European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00093.16Y.1111.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 21. 8. 2015 war der Kläger als Tischler in einer Tischlerei in seiner Heimatgemeinde beschäftigt. Er entschloss sich an diesem Tag, während der um 9:00 Uhr beginnenden Vormittagspause im nahegelegenen Kaufhaus im Ort (S*****‑Markt, ca 300 m) eine Jause zu kaufen und diese am Weg zurück zu seinem Arbeitsplatz zu verzehren. Der Kläger wählte den kürzesten Weg zum Kaufhaus.
Als er dort kurz nach 9:00 Uhr ankam, sah er direkt vor dem Kaufhaus bei einer Parkmöglichkeit zwei ineinander verkeilte Kleintransporter stehen. Es handelte sich dabei einerseits um den Kleinbus des H***** und andererseits um den Ford‑Kastenwagen des M***** mit einem Eigengewicht von 1.729 kg. H***** hatte seinen Kleinbus während einer Ladetätigkeit mit offener Heckklappe vor dem Kaufhaus geparkt, als M***** mit seinem Ford‑Kastenwagen beim Einparken reversierte und bei dem stehenden Kleinbus H***** an der offenen Heckklappe hängen blieb.
Neben den beteiligten Fahrzeuglenkern war noch ***** F***** anwesend, der den Kläger kannte. Er bat den Kläger, „doch geschwind mitzuhelfen“, um die Fahrzeuge wieder voneinander zu trennen. ***** F***** regte an, die Heckklappe des Fahrzeugs H***** ein paar Millimeter anzuheben, damit das andere Fahrzeug vielleicht darunter herausrutschen und wegfahren könne. Dieser Versuch war allerdings nicht erfolgreich. Daraufhin schlug H***** vor, ein paar Zentimeter nach vorne zu fahren, damit sich die Fahrzeuge voneinander lösen. Dies tat er und die Verkeilung löste sich.
Dadurch geriet der Ford‑Kastenwagen des M*****, bei dem die Handbremse nicht angezogen war, ins Rollen. M***** saß zu diesem Zeitpunkt nicht im Wagen, sondern befand sich in dessen Heckbereich. Als der Ford‑Kastenwagen ins Rollen kam, riefen ***** F***** und M***** laut „haltet das Auto auf, haltet das Auto auf“. Die im Heckbereich des Autos stehenden ***** F***** und M***** versuchten, den Ford‑Kastenwagen an der Stoßstange zu halten. Der Kläger befand sich eher im vorderen Bereich des Wagens. Er sprang seitlich vor diesen und versuchte ihn zu halten. Der Ford‑Kastenwagen rollte ganz langsam abschüssig nach unten. Die Vorderräder waren nicht gerade gestellt, sondern eingeschlagen. Im Zuge des Rollens fuhr das Rad auf der Seite, auf der sich der Kläger befand, nach außen. Als der Kläger dies bemerkte, ließ er los, damit ihm das Rad nicht über seinen Fuß fährt.
In diesem Moment kam der Ford‑Kastenwagen wieder ins Laufen, weil es den beiden hinten Stehenden nicht gelang, ihn zu halten. Da das Fahrzeug schon in Bewegung und das Rad nach außen eingeschlagen war, kam der Kläger, der seitlich stand, zu Fall und das Rad fuhr ihm über den Vorfuß und den Unterschenkel bis kurz vor das Knie. H***** sah das Unglück, sprang in den Ford‑Kastenwagen des M***** und zog die Handbremse an. Dadurch kam das Fahrzeug zum Stillstand, war allerdings schon auf den Fuß des Klägers gefahren. Als H***** aus dem Fahrzeug ausstieg und um das Auto herumging, sah er den Kläger unter dem Rad liegen. Es gelang ihm in weiterer Folge langsam mit dem Fahrzeug zurückzufahren und den Kläger zu befreien. Der Kläger wurde am linken Fuß verletzt.
Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung des Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall ab, weil ein ursächlicher Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung fehle.
Der Kläger begehrt mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage die Feststellung, dass es sich beim Unfall vom 21. 8. 2015 um einen Arbeitsunfall handle, und die Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß. Der Unfall habe sich während seiner Arbeitszeit auf einem mit seiner Beschäftigung zusammenhängenden Weg iSd § 175 Abs 2 Z 1 und Z 7 ASVG ereignet. Es fehle nicht am wesentlichen Kausalzusammenhang, weil er nicht völlig unvernünftig und unsinnig gehandelt habe. Nicht er, sondern der Lenker des Ford‑Kastenwagens habe die Gefahrenlage geschaffen, weil er vergessen habe, die Handbremse anzuziehen. Auch handle es sich um einen gemäß § 176 ASVG den Arbeitsunfällen gleichgestellten Unfall, weil er Hilfe geleistet habe, um weitere Schäden und Gefahren von anderen Beteiligten und Helfern abzuwenden. Er habe rein altruistisch im Interesse der Allgemeinheit gehandelt, vergleichbar einem Feuerwehrmann.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass selbst bei Annahme eines Wegunfalls kein Versicherungsschutz bestehe, weil sich der Kläger ohne Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt habe, von der er ereilt worden sei. Auch § 176 Abs 1 Z 2 ASVG sei nicht anzuwenden, weil keine Gefahrenlage im Sinn dieser Bestimmung vorgelegen sei. Weder habe sich ein Mensch in Lebensgefahr befunden noch habe der Kläger in einem Unglücksfall oder in allgemeiner Gefahr oder Not Hilfe geleistet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Weg des Klägers zur Besorgung einer Jause in einer Arbeitspause sei zwar gemäß § 175 Abs 2 Z 7 ASVG geschützt gewesen. Der Kläger habe diesen Weg jedoch aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen, sodass zum Unfallszeitpunkt kein Unfallversicherungsschutz bestanden habe. Keiner der Tatbestände des § 176 ASVG sei erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass der Weg des Klägers von seinem Arbeitsplatz zum Kaufhaus zwar geschützt gewesen sei, dass aber der Unfallversicherungsschutz durch die vom Kläger aus eigenwirtschaftlichen Gründen vorgenommene Unterbrechung des Weges erloschen sei. Es liege auch keiner der Tatbestände des § 176 ASVG vor. § 176 Abs 1 Z 2 ASVG verlange immer die Rettung von Menschen, hier hätten aber nur Sachschäden gedroht. Der Kläger habe weder konkret behauptet noch ausgesagt, dass Menschen betroffen gewesen wären. Es genüge nicht, dass es bloß möglich sei, dass Menschen in der Rollbahn des Wagens sein könnten, weil keine allgemeine Gefahrenlage oder Notsituation bestanden habe.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Lehre zur Frage, ob auch eine Hilfeleistung zur Sicherung von Sachen, wenn sie im Unglücksfall erfolge, vom Unfallversicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG erfasst sei, kontroversiell sei und neuere höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu nicht vorliege.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der dieser die Stattgebung der Klage anstrebt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Abweisung der Revision.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, sie ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Revisionswerber hält auch in der Revision an der Ansicht fest, dass sein Weg zum Kaufhaus trotz der Unterbrechung unter Unfallversicherungsschutz gemäß § 175 Abs 2 Z 7 ASVG gestanden sei, weil er in rein altruistischer Weise in einem Unglücksfall zur Abwehr einer Gefahr geholfen habe. Aus diesem Grund liege jedenfalls auch ein geschützter Arbeitsunfall gemäß § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vor. Dazu ist auszuführen:
I. Zu § 175 Abs 1 Z 7 ASVG:
I.1 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Weg des Klägers von seiner Arbeitsstätte zum nahe gelegenen Kaufhaus im Ort zur Besorgung einer Jause während einer Arbeitspause vom Unfallversicherungsschutz gemäß § 175 Abs 1 Z 7 ASVG umfasst war.
I.2 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass bei Wegunfällen ein Unfallversicherungsschutz immer dann zu verneinen ist, wenn sich der Unfall in einer Phase des Weges ereignet, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen des Versicherten dient (RIS‑Justiz RS0084822). Im privatwirtschaftlichen Interesse gewählte Um‑ und Abwege vom kürzesten Weg sind in der Regel, also mangels besonderer gegenteiliger Umstände, nicht versichert, weil in den meisten dieser Fälle eine vermeidbare Gefahrenerhöhung eintritt. Diese Rechtsprechung ist auch auf einen gemäß § 175 Abs 2 Z 7 ASVG geschützten Weg anzuwenden (RIS‑Justiz RS0084380 [T10]).
I.3 Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen (Abwegen) hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0084380 [T8]; 10 ObS 45/14m, SSV‑NF 28/26). Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger durch seine Entscheidung, bei der Trennung der Kleintransporter zu helfen, den vom Schutzbereich umfassten Teil des Weges zum Kaufhaus im konkreten Fall verlassen hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass zu diesem Zeitpunkt weder ein Unglücksfall noch eine Gefahrensituation bestand. Die Gefahr entstand – wozu noch Stellung zu nehmen sein wird – erst später, als der Ford‑Kastenwagen nach seiner Loslösung vom anderen Fahrzeug ins Rollen geriet. Die weitere rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Hilfeleistung des Klägers nach der schon erfolgten Unterbrechung seines Weges in keinem Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit stand, sodass die versicherte Tätigkeit lediglich Gelegenheitsursache und nicht wesentlich für den Schadenseintritt war, stellt der Revisionswerber nicht in Frage.
I.4 Zutreffend sind die Vorinstanzen daher zu dem Ergebnis gelangt, dass im konkreten Fall kein Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG vorlag.
II. Zu § 176 Abs 1 Z 2 ASVG:
II.1 In § 176 ASVG werden weitere Unfälle bei bestimmten Tätigkeiten den Arbeitsunfällen gemäß § 175 ASVG „gleichgestellt“. Bei diesen Unfällen handelt es sich daher begrifflich um keine dem Schutzbereich des § 175 ASVG unterliegenden Arbeitsunfälle, sodass es auf die betriebliche Tätigkeit des Klägers bzw die Motive für die Unterbrechung seines Weges zum Kaufhaus in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Der Versicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG gilt nämlich für gemäß §§ 4 ff ASVG versicherte wie für nicht versicherte Personen in gleicher Weise (Müller in SV‑Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 3, 72), weil Tätigkeiten, die aus altruistischen Beweggründen im Interesse der Allgemeinheit unternommen werden (Lebensrettung, Hilfeleistung in Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr usw), ganz allgemein in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden sollten (AB 613 7. GP 19 zur Stammfassung des ASVG BGBl 1955/189; RIS‑Justiz RS0084062).
II.2.1 § 176 ASVG hat den Schutz von Handlungen in fremdem Interesse umfassender geregelt als seine Textierung auf den ersten Blick erkennen lässt. Ihm liegen zwei weit reichende Prinzipien zugrunde, von denen das – hier allein zu behandelnde – erste lautet: Wer bei Unglücksfällen, in allgemeiner Gefahr oder Not Hilfe zu holen versucht, besitzt dabei den Schutz der Unfallversicherung (vgl § 176 Abs 1 Z 2 ASVG; Tomandl, Der Schutzbereich der Unfallversicherung, ZAS 1975, 123 [135]; Tomandl in Tomandl, SV‑System [25. ErgLfg] 2.3.2.3.2.A [300]).
II.2.2 Um dieses Prinzip rankt der Gesetzgeber die in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG normierten Beispiele. Nach dieser Bestimmung sind den Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich ereignen
‑ bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung (Fallgruppe 1),
‑ bei Herbeiholung eines Arztes oder eines Sanitäters im Sinn des Sanitätergesetzes oder einer Hebamme zu einer dringenden Hilfeleistung,
‑ bei der Suche nach vermissten Personen,
‑ bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not (Fallgruppe 4),
‑ bei der Herbeiholung eines Seelsorgers zu einem in Lebensgefahr befindlichen Erkrankten oder Verunglückten,
‑ bei der Blutspende oder der Organspende nach dem OTPG oder
‑ bei angemessener Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorgans,
in allen diesen Fällen jedoch nur, wenn der Unglücksfall nicht durch den Retter/die Retterin vorsätzlich herbeigeführt wurde und wenn nicht nach anderen unfallversicherungs‑ oder unfallfürsorgerechtlichen Bestimmungen ein Leistungsanspruch besteht.
II.3.1 Geschützt ist danach im hier interessierenden Zusammenhang nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG unter anderem, wer – ohne besondere rechtliche Verpflichtung – einen Unfall bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung (Fallgruppe 1), oder einen Unfall bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not erleidet (Fallgruppe 4).
II.3.2 Soweit für die Entscheidung relevant bezog sich die bisherige Rechtsprechung auf Fälle, in denen die Hilfeleistung nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG Menschen galt, und nicht etwa nur Tieren oder Sachen (10 ObS 58/96, SSV‑NF 10/32; 10 ObS 191/97d, SSV‑NF 11/79; Tomandl in Tomandl, SV‑System [25. ErgLfg] 2.3.2.3.2.A [300]; Müller in SV‑Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 74; Tarmann‑Prentner in Sonntag, ASVG7 § 176 Rz 8; Neumayr, Sozialversicherungsrechtlicher Schutz und zivilrechtliche Haftung, in KWG [Hrsg], Freiwilligenarbeit [2011] 64).
II.4.1 Die Schutzbereiche der ersten fünf in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG geregelten Fälle erfordern die Abwendung einer gegenwärtig drohenden Gefahr oder zumindest ein Dringlichkeitsmoment (10 ObS 191/97d, SSV‑NF 11/79; Müller in SV‑Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 75). Die Gefahrenlagen, in denen der Helfer tätig wird, dürfen noch nicht abgeschlossen sein (10 ObS 207/89, SSV‑NF 3/84, RIS‑Justiz RS0084038).
II.4.2 Der Schutzbereich der Fallgruppe 4 unterscheidet sich von jenem der Fallgruppe 1 dadurch, dass weder eine Lebensgefahr für Menschen vorliegen muss, noch der Versicherungsschutz auf die Abwendung von Gefahren für Menschen beschränkt ist (Müller in SV‑Komm [162. Lfg] § 176 Rz 98). Die Fallgruppe 4 stellt ganz allgemein auf die Hilfeleistung in sonstigen (daher nicht bereits von der Fallgruppe 1 erfassten) Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not ab.
II.4.3 Ebenso wie nach § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG sind nach der Bestimmung des deutschen § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII ua Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten. Da diese Regelungen aus einer historisch parallelen Entwicklung entstanden sind (sie gehen beide auf § 539 Abs 1 Nr 9 Buchstabe a RVO zurück, s dazu Tomandl, ZAS 1975, 125 ff und ErlRV 599 BlgNR 7. GP 62 zur Stammfassung des ASVG, in der die hier interessierenden Fallgruppen 1 und 4 bereits vorhanden waren), kann für die Bestimmung des Schutzbereichs der Fallgruppe 4 auch auf die deutsche Rechtsprechung und Lehre zurückgegriffen werden.
II.4.4 Von Bedeutung für den vorliegenden Fall ist dabei der Begriff des Unglücksfalls. Ein Unglücksfall iSd § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII ist ein plötzlich auftretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für Sachen oder Menschen hervorzurufen droht. Es ist für den Versicherungsfall nicht erforderlich, dass der Unglücksfall bereits eingetreten ist, es genügt, dass er einzutreten droht (BSG B 2 U 8/02 R; Lilienfeld in Kasseler Kommentar zum SV‑Recht § 2 SGB VII Rn 62; Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung (SGB VII)4 [58. Lfg] § 2 Rn 426; Kruschinsky in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfall-versicherung (SGB VII) – Kommentar [161. Lfg] § 2 Rn 641 ff, jeweils mwH).
Die Hilfeleistung muss in solchen Fällen ein positives Handeln zugunsten eines Dritten sein, wobei allerdings ein spontanes Handeln genügt. Der Versicherungsschutz eines bei einem Unglücksfall oder einer gemeinen Gefahr oder Not Hilfe Leistenden erfordert, dass dessen Tätigkeit nicht nur objektiv auf die Beseitigung des Unglücksfalls gerichtet ist, sondern er muss auch subjektiv wesentlich von der Vorstellung bestimmt gewesen sein, einen gefährlichen Zustand zu beseitigen (Kruschinsky, § 2 Rn 653 ff, 643; Schwerdtfeger § 2 Rn 425, 433 ff; Lilienfeld § 2 SGB VII Rn 69, jeweils mwH; vgl auch 10 ObS 207/89, SSV‑NF 3/84, RIS‑Justiz RS0084039).
II.5.1 Ein versichertes Hilfeleisten iSd § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII bei einem Unglücksfall liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch vor, wenn ein Helfer eingreift, um einen Schaden an einem anderen wichtigen Individualrechtsgut als der körperlichen Unversehrtheit zu beseitigen oder eine Gefahr für ein solches Rechtsgut abzuwenden (BSG 25. 1. 1973, 2 RU 55/71 = BSG 35, 140; BSG 10. 10. 2002, B 2 U 8/02 R; BSG 15. 6. 2010, B 2 U 12/09 R).
II.5.2 Diese Ansicht wird auch in der deutschen Lehre vertreten (Kruschinsky § 2 Rn 644). Dabei wird allerdings die Einschränkung gemacht, dass Bagatellschäden vom Gesetz nicht gemeint seien, um einen Wertungswiderspruch zur letzten Alternative von § 2 I Nr 13 Buchst a SGB VII („einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten“) zu vermeiden (Schwerdtfeger § 2 Rn 426). Kritisch zur dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts äußert sich – worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat – Lilienfeld (§ 2 SGB VII Rn 65). Lilienfeld führt aus, dass es sozialpolitisch nicht gerechtfertigt sei, Sachschäden genügen zu lassen; hier sollten Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 dBGB) oder unerlaubter Handlung (§ 823 dBGB) gegen den für das Ereignis Verantwortlichen genügen. Auch Lilienfeld vertritt aber, dass dann, wenn man Sachschäden in den Versicherungsschutz einbeziehe, es um bedeutende Sachen gehen müsse.
II.5.3 Für das österreichische Recht führt Rudolf Müller (in SV‑Komm [162. Lfg] § 176 ASVG Rz 98) aus, dass der Schutzbereich der Fallgruppe 4 in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zweigeteilt sei. Er umfasse Hilfe bei Unglücksfällen (individuelle Betroffenheit) und bei allgemeiner Gefahr oder Not (Betroffenheit der Allgemeinheit). Es gehe dabei entweder um die Beseitigung von Schäden oder um die Abwehr der Gefahr drohender Schäden. Auch Rudolf Müller vertritt die Ansicht, dass die Hilfeleistung zur Sicherung von Sachen geschützt sei, wenn sie im Unglücksfall oder im Katastrophenfall erfolge. Der Begriff des Unglücksfalls durch eine durch einen Vorgang der Außenwelt herbeigeführte Gefahrenlage (Rz 99) setze voraus, dass es sich nicht bloß um Bagatellschäden, sondern um einen nicht unerheblichen tatsächlichen oder drohenden Schaden an einem wichtigen Rechtsgut handeln muss.
II.6 Angewendet auf den vorliegenden Fall ist der Unfallversicherungsschutz gemäß § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG für den Kläger zu bejahen.
II.6.1 Zunächst ist zu beachten, dass sich das Geschehen im vorliegenden Fall in zwei Abschnitten ereignet hat. Im ersten Abschnitt, als der Kläger helfen wollte, die ineinander verkeilten Kleintransporter voneinander zu lösen, lag weder ein Unglücksfall noch eine Gefahrensituation im Sinn der Fallgruppe 4 des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vor. Die Hilfeleistung des Klägers in diesem Abschnitt steht daher (auch) nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach dieser Bestimmung.
II.6.2 Der zweite Abschnitt des Geschehens beginnt mit der Lösung der Kleintransporter voneinander. In diesem Moment begann der Ford‑Kastenwagen mit einem Gewicht von mehr als 1,7 Tonnen zu rollen, weil die Handbremse nicht angezogen war. Es ergibt sich aus der Feststellung, dass der Wagen ins Rollen geriet, hinreichend, dass dies auf einer abschüssig verlaufenden Straße geschah. Diese verlief vor dem Kaufhaus im Ort, daher im Ortsgebiet, sodass die diesbezüglich behaupteten Feststellungsmängel nicht vorliegen.
II.6.3 Gerät ein Kleintransporter auf einer abschüssigen Straße unkontrolliert ins Rollen, so besteht erhebliche Gefahr für Menschen und Sachen (insbesondere auch den rollenden Kleintransporter selbst), wenn dies – wie hier – mitten im verbauten Ortsgebiet (nach der Beil ./C und den im Verfahren verwendeten Lichtbildern aus dem Strafakt, deren Echtheit nicht bestritten wurde) geschieht. Dieses plötzlich eintretende Ereignis ist daher ein Unglücksfall iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG. Auf die weitere Frage, ob nach objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens auch wahrscheinlich war, sodass eine allgemeine Gefahr bestanden hätte, muss, da diese Situation nach dem Gesetz nur alternativ zu einem Unglücksfall vorliegen muss („oder“), nicht weiter eingegangen werden.
II.6.4 Der Kläger griff spontan und aktiv in einer unmittelbaren, noch nicht beendeten Gefahrensituation mit der Absicht ein, den Ford‑Kastenwagen am Wegrollen zu hindern. Er handelte zugunsten eines Dritten, weil es sich nicht um seinen Wagen handelte. Es liegt daher eine Hilfeleistung in einem Unglücksfall iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG vor.
II.7.1 Dass die rettende und helfende Tätigkeit in den Fällen des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG allgemein Menschen gelten muss, bedeutet nicht, dass in allen Fällen ein Mensch gerettet werden muss; denn dieser Fall wäre, wenn tatsächliche oder vermutete Lebensgefahr besteht, unter die Fallgruppe 1 des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zu subsumieren. Die Hilfeleistung in Fällen der Fallgruppe 4 dieser Bestimmung ist umfassender zu sehen. Sie umfasst nicht nur die Rettung eines Menschen aus einem Unglücksfall (10 ObS 138/88, SSV‑NF 2/63), sondern kann, wie Rudolf Müller zutreffend ausgeführt hat, auch in einer Abwehr eines Schadens an Sachgütern anderer Menschen liegen, denn auch ein solches Hilfeleisten „gilt“ anderen Menschen.
II.7.2 Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu: Denn die Hilfeleistung des Klägers galt einerseits dem Eigentümer des Ford‑Kastenwagens, der zerstört zu werden drohte, anderseits allen Menschen, denen durch das Wegrollen des Fahrzeugs auf einer abschüssigen Straße im Ortsgebiet in naheliegender Weise die Gefahr eines Sach oder Personenschadens drohen konnte. Spontanes Handeln genügt– wie ausgeführt – für den Versicherungsschutz und ist gerade in einer Situation wie der hier vorliegenden geboten, will der Helfer rasch genug eingreifen. Selbst wenn das Handeln des Klägers im konkreten Fall nur der Rettung des Ford‑Kastenwagens gegolten hätte, könnte ihm nicht entgegengehalten werden, lediglich zur Abwehr eines „Bagatellschadens“ gehandelt zu haben.
II.8.1 Der vorliegende Fall unterscheidet sich wesentlich von der Entscheidung 10 ObS 191/97d, SSV‑NF 11/79 (= RIS‑Justiz RS0107976 und RS0107977), auf die sich die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung stützt. Im damaligen Fall verunglückte ein Bergsteiger am 8. 12. 1995. Er wurde geborgen, aber sein Bergrucksack dabei vergessen. Am 14. 12. 1995 stiegen ein Gendarm und ein Bergsteiger neuerlich zur Unglücksstelle auf, um den Unfallhergang zu rekonstruieren und den Bergrucksack zu bergen; dabei verunglückten beide tödlich. Im damaligen Fall war primär die „angemessene Unterstützung der Amtshandlung eines Sicherheitsorgans“ (Fallgruppe 7 in § 176 Abs 1 Z 2 ASVG) durch den getöteten Bergsteiger anlässlich des zweiten Unglücksfalls vom 14. 12. 1995 zu beurteilen. Der Oberste Gerichtshof führte in dieser Entscheidung lediglich zusätzlich aus, dass allein die Bergung des Bergrucksacks keine „personenbezogene Aktivität“ iSd § 176 Abs 1 Z 2 ASVG wäre. Dies war schon deshalb zutreffend, weil der erste Unglücksfall vom 8. 12. 1995, aus dessen Anlass der Rucksack am Berg blieb, zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war, sodass allein daher für die Bergung des Rucksacks kein Versicherungsschutz nach dieser Bestimmung bestand.
II.8.2 Auch aus der Entscheidung 10 ObS 58/96, SSV‑NF 10/32, ist nichts für den vorliegenden Sachverhalt zu gewinnen, weil nicht ein Fall der Fallgruppe 4, sondern der Fallgruppe 1 des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG zu beurteilen war. Im damaligen Sachverhalt wurde die Frau des Klägers von einem Räuber mit einem Messer bedroht. Der Räuber entriss der Frau die Handtasche und flüchtete. Der Kläger verfolgte ihn, wobei er zu Sturz kam. Der Oberste Gerichtshof verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen der Fallgruppe 1, weil keine Gefahrensituation für die Frau des Klägers mehr bestanden hatte, als dieser die Verfolgung des Täters aufnahm. Das Handeln des Klägers diente daher nicht der Abwehr einer Gefahr, sondern (nur) der Wiedererlangung der Handtasche, weshalb der Tatbestand der Fallgruppe 1 nicht erfüllt war.
III. Ausgehend davon liegt ein einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall des Klägers iSd § 176 Abs 1 Z 2 Fallgruppe 4 ASVG vor, weil der Kläger in einem Unglücksfall Hilfe leistete und dabei einen Unfall erlitt, bei dem er verletzt wurde. Einer Auseinandersetzung mit dem vom Kläger auch behaupteten Vorliegen eines Tatbestands iSd § 176 Abs 1 Z 7 ASVG bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.
IV. Das Klagebegehren, dass es sich beim Unfall des Klägers um einen Arbeitsunfall handle, entspricht nicht § 65 Abs 2 ASGG (RIS‑Justiz RS0084069). Es ist iSd § 82 Abs 5 ASGG als ein (unrichtig formuliertes) Klagebegehren auf Feststellung zu verstehen, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist (10 ObS 105/02t, SSV‑NF 17/52). Die Fällung eines Teilurteils über dieses Feststellungsbegehren widerspricht jedoch § 65 Abs 2, § 82 Abs 5 ASGG: Über das Feststellungsbegehren kann erst nach Entscheidung über das auf Leistung der Versehrtenrente gerichtete Hauptbegehren abgesprochen werden (vgl ausführlich 10 ObS 134/08s, SSV‑NF 22/79; 10 ObS 154/94, SSV‑NF 8/81; RIS‑Justiz RS0038817 mwH).
Da die Vorinstanzen ausgehend von einer anderen Rechtsansicht keine Tatsachenfeststellungen getroffen haben, die die Ermittlung einer konkreten Versehrtenrente ermöglichen, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zur Beurteilung eines Anspruchs des Klägers gemäß § 203 Abs 1 ASVG Feststellungen über das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund des einem Arbeitsunfall gleichgestellten Unfalls vom 21. 8. 2015 zu treffen haben.
Es war daher der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 2 ASGG, § 52 ZPO.
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