European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00084.24P.1113.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in der Nacht vom 29. auf den 30. November 2019 in O* die schlafende und solcherart wehrlose * L* unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung vornahm, indem er einen Finger in ihre Scheide einführte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet eine Verletzung der Bestimmung des § 159 Abs 3 StPO mangels ausdrücklicher Belehrung des Opfers über sein – ihm nach der Beschwerdeauffassung als Ehefrau eines Cousins des Angeklagten (siehe US 4) zukommendes – Aussagebefreiungsrecht gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO. Dabei verkennt sie, dass der für das Bestehen der hier in Rede stehenden Aussagebefreiung relevante Angehörigenbegriff des § 72 StGB zwar die Nachkommen von Geschwistern untereinander, also Cousins und Cousinen, umfasst, nicht jedoch solche des Ehepartners (vgl Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 72 Rz 8).
[5] Nach den tatrichterlichen Feststellungen hat der Angeklagte das tief schlafende und schon solcherart im Sinn des § 205 Abs 1 StGB wehrlose Opfer (RIS‑Justiz RS0095097 [T2] und RS0102727 [T1]) digital penetriert (US 6), wobei sein Vorsatz diesen Zustand sowie die Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung unter Ausnutzung desselben umfasste (US 7). Allein diese Urteilsfeststellungen tragen bereits die Subsumtion nach § 205 Abs 1 StGB. Die weitere Konstatierung, wonach das Opfer aufgrund der digitalen Penetration aufwachte, aber aufgrund eines „Schockzustand[s]“ „in Verbindung mit der schweren Alkoholisierung nicht in der Lage war, sich gegen den Angeklagten zur Wehr zu setzen“ (US 7), ist daher weder für die Lösung der Schuld‑ noch der Subsumtionsfrage entscheidend (vgl zum Begriff der entscheidenden Tatsache Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff).
[6] Den Antrag „auf Einholung eines Gutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie zum Beweis dafür, dass das von * L* geschilderte Verhalten im Bezug auf den angeblichen Vorfall aus medizinischer Sicht nicht möglich ist, da sie zum einen vorgibt, dass sie stark betrunken gewesen sei, zum anderen schlaftrunken gewesen sei bzw. in einer Schockstarre verfallen sei“ (ON 18.1, 31), wies das Erstgericht somit ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (vgl § 55 Abs 2 Z 2 StPO und RIS‑Justiz RS0116503).
[7] Die in Ansehung der Feststellungen zum kurzzeitigen Aufwachen des Opfers vor der Tathandlung und zu dessen Zustand nach dem Aufwachen aufgrund der Penetration (US 6) Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) und Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) einwendende Mängelrüge geht mangels Bekämpfung entscheidender Tatsachen schon im Ansatz fehl (RIS‑Justiz RS0106268). Der Sache nach richtet sich die Beschwerde bloß mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den Angaben des Opfers nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).
[8] Die Feststellung, wonach das Opfer im Zeitpunkt der digitalen Penetration geschlafen habe (US 6), gründete das Erstgericht entgegen der als Schutzbehauptung beurteilten Verantwortung des Beschwerdeführers auf die Angaben des Opfers und die allgemeine Lebenserfahrung, dass stark alkoholisierte Personen binnen kürzester Zeit einschlafen (vgl US 18). Dem Vorwurf der Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) zuwider entspricht diese Ableitung den Gesetzen der Logik ebenso wie grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS‑Justiz RS0118317).
[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst „weitere Feststellungen zur subjektiven Tatbestandsseite […] in Bezug auf das Ausnützen der Hilflosigkeit“. Sie leitet jedoch nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb insoweit die erstgerichtliche Konstatierung, wonach der Angeklagte mit dem Vorsatz handelte, das schlafende Opfer unter Ausnützung dieses Zustands zu missbrauchen (US 7), nicht ausreichen sollte (RIS‑Justiz RS0116565).
[10] Mit der Kritik der Sanktionsrüge (Z 11), der Milderungsgrund des Wohlverhaltens seit länger zurückliegender Tatbegehung (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB) sei gänzlich unbeachtet geblieben, wird nur ein Berufungsgrund geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0099920, RS0099892 [T5] und RS0099869 [T12, T13 und T14]).
[11] Weder die Ausnützung des Vertrauens noch die für das Opfer mit der Tatbegehung verbundenen Tatfolgen bestimmen den anzuwendenden Strafsatz (§ 205 Abs 1 StGB). Entgegen der Beschwerdebehauptung (Z 11 zweiter Fall) verstößt demnach die aggravierende Wertung dieser Umstände bei der Strafbemessung (US 20) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB (RIS‑Justiz RS0130193).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[14] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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