OGH 13Os83/24s

OGH13Os83/24s13.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des * M* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 5. Juli 2024, GZ 10 Hv 14/24t‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00083.24S.1113.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die strafrechtliche Unterbringung des * M* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

[2] Danach hat er am 2. November 2023 in G* unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und einer polyvalenten Drogenerkrankung, aufgrund derer er zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig im Sinn des § 11 StGB war, Beamte während einer Amtshandlung (§ 269 Abs 3 StGB) tätlich angegriffen, indem er während der in der (damaligen) Justizanstalt G* durchgeführten (US 3) Morgenvisite eine Parfümflasche aus Glas oder Hartplastik, welche er zuvor hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte, aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in Richtung der Justizwachebeamten RevInsp * K*, BezInsp * F* und Insp * B* warf, und dadurch das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedrohte Vergehen des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 (richtig) lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeits-beschwerde des Betroffenen.

[4] Nur in der Hauptverhandlung gestellte Anträge können Grundlage einer Verfahrensrüge (Z 4) sein. Anträge, die in Schriftsätzen außerhalb der Hauptverhandlung eingebracht wurden, erfüllen diese Voraussetzung nur, wenn sie vom Antragsteller in der Hauptverhandlung wiederholt (also an den Kriterien des § 55 StPO orientiert formell gestellt) wurden (RIS‑Justiz RS0099099 und RS0099511).

[5] Mit dem Einwand, das Schöffengericht habe einem mit Schriftsatz vom 7. Mai 2024 (ON 19) gestellten Antrag nur „bedingt“ entsprochen, wird eine unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 4 StPO beachtliche Antragstellung nicht behauptet.

[6] Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (15 Os 51/04, SSt 2004/43; RIS‑Justiz RS0119089).

[7] Mit dem Vorbringen, dass das Werfen der Parfümflasche niemand gesehen habe, wird kein solcher Begründungsfehler behauptet.

[8] Hinsichtlich nicht getroffener Feststellungen kommt eine Mängelrüge von vornherein nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0128974).

[9] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO, Art 6 Abs 2 MRK) wird ein aus (Z 5 oder) Z 5a des § 281 Abs 1 StPO beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS‑Justiz RS0102162).

[10] Die Kritik aus Z 5a (als Aufklärungsrüge), wonach das Erstgericht „keinerlei Beweise betreffend die Parfümflasche (Volumen; Restinhalt; Größe; etc.) aufgenommen“ habe, versäumt bereits die Darlegung, wodurch der Betroffene an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sei (RIS‑Justiz RS0115823).

[11] Indem die Rechtsrüge (Z 9 [richtig] lit a) die Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der Amtshandlung (US 3) und jene zur subjektiven Tatseite (US 4) bestreitet, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[12] Nichtigkeit in Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose (Z 11 zweiter Fall) liegt dann vor, wenn eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt wird oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0113980 und RS0118581).

[13] Mit Überlegungen zur Gefährlichkeit des Betroffenen im Fall einer „korrekten medizinischen Behandlung“ und der Kritik, dass der Betroffene „über lange Zeit hinweg nicht behandelt“ worden sei, verlässt die Sanktionsrüge diesen Anfechtungsrahmen.

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[15] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

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