die Witwe nach dem Tod des Erblassers ausbezahlter Betrag aus einer Lebensversicherung als hinzuzurechnende Schenkung zu qualifizieren. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Leistung zur Versorgung der Witwe gehandelt habe, lägen nicht vor. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schenkung aus Einkünften ohne Schmälerung des Stammvermögens vorliege, nur in der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 9 Ob 48/10i Stellung genommen worden sei, diese aber Kritik im Schrifttum hervorgerufen habe und in den Materialien zum ErbRÄG 2015 nunmehr ausdrücklich von „kleineren Schenkungen" (RV 688 BlgNR 25. GP  35) die Rede sei. Ob laufende Zuwendungen über einen längeren Zeitraum den Ausnahmetatbestand erfüllen, sei daher fraglich.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision des Beklagten, mit der er eine Abänderung im Sinn einer Abweisung der Klage, hilfsweise die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen anstrebt, ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.

[4] 1. Aufgrund des Ablebens des Erblassers nach dem 31. 12. 2016 kommen die §§ 781 ff ABGB idFd ErbRÄG 2015 zur Anwendung (§ 1503 Abs 7 Z 2 ABGB). Auf den Zuwendungszeitpunkt kommt es nicht an (Umlauft in Klang³§ 781 ABGB Rz 5; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 784 Rz 4; Musger inKBB6§ 785 ABGB Rz 3).

[5] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[6] 3. Monatliche Zahlungen des Erblassers über 250 EUR von November 2009 bis Mai 2015 an die Klägerin (§ 784 erster Fall ABGB):

[7] 3.1 Die vom Berufungsgericht und dem Beklagten relevierte Rechtsfrage zur Auslegung des Ausnahmetatbestands des § 784 erster Fall ABGB, wonach Schenkungen, die der Erblasser aus Einkünften ohne Schmälerung des Stammvermögens gemacht hat, weder hinzu‑ noch anzurechnen sind, stellt sich aus folgenden Überlegungen nicht.

[8] 3.2 Ausgangspunkt des Regelungskonzepts des § 781 Abs 1 ABGB ist die Schenkung gemäß §§ 938 ff ABGB (2 Ob 110/20w Rz 31). Die Schenkung ist ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, einem anderen eine Sache unentgeltlich zu überlassen (§ 938 ABGB).

[9] Unentgeltlichkeit bedeutet, dass nach dem Parteiwillen kein Entgelt erbracht wird. Sie ist (objektiv) durch das Fehlen einer konditional, kausal oder synallagmatisch verbundenen Gegenleistung charakterisiert, die in einer Handlung oder Unterlassung bestehen kann und keinen Vermögenswert haben muss (RS0017193 [T9]; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 938 ABGB Rz 3). Daneben ist für die Schenkung auch Schenkungsabsicht (subjektive Komponente) begriffswesentlich. Sie besteht in der Absicht einer unentgeltlichen, das heißt, auf keine Gegenleistung bezogenen und freiwilligen (freigiebigen) Leistung (RS0018833). Erforderlich ist daher als subjektives Element der Wille des Verfügenden zur Freigiebigkeit (RS0033054 [T6]).

[10] Das Erstgericht hat unbekämpft festgestellt, dass der Erblasser den Betrag (zur Betreuung des Pferds der Klägerin) – nach der zwischen ihm und der Klägerin getroffenen Vereinbarung – deshalb zahlte, weil es ihr gelang, seine Spende (Patenschaft) für Tiere eines Gnadenhofs zurückzuholen. Vom Fehlen einer konditional, kausal oder synallagmatisch verbundenen Gegenleistung kann daher keine Rede sein, sodass schon keine Schenkung im Sinne des § 781 Abs 1 ABGB vorliegt. Auf die Auslegung des Ausnahmetatbestands des § 784 erster Fall ABGB kommt es daher gar nicht an.

4. Geldschenkung über 150.000 ATS zur Finanzierung der Grundausstattung einer neuen Wohnung (§ 784 dritter Fall ABGB):

[11] 4.1 Der allgemeine Begriff „sittliche Pflicht" bedarf anhand konkreter Umstände einer Auslegung. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an. Auch der Maßstab des „bonus pater familias" und der Normfamilie ist für die Frage der sittlichen Pflicht heranzuziehen (RS0121353). Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist nur dann anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers (Erblassers) bestand. Dies lässt sich nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenktem, ihres Vermögens und der ihrer Lebensstellung entscheiden (zur insoweit vergleichbaren Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015: RS0012972 [T1]; 2 Ob 91/16w Pkt IV.1.1). Wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Beurteilung stellen sich – ausgenommen korrekturbedürftige Fehlbeurteilungen – regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (5 Ob 191/10i Pkt 3.).

[12] 4.2 Wenn die Vorinstanzen in der Zuwendung von 150.000 ATS an die Klägerin eine Schenkung aus sittlicher Pflicht bejahten, weil sie im Zuge der Trennung von ihrem Ehemann in einer finanziellen Notlage war und über keine Wohnmöglichkeit verfügte, stellt dies jedenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Dass die Zuwendung die Vermögens‑ und Einkommenssituation des Erblassers unverhältnismäßig überschritten hätte (vgl 6 Ob 170/05a Pkt 2.), behauptet die Revision nicht.

[13] 4.3 Soweit der Beklagte die Zuwendung als hinzu‑ und anzurechnende Ausstattung nach § 781 Abs 2 Z 1 ABGB berücksichtigt haben will, der nach Umlauft (in Klang 3 § 781 ABGB Rz 10b) § 784 ABGB insoweit derogiert, ist ihm zu entgegnen, dass eine Ausstattung der „Erleichterung des ehelichen Aufwands" dient (2 Ob 47/20f Rz 5) und dieser Zweck auf die Zuwendung des Erblassers nicht zutrifft. Weshalb trotz dieses unterschiedlichen Leistungszwecks eine (analoge) Anwendung des § 781 Abs 2 Z 1 ABGB geboten sein soll, zeigt die Revision nicht auf.

[14] 4.4 Wenn der Beklagte argumentiert, es sei zumindest nur jener Teil der Zuwendung als Schenkung aus sittlicher Pflicht zu berücksichtigen, der auf den letztlich (aufgrund einer Versöhnung der Eheleute) nur sechs Monate dauernden Nutzungszeitraum entfalle, übersieht er, dass auch für die Beurteilung, ob eine Zuwendung aus sittlicher Pflicht erfolgt, bei Schenkungen nach – dem hier einschlägigen – § 781 Abs 1 ABGB der Vertragsabschlusszeitpunkt (so zur Frage des Vorliegens einer gemischten Schenkung: RS0012978) maßgeblich ist.

5. Lebensversicherung

[15] 5.1 Die an den in der Polizze bezeichneten Bezugsberechtigten ausbezahlte Versicherungssumme aus einer Lebensversicherung fällt nicht in den Nachlass (RS0007845), unterliegt aber, sofern es sich nach dem Rechtsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Begünstigten um eine unentgeltliche Zuwendung handelt, der Hinzu‑ und Anrechnung nach § 781 Abs 2 Z 6 ABGB (Musger in KBB6 § 781 ABGB Rz 4; Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Kodek 5 § 781 ABGB Rz 19; Umlauft, Hinzu‑ und Anrechnung2 274 ff; ders in Klang 3, § 781 ABGB Rz 32b; Welser, Erbrechts‑Kommentar § 781 ABGB Rz 16). Erfolgt die Zuwendung um die Versorgung des überlebenden Ehegatten sicherzustellen und überschreitet sie ein nach den Vermögens‑ und Einkommensverhältnissen der Beteiligten vernünftiges Maß nicht, kann der Ausnahmetatbestand des § 784 ABGB erfüllt sein (4 Ob 136/97x [zur insoweit vergleichbaren Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015]; zur neuen Rechtslage: Umlauft in Klang 3 § 784 ABGB Rz 13; Musger in KBB6§ 784 ABGB Rz 1). Die Behauptungs‑ und Beweislast für den Ausnahmetatbestand trägt der in Anspruch Genommene, also der Erbe oder der Beschenkte (Welser, Erbrechts‑Kommentar § 784 ABGB Rz 2; 6 Ob 170/05a Pkt 2.; 9 Ob 48/10i).

[16] 5.2 Dass die pflichtteilsrechtliche Berücksichtigung der Zuwendung schon am Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB scheitert, hat der Beklagte in seiner Berufung nicht geltend gemacht, sondern sich lediglich auf den Ausnahmetatbestand des § 784 ABGB berufen. Sollte er sich in seiner Revision erkennbar auch gegen die Subsumtion unter § 781 ABGB wenden, kann die im Berufungsverfahren insoweit unterbliebene Rechtsrüge nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T36, T41, T43]).

[17] 5.3 (Tatsächliche) Anhaltspunkte für eine Zuwendung aus Versorgungsgründen konnte das Erstgericht – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – nicht feststellen, was zu Lasten des sich auf den Ausnahmetatbestand berufenden Beklagten geht. Die Revisionsbehauptung, die Zuwendung diene faktisch der Versorgung der Witwe, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt.

[18] 6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihre Revisionsbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dient (RS0112296).

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