European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:010OBS00092.04H.0111.000
Spruch:
Der Antrag der klagenden Partei, beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung des § 299a ASVG und der darauf basierenden Verordnung BGBl II 438/2002 wegen Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit zu beantragen, wird zurückgewiesen.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 29. 1. 2003 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt fest, dass die Pension des Klägers ab 1. 1. 2003 monatlich brutto EUR 1.826,42 beträgt und die Anpassung der Leistung zum 1. 1. 2003 unter Berücksichtigung des Anpassungsfaktors 1,005 durchgeführt wurde, wobei Rechtsgrundlage der Entscheidung für die Anpassung der Pension und den Wertausgleich die §§ 108f, 108h und 299a ASVG sowie die Verordnung BGBl II 438/2002 seien.
In der dagegen erhobenen Klage stellte der Kläger ausdrücklich "außer Streit", dass der angefochtene Bescheid der geltenden - sE aber nicht verfassungskonformen - Rechtslage entspreche; eine "systemkonforme" Gewährung der vom Gesetzgeber beabsichtigten Pensionsanpassung von insgesamt 2 % hätte den bescheidmäßig zuerkannten Anspruch betreffen müssen. Demgegenüber leiste die beklagte Partei dem Kläger nur einen "Wertausgleich" gemäß § 2 der zitierten Verordnung (Einmalzahlung von EUR 27,26 [= 1,5 % des Pensionseinkommens des Klägers]), der nicht Bestandteil der mit Bescheid festgestellten Pensionshöhe sei.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer monatlichen Pension von EUR 1.853,86 gerichtete Klagebegehren ab und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die (im angefochtenen Bescheid zuerkannte) monatliche Pension von EUR 1.826,42 ab 1. 1. 2003 brutto zu gewähren.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, weil es die in der Berufung ausschließlich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die geltende Gesetzeslage nicht teilte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinne abzuändern, wobei "zu diesem Zweck" vom Obersten Gerichtshof beim Verfassungsgerichtshof eine Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der präjudiziellen Norm des § 299a ASVG und ein Verordnungsprüfungsverfahren hinsichtlich der Verordnung BGBl II 438/2002 beantragt werden möge.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 299a ASVG, der dem Kompetenztatbestand "Sozialversicherungswesen" zu unterstellen sowie ausreichend bestimmt ist, und auch dem besonderen Vertrauensschutz im Pensionsrecht nicht widerspricht, bestehen, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Auf die Revisionsausführungen ist daher nur noch kurz einzugehen:
Der Revisionswerber wendet sich dagegen, dass das Berufungsgericht seinen Antrag auf Überprüfung der genannten Normen beim Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen hat. Er macht geltend, aus Art 89 B‑VG sei nicht abzuleiten, dass dem Kläger insoweit kein Antragsrecht zukomme, und begehrt die ersatzlose Aufhebung dieses Beschlusses, weil der Verfassungsgerichtshof durch diese Zurückweisung der Auffassung sein könnte, dass die Gerichte die Vorprüfung iSd Art 89 B‑VG nicht durchgeführt haben.
Dass letzteres hier der Fall wäre, wird in der Revision aber - zu Recht - nicht einmal behauptet.
Dem Kläger ist daher mit der stRsp zu erwidern, dass den Parteien ein Recht, vom Gericht die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit oder einer Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit zu verlangen, nicht zusteht (RIS‑Justiz RS0054189 und RS0058452 zuletzt: 10 ObS 69/03z mwN), und dass die Revision gar nicht aufzeigt, weshalb von diesen Grundsätzen abgegangen werden sollte. Auch der diesbezügliche, an das Revisionsgericht gerichtete Antrag ist daher zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0053805 [T13]; SSV‑NF 17/68).
Der Revisionswerber wiederholt in seinem Rechtsmittel seine verfassungsrechtlichen Bedenken, die er weiterhin auf Verstöße gegen die Kompetenzverteilung der Art 10 und 12 B‑VG, gegen die Bestimmtheit des Gesetzes[textes] und gegen wohlerworbene Rechte stützt, und regt eine diesbezügliche Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof an. Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichtes entspreche § 299a ASVG nicht dem Bestimmtheitsgebot, weil er außerordentlich kompliziert und für den Rechtsanwender nicht leicht zu erfassen sei. Die vom Berufungsgericht richtig angeführte Absicherung des erworbenen Lebensstandards durch die Pensionsversicherung sei nicht möglich, wenn es im Ermessen eines Ministers als Verordnungsgeber liege, ob er die Pensionsanpassung vornehme. Es gehe hier nicht um wohlerworbene Rechte hinsichtlich des Wertausgleichs, sondern hinsichtlich der Pensionshöhe ohne Wertausgleich.
Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der zitierten Bestimmung werden jedoch vom erkennenden Senat ebenfalls nicht geteilt:
Die historische Entwicklung der Pensionsanpassung ist in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 10 ObS 81/02p ausführlich dargestellt. Demnach enthält das SRÄG 2000 insoweit eine teilweise Neuregelung. Die jährliche Pensionsanpassung erfolgt zwar weiterhin nach dem Modell der "Nettoanpassung", jedoch enthält sie keinen politischen Faktor (insbesondere keine "Bandbreite") mehr, sondern stellt lediglich das Ergebnis einer Rechenoperation dar (§ 108f ASVG). In Jahren, in denen dadurch die Inflationsrate unterschritten wird, hat gemäß § 299a ASVG ein Wertausgleich durch Einmalzahlungen zu erfolgen, deren Höhe sozial abgestuft ausgestaltet werden kann (vgl RV 181 BlgNR 21. GP 24, 30 und 40 f). In diesem Sinne wurden mit Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen vom 22. 12. 2000 (BGBl II 2000/407) sowie vom 14. 12. 2001 (BGBl II 2001/439) die Höhe des Anpassungsfaktors und die Höhe des Wertausgleiches für die Jahre 2001 und 2002 kundgemacht.
In der Entscheidung 10 ObS 81/02p hat der erkennende Senat aber auch zu dem aufgrund der dortigen Pensionsanpassung ebenfalls behaupteten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz Stellung genommen und ihn ua mit folgender Begründung verneint:
"Dem vom Kläger für seine Ansicht vorgetragenen Argument, Pensionen stellten eine Gegenleistung für die vom Versicherten im Laufe seines Lebens eingezahlten Beiträge dar, ist schon grundsätzlich entgegenzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung das Fehlen voller Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung im Sozialversicherungsrecht stets als verfassungsrechtlich unbedenklich qualifiziert hat (VfSlg 14.842; 12.739 mwN ua). Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer gegebenen Rechtslage genießt als solches ebenfalls keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (VfSlg 13.657, 13.461 ua), sodass es dem Gesetzgeber sehr wohl freisteht, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch für die Normunterworfenen ungünstiger zu gestalten. Im Übrigen kommt dem einfachen Gesetzgeber eine, freilich nicht unbegrenzte, rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzess nicht der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9.583 mwN). Der Gesetzgeber hat allerdings auch im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten. Geringfügige Eingriffe gelten dabei allerdings nicht als unverhältnismäßig, sondern als zumutbar. So hielt der Verfassungsgerichtshof bisher etwa eine dauernde Pensionskürzung von 1,4 % bei stufenweisem Inkrafttreten (VfSlg 14.867), eine Gehaltsreduktion um etwa 1,5 % (VfSlg 14.888), eine Beitragserhöhung um 3,4 % (VfGH vom 4. 12. 2001, B 998/01 = ZAS 2002/7) und sogar eine im Durchschnitt 12 %ige Kürzung von Beamtenpensionen als Folge einer Verringerung der Bemessungsgrundlage bei vorzeitiger Pensionierung (VfSlg 15.269) für geringfügig und damit schon aus diesem Grunde für verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl Tomandl in seiner Entscheidungsbesprechung in ZAS 2002/7, 57 ff; ders, Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 ff [133 f]; Aigner, Der Pensionssicherungsbeitrag der Beamten, ZAS 2000, 65 ff [74]; Stelzer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Eingriffs in Rechte oder Vertragsverhältnisse, DRdA 2001, 508 ff [511] ua). ... Es wurde schließlich ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung gilt, da der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht, wohingegen der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist. Auf Grund dieser Erwägung sieht sich auch der erkennende Senat zu der vom Revisionswerber angeregten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst." (10 ObS 81/02p)
Da sich der Kläger offenbar selbst zu den "Beziehern höherer Pensionseinkommen" zählt, und auch erkennt, dass es hier lediglich um eine "geringe Pensionssteigerung" geht (Seite 5 und 8 der Revision [der begehrte Mehrbetrag von EUR 27,44 beträgt lediglich 1,5 % seiner monatlichen Bruttopension]), ist der Revision - ergänzend - nur noch diese Argumentation (vgl insb RIS‑Justiz RS0008687; RS0053889; RS0110085; RS0116792) entgegenzuhalten.
Das Rechtsmittelgericht trifft nicht schon dann, wenn eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert, die Verpflichtung zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof. Es hat vielmehr als Vorfrage das Vorliegen solcher relevanter Gründe selbständig zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0053638). Hegt das Gericht - wie hier - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung, besteht kein Anlass zur Antragstellung gemäß Art 140 B‑VG (SSV‑NF 17/68).
Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Bei der Frage, ob ein Kostenersatzanspruch nach Billigkeit besteht, sind nach der zitierten Gesetzesstelle nicht nur die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens, sondern auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten zu beachten. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Der Kläger bezieht seit 1. 1. 2003 eine Pension von EUR 1.826,42 brutto monatlich (10 ObS 132/03i).
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