European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00044.24P.0527.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Exekutionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt II. aufgehoben und dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Rechtsvorgängerin der gefährdeten Partei (letztere im Folgenden: Antragstellerin) beauftragte als Bauherrin die Gegnerin der gefährdeten Partei (Antragsgegnerin) als Generalunternehmerin mit der Durchführung eines Bauvorhabens. Die Antragsgegnerin verpflichtete sich zur Fertigstellung der Wohnhausanlage bis 30. 11. 2022 zu einem Pauschalpreis von 1,4 Mio EUR (inklusive USt). Der Generalunternehmervertrag lautet auszugsweise:
„ 6. MANGELHAFTE LEISTUNG – GEWÄHRLEISTUNG
Bei mangelhafter, nicht ordnungsgemäßer, oder nicht termingerecht erbrachter Leistung und Ausführung wird dem Auftragnehmer eine Nachfrist von einer Kalenderwoche bzw. eine Möglichkeit zur einvernehmlichen Behebung zugestanden. Danach steht dem Bauherrn das Recht zu, dem Auftragnehmer den Auftrag zu entziehen und die Fertigstellung einer anderen Firma zu übertragen, sämtliche aus dieser Vorgangsweise entstehenden Mehrkosten gehen zu Lasten des Auftragnehmers. Gewährleistung lt. ÖNORM B2110.
[...]
20. ZAHLUNG
Zahlungsschritte: Nach Vereinbarung / Zahlungsplan: jedoch max. 1 Teilrechnung pro Monat bzw. bei Pauschalen nach Leistungsfortschritt. Die Abnahme der Leistung erfolgt durch Herrn [Name des Projektmanagers].
Bei der Schlussrechnung erfolgt die Auszahlung nach Mängelfreistellung.“
[2] Die Antragstellerin leistete der Antragsgegnerin nach § 1170b ABGB eine Sicherstellung von 200.000 EUR, wobei dafür eine bis 31. 12. 2023 aufrechte Bankgarantie diente. Nach dem Inhalt der Bankgarantie hat die schriftliche Anforderung der Antragsgegnerin
„die Erklärung zu enthalten, dass eine bzw mehrere Rechnung(en) trotz Fälligkeit und Fertigstellung der damit in Rechnung gestellten Leistungen, somit des damit in Rechnung gestellten Baufortschritts, nicht bezahlt worden sind – bei der Schlussrechnung darüber hinaus die Erklärung, dass das Bauwerk gem. Pkt 20 des GU‑Vertrages mängelfrei gestellt ist.“
[3] Nach den Garantiebestimmungen muss die Bank die Sicherstellung „unter Verzicht auf jede Einrede, ohne dass wir das zugrunde liegende Rechtsverhältnis noch weiter prüfen“, binnen acht Tagen nach Abruf zur Auszahlung bringen.
[4] Das Bauvorhaben war zum vereinbarten Termin nicht fertiggestellt. Von der Antragstellerin wiederholt gesetzte Nachfristen zur Fertigstellung ließ die Antragsgegnerin ungenutzt verstreichen. Anlässlich einer Besprechung am 31. 7. 2023 setzte die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Nachfrist für die Fertigstellung bis spätestens 30. 9. 2023, für die Außenanlagen bis spätestens 31. 10. 2023.
[5] Bis 30. 9. 2023 fand keine Fertigstellung statt. Die Antragstellerin forderte Anfang Oktober 2023 die Antragsgegnerin letztmalig bis spätestens 20. 10. 2023 auf, das Bauvorhaben fertigzustellen, und erklärte für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist ohne weitere Nachfristsetzung den Rücktritt vom Vertrag. Da die Antragsgegnerin auch bis 20. 10. 2023 nicht fertigstellte, erklärte die Antragstellerin am 23. 10. 2023 den Vertragsrücktritt mit sofortiger Wirkung und verbot der Antragsgegnerin den weiteren Zutritt zur Baustelle.
[6] Eine Fertigstellung des Bauvorhabens erfolgte bisher nicht; es liegen zahlreiche nach wie vor unbehobene Mängel vor. Die Antragstellerin zahlte der Antragsgegnerin bisher 1.095.266,40 EUR an Werklohn und leistete zusätzlich Direktzahlungen für Materialeinkäufe von 111.076,94 EUR (inklusive USt). Die Antragsgegnerin „verweigert“ seit 12. 10. 2023 die Fertigstellung und Verbesserung. Die von der Beklagten erbrachten Leistungen sind nicht im Ausmaß der geleisteten Zahlungen werthaltig.
[7] Nach Vertragsrücktritt durch die Antragstellerin legte die Antragsgegnerin Mitte November 2023 eine Schlussrechnung über weitere 172.625,18 EUR (inklusive USt). Die Antragstellerin bestritt diese Schlussrechnung, weil das Bauvorhaben nicht fertiggestellt sei, es deshalb zu keiner Übernahme gekommen sei und die Antragsgegnerin die Mängelbehebung verweigere, weshalb ihr an einem allenfalls noch gebührenden Werklohn „ein Zurückbehaltungsrecht“ zukomme, und sie laut der Rechnungsprüfung bereits eine Überzahlung von 432.850,43 EUR geleistet habe.
[8] Mit Schreiben vom 28. 12. 2023 rief die Antragsgegnerin die Zahlungsgarantie im Betrag von 172.625,18 EUR mit der Erklärung ab, dass die am 27. 12. 2023 zur Zahlung fällige Schlussrechnung trotz Fertigstellung der damit in Rechnung gestellten Leistungen und des damit in Rechnung gestellten Baufortschritts nicht bezahlt worden sei und „das Bauwerk gemäß Punkt 20 des Generalunternehmervertrags (GU‑Vertrages) mängelfrei gestellt ist, da die Auftraggeberin ausdrücklich keine Mängelbehebung welcher Art auch immer durch unser Unternehmen wünscht“.
[9] Die Antragstellerin begehrt zur Sicherung ihres gleichzeitig gegen die Antragsgegnerin geltend gemachten Anspruchs auf Widerruf des Abrufs der Bankgarantie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, womit der Antragsgegnerin jede weitere Verfügung über die Zahlungsgarantie untersagt und der Bank die Auszahlung des Betrags aus der Inanspruchnahme der Bankgarantie verboten wird.
[10] Die Antragsgegnerin habe die Garantie rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen. Sie habe die Erklärung gegenüber der Bank, wonach die Schlussrechnung trotz Fälligkeit und Fertigstellung des damit in Rechnung gestellten Baufortschritts nicht bezahlt worden sei, sowie dass das Bauwerk gemäß Punkt 20 des Generalunternehmervertrags mängelfrei sei, wissentlich falsch abgegeben. Das Bauwerk sei nicht fertiggestellt und mit zahlreichen Mängeln behaftet, weshalb auch die Schlussrechnung nicht fällig sei. Der Rücktritt vom Vertrag durch sie sei berechtigt gewesen. Im Rahmen der Prüfung der Schlussrechnung habe sich eine Überzahlung an die Antragsgegnerin von 432.850,43 EUR ergeben, um die die Antragsgegnerin ungerechtfertigt bereichert sei, und die von ihr zurückzufordern sein werde. Infolge unterlassener Fertigstellung, Mangelhaftigkeit und Verzug ergäben sich – abzüglich des der Antragsgegnerin für den Fall der mangelfreien Übergabe zustehenden restlichen Werklohns von 193.656,66 EUR – „Ansprüche“ der Antragstellerin von 875.459,33 EUR, wobei sie selbst bei Abruf der Erfüllungsgarantie (noch) auf 675.459,33 EUR in Anspruch zu nehmen sein werde. Bei Auszahlung des Garantiebetrags entstehe ihr ein unwiederbringlicher Schaden, weil eine Rückzahlung der zu Unrecht in Anspruch genommenen Zahlungsgarantie denkunmöglich erscheine.
[11] Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung ohne Anhörung der Antragsgegnerin und beschränkte deren Geltungsdauer bis zur rechtskräftigen Erledigung der auf Widerruf der Inanspruchnahme der Bankgarantie gerichteten Klage.
[12] Über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus nahm es, im Rekurs bekämpft, als bescheinigt an, dass der Antragstellerin „mehrere hunderttausend Euro“ an Ersatzvornahmekosten („Fertigstellungs- und Sanierungsaufwand“) entstünden. Auf dieser Grundlage führte es zum Rechtsmissbrauch des Abrufs der Bankgarantie aus, die Antragsgegnerin habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass das zu errichtende Bauwerk nicht fertiggestellt und mit erheblichen Mängeln behaftet sei, die Fertigstellung sowie die Mängelbehebung verweigert und stattdessen Schlussrechnung gelegt. Sie habe die Bankgarantie abgerufen und dabei erklärt, dass sie fertiggestellt habe, sowie dass die Antragstellerin eine Mängelbehebung ausdrücklich nicht wünsche. Dass sie der Ansicht sein könnte, fertiggestellt zu haben, und ihr die Antragstellerin einen fälligen weiteren Werklohn schulde, sei denkunmöglich. Ihr habe bekannt sein müssen, dass der Werklohn nicht fällig und ein allfälliger Abruf der Bankgarantie rechtsmissbräuchlich sei, weil die Antragstellerin wegen der fehlenden Fertigstellung und der vorhandenen Mängel „zur Zurückbehaltung“ eines allenfalls noch bestehenden Werklohns berechtigt gewesen sei. Dass die Antragstellerin von der Antragsgegnerin keine Verbesserung (mehr) wünsche, sei nur von untergeordneter Bedeutung, habe doch die Antragsgegnerin selbst bereits mit E‑Mail vom 12. 10. 2023 die Verbesserung abgelehnt. Bereits jetzt liege eine massive Überzahlung vor, die auch durch die Erfüllungsgarantie nicht abgefedert werde.
[13] Gegen diese Entscheidung richteten sich der Rekurs und hilfsweise ein Widerspruch der Antragsgegnerin. Aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Reihung war zunächst über den Rekurs zu entscheiden.
[14] Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[15] Es unterließ die Behandlung der Beweisrüge der Antragsgegnerin zur Annahme des Erstgerichts, dass der Antragstellerin „mehrere hunderttausend Euro“ an Ersatzvornahmekosten entstehen würden. Rechtlich führte es – soweit für das Revisionsrekursverfahren relevant – aus, der Abruf der Zahlungsgarantie durch die Antragsgegnerin, obwohl der Garantiefall evident nicht eingetreten sei, sei rechtsmissbräuchlich. Denn für den Eintritt des Garantiefalls sei eine – hier nicht vorliegende – formelle Mängelfreistellung durch die Klägerin erforderlich gewesen.
[16] Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die Frage, ob die für die Annahme von Rechtsmissbrauch geforderten Voraussetzungen vorlägen, eine solche des Einzelfalls sei.
Rechtliche Beurteilung
[17] Der dagegen erhobene, von der Antragstellerin nach Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig, weil die Annahme von Rechtsmissbrauch auf Basis des unstrittig bescheinigten Sachverhalts noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Er ist im Sinn des im Abänderungsbegehren enthaltenen Antrags auf Aufhebung (vgl RS0041774 [T1]) auch berechtigt.
[18] 1. Gemäß § 381 EO können zur Sicherung anderer Ansprüche einstweilige Verfügungen getroffen werden:
wenn zu besorgen ist, dass sonst die gerichtliche Verfolgung oder Verwirklichung des fraglichen Anspruchs, insbesondere durch eine Veränderung des bestehenden Zustands, vereitelt oder erheblich erschwert werden würde; [...] (Z 1)
wenn derartige Verfügungen zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen (Z 2).
[19] Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 381 EO setzt jedenfalls die Behauptung und Bescheinigung eines (bestimmten) Anspruchs sowie einer konkreten Gefährdung (Verfügungsinteresse) voraus (7 Ob 16/23p [Rz 16] mwN; vgl auch RS0005295 [insbesondere T4]). Im Revisionsrekursverfahren ist die Gefährdung der Antragstellerin nicht strittig; die Antragsgegnerin bestreitet aber, dass die für die Annahme von Rechtsmissbrauch geforderten Voraussetzungen vorliegen.
[20] Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme einer Bankgarantie vorliegt, existiert zwar eine Vielzahl höchstgerichtlicher Entscheidungen (vgl RS0017042; RS0017997; RS0018006). Diese Beurteilung ist eine Frage des Einzelfalls und bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (vgl RS0017997 [T5]), jedoch hat das Rekursgericht diesbezüglich seinen Beurteilungsspielraum in korrekturbedürftiger Weise überschritten.
[21] 2. Der Anspruch des Garantieauftraggebers (hier: Antragstellerin) gegen den Begünstigten (hier: Antragsgegnerin) auf Widerruf des Abrufs einer Bankgarantie kann durch einstweilige Verfügung (einschließlich Zahlungsverbot an den Garanten) nur unter der Voraussetzung gesichert werden, dass der Nichteintritt des Garantiefalls liquide und eindeutig nachgewiesen wird (RS0005092).
[22] 3. Bei einer abstrakten Bankgarantie ist der Garantievertrag vom Bestand der gesicherten Hauptschuld grundsätzlich unabhängig, wobei die Abstraktheit durch Formulierungen der Zahlungspflicht mit etwa „auf erstes Abfordern“ oder – wie hier – „ohne Einwendungen“ besonders betont wird. Bei der Abstraktheit der Garantie sind nur solche Einwendungen zulässig, die sich aus der Auslegung des Garantietextes selbst ergeben (RS0016992 [T7, T11]). Es ist gerade der Sinn einer solchen Garantie, dem Begünstigten eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung zu gewährleisten (RS0016992). Streitigkeiten sollen erst nach der Zahlung abgewickelt werden (7 Ob 53/15t [Punkt 6.] mwN ua).
4. Zur rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Bankgarantie:
[23] 4.1. Rechtsmissbrauch liegt unter anderem dann vor, wenn die Bankgarantie vom Begünstigten für ein Ereignis in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde (RS0005092 [T5]; RS0018027 [T9]). Die Schutzwürdigkeit des Begünstigten aus einer Bankgarantie ist dann nicht mehr gegeben und Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn er eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl schon eindeutig feststeht, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten hat und daher das Erhaltene jedenfalls sofort wieder herauszugeben hätte (RS0018006 [T1]). Für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs kommt es auf den Wissensstand und die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an (RS0017042). Ein Missbrauchsfall liegt nur dann vor, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist. Hält sich der Begünstigte hingegen aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RS0017997). Die Beweislast trifft nach allgemeinen Grundsätzen (RS0037797) denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei schon relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch den Ausschlag zugunsten des Rechtsausübenden geben (RS0026271 [T26]).
[24] 4.2. Die Begründung des Rekursgerichts für die Annahme von Rechtsmissbrauch trägt nicht.
[25] Nach Punkt 20. des Generalunternehmervertrags, auf den die Bankgarantie Bezug nimmt, hat bei der Schlussrechnung die Zahlung des Werklohns (erst) nach Mängelfreistellung zu erfolgen. Nach dem Wortlaut der Bankgarantie, die von der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin nach § 1170b ABGB als Sicherstellung geleistet wurde, hängt die Auszahlung des Garantiebetrags nur von einer Erklärung der begünstigten Antragsgegnerin ab, dass – im Fall der Schlussrechnung – das Bauwerk gemäß Punkt 20 des Generalunternehmervertrags mängelfrei gestellt ist. „Mängelfreistellung“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch Verbesserung und Beseitigung der bestehenden Mängel.
[26] Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck der strittigen Bankgarantie bedarf es – wovon offenbar das Rekursgericht ausgeht – einer Erklärung der Antragsgegnerin gegenüber der Bank, dass die Antragstellerin eine ausdrückliche Mängelfreistellung gegeben habe, wäre doch durch das Erfordernis der Mitwirkung der Werkbestellerin die Bankgarantie als Sicherungsmittel im Sinn des § 1170b ABGB nicht geeignet (vgl RS0133403). Eine solche Sicherstellung würde den Zweck des § 1170b ABGB nicht erfüllen, weil es die Werkbestellerin damit faktisch in der Hand hätte, dem Werkunternehmer den (rechtmäßigen) Zugriff darauf zu verwehren. Dies wäre immer dann der Fall, wenn (so anscheinend aber das Rekursgericht) der aus der Garantie Begünstigte diese nur mit Zustimmung des Garantieauftraggebers – hier der Antragstellerin – abrufen könnte (dazu 3 Ob 134/20g [Rz 32] = SZ 2020/88; 9 Ob 30/21h [Rz 33] mwN).
[27] 4.3. Allerdings könnte Rechtsmissbrauchnach dem vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt aus anderen Gründen vorliegen:
[28] Nach den Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts unterblieb die Vollendung und Ablieferung des Werks aufgrund von Umständen auf Seite der Antragsgegnerin (Werkunternehmerin). Weiters istbescheinigt, dass „zahlreiche nach wie vor unbehobene Mängel“ an der Wohnhausanlage vorliegen, die der Antragsgegnerin auch bekannt sind. Sie hat das Bauvorhaben weder bis zum vereinbarten Fertigstellungstermin am 30. 11. 2022 vollendet, noch danach. All das war für die Antragsgegnerin evident.
[29] Die Antragstellerin (Werkbestellerin) istauf der Grundlage des bescheinigten Sachverhalts gemäß § 918 Abs 1 ABGB (Punkt 6. Generalunternehmervertrag) unter Setzung einer angemessenen Nachfrist berechtigt und wirksam vom Vertrag zurückgetreten (vgl 2 Ob 668/84). Dieser Rücktritt hat die Auflösung des Vertrags – allerdings mit obligatorischer Wirkung – zwischen den Vertragsparteien ex tunc zur Folge (RS0018414) und lässt die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem aufgehobenen Vertrag rückwirkend auf den Abschlusszeitpunkt erlöschen. Erfüllungsansprüche bestehen nicht mehr; bereits erbrachte Leistungen, allenfalls ihr Wert sind bereicherungsrechtlich herauszugeben (§ 921 Satz 2 ABGB; 10 Ob 3/21w [Rz 39] mwN). Zudem lässt der Rücktritt vom Vertrag den Ersatz des durch die Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt. Tritt der Gläubiger – hier die Antragstellerin – aufgrund des Verschuldens des Schuldners (Antragsgegnerin) vom Vertrag zurück, kann er das Erfüllungsinteresse (etwa die konkreten Mehraufwendungen infolge Abschlusses eines gleichartigen Deckungsgeschäfts) verlangen (§ 921 ABGB; Punkt 6. Generalunternehmervertrag) (10 Ob 3/21w [Rz 40]).
[30] Daraus folgt, dass der Antragsgegnerin – selbst unter Zugrundelegung der Abrechnung auf Basis des Generalunternehmervertrags – bereicherungsrechtlich offenkundig kein Restanspruch zustehen könnte:
[31] Auf den Werklohn von 1,4 Mio EUR hat die Antragstellerin bereits 1.095.266,40 EUR gezahlt. Weiters hat sie Direktzahlungen von 111.076,94 EUR für Material geleistet, wobei sie – sowohl nach ihrem Vorbringen als auch nach dem bescheinigten Sachverhalt – damit eine Leistung erbracht hat, die an sich nach dem Generalunternehmervertrag der Antragsgegnerin oblegen wäre. Zusammen sind das 1.206.343,34 EUR. Zudem ist nach dem vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt zu erwarten, dass der Antragstellerin „mehrere hunderttausend Euro“ an Ersatzvornahmekosten entstehen werden. Diese „mehreren hunderttausend Euro“ sind zwar nicht näher konkretisiert, jedenfalls sind darunter aber 200.000 EUR zu verstehen. Damit überstiegen die Leistungen der Antragstellerin und die von der Antragsgegnerin auf schadenersatzrechtlicher Grundlage zu tragenden Ersatzvornahmekosten selbst den ursprünglich vereinbarten Werklohn von 1,4 Mio EUR um zumindest 6.000 EUR. Damit stünde der Antragsgegnerin selbst auf dieser Berechnungsgrundlage bereicherungsrechtlich kein Restanspruch mehr zu, der mit der Bankgarantie gesichert werden könnte. Die Inanspruchnahme der Bankgarantie wäre rechtsmissbräuchlich.
[32] 5. Eine abschließende Erledigung ist allerdings nicht möglich.
[33] Die Annahme des Erstgerichts, dass (für die Antragsgegnerin erkennbar) mit Ersatzvornahmekosten von „mehreren hunderttausend Euro“ zu rechnen sei, wurde von der Antragsgegnerin im Rekurs bekämpft. Die Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Rekursgericht war insofern möglich, weil das Erstgericht seine Feststellungen nur aufgrund von Urkunden getroffen hatte (RS0012391 [T3]). Dennoch hat das Rekursgericht aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht die Beweisrüge nicht erledigt.
[34] Dies führt zur Zurückverweisung in die zweite Instanz. Sollte das Rekursgericht die strittige Annahme des Erstgerichts übernehmen, hätte die Antragstellerin (im einseitigen Verfahren, also vorläufig) bescheinigt, dass die Antragsgegnerin keinen Restanspruch aus dem nicht fertiggestellten Bauvorhaben hat. Damit wäre der teilweise Abruf der Bankgarantie als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren, unddie einstweilige Verfügung wäre zu bestätigen. In weiterer Folge hätte das Erstgericht über den Widerspruch der Antragsgegnerin zu entscheiden, was zu einer anderen Sachverhaltsgrundlage und damit auch zu einer anderen Entscheidung führen könnte.
[35] Übernimmt das Rekursgericht die bekämpfte Feststellung hingegen nicht, obliegt ihm die Beurteilung, ob der Antragstellerin infolge nicht ausreichender Bescheinigung des Anspruchs eine Sicherheitsleistung aufzuerlegen wäre (RS0005381; RS0005580). Nur das „völlige Fehlen“ einer Bescheinigung des – hier schlüssig behaupteten (vgl 4 Ob 63/20v mwN) – Anspruchs könnte nicht durch eine Sicherheitsleistung nach § 390 Abs 1 EO ersetzt werden (RS0005694) und würde zur Abweisung des Sicherungsantrags führen.
[36] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 50, 52 Abs 1 ZPO iVm §§ 402, 78 EO.
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