OGH 2Ob126/23b

OGH2Ob126/23b19.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmannals Vorsitzendesowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingerals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Günther Millner und Dr. Marisa Schamesberger, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. A*, und 2. A*, beide vertreten durch Peissl & Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, wegen 19.428,93 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. April 2023, GZ 5 R 165/22g‑18, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilzwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. September 2022, GZ 13 Cg 23/22y-14, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00126.23B.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

1. Aus Anlass der Revision wird das Urteil des Berufungsgerichts im Umfang der Abweisung des Feststellungsbegehrens als nichtig aufgehoben.

2. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird in seinem Ausspruch über das Leistungsbegehren dahin abgeändert, dass das Teilzwischenurteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass dessen Spruchpunkt 1. folgendermaßen zu lauten hat:

„Das Zahlungsbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 19.428,93 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 3. 2022 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.“

Die Kostenentscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird bis zur rechtskräftigen Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Erstbeklagte verursachte und verschuldete als Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW am 1. 8. 2021 einen Verkehrsunfall, bei dem der damals 17 Jahre alte I* (im Folgenden: Stiefsohn) als nicht angegurteter Beifahrer im PKW schwer verletzt wurde. Er starb am 5. 8. 2021 im Spital an den Unfallfolgen.

[2] Der Kläger lernte die Mutter des Stiefsohns (im Folgenden: Mutter) 2010 kennen. Am 14. 10. 2011 heirateten sie. Im Zeitpunkt des Kennenlernens war der Stiefsohn fünf Jahre alt. Damals hatte der Kläger keine leiblichen Kinder. 2012 wurde der leibliche Sohn des Klägers und der Mutter geboren. Bereits vor der Eheschließung zogen der Kläger, die Mutter und der Stiefsohn zusammen. Von Anfang an hatte der Kläger eine herzliche Beziehung zum Stiefsohn, den er als seinen ersten Sohn ansah. Zu Beginn brachte der Kläger dem Stiefsohn die deutsche Sprache bei. Der Kläger kümmerte sich auch um die schulischen Belange sowie um die Probleme mit dem Umgang und Verkauf von Suchtgift durch den Stiefsohn. Er übernahm gemeinsam mit der Mutter dessen Erziehung und agierte in allen Belangen als fürsorglicher Vater. Der Stiefsohn sah den Kläger immer als seinen Vater an. Seinen leiblichen Vater sah der Stiefsohn ausschließlich, wenn er zusammen mit seiner Mutter und dem Kläger einmal jährlich in Moskau war, um seine Großmutter zu besuchen. Hin und wieder verbrachte er bei diesen Aufenthalten ein Wochenende bei seinem leiblichen Vater. Allein reiste der Stiefsohnnie zu seinem leiblichen Vater; dieser besuchte den Stiefsohn auch nie in Österreich. Das Familienleben spielte sich ausschließlich zwischen dem Stiefsohn, seiner Mutter, dem Kläger und ab 2012 mit dem Halbbruder in * ab.

[3] Von 7. 12. 2011 bis 8. 12. 2019 hatte der Kläger seinen Hauptwohnsitz in *. Seit 8. 12. 2019 ist er an einer anderen Adresse in derselben Stadt gemeldet. Der Stiefsohn hatte seinen Hauptwohnsitz an der erstgenannten Adresse. Der Kläger wohnte auch nach dem 8. 12. 2019 weiter an der erstgenannten Adresse, wo immer der Familienmittelpunkt war. Bei der Wohnung an der anderen Adresse handelt es sich um die Dienstwohnung des Klägers, weshalb er dort auch gemeldet sein musste. Der Stiefsohn verbrachte in dieser Wohnung sowohl alleine als auch zusammen mit dem Kläger Zeit, weil die Wohnung an der erstgenannten Adresse für die vierköpfige Familie und das Unternehmen der Mutter zu klein wurde. Die beiden Brüder mussten sich ein kleines Zimmer teilen. Die Mutter benötigte als selbständige Fotografin das Wohnzimmer als Fotoatelier, wo sie auch ihre Kunden empfängt. Teilweise wurde das Familienleben auch an der zweitgenannten Adresse gelebt.

[4] Nach dem Unfall besuchten sowohl der Kläger als auch die Mutterden Stiefsohn regelmäßig im Spital. Wegen der COVID-Pandemiemussten diese Besuche nacheinander stattfinden, weil immer nur eine Besuchsperson zugelassen wurde. Nach einigen Tagen erhielten der Kläger und die Mutter vom Spital die Mitteilung, sie mögen kommen, um sich vomStiefsohn zu verabschieden, weil sich sein Zustand drastisch verschlechtert habe. Beim Eintreffen des Klägers und der Mutter im Spital war der Stiefsohn bereits verstorben.

[5] Mit dem Strafurteil vom 21. 4. 2022 wurde der Erstbeklagte ua dafür für schuldig erkannt, am 1. 8. 2021 als Lenker des PKW der Marke * grob fahrlässig (a.) durch gröbliches Außerachtlassen der im Straßenverkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt und Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall verursacht zu haben, nachdem er auf regennasser Fahrbahn und in Dunkelheit sowie unter Mitnahme von fünf Insassen in seinem lediglich für vier Insassen zugelassenen Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen, am rechten Fahrbahnrand gegen eine Böschung gefahren sei und sich mit dem Fahrzeug überschlagen habe, das am Dach liegen geblieben sei, wodurch die nicht angegurteten Insassen [Stiefsohn] und N* aus dem Fahrzeug geschleudert und L*, E* und N* am Körper verletzt worden seien, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (0,81 Promille rund zwei Stunden nach der Tat) versetzt gehabt habe, obwohl er vorhergesehen habe oder hätte können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei und (b.) den Tod eines anderen herbeigeführt, indem der nicht angegurtete, im Fahrzeug befindliche [Stiefsohn] bei der unter Punkt (a.) geschilderten Tat aus dem Fahrzeug geschleudert wurde und am 5. 8. 2021 an den Folgen des Unfalls verstorben sei.

[6] Noch im August 2021 unmittelbar nach dem Unfall bzw der Todesnachricht des Stiefsohns wurde der Kläger von einem Akutbetreuungsteam des Kriseninterventionsteams Steiermark wegen des plötzlichen Todes des Stiefsohns psychosozial unterstützt und begleitet.

[7] Von 6. 8. 2021 bis 15. 11. 2021 war der Kläger arbeitsunfähig.

[8] Vom 23. 8. 2021 bis 16. 5. 2022 nahm der Kläger 16 Einzelgespräche bei der * in Anspruch. In diesen Gesprächen setzte sich der Kläger mit dem familiären Trauerfall sowie den Krankheitssymptomen, nämlich mittelgradig depressive Symptomatik vordergründige Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit/Erschöpfungserleben, Freudlosigkeit, Schlafschwierigkeiten, stark reduzierte Stimmungslage, auseinander.

[9] Mit den Befunden der Österreichischen Gesundheitskasse, Gesundheitszentrum für Neurologie und Psychiatrie *, vom 4. 10. 2021 und vom 12. 10. 2021 wurden beim Kläger eine reaktive Depression und arterielle Hypertonie, mit Befund vom 15. 11. 2021 eine schwere depressive Reaktion in Teilremission, mit Befund vom 16. 2. 2022 unter anderem eine reaktive Depression in Teilbesserung sowie mit Befund vom 2. 5. 2022 unter anderem eine schwere depressive Reaktion, derzeit remittiert, diagnostiziert.

[10] Vom 16. 3. 2022 bis 27. 4. 2022 befand sich der Kläger in einer Privatklinik in stationärer Behandlung. Dort wurde bei ihm eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert; er nahm regelmäßig an den angebotenen Therapieeinheiten teil. Dieser Privatklinik zahlte der Kläger 605,64 EUR.

[11] Der Kläger begehrte die Zahlung von 19.428,93 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für zukünftige Schäden zu 75 % aus dem Unfall vom 1. 8. 2021. Im Zahlungsbegehren sind 75 % des mit 25.000 EUR bezifferten Schmerzengeldes sowie von weiteren unfallkausalen Kosten enthalten. Dem Kläger stehe aus dem Tod des Stiefsohns Trauerschmerzengeld und Schmerzengeld für Schockschäden zu. Da der Stiefsohn nicht angegurtet gewesen sei, lasse sich der Kläger „ein Mitverschulden“ von 25 % anrechnen. Er und der Stiefsohn hätten eine intensive Beziehung gehabt, umso mehr als es mit dem Jugendlichen immer wieder Probleme in seiner Entwicklung gegeben habe. Er sei durch den Tod des Stiefsohns schwer getroffen und leide seitdem an einer depressiven Erkrankung mit psychischen und vegetativen Krankheitssymptomen, wie erhöhten Blutdruck, Schlafstörungen, Albträumen, depressiven Verstimmungen, einer Schwäche des Immunsystems und einer massiven inneren Unruhe.

[12] Die Beklagten wendeten – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, eine bloße Nahebeziehung zum Verstorbenen reiche nicht aus, um einen Anspruch auf Schmerzengeld wegen erlittener Trauer oder eines Schocks zu begründen. Der Oberste Gerichtshof ginge in seiner bisherigen Rechtsprechung stets davon aus, nur Angehörige der Kernfamilie hätten Ansprüche auf Schmerzengeld. Zur Kernfamilie zählten Eltern, Kinder, Ehegatten und allenfalls Geschwister, dies jedoch nur dann, wenn sie im gleichen Haushalt lebten. Zwischen dem Kläger und dem Stiefsohn habe zudem keine Wohngemeinschaft und keine familiäre (Lebens-)Gemeinschaft, wie sie typischerweise in einer Kernfamilie gelebt werde, bestanden.

[13] Das Erstgericht sprach mit seinem „Teilzwischenurteil“ aus, 1. die beklagten Parteien hafteten zur ungeteilten Hand für 75 % der Schäden des Klägers, die auf den Verkehrsunfall vom 1. 8. 2021 in * zurückzuführen seien; 2. die Kostenentscheidung bleibe der Endentscheidung vorbehalten.

[14] Rechtlich vertrat es zusammengefasst die Ansicht, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Trauerschmerzengeld für nahe Angehörige von Getöteten bei der vorliegenden Vater‑Kind‑ähnlichen Beziehung und der intensiven Gefühlsgemeinschaft dem Kläger als Stiefvater Trauerschmerzengeld zustehe. Den nicht angegurteten Stiefsohn treffe ein Mitverschulden von 25 %.

[15] Das Berufungsgericht wies mit Endurteil das gesamte Klagebegehren, somit sowohl das Zahlungs- als auch das Feststellungsbegehren, ab und behielt die Kostenentscheidung der rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vor. Das Erstgericht habe mit seinem Zwischenurteil nur über das Leistungs-, nicht aber auch über das Feststellungsbegehren abgesprochen. Als nahe Angehörige, denen bei Schockschäden aufgrund der Tötung eines Angehörigen auch bei leichter Fahrlässigkeit des Schuldigen Schmerzengeld zustehe, gälten nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Mitglieder der Kernfamilie, also Ehegatten, Kinder und Eltern sowie Lebensgefährten. Auch zwischen Geschwistern, die im gemeinsamen Haushalt lebten, bestehe typischerweise eine solche Gemeinschaft. Dehne man die Haftung für Schock- und Trauerschäden auf Angehörige einer Stieffamilie aus, zöge dies die Gefahr eines Ausuferns der Haftung für grundsätzlich nicht ersatzfähige Drittschäden nach sich. Es bestehe trotz der festgestellten Vater-Kind‑ähnlichen Beziehung zwischen dem Kläger und dem Stiefsohn keine Veranlassung, den Kreis der nach § 1325 ABGB anspruchsberechtigten Personen auch auf Stiefeltern zu erweitern.

[16] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Rechtsfrage, ob auch Stiefelternteile zum Kreis der Anspruchsberechtigten bei Schock- und Trauerschmerzen zählten – insbesondere in Anbetracht der Bejahung eines entsprechenden Ersatzanspruchs von Lebensgefährten – eine erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und dazu keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[17] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[18] Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[19] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[20] 1.1. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Erstgericht mit seiner ausdrücklich als „Teilzwischenurteil“ bezeichneten Entscheidung ein Zwischenurteil nur über das Leistungsbegehren fällen wollte. Dies ergibt sich schon aus der Bezeichnung. Hätte das Erstgericht ein Zwischenurteil auch über das Feststellungsbegehren fällen wollen, hätte es sein Urteil nur als „Zwischenurteil“ bezeichnet. Überdies enthält das Urteil des Erstgerichts weder Feststellungen über die Gefahr künftiger unfallkausaler Schäden noch rechtliche Erörterungen dazu.

[21] 1.2. Wenn hier das Berufungsgericht auch über das Feststellungsbegehren, das gar nicht Gegenstand des Urteils des Erstgerichts war, abgesprochen hat, hat es als funktionell unzuständiges Gericht entschieden. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine vom Obersten Gerichtshof anlässlich der zulässigen Revision wahrzunehmende Nichtigkeit vor, die zur Nichtigerklärung des Berufungsurteils über das Feststellungsbegehren führt (RS0042059; 2 Ob 6/20a).

[22] 2.1. Der Kläger vertritt in der Revision die Ansicht, (zumindest) bei Schockschäden aufgrund des Todes eines Stiefkindes bestehe Ersatzpflicht. Den Rechtsgrund „Trauerschmerzengeld“ hält er nicht mehr aufrecht. Dieses ist kein Thema des Revisionsverfahrens.

[23] 2.2. In der Entscheidung 2 Ob 142/20a (SZ 2020/117 = ZVR 2021/198, 391 [Steininger] = EvBl 2021/53 = Zak 2021/62) ist der Stand der Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ folgendermaßen zusammengefasst (Rz 12–13):

[24] ImFall eines „Schockschadens“ (2 Ob 79/00g SZ 74/24 = ZVR 2001, 204 [Karner]; RS0031111 [T2]) ist – anders als bei bloßer Trauer – der Tatbestand des § 1325 ABGB erfüllt, wobei die Schädigung aber bloß die Reflexwirkung einer Erstschädigung ist. Die Rechtswidrigkeit wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet (10 Ob 3/20v mwN). Dabei ist entscheidend, ob das Verhalten des Schädigers gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich war, also die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet war, einen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 79/00g; 2 Ob 111/03t; 2 Ob 163/06v uva; Karner, FS Danzl 93; vgl auch Hinteregger, Trauerschmerzengeld und der Anspruch auf immateriellen Schadenersatz, FS Danzl [2017] 72 [73]). Das gilt bei der gebotenen typisierenden Betrachtung insbesondere dann, wenn der Schockschaden durch das Miterleben oder die Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen hervorgerufen wurde (2 Ob 186/03x; 2 Ob 163/06v; 2 Ob 189/16g; 2 Ob 109/19x; RS0116865; vgl dazu Karner, FS Danzl 93 ff).

[25] Bei einem Schockschaden bietet die eingetretene Gesundheitsgefährdung einen objektiven Anhaltspunkt für das Vorliegen und das Ausmaß eines ideellen Schadens. Diese Objektivierbarkeit spricht dafür, den Kreis der Anspruchsberechtigten weiter zu ziehen als beim Trauerschmerzengeld (Karner, FS Danzl 100 f; Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/5/191). Insbesondere sind Geschwister ersatzberechtigt, ohne dass es – wie beim Trauerschmerzengeld – auf eine besondere Nahebeziehung ankäme (2 Ob 39/09p ZVR 2010, 261 [Huber]).

[26] 2.3.1. Gemäß § 139 Abs 2 Satz 1 ABGB (als § 137 Abs 4 ABGB eingeführt durch das FamRÄG 2009) hat eine mit einem Elternteil und dessen minderjährigem Kind nicht nur vorübergehend im gemeinsamen Haushalt lebende volljährige Person, die in einem familiären Verhältnis zum Elternteil steht, alles den Umständen nach Zumutbare zu tun, um das Kindeswohl zu schützen.

[27] 2.3.2. Der Begriff „familiäres Verhältnis“ entspricht dem umfassenden Familienbegriff des Art 8 MRK (IA 673/A BlgNR 24. GP  27); erfasst sind somit auch Stiefvater, Stiefmutter und Stiefgeschwister des Kindes, der eingetragene Partner sowie der (auch homosexuelle) Lebensgefährte eines Elternteils, nicht hingegen ein Untermieter oder Mitglieder einer bloßen Wohngemeinschaft von Studenten (Hopf/Höllwerth in KBB7 § 139 Rz 3; Stefula, Die Neuerungen zur Patchworkfamilie – Anwendungsbereich und Reichweite von § 90 Abs 3 und § 137 Abs 4 ABGB, iFamZ 2009, 266 [270]).

[28] 2.4. Nach § 123 Abs 1 ASVG besteht ein Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung für Angehörige. Als solche gelten nach § 123 Abs 2 Z 5 ASVG auch Stiefkinder, wenn sie mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft leben. Nach der Legaldefinition des § 123 Abs 3 ASVG sind Stiefkinder einer Person die nicht von ihr abstammenden leiblichen Kinder ihrer Ehegattin/ihres Ehegatten oder ihrer eingetragenen Partnerin/ihres eingetragenen Partners, und zwar auch dann wenn der andere leibliche Elternteil des Kindes noch lebt. Die Stiefkindschaft besteht nach Auflösung oder Nichtigerklärung der sie begründenden Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft weiter.

[29] 2.5. Entsprechend der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zählen zur „Kernfamilie“ nur der Ehegatte (eingetragene Partner) oder minderjährige ledige Kinder, einschließlich der Adoptiv- oder Stiefkinder. Diese Legaldefinition ist mangels planwidriger Unvollständigkeit aber nicht auf volljährige Stiefkinder auszudehnen (vgl 10 ObS 51/18z).

[30] 2.6. Diese gesetzlichen Bestimmungen zeigen die Tendenz des Gesetzgebers, das Stiefeltern/Stiefkindverhältnis unter bestimmten Voraussetzungen dem Eltern/Kindverhältnis gleichzustellen, was auch gesellschaftlichen Änderungen in der Zusammensetzung der sogenannten „Kernfamilie“ Rechnung trägt (vgl zur Anerkennung der geänderten gesellschaftlichen Realität auch Beisteiner, Angehörigenschmerzengeld [2009], 198 f).

2.7. Ergebnis:

[31] Stiefvater, Mutter und minderjähriges Stiefkind (ab 2012 auch dessen Halbbruder) lebten im vorliegenden Fall jahrelang in einer Hausgemeinschaft. Daran ändert nichts, dass sich das Familienleben zum Teil auch in einer anderen Wohnung abspielte. Bezogen auf die „gelebte Kernfamilie“ ersetzte der Stiefvater nach den Feststellungen den leiblichen Vater des Minderjährigen, indem er sich (generell als fürsorglicher Vater agierend) um Erziehung, schulische Belange und andere Angelegenheiten kümmerte. Er sah den Stiefsohn als seinen ersten Sohn an, dieser ihn als Vater. Angesichts der gelebten Beziehung ist der Stiefvater – anknüpfend an die in Lehre und Judikatur entwickelten Kriterien – ein Angehöriger mit Anspruch auf „Schockschmerzengeld“.

[32] 2.8. Das – nur das Zahlungsbegehren betreffende – Teilzwischenurteil des Erstgerichts ist aus diesen Erwägungen wiederherzustellen, allerdings zur Klarstellung mit der dargestellten Maßgabe.

[33] 3. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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