OGH 1Ob169/07w

OGH1Ob169/07w22.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Naji A*****, vertreten durch Mag. Harald Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 6.303,20 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Mai 2007, GZ 14 R 59/07k-13, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Jänner 2007, GZ 30 Cg 15/06f-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.227,50 (darin enthalten EUR 204,58 USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegen den Kläger war beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen des Verdachts des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB anhängig. In der Anklageschrift wurde ihm zur Last gelegt, dass er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Farhad A***** als Mittäter iSd § 12 StGB dem Andreas Erich S***** mit Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe einen Bargeldbetrag von 250 EUR mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Andreas Erich S***** gegen die Brust geschlagen, ihn am Hals gepackt und auf eine Sitzbank gedrückt, ihn unter Vorhalt eines Küchenmessers und durch die Äußerung „Ich stech dich ganz leicht ab. Ich mach dich ganz schnell tot" zur Herausgabe von Bargeld aufgefordert habe, während sein Mittäter das Opfer festgehalten und dessen Taschen durchsucht habe. Der Kläger wurde auf Grund eines vom Landesgericht für Strafsachen Wien erlassenen Haftbefehls wegen des Verdachts des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB in Haft genommen. Mit Beschluss vom 6. 11. 2004 wurde über ihn die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO verhängt. Nach der Haftverhandlung vom 18. 11. 2004, an der der Wahlverteidiger des Klägers teilnahm, wurde die Untersuchungshaft wegen Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt. Der Kläger bestritt von seiner ersten Einvernahme an die gegen ihn erhobene Anschuldigung des schweren Raubes, gestand aber letztlich ein, Andreas Erich S***** geschlagen zu haben. In der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien wurde er wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Der Vollzug dieser Freiheitsstrafe wurde gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Er wurde schuldig erkannt, Andreas Erich S***** vorsätzlich dadurch am Körper verletzt zu haben, dass er ihn gegen die Brust geschlagen, ihn am Hals gepackt und auf eine Sitzbank gedrückt habe, wodurch dieser eine leichte Hautabschürfung an der linken Ellbogeninnenseite sowie Schluckbeschwerden erlitten habe. Die erlittene Vorhaft wurde gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB für den Fall des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Die Geschworenen hatten die erste Hauptfrage nach dem Verbrechen des schweren Raubs gemäß den §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und auch die (erste) Eventualfrage nach dem Verbrechen der schweren Nötigung gemäß den §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB verneint. Nach Ende der Hauptverhandlung wurde der Kläger auf freien Fuß gesetzt. Er hatte sich vom 4. November 2004, 8:50 Uhr, bis 1. Februar 2005, 16:50 Uhr, in Verwahrungs- bzw Untersuchungshaft befunden. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Oktober 2005 wurde der Beitrag zu den Kosten der Verteidigung des Klägers gemäß § 393a Abs 2 StPO mit einem Pauschalbetrag von 1.300 EUR bestimmt. Der Klagevertreter hatte in seiner Honorarnote gegenüber dem Kläger für die von ihm als Verteidiger im Strafverfahren erbrachten Leistungen insgesamt EUR 11.369,44 brutto verzeichnet.

Der Kläger machte - gestützt auf das strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005 - ursprünglich einen Ersatzanspruch in Höhe von 12.613 EUR geltend. Er sei vom Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen und lediglich wegen des Vergehens der leichten Körperverletzung verurteilt worden. Die erlittene Vorhaft sei zwar gemäß § 38 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet worden, diese Anrechnung sei allerdings nur bis zum 4. Dezember 2004, 8:50 Uhr, wirksam. Ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende der Untersuchungshaft, somit 59 Tage lang, habe er sich in ungerechtfertigter Haft iSd § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 befunden. Hätte man ihn von Anfang an nur wegen des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB verfolgt, wäre er niemals in Haft genommen worden. Es sei insofern eine ungerechtfertigte Haft vorgelegen, die seinen Ersatzanspruch rechtfertige. Als angemessene Entschädigung für den Entzug der persönlichen Freiheit im Ausmaß von 59 Tagen sei ein Betrag von 5.900 EUR (100 EUR pro Tag) angemessen. Darüber hinaus stehe ihm unter Berücksichtigung des gemäß § 393a Abs 2 StPO gewährten Pauschalbetrags von 1.300 EUR ein restlicher Kostenersatzanspruch von 6.713 EUR zu.

Die beklagte Partei wendete - soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich - ein, der Ersatzanspruch bestehe bereits dem Grunde nach nicht zu Recht, weil ein solcher nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG nur einer Person gebühre, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommen oder in Haft gehalten und in der Folge durch ein inländisches Strafgericht freigesprochen worden sei. Der Kläger sei aber nicht freigesprochen, sondern wegen des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB verurteilt worden. Es sei nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen, einem verurteilten Straftäter Ersatzansprüche nach dem StEG zu gewähren. Die Haftung des Bundes sei aus diesem Grund unangemessen iSd § 3 Abs 2 StEG. Die Geltendmachung der Ansprüche des Klägers sei außerdem sittenwidrig iSd § 879 ABGB. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von EUR 6.303,20 statt und wies das Mehrbegehren von EUR 6.309,80 - unangefochten - ab. Anzuwenden sei das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005. Ungeachtet des Wortlauts dessen § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 bestehe ein Ersatzanspruch, weil die Verurteilung bloß wegen § 83 Abs 1 StGB materiell einen Freispruch vom wesentlich schwerwiegenderen Vorwurf des schweren Raubes bedeute. Der geltend gemachte ideelle Schadenersatzanspruch gemäß § 5 Abs 2 StEG 2005 für 59 Tage á 100 EUR erscheine durchaus angemessen. Für jene Verteidigerkosten, die auch ohne die Anhaltung entstanden wären, hafte der Bund nicht. Der Ersatzanspruch des Klägers umfasse daher lediglich die Kosten für die Verrichtung der Haftverhandlung in Höhe von 403,20 EUR. Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils gerichteten Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Grundvoraussetzung für das Bestehen des Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 sei ein Freispruch oder die (sonstige) „Außer Verfolgung-Setzung". Der Kläger sei jedoch weder freigesprochen noch außer Verfolgung gesetzt, sondern wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB verurteilt worden. Gegenstand einer Anklage sei immer nur „die Tat" als ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis und nicht deren Qualifikation durch den Ankläger. Das Gericht sei an die durch den Ankläger erfolgte Qualifikation nicht gebunden, woraus sich die Verpflichtung ergebe, den angeklagten Sachverhalt auch dahin zu prüfen, ob er nicht etwa ein anderes Tatbild als das von der Anklage angenommene verwirkliche. Einer Tat für schuldig befunden oder von der Anklage freigesprochen zu werden, sei von der StPO als „kontradiktorisches Gegensatzpaar" angelegt. Schuld- und Freispruch bezögen sich demnach nicht auf die rechtliche Kategorie, sondern auf die Tat, also das unter Anklage gestellte historische Geschehen. Aus diesem Grund komme auch ein Subsumtions- oder Qualifikationsfreispruch nicht in Frage. Den Geschworenen sei im vorliegenden Fall die Alternative eröffnet worden, die strafrechtliche Verantwortung des Klägers auf das vom Anklagevorwurf wegen schweren Raubes mitumfasste Vergehen der Körperverletzung einzuschränken. Ein „Qualifikationsfreispruch" von der rechtlichen Unterstellung durch den Ankläger - als schwerer Raub nach den §§ 142, 143 StGB - sei nicht zu fällen gewesen und auch tatsächlich nicht gefällt worden. Dies bedeute, dass der Kläger von der Tat, derentwegen er angehalten wurde, nicht freigesprochen worden sei. Ein nicht vorzunehmender „Qualifikationsfreispruch" lasse einen Ersatzanspruch nach dem StEG 2005 nicht entstehen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt. Auf den vorliegenden Fall ist bereits das StEG 2005 anzuwenden (§ 14 Abs 1 Z 1 StEG 2005). Gemäß dessen § 2 Abs 1 Z 2 steht „ein Ersatzanspruch nach § 1 Abs 1 nur einer Person zu, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommen oder in Haft gehalten wurde und in der Folge durch ein inländisches Strafgericht freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wurde (ungerechtfertigte Haft). Unstrittig ist, dass ein (formeller) Freispruch durch ein inländisches Strafgericht im vorliegenden Fall nicht ergangen ist. In der Anklageschrift unterblieb eine Anführung des § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO), da bei allen Delikten, bei denen der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu einem höheren Strafsatz führt, die Zufügung einer leichten Körperverletzung nicht echt idealkonkurrierend als zusätzliche Deliktsverwirklichung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB hinzutritt, sondern infolge scheinbarer Idealkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt wird (Fabrizy, StGB9 § 83 Rz 5; Ratz in WK-StGB2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 61). Nachdem für die Unterstellung unter § 142 StGB erforderliche Feststellungen nicht getroffen werden konnten, die Geschworenen aber eine vorsätzliche Verletzung des Tatopfers durch den Angeklagten als erwiesen ansahen, hatte ein „Qualifikations- oder Subsumtionsfreispruch" vom Verbrechen des schweren Raubes nicht zu erfolgen, weil hinsichtlich ein- und derselben Tat im materiellen Sinn als urteilsmäßige Erledigung nur entweder ein Schuldspruch oder ein Freispruch in Betracht kommt (14 Os 84/06v). Ein Freispruch bloß von einer seitens des Anklägers für begründet erachteten Subsumtion der Tat (sogenannter Subsumtions- oder Qualifikationsfreispruch) kommt nach einhelliger Rechtsprechung und dem Großteil der Lehre daher nicht in Frage (15 Os 27, 60/02 = SSt 64/35; RIS-Justiz RS0115553; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521 ff; vgl Schroll, WK-StPO § 34 Rz 46). Wäre der Kläger dennoch von der wider ihn wegen des Verbrechens des schweren Raubes erhobenen Anklage freigesprochen worden, so käme diesem (verfehlten) Freispruch keine rechtliche Relevanz zu. Es bedürfte aber auch nicht dessen (klarstellender) Beseitigung.

Die weitere, im § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 genannte Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs, das „Außer-Verfolgung-Setzen" durch ein inländisches Strafgericht, ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Da die Gesetzesmaterialien zum StEG 2005 zu diesem Begriff keine Ausführungen enthalten, ist auf die Gesetzesmaterialien zum StEG 1969 (1197 BlgNR 11. GP ) zurückzugreifen. Nach diesen umfasste der Begriff „Außer-Verfolgung-Setzung" alle jene Entscheidungen des Staatsanwalts und der Gerichte, mit denen ein Strafverfahren entweder überhaupt nicht eröffnet, oder ein bereits eingeleitetes Verfahren endgültig eingestellt wird, wie etwa die Einstellung der Vorerhebungen nach § 90 StPO, der Voruntersuchung nach § 109 StPO durch den Untersuchungsrichter, oder die Einstellung durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts nach einem Rücktritt des Staatsanwalts von der Anklage nach § 227 StPO (siehe 1197 BlgNR 11. GP 10; Eder-Rieder, Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2005, 44). Misst man dem Begriff des „Außer-Verfolgung-Setzens" weiterhin diesen Inhalt bei - Gegenteiliges ist nicht indiziert -, trifft er auf den vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu, weil hinsichtlich des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB weder eine das Strafverfahren nicht eröffnende oder dieses einstellende (formelle) Entscheidung des Staatsanwalts noch eine solche des Gerichts ergangen ist.

Der Revisionswerber bringt nun vor, der Gesetzgeber des StEG 2005 habe Fälle wie den vorliegenden (materielle „Subsumtions- oder Qualifikationsfreisprüche") offensichtlich nicht bedacht, sodass diese Gesetzeslücke im Wege der Analogie zu schließen sei. Zu beurteilen ist also, ob der Gesetzgeber nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung einen Entschädigungsanspruch in einem Fall wie dem vorliegenden verweigern oder gewähren wollte. Dazu ist vorerst auf die Rechtslage zum (nicht mehr in Geltung stehenden) StEG 1969 einzugehen.

Nach § 2 Abs 1 lit b StEG 1969 bestand ein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte wegen des Verdachts einer im Inland zu verfolgenden strafbaren Handlung von einem inländischen Gericht in vorläufige Verwahrung- oder in Untersuchungshaft genommen und in der Folge in Ansehung dieser Handlung freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt worden ist und der Verdacht, dass der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet oder die Verfolgung aus anderen Gründen ausgeschlossen war.

Oberstgerichtliche Rechtsprechung zu § 2 Abs 1 lit b StEG 1969 besteht für Fälle einer Anklage wegen mehrerer zusammentreffender strafbarer Taten und Fällung eines teils freisprechenden, teils verurteilenden Endurteils: In einem solchen Fall setzte der Entschädigungsanspruch nach dem StEG 1969 nicht voraus, dass der Entschädigungswerber gänzlich freigesprochen oder das Verfahren zur Gänze eingestellt wurde. Eine Entschädigung war auch dann zuzuerkennen, wenn der Freispruch oder die Einstellung nur jene strafbare Tat erfasste, die Anlass zur Haft gegeben hatte. Dass der Entschädigungswerber wegen einer anderen strafbaren Tat verurteilt wurde, die nicht zu seiner Verhaftung geführt hatte, blieb auf den Entschädigungsanspruch ohne Einfluss (12 Os 114/03 ua, Eder-Rieder aaO, 45). Trotz eines Freispruchs bestand aber jedenfalls das Erfordernis der sogenannten „Verdachtsentkräftung". Dieses Erfordernis wurde vom EGMR als mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 EMRK nicht vereinbar angesehen, weil im Anschluss an ein freisprechendes Erkenntnis das Fortbestehen der Verdachtsgründe geprüft und darüber durch staatliche Organe entschieden wurde (ÖJZ 1993, 816; ÖJZ 2001, 155; ÖJZ 2001, 910). Es ergab sich somit die Notwendigkeit einer grundrechtskonformen Neugestaltung der strafrechtlichen Entschädigung (618 BlgNR 22. GP , 3 f; Eder-Rieder aaO, 22). Neben der grundrechtskonformen Verbesserung der Rechtsposition des Geschädigten lag die Zielsetzung des neuen StEG 2005 darin, das Verfahren im Interesse aller Beteiligten zu vereinfachen und zu beschleunigen und unter Bedachtnahme auf moderne zivilrechtliche Grundsätze einen bis dahin im StEG nicht verankerten Ersatzanspruch auf ideelle Schäden anzuerkennen (Eder-Rieder aaO, 22 f).

Im Allgemeinen Teil der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum StEG 2005 (618 BlgNR 22. GP , 3 f) wird dargelegt, dass die strafrechtliche Entschädigung im Gemeinschaftsrecht selbst zwar nicht geregelt sei, sich aber ein Reformbedarf aus der Rechtsprechung des EGMR zur Reichweite der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK und der damit nicht in Einklang stehenden Bestimmung des § 2 Abs 1 lit b StEG 1969 ergebe. Aus dem Besonderen Teil der Regierungsvorlage zu § 2 StEG 2005 geht hervor, dass es hinsichtlich der Anwendungsfälle der ungerechtfertigten Haft zu keinen wesentlichen Änderungen komme, das Erfordernis der Entkräftung des Tatverdachts für die Ersatzpflicht des Bundes als weitere Anspruchsvoraussetzung aber beseitigt werde (siehe auch Heissenberger, Haftentschädigung, 160; Eder-Rieder aaO, 22). Aus welchen Erwägungen die Worte „in Ansehung dieser Handlung" (freigesprochen) entfallen sind, wird von den Gesetzesmaterialien ebensowenig angesprochen wie die Frage der Entschädigungspflicht in Fällen von (nicht zu erfolgenden) „Subsumtions- oder Qualifikationsfreisprüchen". Im Besonderen Teil der Regierungsvorlage wird im Einleitungssatz zu § 2 in teilweiser Wiedergabe des Gesetzestextes lediglich darauf verwiesen, dass ein Ersatzanspruch nur dann bestehe, wenn einer der in § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 angeführten Entschädigungsgründe vorliege.

Erforscht man die Absicht und Zielsetzung des Gesetzgebers des StEG 2005, die darin liegt, die Rechtsposition des Geschädigten hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe zu verbessern und orientiert sich an den vom StEG 2005 angestrebten Lösungen, so ist tatsächlich eine planwidrige Unvollständigkeit („Gesetzeslücke") anzunehmen. Jedenfalls was den Anspruch auf Haftentschädigung anlangt, ist die für den Kläger nach rechtskräftiger Verurteilung wegen § 83 Abs 1 StGB gegebene Situation (materiell) einem (Teil-)Freispruch vom Vorwurf des Verbrechens des Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB gleichzuhalten. Der Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB erfolgte wegen einer Tat, die nicht Anlass zu seiner Verhaftung gegeben hätte. Der Schuldspruch erfasste nicht jene strafbare Handlung (das Verbrechen des schweren Raubes), deretwegen über ihn die Untersuchungshaft verhängt worden war. Dass der Gesetzgeber des StEG 2005 trotz dieser - aus der Sicht eines Ersatzwerbers - gegebenen gleichartigen Situation zu einem (Teil-)Freispruch im Fall einer Realkonkurrenz dennoch in Fällen wie dem vorliegenden generell keinen Entschädigungsanspruch gewähren wollte, ist mangels gegenteiliger Anhaltpunkte in den Gesetzesmaterialien nicht zu vermuten. Weder nach den im StEG 2005 zum Ausdruck kommenden Wertungen, noch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung ist dem Gesetzgeber des StEG 2005 zu unterstellen, dass er in Fällen wie dem vorliegenden einen Ersatzanspruch ausschließen wollte. Der geregelte Fall eines (Teil-)Freispruchs im Fall einer Realkonkurrenz und der ungeregelte Fall der scheinbaren Idealkonkurrenz stimmen in den für den Zuspruch einer strafrechtlichen Entschädigung maßgeblichen Voraussetzungen überein. Es widerspräche dem Sinn des Gesetzes, entfiele der Zuspruch eines Ersatzanspruchs nach dem StEG nur deshalb, weil die der Freiheit beraubte Person „nur" faktisch von dem Vorwurf, der zu ihrer Verhaftung geführt hatte, endgültig „losgelöst", aus rein prozessualen Erwägungen aber nicht „rechtstechnisch" freigesprochen wurde. Ein derartiges Ansinnen kann dem Gesetzgeber schon deshalb nicht unterstellt werden, weil er ausdrücklich „unangemessenen und unbilligen Ergebnissen" begegnen und jede „ungerechtfertigte Haft" abgegolten wissen wollte (618 BlgNR 22. GP , 4 und 7). Jede andere Auslegung würde eine Verschlechterung der zur Zeit der Geltung des StEG 1969 bestandenen Rechtslage bedeuten, die - wie zuvor ausgeführt - einen Entschädigungsanspruch bejahte, wenn die Verurteilung nur wegen einer Tat erfolgte, die nicht Anlass zur Verhängung der Haft gehabt hatte. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die letztlich echt „verbliebene" Straftat des Klägers (§ 83 Abs 1 StGB) keinen Anlass zur Verhaftung gegeben hätte und die Haft sohin im Ergebnis „ungerechtfertigt" war. Die strafrechtliche Einordnung als „einheitliche Tat" kann an der für das StEG maßgeblichen zivilrechtlichen Wertung einer ungerechtfertigten Haft nichts ändern. Zu prüfen bleibt, ob der Ersatzanspruch des Klägers aus den im § 3 Abs 2 StEG 2005 genannten Gründen gemindert oder auch ganz ausgeschlossen werden könnte. Mit der in dieser Regelung enthaltenen „differenzierten Ermessensklausel" soll gänzlich unangemessenen und unbilligen Ergebnissen, bei denen die uneingeschränkte Zuerkennung einer Ersatzleistung - etwa im Hinblick auf eine zunächst erdrückende Beweislage oder bei Vorliegen schwerwiegender Haftgründe - unverständlich wäre, begegnet werden. Im vorliegenden Fall hat das Geschworenengericht der von Anfang an mehr oder weniger gleichlautenden Verantwortung des Klägers letztlich mehr Glauben geschenkt als der gegenteiligen Aussage des Opfers. Damit liegt im Zuspruch einer Haftentschädigung weder unter Bedachtnahme auf die Verdachtslage zur Zeit der Festnahme oder Anhaltung, noch im Hinblick auf die Haftgründe oder jene Gründe, die letztlich zu einer Verurteilung (lediglich) nach § 83 Abs 1 StGB geführt haben, ein unangemessenes oder unbilliges Ergebnis. Dass der Kläger - wie die beklagte Partei vorbringt - ein „verurteilter Straftäter" sei, stellt für sich gesehen noch keinen Grund dafür dar, die Haftung des Bundes gemäß § 3 Abs 2 StEG 2005 zu mindern oder gar ganz auszuschließen. Von einer Sittenwidrigkeit iSd § 879 ABGB kann keine Rede sein, war doch schon nach bisheriger Rechtsprechung Voraussetzung für einen Entschädigunganspruch kein gänzlicher Freispruch und auch keine gänzliche Verfahrenseinstellung, sondern genügte es, wenn sich der (Teil-)Freispruch oder die (Teil-)Einstellung auf jenen Teil der strafbaren Handlungen bezog, der zur Verwahrungs- oder Untersuchungshaft geführt hatte. Dies ist auch nach dem StEG 2005 der maßgebliche Aspekt.

Zur Höhe des Ersatzanspruchs erstattete der Revisionswerber kein Vorbringen mehr, sondern begehrte die Abänderung des Berufungsurteils in dem Sinn, „dass dem erstgerichtlichen Zuspruch stattgegeben werde". Dem tritt die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung nicht mehr entgegen.

Dies führt in Stattgebung der Revision zur Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

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