OGH 1Ob318/75

OGH1Ob318/7522.12.1975

SZ 48/142

Normen

WechselG Art1 Z6
ZPO §411
WechselG Art1 Z6
ZPO §411

 

Spruch:

Im Text eines Wechsels kann die fehlende Angabe des Remittenten nicht durch das erste Indossament ersetzt werden, selbst wenn dieses vom Aussteller herrührt

Die Bindungswirkung einer Entscheidung beschränkt sich als Folge der Rechtskraft grundsätzlich auf die Parteien und den "geltend gemachten Anspruch", über den im Urteil entschieden wurde

Soweit die beiden Begehren nicht identisch oder ihre bloße Negation sind, muß wenigstens Präjudizialität derart vorliegen, daß der rechtskräftig entscheidende Anspruch eine Vorfrage, also das bedingende Rechtsverhältnis für den neuen Anspruch ist, so daß über den neuen Anspruch nur dann entschieden werden kann, wenn gleichzeitig als Voraussetzung hiefür über den rechtskräftig entschiedenen Anspruch erkannt wird

OGH 22. Dezember 1975, 1 Ob 318/75 (OLG Wien 2 R 141/75; HG Wien 15 Cg 3/75)

Text

Gegen den von der Ausstellerin erwirkten Wechselzahlungsauftrag erhob die beklagte Akzeptantin eine Reihe von Einwendungen, wobei sie "vorsichtshalber" auch die Gültigkeit des Wechsels bestritt. Dieser Einwendung blieb vor dem Erstgericht, das ein weitwendiges Verfahren in anderen Richtungen führte, ohne nähere Präzisierung, doch gelangte nach Richterwechsel das Erstgericht auf ihrer Grundlage zur Aufhebung des Wechselzahlungsauftrages. Er stellte fest, daß der am 1. September 1969 in Wien ausgestellte Wechsel auf seiner Vorderseite u. a. folgenden Text enthält: "Gegen diesen Wechsel - erste Ausfertigung - zahlen Sie am 1. Dezember 1969 an ..." (keine EinsetzungÜ) "DM 500.000.- ...". Auf der Rückseite des Wechsels befindet sich u. a. (als erste Eintragung nach den aufgeklebten Steuermarken) die von der Klägerin unterschriebene "Order L & L Niederlassung der Berliner Handels-Gesellschaft", sodann ein weiteres Indossament der ersten Indossatarin L & L vom 30. Oktober 1969 an die Bank of America N. T. & S. A., Wien, mit dem Beisatz "Wert zum Einzug", und schließlich der Wechselprotest des Wiener Notars Dr. H vom 3. Dezember 1969 bei der Beklagten. Mit Quittung vom 28. Jänner 1972 bestätigte die Berliner Handels-Gesellschaft - Frankfurter Bank - Filiale Hannover, von der Notarin K für die Klägerin den jetzigen Klagsbetrag von 269.097.33 DM auf den gegenständlichen Wechsel erhalten zu haben.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes fehlt im vorliegenden Fall die nach Art. 1 Z. 7 WG zur Gültigkeit des Wechsels erforderliche Angabe des Namens dessen, an den oder an dessen Order gezahlt werden soll (Remittent). Dieser könnte zwar auch auf der Rückseite des Wechsels angegeben werden, doch müsse dies in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise geschehen. Hier enthalte die Rückseite des Wechsels Indossamente, aber ebenfalls nicht die Angabe des Remittenten. Der Wechsel sei daher ungültig.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es hielt die Einwendung, daß der Wechsel ungültig sei, für hinreichend substantiiert, um die Gültigkeitserfordernisse in gleicher Weise zu überprüfen, wie es schon vor Erlassung des Wechselzahlungsauftrages zu geschehen gehabt hätte, und trat der Rechtsansicht des Erstrichters bei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionsgrunde werden in der Revision nicht getrennt ausgeführt. Dies schadet nicht, soweit sich die Zugehörigkeit der Ausführungen zu dem einen oder anderen Revisionsgrund erkennen läßt (§ 506 Abs. 1 Z. 2 ZPO; JBl. 1957, 556; EvBl. 1957/208 u. v. a.).

In diesem Sinn ist die Behauptung eines Mangels des Berufungsverfahrens nur in der Richtung erkennbar, daß das Berufungsgericht die Einwendung, der Klagswechsel sei ungültig, statt als "leere" Einwendung für genügend substantiiert angesehen habe. Dieser Rüge kommt schon deswegen keine Berechtigung zu, weil die angebliche Verletzung der Eventualmaxime durch Berücksichtigung zusätzlicher Umstände nur einen nicht mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrensmangel darstellen könnte (3 Ob 103/72, 5 Ob 57/75), Verfahrensmängel jeder Art aber in einem nicht vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren in dritter Instanz nicht mehr wahrgenommen werden können, wenn sie infolge einer in der Berufung erhobenen Mängelrüge bereits vom Berufungsgericht verneint wurden (JBl. 1972, 569 u. v. a.). Es bleibt deshalb nur am Rande zu bemerken, daß die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die erfolgte Bestreitung der Gültigkeit des Wechsels sei mehr als eine leere Einwendung, mit Rücksicht darauf keinen Bedenken begegnet, daß damit die vollständige Erfüllung aller jener Gültigkeitsvoraussetzungen bestritten wurden, die schon bei der Erlassung des Wechselzahlungsauftrages zu prüfen waren und allein auf Grund der Urkunde neuerlich geprüft werden konnten.

Auch das Vorliegen einer "rechtskräftig entschiedenen Streitsache" hat das Berufungsgericht, und zwar nach richtiger Bemerkung der Revisionsgegnerin sogar zum Vorteil der Klägerin, deren Klagsführung sonst unzulässig wäre, mit Recht verneint. Das Verfahren beim Landgericht Hannover war nicht zwischen den Parteien dieses Rechtsstreites anhängig. Soweit die Revisionswerberin Folgerungen zu ihren Gunsten aus der Rechtskraft jenes Urteiles ableitet, weil an dem dortigen Verfahren die Streitteile des vorliegenden Prozesses als zur ungeteilten Hand Beklagte beteiligt waren, schneidet sie die Frage der Bindungswirkung an, die zur Rechtsrüge gehört und mit ihr zu prüfen sein wird. Die Beantwortung einer solchen Rechtsfrage durch das Berufungsgericht kann andererseits nicht aktenwidrig sein, so daß der nur in dieser Richtung geltend gemachte Revisionsgrund nach § 502 Z. 3 ZPO ebenfalls nicht vorliegt.

Die Rechtsrüge der Revisionswerberin ist entgegen der Meinung der Beklagten nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil nur der Revisionsantrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gestellt wurde. Wohl entspricht im allgemeinen der Geltendmachung der Rechtsrüge ein Abänderungsantrag; wenn aber bei richtiger rechtlicher Beurteilung Feststellungsmängel vorliegen, kommt nur die Aufhebung in Betracht. Dieser Fall läge hier vor, weil bei Gültigkeit des Wechsels erst nach Feststellungen zur Sache über alle weiteren Einwendungen der Beklagten entschieden werden könnte.

Die Anwendung des österreichischen Wechselgesetzes für die Prüfung der Vollständigkeit der Wechselausstellung ist im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf den Ausstellungsort Wien durch Art. 92 WG gerechtfertigt (SZ 35/117) und wird in der Revision als richtig anerkannt.

Das in der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der ersten Indossatarin L & L gegen beide jetzigen Streitparteien ergangene Wechsel-Vorbehaltsurteil steht einer selbständigen Prüfung der Frage nach der formellen Gültigkeit des Wechsels nicht im Wege. Die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteiles - unter welchen Voraussetzungen es ausländische Erkenntnisse sein können (vgl. dazu Fasching III, 699), bedarf hier wegen ihrer Verneinung keiner Prüfung - derart, daß die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung eines rechtskräftig entschiedenen Anspruches bei der Entscheidung über ein neues begrifflich aber untrennbar mit dem Inhalt der rechtskräftigen Vorentscheidung zusammenhängendes Klagebegehren ausgeschlossen ist (Fasching III, 694), beschränkt sich als Folge der Rechtskraft grundsätzlich auf die Parteien und den "geltend gemachten Anspruch", über den im Urteil entschieden wurde (Fasching III, 708, 727). Soweit die beiden Begehren nicht identisch oder ihre bloße Negation sind, muß wenigstens Präjudizialität derart vorliegen, daß der rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage, also das bedingende Rechtsverhältnis für den neuen Anspruch ist, so daß über den neuen Anspruch nur dann entschieden werden kann, wenn gleichzeitig als Voraussetzung hiefür über den rechtskräftig entschiedenen Anspruch erkannt wird (Fasching II, 705.). Sogenannte Vorfragenentscheidungen innerhalb eines Urteiles sind hingegen der Rechtskraft nicht fähig (SZ 25/121; SZ 41/103 u. v. a.). Über diesen engen Kreis der prozessualen Bindungswirkung als Folge der Rechtskraft hinaus äußern gerichtliche Entscheidungen allerdings auch eine sogenannte Tatbestands- oder Reflexwirkung. Die Tatsache, daß ein Urteil zwischen den Parteien des Vorprozesses ergangen ist, muß - nach Maßgabe des Spruches dieser Entscheidung - auch von jedem Dritten in jenem Umfang hingenommen werden, als damit neue rechtliche Voraussetzungen sei es für die Bildung neuer Privatrechtsansprüche, sei es für deren Änderung oder Erlöschen geschaffen wurden (Fasching II, 745; SZ 43/47 u. a.).

Weder die Bindungs- noch die Tatbestandswirkung kommen aber hier der Revisionswerberin zugute. Zunächst ist der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen unrichtig, daß das Urteil im Vorprozeß zwischen ihr und der Beklagten Rechtskraft bewirke, weil beide auch im Vorprozeß Partei waren. Die Streitteile standen einander dort nicht als Kläger und Beklagter gegenüber, sondern waren nebeneinander, aus verschiedenen selbständigen Wechselkripturakten (vgl. RZ 1970, 43), beklagt. Jeder von ihnen hatte die freie Wahl der Mittel zur Abwehr des klägerischen Anspruches. Auch das Urteil im Vorprozeß hat nicht über Ansprüche zwischen den nunmehrigen Streitteilen entschieden, sondern über jene Klagsansprüche, die dort von einem Dritten gegen die beiden nunmehrigen Streitteile aus verschiedenen Rechtsgrunden erhoben wurden. Da die Rechtskraft grundsätzlich - ein Fall sogenannter erweiterter Rechtskraft liegt hier nicht vor - nur zwischen den Parteien des Vorprozesses wirkt, bindet das verurteilende Erkenntnis die Streitteile nicht in der Frage eines Regreßanspruches, zumal die Revisionswerberin durch die Einlösung des Wechsels den Anspruch des seinerzeitigen Wechselklägers getilgt hat und nicht in seine Rechte eingetreten ist, sondern ihre eigenen, selbständigen Wechselansprüche (s. Art. 7 WG) wieder aufgelebt sind (ZBl. 1910/415; vgl. auch SZ 8/253 und SZ 41/183). Die Tatbestandswirkung aber erschöpft sich darin, daß die Revisionswerberin (ebenso wie die Beklagte) aus dem Wechsel zu einer Leistung verpflichtet wurden (vgl. SZ 14/13), hingegen sagt der maßgebliche Spruch der Vorentscheidung nichts über die Haupt- oder die Vorfragen eines Regreßanspruches zwischen den nunmehrigen Streitteilen aus.

Zur Sache selbst ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, daß der im vorliegenden Fall auf die Beklagte gezogene Wechsel nach Art. 1 Z. 6 Wechselgesetz 1955 den Namen dessen enthalten muß, an den oder an dessen Order gezahlt werden soll, und daß das Fehlen dieses Bestandteiles der Urkunde nach Art. 2 Abs. 1 WG die Eigenschaft als Wechsel nimmt (SZ 23/247). Unbekämpft ist allerdings auch die weitere rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß dieser zwingende Inhalt des Wechsels nicht auf der ersten Seite enthalten sein muß, sondern auch auf der Rückseite aufscheinen kann. Der Streit geht nur noch um das Maß der Strenge, mit der der Inhalt des ersten, von der Ausstellerin herrührenden Indossamentes darauf zu prüfen ist, ob hieraus die Ergänzung auch auf den Namen des Remittenten ableitbar ist.

Soweit die Revisionswerberin meint, daß zur Auslegung des Urkundeninhaltes die Ergebnisse des Beweisverfahrens zu berücksichtigen seien, kann ihr nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß die Behauptung, aus diesem Beweisverfahren habe sich der Wille der Ausstellerin ergeben, das Bankhaus L & L als Remittenten zu bezeichnen, in unzulässiger Weise eine Annahme zugrunde legt, die sich in den Urteilsfeststellungen nicht findet, ist es einheitliche Lehre und Rechtsprechung, daß sich wegen der formellen Wechselstrenge der notwendige Inhalt des Wechsels unter Berücksichtigung der Verkehrssitte aus der Urkunde selbst eindeutig feststellen lassen muß, so daß im besonderen auch die notwendige Bezeichnung des Remittenten, wenn er etwa auf der Rückseite des Wechsels angeführt sein soll, in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise schon in der Urkunde zum Ausdruck gebracht werden muß (Stanzl, Wechsel-, Scheck- und sonstiges Wertpapierrecht, 23, 33; Kapfer, Handkomm. zum Wechselgesetz, 22, 38; Stranz WG[14], 39; JBl. 1957, 294 u. v. a.). Ein nicht schon aus der Urkunde eindeutig entnehmbarer Wille der Klägerin, den Remittenten zu bezeichnen, wäre deshalb unbeachtlich.

Der Revisionswerberin kann dahin gefolgt werden, daß der vorliegende, auf der Vorderseite hinsichtlich des Remittenten nicht ausgefüllte Wechsel als Blankett einer nachträglichen Ergänzung im Sinne des Art. 10 WG zugänglich gewesen wäre, zumal von der Beklagten nicht einmal behauptet wurde, daß die Ausstellerin von der Vollständigkeit des Wechsels ausgegangen sei. Im Einklang mit dem bereits den Gesagten steht weiters die Rechtsansicht der Revision, daß es genügt, wenn der Wechsel den Namen des Remittenten auf der Rückseite zweifelsfrei bezeichne. Letzteres wird von der Revisionswerberin nicht aus dem Stempelaufdruck "Order ..."

abgeleitet, von den zugegeben wird, daß er bloß als Indossament gewertet werden könne. Die Revisionswerberin vertritt zusammenfassend den Standpunkt, daß aus diesem ersten Indossament, weil es von der Ausstellerin stammt und unmittelbar nach den Stempelmarken folge, selbst bei Beachtung des Grundsatzes der förmlichen Wechselstrenge eindeutig hervorgehe, daß die Ausstellerin auch die erste Wechselnehmerin gewesen sein müsse, so daß die eindeutig bloß versehentlich unterlassene Beifügung der Worte "an eigene Order" durch das erste Indossament mit Sicherheit ergänzt werde.

Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Eine von der Revisionswerberin zitierte französische Entscheidung aus dem Jahre 1940 ist unverwertbar, weil dort aus "der gesamten Wechselurkunde" entnommen worden sein soll, daß der Aussteller die ihm vorbehaltene Bezeichnung des ersten Wechselnehmers mit dem ersten Indossament nachgeholt habe, der nähere Inhalt dieser Urkunde aber nicht angeführt wird. Deutsche Entscheidungen haben die hier interessierende Frage offenlassen können, weil in den zugrunde liegenden Fällen jeweils zwischen den aufgeklebten Steuermarken und dem ersten Indossament eine - übrigens auch im vorliegenden Fall wenn auch in geringerem Maße vorhandene - Lücke blieb, die eine Auslegung dahin offen ließ, daß damit für ein weiteres Indossament des ungenannten ersten Wechselnehmer Platz gelassen werden sollte (RGZ 130, 82; RGZ 136, 207; BGH IntRspr GEW II, 18). Mangels einer Stellungnahme zu der hier strittigen Frage läßt sich aus dieser Judikatur somit nichts gewinnen. Hingegen vertreten Stanzl (50) und Kapfer (39) die Meinung, daß die fehlende Angabe des Remittenten nicht durch das erste Indossament ersetzt werden könne, selbst wenn dieses vom Aussteller herrührt. Der OGH findet sich durch die Revisionsausführungen nicht veranlaßt, von dieser Lehrmeinung abzugehen. Stellt ein Wechselskripturakt nach Inhalt und Stellung innerhalb der Urkunde ein Indossament dar, so kann dieser Erklärung eine darüber hinausgehende Bedeutung nur ausnahmsweise dann beigelegt werden, wenn ein solcher weiterer Inhalt zweifelsfrei zum Ausdruck kommt. Das bloße, durch keinen sonstigen Hinweis ergänzte Indossament des Ausstellers stellt aber entgegen der Meinung der Revisionswerberin keineswegs klar, daß damit zugleich eine nachträgliche Bestimmung des Wechsels an die eigene Order verfügt werde. Das Gegenteil gesteht die Klägerin sogar selbst zu, wenn sie an anderer Stelle der Revision (6 f.) den ersten Indossatar, nämlich das Bankhaus L & L, als den eindeutig gewollten Remittenten bezeichnet. Ebenso aber ist ein Übersehen der Notwendigkeit der Ergänzung des Urkundeninhaltes denkbar, also gerade das Fehlen der Absicht, mehr als das Indossament vorzunehmen.

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