OGH 18OCg2/24d

OGH18OCg2/24d20.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Nowotny, den Hofrat Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Robert Levovnik, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Michael Wirrer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 3.600 EUR), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:018OCG00002.24D.0820.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Grundrechte, Schiedsverfahrensrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Die Klage wird zurückgewiesen und das bisherige Verfahren als nichtig aufgehoben.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt mit seiner beim Landesgericht Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachten Klage, das Erkenntnis des Schiedsgerichts der beklagten Glaubensgemeinschaft vom 18. 1. 2024 aufzuheben.

[2] Der Kläger sei aufgrund eines Dienstvertrags vom 9. 11. 2011 mit dem Land Kärnten als Vertragsreligionslehrer auf unbestimmte Zeit beschäftigt gewesen. Ohne konkrete Begründung habe der Oberste Rat der Beklagten mit Beschluss vom 9. 4. 2023 dem Kläger die religionsgemeinschaftliche Lehrbeauftragung zur Erteilung des islamischen Religionsunterrichts entzogen. Dagegen habe der Kläger rechtzeitig Widerspruch eingebracht, über den schließlich das Schiedsgericht der Beklagten mit nunmehr angefochtenem Beschluss bzw Erkenntnis entschieden habe.

[3] Seine Klage auf Aufhebung dieses Schiedsspruchs stützte der Kläger auf § 611 Abs 2 Z 5 und Z 8 ZPO, zumal sich das Schiedsgericht offensichtlich nicht an Art 6 EMRK gehalten habe. Durch den angefochtenen Schiedsspruch sei die Lehrbefugnis des Klägers als Islamlehrer aufgehoben und (in weiterer Folge) sein Dienstverhältnis durch die Bildungsdirektion Kärnten mit dem Land Kärnten aufgelöst worden.

[4] Die Beklagte wandte die sachliche und örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Richtigerweise sei der Oberste Gerichtshof nach § 615 ZPO zuständig. Dem Kläger sei die Missio (Igaza) wegen zahlreicher Beschwerden über Dienstverfehlungen zu Recht entzogen worden, sodass der Kläger nach § 4 Abs 3 RUG für die Erteilung des Religionsunterrichts nicht mehr verwendet werden dürfe. Die geltend gemachten Aufhebungsgründe lägen nicht vor.

[5] Der Kläger beantragte für den Fall, dass sich das angerufene Landesgericht Klagenfurt für unzuständig erklären sollte, die Überweisung an den nicht offenbar unzuständigen Obersten Gerichtshof.

Rechtliche Beurteilung

[6] Das Landesgericht Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht erklärte sich mit Beschluss vom 21. 5. 2024 sachlich und örtlich unzuständig und überwies die Rechtssache an den Obersten Gerichtshof.

[7] 1. Ungeachtet der Frage, ob hier überhaupt ein Schiedsspruch im Sinn der ZPO angefochten wird, ist die Klage bereits wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären.

[8] 2. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Danach ist zu beurteilen, ob ein privatrechtlicher Anspruch iSd § 1 JN erhoben wurde (RS0045584; RS0045718; RS0005896). Unerheblich ist, ob der behauptete Anspruch berechtigt ist, weil darüber erst in der Sachentscheidung abzusprechen ist (RS0045718; RS0045491).

[9] 3.1 Art 15 StGG ordnet an, dass gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften ihre „inneren Angelegenheiten“ selbständig verwalten. Daraus folgt, dass der Rechtsweg in solchen Angelegenheiten unzulässig ist (RS0124184; RS0045529).

[10] 3.2 Die Gerichte dürfen bei Streitigkeiten über innere Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften daher nicht in die Autonomie der Religionsgemeinschaften nach Art 15 StGG eingreifen (RS0045553; RS0121678; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 1 JN Rz 146; Rassi in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 1 JN Rz 38).

[11] 3.3 Zu den „inneren Angelegenheiten“ zählen jene, welche den inneren Kern der kirchlichen (bzw religionsgemeinschaftlichen) Betätigung betreffen und in denen ohne Autonomie die Religionsgesellschaften in der Verkündung der von ihnen gelehrten Heilswahrheiten und der praktischen Ausübung ihrer Glaubenssätze eingeschränkt wären, wobei den Kirchen und Religionsgemeinschaften allerdings im interkonfessionellen Bereich ebenso wie durch einzelne Verfassungsbestimmungen Einschränkungen auferlegt sind (RS0073107). Der sich daraus ergebende Bereich der inneren Angelegenheiten kann naturgemäß nicht erschöpfend aufgezählt werden (RS0073107).

[12] 3.4 Die Beauftragung zur Lehrtätigkeit gehört jedenfalls zu den inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft (4 Ob 160/11z, Pkt 1.3 [c]; Sengstschmid in Höllwerth/Ziehensack, ZPO § 1 JN Rz 77). Welche Gründe vorliegen müssen, um die zuständigen religionsgemeinschaftlichen Behörden dazu zu veranlassen, dem Vertragslehrer die Ermächtigung wieder zu entziehen, ist damit eine nicht im Religionsgesetz geregelte innere Angelegenheit der Religionsgemeinschaft (10 ObS 6/19h, Pkt 5.3).

[13] 4. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs ist gemäß § 42 Abs 1 JN auch von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Aus dem Begehren samt dem Klagsvorbringen ist abzuleiten, dass der Kläger sich gegen die Entscheidung der beklagten Glaubensgemeinschaft richtet, weil ihm dadurch die Lehrbefugnis als Religionslehrer entzogen wurde. Aus der referierten Judikatur ergibt sich aber, dass dafür die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht vorliegt.

[14] 5. Die Klage war daher nach § 42 Abs 1 JN wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen, das bisherige Verfahren als nichtig aufzuheben (RS0042080).

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO. Die beklagte Partei hat sich ohne ausdrücklichen Hinweis auf den vorliegenden Nichtigkeitsgrund in das Verfahren eingelassen. Die Voraussetzungen für die Belastung nur der klagenden Partei mit den gesamten Verfahrenskosten liegen daher nicht vor. Die Verantwortung für die Durchführung des Verfahrens trotz Nichtigkeit trifft beide Parteien (zB 8 Ob 56/17v; 5 Ob 50/13h; 7 Ob 110/08i).

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