OGH 7Ob53/15t

OGH7Ob53/15t23.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Provisorialsache der gefährdeten Partei A***** H***** GmbH, *****, vertreten durch Konrad & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei H***** S.A., *****, vertreten durch zeiler.partners Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Jänner 2015, GZ 46 R 8/15i‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00053.15T.0323.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78, § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die internationale Zuständigkeit Österreichs ist zufolge der auf § 387 Abs 2 EO beruhenden örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts gegeben (1 Ob 140/02y; vgl auch RIS-Justiz RS0102649).

2. Die Parteien haben in „SC 5.1.“ vereinbart, dass die Auslegung des hier (ua) relevanten Vertrags dem rumänischen Recht unterliegt. Die Vorinstanzen haben das einschlägige rumänische Recht nicht ermittelt. Im Hinblick auf die Dringlichkeit des Verfahrens (vgl RIS-Justiz RS0040200; RS0109416; RS0005307; RS0045163 [T8]) und den Umstand, dass im Rechtsmittel auch nicht ansatzweise dargelegt wird, es wäre im Fall des gegebenenfalls anzuwendenden ausländischen Rechts ein für die gefährdete Partei günstigeres als das vom Rekursgericht erzielte Ergebnis zu erwarten (2 Ob 121/11z; 9 Ob 34/10f; vgl auch 6 Ob 108/10s), ist diese Frage hier nicht aufzugreifen und österreichisches Recht anzuwenden.

3. Vorauszuschicken ist noch, dass die hier im Widerspruchsverfahren zu beurteilende Erlassung einer einstweiligen Verfügung mit Ansprüchen zusammenhängt, über die ein Schiedsgericht zu entscheiden hat; dies steht der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht grundsätzlich entgegen (vgl RIS-Justiz RS0004917).

4. Mit dem behaupteten Mangel des Rekursverfahrens macht die gefährdete Partei in Wahrheit einen angeblichen Begründungsmangel des rekursgerichtlichen Beschlusses geltend, der nicht vorliegt. Das Rekursgericht hat sich in seiner Entscheidung mit der im Rekurs aufgegriffenen, nach Ansicht des Rekursgerichts auf § 390 Abs 2 EO beruhenden Sicherheitsleistung befasst. Warum die vom Rekursgericht dazu vertretene Rechtsansicht unrichtig sein und der Erlag einer Sicherheit nach dieser Gesetzesbestimmung die Überprüfung der Voraussetzungen der Erlassung der einstweiligen Verfügung ausschließen sollte, zeigt die gefährdete Partei nicht nachvollziehbar auf.

5. Der Auslegung einer typischen Vertragsbestimmung, die für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsam sein könnte, mag, worauf sich die gefährdete Partei beruft, erhebliche Bedeutung für die Rechtssicherheit und damit die Eigenschaft einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 bzw § 528 Abs 1 ZPO haben (vgl RIS-Justiz RS0042871). Dass die Vertragsparteien für die Abwicklung eines ganz bestimmten, gerade nicht alltäglichen Großprojekts die Absicherung der mängelfreien Herstellung der einzelnen „Units“ durch mehrere inhaltsgleiche Bankgarantien vereinbart haben, machen deren Formulierung aber ‑ entgegen der Ansicht der gefährdeten Partei ‑ noch nicht zu geradezu typischen Vertragsinhalten. Auch hier betrifft daher die Auslegung der fraglichen Garantieerklärungen den vorliegenden Einzelfall und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage (8 Ob 91/11g; 6 Ob 105/05t). Anders wäre dies nur dann, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936; RS0042776 [T6]; RS0042871).

6. Bei einer abstrakten Bankgarantie ist der Garantievertrag vom Bestand der gesicherten Hauptschuld grundsätzlich unabhängig, wobei die Abstraktheit durch Formulierungen der Zahlungspflicht mit etwa „auf erstes Abfordern“ oder „ohne Einwendungen“ besonders betont wird (3 Ob 213/11m). Bei der Abstraktheit der Garantie sind nur solche Einwendungen zulässig, die sich aus der Auslegung des Garantietextes selbst ergeben (6 Ob 105/05t mwN; RIS‑Justiz RS0016992). Es ist gerade der Sinn einer solchen Garantie, dem Begünstigten eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung zu gewährleisten (RIS‑Justiz RS0016992). Streitigkeiten sollen erst nach der Zahlung abgewickelt werden.

7.1. Der Begünstigte aus einer Bankgarantie ist aber dann nicht schutzwürdig, wenn er eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl eindeutig feststeht, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten hat und ihm die Inanspruchnahme des Garanten deshalb als Rechtsmissbrauch vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0018006). Ist hingegen die Abrufung der Bankgarantie aufgrund einer vertretbaren Auslegung des im Valutaverhältnis abgeschlossenen Vertrags erfolgt, liegt kein Rechtsmissbrauch vor (RIS-Justiz RS0016950).

7.2. Für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs kommt es auf den Wissensstand bzw die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an (RIS-Justiz RS0017042). Ein Missbrauchsfall liegt nur dann vor, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist. Hält sich der Begünstigte hingegen aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RIS-Justiz RS0017997).

8. Die Auslegung der vorliegenden Garantieerklärungen und die Beurteilung, ob die für die Annahme von Rechtsmissbrauch geforderten Voraussetzungen vorliegen oder nicht, sind jeweils Fragen des Einzelfalls, die beide in der Regel die Voraussetzungen des § 502 (hier: § 528) Abs 1 ZPO nicht begründen (zur Auslegung der Bankgarantie 3 Ob 213/11m; 6 Ob 108/10s; zum Rechtsmissbrauch beim Abruf der Bankgarantie: 9 Ob 112/06w; 10 Ob 41/05k). Eine als unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz, die entgegen dem Regelfall die Zulässigkeit des Revisionsrekurses rechtfertigen könnte, zeigt die gefährdete Partei nicht auf.

9. Die von der gefährdeten Partei mehrfach bemühte und als (negative) Ziehungsvoraussetzung sowie als doppelte Effektivklausel bezeichnete Textpassage kann demgegenüber zwanglos entsprechend dem Ergebnis des Rekursgerichts auch als bloßer Verweis auf die textgleich in den „GC“ enthaltene Beschreibung des Garantiefalls erkannt werden. Dem Wortlaut der Garantieerklärung lässt sich nämlich definitiv nur entnehmen, dass den Zahlungsaufforderungen „eine Kopie (der) Benachrichtigung des Auftragnehmers gemäß Punkt 13.4.1.“ anzuschließen war. Im Übrigen enthalten die Bankgarantien allesamt die ausdrückliche Zusage der Bank auf Zahlung des jeweils garantierten Betrags allein aufgrund einer ordnungsgemäß ergangenen Aufforderung, „ohne eine Berechtigung die Rechtsmäßigkeit der Aufforderung zu dieser Zahlung zu hinterfragen“. Die gefährdete Partei versucht daraus insgesamt abzuleiten, dass die Bank als Negativvoraussetzung das Unterbleiben von „entsprechenden Schritten“ (zur Behebung von Mängeln), insbesondere durch Rückfrage bei der gefährdeten Partei selbst, hätte prüfen müssen. Wenn sich das Rekursgericht diesem, die Bankgarantie praktisch gänzlich entwertenden Verständnis nicht angeschlossen hat, sondern im Garantiewortlaut einen schlichten Hinweis auf die einschlägige Vertragspassage im Valutaverhältnis sah (vgl dazu RIS-Justiz RS0016997 [T3]) und sich im Übrigen auf die der Garantin ausdrücklich fehlende Berechtigung stützte, die Rechtsmäßigkeit der Aufforderung zur Zahlung zu hinterfragen, ist darin jedenfalls kein als unvertretbar aufzugreifendes Auslegungsergebnis zu erkennen.

10. Die vorliegenden, den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen über die Behandlung der von der Gegnerin der gefährdeten Partei zahlreich und immer wieder gerügten Mängel, erweisen den Schluss der Vorinstanzen, dass die Gegnerin der gefährdeten Partei die Maßnahmen der Auftragnehmer nicht als „entsprechende Schritte für die Behebung“ der reklamierten Mängel ansehen musste, als jedenfalls vertretbar, was die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ausschließt. Dieser lässt sich auch nicht nachvollziehbar allein mit der Insolvenz der Gegnerin der gefährdeten Partei begründen. Das von der gefährdeten Partei dazu noch ins Treffen geführte Missverhältnis zwischen dem Gesamtbetrag der von der Gegnerin der gefährdeten Partei gezogenen Bankgarantien und dem von dieser im Schiedsverfahren angeblich für dieselben Mängel beanspruchten Betrag ist eine unzulässige Neuerung und durch keine diese Behauptung tragenden Feststellungen gedeckt.

11. Nach Punkt 3.9.1 der „GC“ sollen dann, wenn der Auftragnehmer ‑ wie hier ‑ aus einem Joint Venture von zwei (oder mehreren) Personen besteht, „alle diese Unternehmen gemeinsam vom Auftraggeber zu der Ausführung der Vertragsbedingungen verpflichtet werden“. Der daraus von den Vorinstanzen gezogene Schluss, es komme bei der Ziehung einer von einem Auftragnehmer gestellten Bankgarantie nicht darauf an, dass der betreffende Mangel gerade sein Gewerk betreffe, ist jedenfalls nicht unvertretbar, ergeben sich doch für das von der gefährdeten Partei gewünschte gegenteilige Verständnis keine zwingenden Anhaltspunkte aus dem Inhalt der Garantieerklärungen, den „GC“ oder den „SC“.

12. Die von der gefährdeten Partei letztlich noch behaupteten sekundären Feststellungsmängel sind, soweit sie die Verantwortlichkeit der Auftragnehmer für die einzelnen Mängel betreffen, nicht entscheidungswesentlich (vgl Punkt 11.) und beinhalten im Übrigen von der gefährdeten Partei gewünschte rechtliche Schlussfolgerungen, die nicht Gegenstand von Feststellungen sein können.

13.  Insgesamt halten sich die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen vertretbarer Erklärungs- und Vertragsauslegung sowie der bezeichneten Rechtsprechungsgrundsätze. Der Revisionsrekurs vermag keine eine erhebliche Rechtsfrage begründenden Bedenken aufzuzeigen; er ist daher unzulässig und zurückzuweisen.

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