OGH 4Ob519/62

OGH4Ob519/6220.11.1962

SZ 35/117

Normen

WechselG Art2 (3)
WechselG Art69
WechselG Art76 (4)
WechselG Art92 (1)
WechselG Art2 (3)
WechselG Art69
WechselG Art76 (4)
WechselG Art92 (1)

 

Spruch:

Über die Frage, ob ein gültiger Wechsel vorliegt, entscheidet das Recht des Staates, in dem der Aussteller seine Unterschrift auf den Wechsel gesetzt hat. Die Vermutung des Art. 76 (4) WG. ist auch der Lösung kollisionsrechtlicher Normen zugrunde zu legen. Ist ein Wechsel zwar vorhanden, aber infolge einer Änderung ungültig geworden, bleibt die Wechselverpflichtung bestehen, der Inhaber kann gegen Aushändigung der Urkunde ohne Kraftloserklärung Zahlung verlangen.

Entscheidung vom 20. November 1962, 4 Ob 519/62.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Wechsel hat folgenden rechtserheblichen Inhalt:

"......... il 13 Marzo 1961 Al 20 Maggio 1961 paghero per questa

cambiale alla ditta MODE L. DI A. M. MILANO - la somma di Lire It.

165.782. Domic. Stamp: H. P. Alla

St. Import-Ges. Österreichische L.-Bank Wien, W.-Straße

6a Wien, Wien, W.-Straße 17 Unterschrift

PAGABILE PRESSO M. M. VIA DONATELLO No 2; MlLANO."

Das Erstgericht erließ gegen den Beklagten H. P. einen Wechselzahlungsauftrag auf Bezahlung von 165.782 Lit. samt 6% Zinsen seit 21. Mai 1961 sowie der Protest- und Retourspesen von 3148 Lit. in österreichischen Schillingen zum Tageskurs der Wiener Börse, Devise, Ware, Rom, am Zahlungstag.

Der Beklagte erhob rechtzeitig Einwendungen und brachte vor, daß der Wechsel der Mode L. di A. M., M., für künftige Warenlieferungen gegeben worden sei, zu denen es wegen Abbruches der Geschäftsverbindung im Mai 1961 nicht mehr gekommen sei. Er habe als Zahlstelle die L.-Bank Wien angegeben, bei der der Wechsel im Falle weiterer Warenlieferung auch eingelöst worden wäre. Die zweite Zahlstelle sei ohne sein Wissen nach Unterfertigung des Wechsels durch ihn eingesetzt worden und sei ihm unbekannt.

Die klagende Partei entgegnete, daß die Einwendungen unerheblich seien, weil die Behauptung fehle, daß sie beim Erwerb des Wechsels bewußt zum Nachteil des Wechselschuldners gehandelt habe.

Das Erstgericht hob den Wechselzahlungsauftrag auf, weil der Wechsel zufolge der Anführung von zwei Zahlstellen ungültig sei. Der Beklagte habe auf die Verschiedenheit der Zahlungsorte verwiesen. Das Gericht habe daher auch die sich daraus ergebende Rechtsfrage lösen müssen. Der ungültige Wechsel sei keine geeignete Grundlage für einen Wechselzahlungsauftrag. Werde diese Rechtsansicht nicht geteilt, müßte der Wechselzahlungsauftrag aufrechterhalten werden, weil der Beklagte den schlechtgläubigen Erwerb der klagenden Partei nicht eingewendet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge. Es hat das Ersturteil im Ausspruch über die Aufhebung des Wechselzahlungsauftrages bezüglich der Verpflichtung zur Zahlung von Protest- und Retourspesen im Betrag von 3148 Lit. bestätigt, im übrigen jedoch dahin abgeändert, daß der Wechselzahlungsauftrag in seinem weiteren Teil, das ist im Ausspruch auf Zahlung der Wechselsumme von 165.782 Lit. samt Zinsen und Kosten, aufrechterhalten wird. Nach dem Vorbringen des Beklagten habe sich der Vermerk über die zweite Zahlstelle zur Zeit der Abgabe seiner wechselmäßigen Verpflichtungserklärung noch nicht auf dem Wechsel befunden. Er habe daher seine schriftliche Wechselverpflichtung auf einem den Formvorschriften entsprechenden und damit gültigen Wechsel abgegeben. Seine wirksame Wechselverpflichtung sei durch die nachträgliche Änderung des Wechselinhaltes nicht aufgehoben worden, sondern bleibe der Beklagte auch den Wechselinhabern, die den Wechsel nach der Änderung erworben haben, nach seiner Wechselerklärung wechselmäßig verpflichtet. Die Vorlage des Wechsels zur Zahlung habe allerdings dem Beklagten gegenüber nicht in M. rechtswirksam erfolgen können. Zur Geltendmachung des wechselmäßigen Anspruches gegen den Aussteller eines eigenen Wechsels sei aber eine rechtzeitige Protesterhebung nicht erforderlich. Da der Beklagte nur Einwendungen aus dem Grundgeschäft mit dem Vormann der Klägerin erhoben habe, ohne aber zu behaupten, daß die klagende Partei beim Erwerb des Wechsels bewußt zu seinem Nachteil gehandelt hätte, könnten diese Einwendungen dem wechselmäßigen Anspruch der klagenden Partei nicht entgegengehalten werden. Es sei auch nicht eingewendet worden, daß das Wechselgeschäft nach italienischem Recht zu beurteilen und darnach seine Wechselverpflichtung aus formellen oder materiellen Gründen nicht gegeben wäre. Der Anspruch der klagenden Partei auf die Wechselsumme und Zinsen bestehe daher zu Recht, nicht aber der Anspruch auf die Protest- und Retourspesen, da die Vorlage des Wechsels nicht an dem für den Beklagten allein gültigen Zahlungsort erfolgt sei.

Der Oberste Gerichtshof hielt den Wechselzahlungsauftrag des Erstgerichtes hinsichtlich der Wechselsumme von 165.782 Lire samt 6% Zinsen seit 15. Jänner 1962 aufrecht und hob ihn hinsichtlich der übrigen Nebengebühren auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision ist teilweise begrundet.

Zu folgen ist der Revision in der Auffassung, daß wegen der internationalen Beziehungen, die sich schon aus dem Wechselbild ergeben, von Amts wegen geprüft werden muß, ob österreichisches oder italienisches Recht anzuwenden ist. Da zunächst die Frage zu lösen ist, ob ein gültiger Wechsel vorliegt, handelt es sich insoweit um die Formgültigkeit des Grundwechsels. Darüber entscheidet das Recht des Staates, in dem der Aussteller die Erklärung unterschrieben, also seine Unterschrift auf den Wechsel gesetzt hat (Art. 92 (1) WG. = Art. 3 (1) des Abkommens über Bestimmungen auf dem Gebiete des internationalen Wechselprivatrechts; Josef Hupka, Das einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge, Wien 1934, S. 246; Stanzl, Wechsel-, Scheck- und sonstiges Wertpapierrecht, 106).

Dazu ergibt sich hier die Schwierigkeit, daß im Wechsel ein Ausstellungsort nicht angegeben ist. In einem solchen Fall greift Art. 76 (4) WG. ein, wonach ein eigener Wechsel ohne Angabe des Ausstellungsorts als ausgestellt an dem Ort gilt, der bei dem Namen des Ausstellers angegeben ist. Bei dem Namen des Ausstellers ist hier der Ort "Wien" angegeben. Der Wechsel hat daher gemäß Art. 76

(4) WG. als in Wien ausgestellt zu gelten. Die Vermutung des Art. 76

(4) WG., durch die eine Nichtigkeit des Wechsels vermieden werden soll, auch der Lösung kollisionsrechtlicher Fragen zugrunde zu legen, ist sachgemäß, weil es Unklarheiten schaffen würde, wenn man gerade in dieser Beziehung sonst geltende wechselrechtliche Normen ausschaltete, ganz abgesehen davon, daß das Gesetz auch keinen Anhaltspunkt für eine bloß beschränkte Anwendung der Vorschrift des Art. 76 (4) WG. bietet. Für ihre Anwendung in dem hier vorliegenden Zusammenhang spricht sich auch Ernst Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht, Berlin 1955, 1015, aus.

Geht man nach dem bisher Gesagten davon aus, daß der Wechsel in Wien ausgestellt, daß er also vom Aussteller in Wien unterschrieben wurde, so ergibt sich, daß österreichisches Recht anzuwenden ist. Der Oberste Gerichtshof verkennt dabei nicht, daß die Frage, ob der urkundliche oder tatsächliche Ausstellungsort entscheidend sei, sehr bestritten ist und von der Genfer Konferenz im zweiten Sinn beantwortet wurde (Comptes rendus 352 ff.; Hupka 249 f. mit weiteren Zitaten), während für die Allgemeine deutsche Wechselordnung die gegenteilige Auffassung galt (Grünhut, Wechselrecht II, 572 mit weiteren Zitaten). Darauf hat aber der Oberste Gerichtshof hier nicht einzugehen, weil die Frage im vorliegenden Rechtsstreit nicht entstanden ist. Die klagende Partei hat nicht behauptet, und es ist auch nicht festgestellt worden, daß entgegen dem Wechselinhalt, wie er gemäß Art. 76 (4) WG. anzunehmen ist, die Ausstellerunterschrift nicht in Österreich, sondern in Italien beigesetzt worden wäre.

Des weiteren spielt die Frage nach den Wirkungen der Verpflichtungserklärung des Ausstellers auf der vorliegenden als eigener Wechsel ausgestellten Urkunde eine Rolle. Diese Wirkungen bestimmen sich nach dem Recht des Zahlungsortes (§ 93 (1) WG.). Auch hier besteht eine Schwierigkeit, weil die Urkunde in ihrer jetzigen Gestalt zwei Zahlungsorte, nämlich Wien und M., aufweist. Dazu hat aber der Beklagte vorgetragen, zur Zeit seiner Unterschrift sei als Zahlungsort nur Wien angegeben gewesen. Das Berufungsgericht ist diesem Vorbringen gefolgt, und die klagende Partei schließt sich ihm in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich an. Daraus folgt, daß zur Zeit der Verpflichtungserklärung des Beklagten als Zahlungsort auf dem damals gültigen eigenen Wechsel Wien angegeben war, so daß auch die Wirkungen der Verpflichtungserklärung des Beklagten nach österreichischem Recht zu beurteilen sind.

Die bisherigen Ausführungen ergeben, daß auf den gesamten Rechtsfall österreichisches Recht anzuwenden ist.

Nach österreichischem Recht ist die Urkunde, wie sie jetzt vorliegt, kein gültiger Wechsel, weil sie zwei Zahlungsorte, nämlich Wien und M., nennt. Zur Begründung dieser Rechtsmeinung kann der Oberste Gerichtshof auf seine Entscheidung SZ. XXXI 132 = JBl. 1959, 212 = Unidroit, Institut International pour l'Unification du Droit Prive, Jurisprudence du droit uniforme 1959, 117, verweisen. Durch die Hinzufügung des zweiten Zahlungsortes ist der zunächst gültige Wechsel vernichtet worden, das heißt, es liegt nunmehr kein gültiger Wechsel mehr vor (Hans Schumann, Die Fälschung nach dem neuen Wechsel- und Scheckrecht, Berlin - Köln (Nachdruck 1956) S. 72;

Martin Stranz, Wechselgesetz[14], Berlin 1952, Art. 69 Anm. 3; P. Lescot - R. Roblot, Les Effets de commerce, Paris 1953, nö. 767;

Stanzl 46 f.).

Aus der eben gewonnenen Erkenntnis, daß kein gültiger Wechsel mehr besteht, ist allerdings nicht abzuleiten - wie dies das Erstgericht und der Beklagte ohne weiteres tun -, daß die Wechselverpflichtung des Ausstellers erloschen ist.

Im Wechselgesetz ist die Frage, was hinsichtlich der Verpflichtung aus einem zunächst gültigen Wechsel dann rechtens sein soll, wenn der Wechsel durch eine Änderung ungültig gemacht wird, nicht ausdrücklich gelöst. Für Art 69 WG. ist es aber völlig herrschende Auffassung, daß auch dann, wenn der ursprüngliche Wechseltext entfernt oder unleserlich gemacht worden ist, der Wechselschuldner weiterhin gemäß dem ursprünglichen Text haftet (Josef Hupka, Das einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge, Wien 1934 S. 26; Stranz, Art. 69 Anm. 3; Adolf Baumbach - Wolfgang Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz[7], München und Berlin 1962, Art. 2 Anm. 2; Lescot - Roblot no. 767). Die Wechselverpflichtung besteht daher weiter, ohne daß der Wechsel, aus dem diese Verpflichtung ersichtlich ist, vorgelegt werden kann. In dem hier zu entscheidenden Fall ist ebenfalls, wie im Falle der Änderung, durch die der ursprüngliche Wechseltext beseitigt worden ist, noch immer das Papier als solches vorhanden. Der Unterschied liegt nur darin, daß dieses Papier nicht mehr als Wechsel gültig ist. Dieser Umstand vermag für sich allein keinen genügenden Grund dafür abzugeben, daß die gültig übernommene Wechselverpflichtung erloschen wäre. Warum sollte dann, wenn ein Teil des verpflichtenden Wechseltextes durch eine Änderung beseitigt ist, der Schuldner weiterhaften, dann aber, wenn dieser Text vorhanden und der Wechsel durch einen Zusatz ungültig gemacht worden ist, frei werden? Eine solche Lösung ließe sich weder juristisch noch wirtschaftlich vertreten. Irgendwelche andere Erlöschungsgrunde für die Wechselverpflichtung, wie etwa die Zahlung, sind aber gar nicht behauptet worden.

Zu prüfen ist weiters, ob nicht infolge der Vernichtung des Wechsels nur noch die Möglichkeit der Kraftloserklärung bleibt (so Schumann 72 f.; Stranz, Art. 69 Anm. 3). Dazu muß auf den Zweck des Aufgebotsverfahrens zurückgegangen werden. Der Bezogene braucht nur gegen Aushändigung des quittierten Wechsels zu zahlen (Art. 39 (1) WG.). Um im Falle des Verlustes oder der Vernichtung der Urkunde dem Inhaber die Geltendmachung seiner Wechselrechte möglich zu machen, tritt an die Stelle des Wechsels der Kraftloserklärungsbeschluß. Der Schuldner kann und muß nunmehr zahlen, weil nicht mehr die Gefahr besteht, daß er gegen Vorlage des noch vorhandenen Wechsels ein zweites Mal zahlen müßte. Eine solche Gefahr besteht aber hier von vornherein nicht, weil ohnedies feststeht, daß die Urkunde - allerdings in veränderter Gestalt - vorhanden ist und weil es daher unmöglich ist, daß sie nach ihrer Aushändigung an den Schuldner nochmals vorgelegt werden könnte. Damit ist ein Aufgebotsverfahren sinnlos und überflüssig geworden, wobei die Frage dahingestellt bleiben kann, ob überhaupt eine Vernichtung der Urkunde im Sinne des Kraftloserklärungsgesetzes 1951 angenommen werden könnte.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß dann, wenn eine Wechselverpflichtung gültig begrundet wurde und die Urkunde zwar vorhanden, aber infolge einer Änderung als Wechsel ungültig geworden ist, die Wechselverpflichtung bestehen bleibt und der Inhaber gegen Aushändigung der Urkunde ohne Kraftloserklärung Zahlung verlangen kann (im gleichen Sinn: Ernst Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht, Berlin 1955, 165 ff.; Baumbach - Hefermehl, Art. 2 Anm. 2; siehe aber auch Art. 69 Anm. 2; Peter Jäggi, Die Wertpapiere, Zürich 1959, Art. 971, 972, Anm. 35). Um Mißverständnisse hintanzuhalten, sei noch beigefügt, daß in einem solchen Fall der Kläger das gültige Entstehen der Wechselverbindlichkeit beweisen muß; diesmal hat der Beklagte diesen Umstand zugegeben. Gemäß § 557 ZPO. hätte auch ein Wechselzahlungsauftrag nicht erlassen werden sollen. Dazu hat aber der Beklagte in seinen Einwendungen zwar auf die Verschiedenheit der Zahlungsorte verwiesen, nicht aber geltend gemacht, daß die prozessualen Voraussetzungen für einen Wechselzahlungsauftrag nicht vorlagen.

Der Revision des Beklagten war daher hinsichtlich der Wechselsumme nicht Folge zu geben.

Dagegen ist die Beschwerde des Beklagten gegen den Zuspruch von Zinsen für die Zeit vom 21. Mai 1961 bis 15. Jänner 1962 begrundet. Daß der Wechsel vor der Zustellung des Wechselzahlungsauftrages dem Beklagten an dem für ihn maßgebenden Zahlungsort, nämlich Wien, vorgelegt worden wäre, ist weder behauptet noch festgestellt worden. Der Beklagte wurde daher erst durch die Zustellung des Wechselzahlungsauftrages in Verzug gesetzt. Er hat - entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung - diesen Umstand auch in den Einwendungen geltend gemacht und die Aufhebung des Wechselzahlungsauftrages überhaupt und daher auch hinsichtlich der Zinsen begehrt.

Über die Protest- und Retourspesen ist mangels eines Rechtsmittels gegen das diese Ansprüche abweisende Urteil des Berufungsgerichtes bereits rechtskräftig entschieden.

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