OGH 10ObS132/03i

OGH10ObS132/03i27.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johann Ellersdorfer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert S*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 2002, GZ 11 Rs 225/02s-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. April 2002, GZ 30 Cgs 13/02f-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Der Kläger hat auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist am 17. 9. 1941 geboren. Zu dem für ihn relevanten Stichtag (1. 10. 2001) hatte er das 60. Lebensjahr vollendet und 529 Beitragsmonate erworben. Den 728. Lebensmonat (= 60 Jahre und 8 Monate) vollendete der Kläger erst am 17. 5. 2002.

Mit Bescheid vom 9. 10. 2001 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit der Begründung abgelehnt, dass der Anspruch auf diese Pensionsleistung den Eintritt des Versicherungsfalles voraussetze. Dieser trete beim Kläger mit Vollendung des 728. Lebensmonates ein, der aber noch nicht vollendet sei.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. 10. 2001 gerichteten Klage ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die beantragte Leistung setze gemäß § 253b Abs 1 ASVG idgF voraus, dass der männliche Versicherte den 738. Lebensmonat vollendet habe. Vollendete der Versicherte, aber - wie der Kläger - bereits in den Monaten Juli bis September 2001 das 60. Lebensjahr, trete nach der Übergangsbestimmung des § 588 Abs 6 Z 1 ASVG an die Stelle des 738. der 728. Lebensmonat. Auf männliche Versicherte, die - wie auch der Kläger - vor dem 1. Oktober 1945 geboren seien, trete schließlich gemäß § 588 Abs 7 Z 1 ASVG an die Stelle des 738. Lebensmonates das 60. Lebensjahr, wenn und sobald der Versicherte 540 Beitragsmonate erworben habe. Keine dieser gesetzlichen Voraussetzungen erfülle der Kläger. Die unterschiedliche Beitragszeitenregelung - bei weiblichen Versicherten nach § 588 Abs 7 Z 2 ASVG der Nachweis von 480 Beitragsmonaten - sei nicht gemeinschaftsrechtswidrig, weil diese Bestimmung im unmittelbaren Zusammenhang mit der zeitlich begrenzten Aufrechterhaltung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Pensionsalters stehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Prüfung des Vorliegens der übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Leistung, insbesondere nach § 235b Abs 1 Z 4 ASVG auf. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht vertrat in seiner rechtlichen Beurteilung - zusammengefasst - die Ansicht, auf Grund der unmittelbaren Wirkung des Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG sei § 253b Abs 1 ASVG idgF auf den Kläger so anzuwenden, dass auf Grund des unstrittigen Erwerbes von mehr als 480 Beitragsmonaten zum Stichtag (1. 10. 2001) als weitere Anspruchsvoraussetzung die Vollendung des 60. Lebensjahres genüge. § 588 Abs 7 Z 1 ASVG, der hiefür den Erwerb von 540 Beitragsmonaten normiere, sei auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes insoweit unbeachtlich.

Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei erkennbar aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles zu erkennen.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I Nr 1/2002).

In der Sache selbst ist darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof mittlerweile bereits in mehreren Entscheidungen näher begründet hat, dass nach der hier strittigen Bestimmung des § 588 Abs 7 ASVG Versicherte, die dem Pensionsanfallsalter (60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen) nahe sind, ganz offenbar aus Gründen des Vertrauensschutzes von der Hinaufsetzung des Pensionsanfallsalters nicht betroffen sein sollen. Der Gesetzgeber hat diesen Personenkreis dahin umschrieben, dass es sich dabei um männliche Versicherte, die vor dem 1. 10. 1945 geboren sind und 540 Beitragsmonate erworben haben, bzw um weibliche Versicherte, die vor dem 1. 10. 1950 geboren sind und 480 Beitragsmonate erworben haben, handeln muss. Der Gesetzgeber wollte damit den männlichen und weiblichen Versicherten, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der schrittweisen Erhöhung des Pensionsanfallsalters bereits 55 bzw 50 Jahre alt waren, einen Pensionsantritt zum bisherigen Anfallsalter von 60 bzw 55 Jahren unter der Voraussetzung ermöglichen, dass sie bei einem frühestmöglichen einheitlichen Beginn einer Versicherungskarriere (mit Vollendung des 15. Lebensjahres) einen durchgehenden Versicherungsverlauf (45 Jahre bei Männern und 40 Jahre bei Frauen) aufweisen können. Die Diskriminierung der Männer, die sich aus der höheren Anzahl der für einen Anspruch auf vorzeitige Alterspension nach der Übergangsbestimmung des § 588 Abs 7 ASVG erforderlichen Beitragsmonate ergibt, ist somit eine notwendige Folge der Tatsache, dass die Frauen (bisher) mit 55 Jahren eine solche Leistung beanspruchen konnte, während die Männer dies erst mit 60 Jahren konnten und fällt daher unter die Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 1 a der Richtlinie 79/7/EWG (vgl 10 ObS 284/02s, 10 ObS 322/02d, 10 ObS 377/02t und 10 ObS 378/02i jeweils vom 14. 1. 2003; 10 ObS 11/03w vom 28. 1. 2003 und 10 ObS 106/03s vom 8. 4. 2003; RIS-Justiz RS0117076 [T2] und [T3]). Die beklagte Partei war an den genannten Verfahren beteiligt, der Klagevertreter am Verfahren 10 ObS 378/02i, sodass auf die nähere Begründung in diesen Entscheidungen verwiesen werden kann.

Da im vorliegenden Fall unbestritten feststeht, dass der Kläger (nur) 529 Beitragsmonate erworben hat und daher die Anspruchsvoraussetzungen für die von ihm begehrte Leistung nach § 588 Abs 7 ASVG nicht erfüllt und diese Bestimmung auch nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht, war dem Rekurs der beklagten Partei Folge zu geben. Zufolge Spruchreife kann gleich in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteiles erkannt werden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Bei der Frage, ob ein Kostenersatzanspruch aus Billigkeit besteht, sind nach der zitierten Gesetzesstelle nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens, sondern auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten zu beachten. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. So ergibt sich aus dem Pensionsakt ein Pensionsanspruch des Klägers ab 1. 6. 2002 in Höhe von ca EUR 1.300,-- monatlich.

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