Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Begründung
Der am 22.4.1939 geborene Kläger betreibt einen Obst- und Gemüsehandel: Er ist handelsrechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die beide ihren Firmensitz in Wien haben. Dort hält sich auch der Kläger während der Woche auf, während er an den Wochenenden sein Haus in R*****bewohnt, wo sich sein Hauptwohnsitz befindet. Zu diesem Wohnhaus gehört ein Lagerraum, in dem der Kläger bei Bedarf Waren wie etwa Konserven lagert und auch Kästen mit Büromaterial stehen. Zu diesem Lagerraum führt eine Zufahrt, die mit einer Betonmauer umgrenzt ist. Auf dieser Mauer befindet sich ein Maschendrahtzaun und als Sichtschutz eine Rohrmatte. Am Abend des 24.1.1993 (einem Sonntag) wollte der Kläger die Rückreise nach Wien antreten und bemerkte, daß der Sturm einen Teil der Rohrmatte heruntergerissen hatte. Er stieg auf die Betonmauer, um die Rohrmatte wieder zu befestigen. Dabei wurde er von einer starken Windböe erfaßt, er fiel von der Mauer herunter und brach sich beide Fersenbeine.
Die beklagte Allgemeine Unfallver- sicherungsanstalt lehnte mit Bescheid vom 28.7.1993 den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalls vom 24.1.1993 mit der Begründung ab, daß sich der Unfall bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ereignet habe und somit der Zusammenhang mit dem Betrieb gelöst und der Versicherungsschutz aufgehoben worden sei.
Mit der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Klage stellte der Kläger das Begehren, es werde festgestellt, daß es sich bei dem genannten Unfall um einen Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 1 bzw. Abs 2 Z 1 ASVG handle und daß die Beklagte schuldig sei, dem Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 50 v.H. der Vollrente ab Antragstag zu gewähren. Da das Befestigen des Zaunes im betrieblichen Interesse gelegen sei, handle es sich um einen Arbeitsunfall.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Strohmatte habe nur die Funktion eines Sichtschutzes erfüllt, eine Behinderung habe dadurch nicht bestanden. Das Befestigen der Strohmatte auf dem Maschenzaun stehe in keinem Verhältnis zur unfallbringenden Tätigkeit sondern es liege eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit vor, für die kein Versicherungsschutz bestehe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, daß der Kläger auch an Wochenenden (in R*****) Geschäfte abwickle und Kunden treffe und daß Lastkraftwagen zum Lagerraum zwecks Be- oder Entladen zufahren. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten sich im Lagerraum zwar keine Waren, jedoch Büromaterial befunden. Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß das Anbringen eines Sichtschutzes auf dem Zaun wohl nur ganz persönlichen Interessen dienlich sein könne, da ein Sichtschutz für eine ordnungsgemäße Abwicklung von Geschäften, wozu auch das Be- und Entladen von LKW's zähle, nicht erforderlich sei. Die vom Kläger vorgenommene Handlung stehe in keinem Zusammenhang mit all jenen Tätigkeiten, die zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung in Ausübung seiner Erwerbstätigkeit stünden. Der Unfall sei daher nicht als Arbeitsunfall anzusehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zwar könne ein Sichtschutz, der verhindere daß jemand erkennen könne, welche Waren von einem LKW abgeladen oder auf ihn aufgeladen werden, dem betrieblichen Interesse dienen. Es scheine aber richtig und lebensnah, daß die Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz eines Obst- und Gemüsehändlers nicht vom Vorhandensein eines Sichtschutzes in Form einer Strohmatte abhängig sein könne und diese Matte auch den genannten Zwecken (nicht) wesentlich diene. Überdies handle es sich bei dem Anwesen nicht um das "räumliche Zentrum" der selbständigen Erwerbstätigkeit des Klägers sondern lediglich um seinen Wochenendwohnsitz.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens.
Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Zutreffend macht der Kläger in seiner Rechtsrüge geltend, daß ein Arbeitsunfall nach § 175 Abs 1 ASVG vorliegt. Arbeitsunfälle sind nach dieser Bestimmung Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Der Versicherungsschutz der in der Unfallversicherung teilversicherten selbständig Erwerbstätigen wird nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG durch die Mitgliedschaft zu einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft erworben und erstreckt sich daher auf Tätigkeiten, die im oben genannten Zusammenhang mit dem Gewerbetrieb stehen, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet (SSV-NF 1/14; 2/107). In diesem Rahmen ist ein selbständig Erwerbstätiger - wozu auch der Kläger als geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zählt - gegen alle Gefahren geschützt, denen er in dieser Rolle ausgesetzt ist. Im Vordergrund stehen dabei sogenannte Ausübungshandlungen, das sind Tätigkeiten, die einem vernünftigen Menschen als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen (objektive Bedingung) und die vom Handelnden in dieser Intention entfaltet werden (subjektive Bedingung). Als Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit sind daher alle durch die Gewerbeberechtigung gedeckten Tätigkeiten anzusehen, die unmittelbar der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen (SSV-NF 4/32 mwN). Der Unfallversicherungsschutz ist aber dabei keineswegs nur auf berufsspezifische Tätigkeiten eingeschränkt: So wurde etwa in der Entscheidung SSV-NF 2/107 ausgesprochen, daß ein selbständiger technischer Zeichner, der die Einrichtungsgegenstände seines Büros ausbessert, bei dieser Tätigkeit unter Unfallversicherungsschutz steht, weil eine zweckmäßige, den beruflichen Notwendigkeiten angepaßte Büroausstattung Voraussetzung für die Abwicklung der selbständigen Existenz ist.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß sich der Unfall auf einer Zufahrt zu einem Lagerraum ereignete, der vorwiegend gewerblichen Zwecken diente. Aus dem Inhalt des Anstaltsaktes ergibt sich, daß das Wohnhaus des Klägers nicht von dieser Zufahrt aus betreten wird, sondern sich der Hauseingang an einer anderen Straße befindet. Die Zufahrt diente wesentlich betrieblichen Zwecken, weil in dem Lagerraum Waren gelagert und Büromaterialien aufbewahrt wurden. Zu der Zufahrt gehörte aber auch die Einfriedung durch eine Mauer samt dem darauf befindlichen Zaun aus Maschendraht mit darauf befestigter Rohrmatte. Der Ansicht der Vorinstanzen, das Anbringen dieser Rohrmatte könne nur ganz persönlichen Interessen dienlich sein, weil für eine ordnungsgemäße Abwicklung von Geschäften ein Sichtschutz nicht erforderlich wäre, kann nicht beigestimmt werden. Die nähere Ausgestaltung von Geschäftsräumlichkeiten samt Zufahrt muß dem Geschäftsinhaber überlassen bleiben; hält er etwa einen Zaun oder auch einen Sichtschutz aus betrieblichen Gründen für notwendig, dann ist nicht zu prüfen, ob die spezielle Erwerbstätigkeit nicht auch ohne diesen Zaun oder ohne den Sichtschutz abgewickelt werden könnte. Auszugehen ist von der konkreten Ausstattung der Betriebsräumlichkeiten, hier also davon, daß die Zufahrt zum Lager im Unfallszeitpunkt durch einen Sichtschutzzaun geschützt war. Daß ein solcher Sichtschutzzaun aus betrieblichen Gründen völlig unsinnig und unzweckmäßig gewesen sei, kann nicht ernstlich behauptet werden. Die Tätigkeit, die der Kläger bei der Reparatur des durch einen Sturm beschädigten Zaunes entfaltete, stand daher unter Unfallversicherungsschutz. Daß die Existenz eines Obst- und Gemüsehändlers nicht vom Vorhandensein eines Sichtschutzes abhängig sein kann, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ohne Bedeutung. Ebensowenig fällt ins Gewicht, daß es sich bei dem Anwesen in R*****nicht um das Zentrum der selbständigen Erwerbstätigkeit handelt, weil sich der Versicherungsschutz auch auf mehrere Betriebsstätten erstrecken kann.
Dennoch ist die Sache nicht im Sinne einer Klagsstattgebung spruchreif, weil die Vorinstanzen keine Tatsachenfeststellungen getroffen haben, die die Ermittlung einer konkreten Versehrtenrente ermöglichen würden. Nach § 203 Abs 1 ASVG beteht Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher Feststellungen über das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Grund des Arbeitsunfalles zu treffen haben.
Das Feststellungsbegehren wird durch die Möglichkeit eines Leistungsbegehrens ausgeschlossen, sofern durch den Leistungsanspruch auch der Feststellungsanspruch erschöpft wird, weil dann mit dem Leistungsbegehren das strittige Rechtsverhältnis endgültig bereinigt wird. Unter diesem Gesichtspunkt fehlt auch einem nach § 65 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsbegehren das erforderliche Feststellungsinteresse (vgl SSV-NF 4/131 mwN). Allerdings schließt gemäß § 82 Abs 5 ASGG ein auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit gestütztes Leistungsbegehren das Eventualbegehren auf Feststellung ein, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, sofern darüber nicht schon abgesprochen worden ist. In diesem Sinne ist das Feststellungsbegehren des Klägers als (unrichtig formuliertes) Eventualbegehren aufzufassen, über das allerdings erst nach Entscheidung über das auf Leistung der Versehrtenrente gerichtete Hauptbegehren abgesprochen werden kann (Fasching, ZPR2 Rz 1133 f, 2309). Aus diesem Grund waren die Urteile der Vorinstanzen zur Gänze aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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