European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00051.18Z.0523.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger zum Kreis der nach dem Bundespflegegeldgesetz anspruchsberechtigten Personen zu zählen ist, indem er als „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt ist (§ 3a Abs 2 Z 4 lit d BPGG).
Der am 21. 1. 1995 geborene (zum Zeitpunkt der Antragstellung am 22. 4. 2016 21‑jährige) Kläger ist ukrainischer Staatsbürger und verfügt über eine zuletzt bis 31. 3. 2018 verlängerte „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ gemäß § 47 Abs 3 NAG. Seine Mutter ist mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet, der nicht der (leibliche) Vater des Klägers ist. Im Hinblick auf diese Ehe hat sie einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ nach § 47 Abs 2 NAG, der zuletzt bis 28. 2. 2018 verlängert wurde. Sie ist in Österreich berufstätig. Der Kläger bezieht keine Grundleistung und ist bei seinem Stiefvater in der Krankenversicherung mitversichert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Gewährung von Pflegegeld ab. Da der Kläger nicht über einen der in § 3a BPGG genannten Aufenthaltstitel verfüge, sei er den österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt und zähle nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach dem BPGG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision zu. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Der Kläger verfüge nicht über den in § 3a Abs 2 Z 4 lit d BPGG genannten Aufenthaltstitel als „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs 2 NAG, sondern nur über eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ nach § 47 Abs 3 NAG. Für die von ihm gewünschte analoge Anwendung des § 47 Abs 2 NAG fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe, habe der Gesetzgeber bewusst nur die „Kernfamilie“ im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 9 NAG erfassen wollen. Zu dieser zähle der Kläger als volljähriges Stiefkind des „Zusammenführenden“ iSd § 47 Abs 1 NAG (seines Stiefvaters) nicht. Der Begriff der Kernfamilie umfasse lediglich den Ehegatten oder eingetragenen Partner, minderjährige Kinder einschließlich (minderjähriger) Adoptiv‑ oder Stiefkinder. Der Kläger sei für den Bereich des Bundespflegegeldes österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch nicht zulässig. Weder das Berufungsgericht noch der Revisionswerber zeigen eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
In seiner Revision hält der Kläger daran fest, der Gesetzgeber habe den Fall übersehen, dass auch nicht selbsterhaltungsfähige volljährige Kinder bzw Stiefkinder zur „Kernfamilie“ zu zählen seien. Zwischen einem nicht selbsterhaltungsfähigen Minderjährigen und einem nicht selbsterhaltungsfähigen Volljährigen sei keine Unterscheidung zu treffen.
Dazu ist auszuführen:
1.1 Nach § 3a Abs 1 BPGG haben österreichische Staatsbürger (auch ohne Grundleistung) Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. Den österreichischen Staatsbürgern sind unter anderem Personen gleichgestellt, die über einen Aufenthaltstitel als „Familienangehörige“ gemäß § 47 Abs 2 NAG verfügen (§ 3a Abs 2 Z 4 lit d BPGG).
1.2 § 3a Abs 2 Z 4 lit d BPGG wurde mit dem Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58 geschaffen und trat mit 1. 1. 2012 in Kraft (§ 49 Abs 17 BPGG).
1.3 In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 9) wird ausgeführt, dass es sich bei „Familienangehörigen“ gemäß § 47 Abs 2 NAG um drittstaatsangehörige Familienangehörige von zusammenführenden Österreicher/innen, EWR‑Bürger/innen und Schweizer/innen handle. Allerdings solle sich diese Gleichstellung nur auf die haushaltszugehörige so genannte „Kernfamilie“ beschränken.
2.1 Der Begriff des „Familienangehörigen“ wurde bereits zum damaligen Zeitpunkt in § 2 Abs 1 Z 9 NAG dahingehend definiert, dass darunter nur der Ehegatte (eingetragene Partner) oder minderjährige ledige Kinder, einschließlich Adoptiv‑ oder Stiefkinder zu verstehen sind („Kernfamilie“). § 2 Abs 1 Z 9 NAG enthält somit die Legaldefinition des Begriffs „Kernfamilie“ und setzt damit die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung um (VwGH 2014/22/0001). Das Recht auf Familienzusammenführung steht gemäß Art 4 Abs 1 RL 2003/86/EG nur Ehegatten und minderjährigen Kindern als Mitglieder der in Erwägungsgrund 9 dieser Richtlinie genannten „Kernfamilie“ zu (vgl VwGH 2002/21/0028). Das Volljährigkeitsalter richtet sich nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (Art 4 Abs 1 lit d der RL).
2.2 Die in § 47 Abs 3 NAG bereits im Zeitpunkt der Schaffung des § 3 Abs 2 Z 4 lit d BPGG angeführten „sonstigen Angehörigen“ stellen sich lediglich als Erweiterung des Personenkreises von Familienmitgliedern gegenüber dem in § 47 Abs 2 NAG verwendeten Begriff der „Familienangehörigen“ iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG dar (VwGH 2008/22/0864).
2.3 Der Gesetzgeber hat demnach die bewusste Entscheidung getroffen, für die Anspruchsberechtigung allein auf das Verwandtschaftsverhältnis „Familienangehöriger“ iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG abzustellen.
3. Der Kläger ist im Verhältnis zum Ehemann seiner Mutter (der über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt und daher „Zusammenführender“ iSd § 47 Abs 1 NAG ist) als volljähriges Stiefkind anzusehen. Als solches ist er nicht „Familienangehöriger“ und gehört nicht zur „Kernfamilie“ iSd § 2 Abs 1 Z 9 NAG. Da er nicht von § 47 Abs 2 NAG und damit auch nicht von § 3a Abs 2 Z 4 BPGG erfasst ist, ist er den österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt und zählt nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach dem Bundespflegegeldgesetz.
4. Zutreffend sind die Vorinstanzen auch davon ausgegangen, dass der vom Revisionswerber geforderte Analogieschluss nicht zu ziehen ist:
Eine Analogie ist jedenfalls dann unzulässig, wenn der Gesetzeswortlaut und die klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RIS‑Justiz RS0106092 [T2]; P. Bydlinski in KBB 5 § 7 ABGB Rz 2). Ausgehend von der dargestellten bewussten Entscheidung des Gesetzgebers und der von ihm in den genannten Bestimmungen gewählten Regelungstechnik fehlt es an einer planwidrigen Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung, die aber Voraussetzung für eine Analogie bildet (RIS‑Justiz RS0098756; siehe auch 10 ObS 43/18y zur Frage, ob ein minderjähriger Enkel des „Zusammenführenden“ Familienangehöriger iSd § 47 Abs 2 NAG ist).
Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)