Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Teiles insgesamt zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 12.000 samt 4 % Zinsen seit 8. Jänner 2003 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.029,39 (darin EUR 83,23 USt und EUR 530 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrte mit der am 13. 6. 2003 beim Erstgericht eingelangten Klage Zahlung von EUR 18.240 sA an Schmerzengeld (EUR 12.000) und Verdienstentgang (EUR 6.240). Er brachte vor, Lilita A***** sei am 10. 9. 2002 mit einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Pkw unter Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit in der Missindorfstraße in Wien gefahren und habe infolge Unaufmerksamkeit nicht bemerkt, dass sich der Kläger mit seinem damals achtzehn Monate alten Sohn auf der Fahrbahn befunden habe. Das Beklagtenfahrzeug habe das linke Bein des Klägers gerammt, der dadurch einen Einriss der Achillessehne erlitten habe. Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wandte ein, ein Zusammenstoß sei nicht erfolgt. Das Kind des Klägers sei infolge mangelnder Beaufsichtigung auf die Fahrbahn gelaufen, worauf die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges gebremst und ausgelenkt habe. Diese treffe an der vom Kläger behaupteten Verletzung kein Verschulden. Es liege ferner ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 2 EKHG vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Hiebei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Die Fahrbahn der Missindorfstraße ist auf Höhe des Hauses Nr 41 8,7 m breit. Bei Verparkung der Fahrbahnränder verbleibt für den fließenden Verkehr eine Fahrbahnbreite von etwa 4,7 m. Am 10. 9. 2002, dem Tag des Vorfalles, betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h. Lilita A***** fuhr mit dem Beklagtenfahrzeug gegen 16.20 Uhr die Missindorfstraße entlang, als sie plötzlich von rechts kommend für sie völlig unerwartet und unvermittelt das Kind des Klägers „über die Straße" laufen sah. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Beklagtenfahrzeug mit mehr als 30 km/h unterwegs war. Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges reagierte, indem sie sofort nach links auslenkte und bremste. Das Kind prallte gegen das Fahrzeug und wurde weggestoßen, wodurch es eine Gehirnerschütterung erlitt. Der genaue Bewegungsablauf des Klägers zum Zeitpunkt des Vorfalles kann nicht festgestellt werden. Fest steht jedoch, dass er sein Kind, als es plötzlich unerwartet „über die Straße" lief, nicht an der Hand hielt, sondern ihm vielmehr nachzulaufen versuchte, um es vor einem Verkehrsunfall zu bewahren. Dabei rief er dem Kind „Halt, Halt" nach. Fest steht weiters, dass es nicht zu einer Kollision zwischen dem Kläger und dem Beklagtenfahrzeug kam.
Der Kläger erlitt bei diesem Vorfall eine Achillessehnenruptur links. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Verletzung durch ein direktes Trauma, wie etwa den Anstoß eines Pkws an die angespannte Achillessehne entstanden ist, liegt nur bei 5 %. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verletzung durch ein indirektes Trauma, beispielsweise hervorgerufen durch einen plötzlichen Start beim Weglaufen, verursacht wurde, weitaus höher. Somit ist festzustellen, dass die zum gegenständlichen Zeitpunkt angespannte Achillessehne des Klägers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch ein indirektes Trauma ruptierte. Nähere Feststellungen dazu sind nicht möglich. Fest steht allerdings, dass die Verletzung des Klägers nicht durch einen Zusammenstoß mit dem Beklagtenfahrzeug verursacht wurde. Des weiteren traf das Erstgericht noch nähere Feststellungen zu der Verletzung des Klägers und deren Folgen.
Rechtlich beurteilte es diesen Sachverhalt dahin, dass der Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges weder die Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit noch eine Reaktionsverspätung oder ein Aufmerksamkeitsmangel nachgewiesen habe werden können. Die Verletzung des Klägers stamme nicht von einem Zusammenprall mit dem Beklagtenfahrzeug sondern sei durch das plötzliche Losstarten anlässlich der Verfolgung seines auf die „Straße" laufenden Kindes ausgelöst worden. Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges treffe daran kein Verschulden. Aus ihrer Sicht liege ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 2 EKHG vor, weil die Verletzung des Klägers durch dessen eigenen Sorgfaltsverstoß, nämlich das Loslassen des Kindes und das daraufhin erforderliche rasche Nachlaufen verursacht worden sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es mit Teilurteil die beklagte Partei zur Zahlung von EUR 5.750 sA an den Kläger verpflichtete und ein Mehrbegehren von EUR 6.250 sA abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ferner hob es mit Beschluss das angefochtene Urteil im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens mit einem Teilbetrag von EUR 6.240 sA auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Urteilsfällung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, nach der das Kind des Klägers gegen das Beklagtenfahrzeug geprallt und weggestoßen worden sei, wodurch es eine Gehirnerschütterung erlitten habe. In rechtlicher Hinsicht erörterte es, der Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges sei der Entlastungsbeweis iSd § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen, weil aufgrund der Negativfeststellung des Erstgerichtes die Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges offen geblieben sei. Dieser unaufgeklärte Umstand gehe zu Lasten der beklagten Partei, deren Haftung daher grundsätzlich zu bejahen sei. Auch der Kausalzusammenhang sei gegeben, sei doch das herannahende Beklagtenfahrzeug für den Kläger Anlass gewesen, seinem Kind mit einem „Blitzstart" nachzulaufen, um es zu retten. Es handle sich somit um einen Rettungsfall. Es liege auf der Hand, dass der Kläger aufgrund der gefährlichen Situation zu einer sofortigen Handlung gezwungen gewesen sei, weshalb eine Gefahrenerhöhung zu bejahen sei. Davon ausgehend sei die Verletzung des Klägers auch adäquate Folge der Gefährdung seines Kleinkindes durch das herannahende Beklagtenfahrzeug. Nach verbreiteter Meinung lägen die Schäden der Retter, die eingreifen, um eine geschaffene Gefahr zu beseitigen oder versuchen, den Schaden möglichst gering zu halten, noch im Schutzbereich der verletzten Norm. Die Haftung der beklagten Partei sei daher zu bejahen.
Den Kläger treffe allerdings ein massives Mitverschulden an seiner Verletzung, weil er die Aufsichtspflicht über sein Kind vernachlässigt habe. Dieses gravierende Mitverschulden führe gemäß § 7 Abs 1 EKHG und § 1304 ABGB zu einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1. Da die Verletzungsfolgen ein Schmerzengeld von EUR 11.500 rechtfertigen würden, ergebe sich ein Zuspruch von EUR 5.750 an den Kläger. Zum behaupteten Verdienstentgang fehlten noch Feststellungen, weshalb das Urteil des Erstgerichtes in diesem Umfang aufzuheben sei. Mit Beschluss vom 3. 8. 2006 änderte das Berufungsgericht über Antrag der beklagten Partei seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision dahin ab, dass es diese doch für zulässig erklärte. Zur Begründung führte es aus, der Frage, ob die Negativfeststellung des Erstgerichtes zur Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges allenfalls im Sinne der Einhaltung einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h zu verstehen sei, komme wegen der Häufigkeit solcher Formulierungen über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Aber auch die Fragen des Entlastungsbeweises und des Vorliegens eines Rettungsfalles seien insofern relevant, als im vorliegenden Fall der Retter die seine Verletzung auslösende Gefahrenlage selbst herbeigeführt habe. Gegen den stattgebenden Teil des zweitinstanzlichen Teilurteiles richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil insoweit im klagsabweisenden Sinne abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Vorliegen eines Betriebsunfalles iSd § 1 EKHG abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt.
Die beklagte Partei macht geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass die Verletzung des Klägers in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der von der Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit stehe. Es liege auch kein „Rettungsfall" vor. Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges habe für die schadensverursachende Willensbetätigung des Klägers keine Bedingung gesetzt. Vielmehr wäre der Kläger seinem Kind auch nachgelaufen, wenn das Beklagtenfahrzeug nicht in unmittelbarer Nähe gewesen wäre. Er habe nicht in das Geschehen eingegriffen, um eine von der Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges, sondern um eine von ihm selbst geschaffene Gefahr zu beseitigen oder den Schaden möglichst gering zu halten.
Hiezu wurde erwogen:
Voraussetzung für die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeuges nach § 5 Abs 1 EKHG ist, dass der Schaden durch einen Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeuges verursacht worden ist. Der Begriff „beim Betrieb" iSd § 1 EKHG ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dahin zu verstehen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeugbetrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges bestehen muss (2 Ob 174/06m mwN; RIS-Justiz RS0022592, RS0022569). Die Beweislast dafür, dass die Schädigung beim Betrieb des Kraftfahrzeuges erfolgte, obliegt dem Geschädigten. Dieser hat daher auch zu beweisen, dass zwischen dem eingetretenen Schaden und einem Betriebsvorgang ein adäquat ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl RIS-Justiz RS0022871, RS0109832; Schauer in Schwimann, ABGB³ VII § 1 EKHG Rz 53). Bleibt zweifelhaft, ob ein Schaden beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges eingetreten ist oder eine andere Ursache hat, so kann der Geschädigte eine Haftpflicht nicht in Anspruch nehmen (Schauer aaO). Erst wenn dem Geschädigten der ihm obliegende Beweis gelungen ist und feststeht, dass das EKHG als Haftungsgrundlage herangezogen wird, ist danach zu fragen, ob der Haftpflichtige jene Tatsachen, die zu einem Entfall oder einer Einschränkung seiner Haftpflicht führen, bewiesen hat (RIS-Justiz RS0109832). Bei diesem Entlastungsbeweis gehen sodann alle nicht aufklärbaren Ungewissheiten über den Unfallshergang zu Lasten des Haftpflichtigen (vgl RIS-Justiz RS0058979, RS0058926). Zu den von ihm zu beweisenden Umständen zählt auch die fehlende Kausalität der Nichtbeachtung der nach § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt für die eingetretenen Unfallsfolgen (2 Ob 25/94 = ZVR 1995/81; 2 Ob 253/03z; RIS-Justiz RS0022541; Schauer aaO § 9 EKHG Rz 23).
Im vorliegenden Fall muss die Haftung des Fahrzeughalters, damit aber auch jene der beklagten Partei, für den Schaden des Klägers allerdings schon daran scheitern, dass diesem der Beweis des Kausalzusammenhanges zwischen dem Betrieb des Beklagtenfahrzeuges und der eingetretenen Verletzung nicht gelungen ist. Nach den Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes soll zwar „das herannahende Beklagtenfahrzeug" Anlass für den die Verletzung verursachenden „Blitzstart" des Klägers gewesen sein. Diese Beurteilung ist durch die erstinstanzlichen Feststellungen aber nicht gedeckt. Danach hat der Kläger seinem Kind, als es plötzlich unerwartet „über die Straße" (gemeint ist wohl: auf die Fahrbahn) lief, nachzulaufen versucht, „um es vor einem Verkehrsunfall zu bewahren". Dass er dabei das herannahende Beklagtenfahrzeug überhaupt schon wahrgenommen hat, dieses also konkreter „Anlass" für die Reaktion des Klägers war, geht aus den Feststellungen nicht hervor. Diese verbleibende Unklarheit geht nach den dargelegten Grundsätzen aber zu Lasten des Klägers. Dieser hat somit den ihm obliegenden Kausalitätsbeweis nicht erbracht. Eine Haftung der beklagten Partei kommt schon mangels erwiesenen Betriebsunfalles nicht in Betracht.
In Stattgebung der Revision der beklagten Partei war daher das Teilurteil des Berufungsgerichtes im angefochtenen Umfang im klagsabweisenden Sinne abzuändern.
Eine Korrektur des aufhebenden Teiles der Berufungsentscheidung ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt, weil das Berufungsgericht den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss nicht zugelassen hat (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). Eine Bindung des Erstgerichtes an die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes zur Haftung der beklagten Partei iSd § 499 Abs 2 ZPO besteht hier aber nicht, weil der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - auch ohne Zulassung des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss - bereits anlässlich der Behandlung der (zugelassenen) Revision gegen den abändernden Teil der Berufungsentscheidung überprüft und nicht gebilligt hat (vgl 2 Ob 30/95 = ZVR 1996/37; RIS-Justiz RS0042279; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 499 Rz 2).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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