OGH 12Os134/13t

OGH12Os134/13t12.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 23. August 2013, GZ 40 Hv 7/13g-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian M***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 (II./) StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in H*****

I./ im April oder Mai 2011 an der am 27. September 2007 geborenen Vanessa M*****, somit an einer unmündigen Person, dem Beischlaf und eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er zunächst einen Finger und in weiterer Folge seinen Penis in deren Scheide einführte;

II./ durch die zu I./ geschilderten Handlungen mit seiner minderjährigen Tochter Vanessa M***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) durfte die beantragte Verlesung abstrakt wissenschaftlicher Aufsätze über Einvernahmetechniken bei Kleinkindern schon mangels Bedeutung für die Sache (vgl § 252 Abs 2 StPO) unterbleiben.

Soweit der Antrag auf die Unterlassung der Verwertung der Aussage der Zeugin Vanessa M***** abzielt, wird verkannt, dass es der österreichischen Strafprozessordnung widerspricht, ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismittel der Beweiswürdigung zu entziehen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 363). Im Übrigen hat der Verteidiger dem Vortrag der Angaben ausdrücklich zugestimmt (ON 44 S 14 f).

Durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines Gutachtens eines gerichtlich beeideten Kinderpsychiaters zum Beweis dafür, dass die Andeutungen der Vanessa M***** im Bezug auf sexuelle Handlungen ihres Vaters an ihr nicht glaubwürdig seien bzw bei Vanessa M***** konkrete Hinweise auf einen sexuellen Kindesmissbrauch nicht gegeben sind, wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten schon deshalb nicht geschmälert, weil im Beweisantrag nicht dargetan wurde, dass die unmündige Zeugin sowie deren gesetzlicher Vertreter die erforderliche Zustimmung zur Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614).

Im Übrigen steht die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen dem Schöffengericht zu. Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen in Betracht (RIS-Justiz RS0120634).

Lediglich der Vollständigkeit halber sei auch darauf hingewiesen, dass die Vernehmung der Unmündigen durch die zur Sachverständigen bestellten Dipl.-Psych. Monika A***** durchgeführt wurde (ON 30 S 1), die Vanessa M***** ein unauffälliges Bindungsverhalten, eine gute Entwicklung und ausreichende Realitätssicherheit attestierte (ON 31 S 7).

Entgegen der Verfahrensrüge verfiel auch der Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Frage, „inwieweit die Zeugenaussage der minderjährigen Vanessa anlässlich ihrer kontradiktorischen Einvernahme am 3. Juni 2013 durch suggestive Einflüsse der Kindesmutter sowie die wiederholten Einvernahmen bei Polizei und Gericht zustande gekommen sein könnten“ zu Recht der Abweisung, weil er auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330).

Das von den Beweisanträgen abweichende und diese ergänzende - umfängliche - Vorbringen im Rechtsmittel ist prozessual verspätet und insoweit genauso unbeachtlich wie die im gegebenen Zusammenhang angestellten eigenständigen Beweiswerterwägungen und Schlussfolgerungen des Beschwerdeführers (RIS-Justiz RS0099618).

Indem die Mängelrüge (Z 5) den von den Tatrichtern bewerteten Verfahrensergebnissen eigene Schlussfolgerungen gegenüberstellt und aus den im Anlassbericht vom 16. Oktober 2012 festgehaltenen Ausführungen der Oberärztin Dr. F*****, wonach es möglich sei, dass die Verletzungen im Genitalbereich wieder zugewachsen, kaum bzw gar nicht mehr sichtbar sind, andere Konsequenzen als das Erstgericht (US 11) aufweist und solcherart die Feststellung, wonach die Inzisur im Hymen auf die Handlungsweise des Angeklagten zurückzuführen ist, als aktenwidrig bekämpft, zeigt sie keinen Begründungsmangel auf.

Aktenwidrigkeit liegt nur im Fall der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vor, durch eine behauptete Divergenz zwischen den Tatsachenfeststellungen und dem zugrunde gelegten Beweismaterial kann sie nicht begründet werden.

Der Eintritt einer Verletzung wird weder vom Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB noch von jenem des § 212 Abs 1 Z 1 StGB gefordert und kann daher von vornherein kein erfolgreicher Bezugspunkt der Mängelrüge sein.

Soweit die Rüge (der Sache nach Z 5a) auf Spekulationen des Angeklagten verweist, wonach die Verletzungen seiner Tochter etwa auch durch kratzende Bewegungen beim Waschen oder durch extreme Dehnübungen beim Ballettunterricht zustande gekommen sein könnten und weitere Aufklärungen zur Ursache der Verletzung vermisst, legt sie nicht dar, wodurch der durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte an einer darauf abzielenden Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823).

Die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin Watinee M*****, wonach ihre Tochter schreiend und aus der Scheide blutend zu ihr gekommen, sie aber nicht zur Ärztin gegangen sei, ist als kritisch-psychologischer Vorgang einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (RIS-Justiz RS0099419).

Die unter Vorbehalt erfolgte Einstellung des Verfahrens betreffend den Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs des Simon M***** steht einer Berücksichtigung der damit im Zusammenhang stehenden, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweisergebnisse nicht entgegen.

Die tatrichterlichen Überlegungen dazu scheiden als Anfechtungsbasis der Mängelrüge auch deshalb aus, weil das Erstgericht diesen im Rahmen der Beweiswürdigung bloß ergänzende Bedeutung für die hier entscheidenden Tatsachen beigemessen hat. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aber nur dann bekämpft werden, wenn die Tatrichter darin erkennbar eine notwendige Bedingung für die Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt haben (RIS-Justiz RS0116737, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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